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Verkehrsunfall: Verzögerung der Fahrzeugreparatur und Anspruch auf Nutzungsausfall

AG Berlin-Mitte, Az.: 109 C 3286/12

Urteil vom 28.05.2013

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 11/10 des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 11/10 des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Verkehrsunfall: Verzögerung der Fahrzeugreparatur und Anspruch auf Nutzungsausfall
Symbolfoto: uatp1/Bigstock

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Nutzungsausfall für den Zeitraum von 103 Tagen geltend aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 11. August 2010, für welchen die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach unstreitig ist. Die Klägerin war im Unfallzeitpunkt Eigentümerin eines Leichtkraftrades Honda XR 125, amtliches Kennzeichen …, mit dem ihr Sohn am Unfalltag die Müllerstraße aus Richtung Brüsseler Straße kommend in Richtung Leopoldplatz auf dem rechten Fahrstreifen befuhr. Der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges fuhr auf der linken Spur und wechselte vor dem Krad auf den rechten Fahrstreifen, weshalb der Fahrer des klägerischen Wagens eine Vollbremsung machte und stürzte. Die Kollision konnte der Krad-Fahrer nicht abwenden. Das Fahrzeug der Klägerin wurde durch den Zusammenstoß beschädigt und wurde am 12. August zur Vertragshändlerin gebracht. Am selben Tag zeigte die Klägerin der Beklagten telefonisch den Schadensfall an und forderte sie zur Regulierung auf. Mit Anwaltsschreiben vom 23. August 2010 wurden die Ansprüche dem Grunde nach geltend gemacht und die Beklagte zur Erklärung ihrer Eintrittspflicht aufgefordert. Erst im April 2011 trat die Beklagte in die Haftung ein, woraufhin die Klägerin das Sachverständigenzentrum mit der Erstellung eines Schadensgutachtens beauftragte. Das erste Gutachten lag der Klägerin am 04. Mai vor. Am 24. Mai 2011 forderte sie die Beklagte auf, die Reparaturkostenübernahme zu bestätigen, was diese unter dem 25. Mai 2011 tat. Am selben Tag wurde mit der Demontage des Krad begonnen und die erforderlichen Ersatzteile von der Werkstatt bestellt. Deren Lieferung verzögerte sich, sie trafen erst am 31. Mai 2011 in der Werkstatt ein. Die Reparatur wurde bis zum 24. Juni 2011 ausgeführt, als eine Schadensausweitung seitens der Reparatur ausführenden Werkstatt festgestellt wurde. Das entsprechende zweite Gutachten vom 01. August 2011, das der Klägerin am 05. August 2011 vorlag, leitete diese am selben Tag an die Beklagte weiter mit der Aufforderung, auch die weiteren Reparaturkosten zu übernehmen. Die erweiterte Kostenübernahmeerklärung der Beklagten erhielt die Vertragshändlerin als Reparatur ausführende Werkstatt am 15. August 2011, woraufhin die zusätzlichen Ersatzteile bestellt wurden. Die Reparatur des Leichtkraftrades war am 05. September 2011 abgeschlossen. Die Reparaturkosten sowie die Kosten für das Einschleppen in die Werkstatt beliefen sich auf 1.994,48 € und wurden von der Beklagten vollständig beglichen. Mit Schreiben vom 20. März 2012 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 03. April 2012 erfolglos auf, eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 1.854,- € für 103 Tage á 18,- € pro Tag zu zahlen sowie die Klägerin von ihren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten über 229,55 € freizustellen. Mit der der Beklagten am 20. September 2012 zugestellten Klage verlangt die Klägerin diese Schäden ersetzt.

Sie behauptet, sie und ihr Sohn seien beide auf die Nutzung des Leichtkraftrades angewiesen gewesen. Sie habe jedoch nicht über die finanziellen Mittel verfügt, die Reparatur vorzufinanzieren, weshalb sie den Reparaturauftrag erst nach der Reparaturkostenübernahmebestätigung auch der später noch festgestellten Schäden abgewartet habe.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.854,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04. April 2012 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, sie von den außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren und Auslagen des Rechtsanwalts in Höhe von 229,55 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Sohn der Klägerin habe keine Nutzungsmöglichkeit des Krades gehabt, weil er sich als Soldat zur maßgeblichen Zeit im Ausland befunden habe. Außerdem habe die Klägerin den Reparaturauftrag am 25. Mai 2011 deutlich zu spät erteilt, nämlich mehr als neun Monate nach dem Unfall, weshalb ihr Nutzungswille fehle und sie keine Nutzungsausfallentschädigung verlangen könne. Dass die Bestellung der zusätzlichen Ersatzteile bis Ende August gedauert habe, bestreitet sie ebenso wie die Behauptung, die Klägerin habe nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, für die Reparaturkosten in Vorlage zu treten. Jedenfalls hätte es der Klägerin oblegen, auf eine Beschleunigung der Reparatur hinzuwirken.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren haben sich die Parteien einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die auf §§ 823, 249 f. BGB, 115 WG gestützte Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist nicht berechtigt, von der Beklagten Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung als Restschadensersatz in Höhe der Klageforderung aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls zu verlangen. Denn es fehlt an einem ersatzfähigen Schaden. Die Klägerin ist der ihr nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht nicht nachgekommen, weil sie den Reparaturauftrag erst am 25. Mai 2011 erteilt hat. Zwar sind von § 249 Abs. 1 BGB als erforderliche Aufwendungen diejenigen erfasst, die ein verständiger Fahrzeugführer in der besonderen Lage des Geschädigten machen würde (LG Berlin, U. v. 03.06.2008, 24 S232/07 = BeckRS 2010, 17648). Dies erstreckt sich grundsätzlich auch auf die entgangenen Gebrauchsvorteile des beschädigten Kraftfahrzeugs: Der Geschädigte hat grundsätzlich für die Dauer, in der er sein Fahrzeug unfallbedingt nicht nutzen kann, einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung auch dann, wenn er kein Ersatzfahrzeug anmietet (vgl. nur BGH, U. v. 20.10.1987, X ZR 49/86 = NJW 1988, 484, 485 f.). Grundsätzlich erstreckt sich die Ersatzpflicht außerdem auf die Dauer der Ersatzteilbeschaffung. Diesbezügliche Schwierigkeiten sind regelmäßig der Risikosphäre des Schädigers zuzuordnen (BGHZ 63, 182 = NJW1975, 160).

Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung aufgrund von Umständen entstehen, auf die die Geschädigte Einfluss gehabt hat. Denn sie ist gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB verpflichtet, den Schaden so gering wie möglich zu halten, d. h. den Nutzungsausfallzeit auf ein Mindestmaß zu beschränken. Insoweit trifft die Geschädigte die Pflicht, die Reparatur innerhalb einer angemessenen Zeit vornehmen zu lassen. Dies folgt aus oben genanntem Grundsatz, dass ein Anspruch auf Nutzungsausfallersatz nur auf die für die Reparatur notwendige Zeit beschränkt ist (Palandt 67. Aufl., § 249 Rn 33, § 254 Rn 45). Der Einwirkungsmöglichkeit der Geschädigten entzogen waren zwar Lieferverzögerungen und saisonal bedingte Arbeitsauslastung. Dahin gestellt bleiben kann insoweit, ob die Werkstatt oder deren Lieferanten ein Verschulden für die Verzögerung traf. Denn die Klägerin müsste sich ein solches jedenfalls nicht nach § 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB zurechnen lassen. Weder Sachverständige noch Drittbeauftragte sind im Verhältnis zur Klägerin Erfüllungsgehilfen (NJW-RR 2011, 1248 m. Verweis auf Rspr. des BGH, BGHZ 63, 182). Im Ergebnis kommt es darauf aber auch gar nicht an, denn die Beklagte hat dieses Verzögerungsrisiko jedenfalls dann zu tragen, wenn die Klägerin die Reparatur ohne schuldhaftes Zögern in Auftrag gegeben und den Beginn der Reparaturarbeiten veranlasst hätte und insoweit ihrer Schadensminderungspflicht nachgekommen wäre. Die Klägerin erteilte den Reparaturauftrag hingegen erst am 25. Mai 2011 und damit mehr als neun Monate nach dem Unfallereignis vom 11. August 2010. Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung ist ausgeschlossen, wenn die Geschädigte auf die Durchführung der Reparatur mehrere Monate verzichtet, weil es in diesem Falle am erforderlichen Nutzungswillen fehlt. Dieser und die hypothetische Nutzungsmöglichkeit des Geschädigten oder eines Angehörigen stellen jedoch die fühlbare Beeinträchtigung dar, die Anspruchsvoraussetzung für einen Ersatz des Nutzungsausfallschadens sind (Palandt, 67. Aufl., Vorb § 249 Rn 22). Es liegt auch kein Fall vor, der ausnahmsweise eine andere Betrachtungsmöglichkeit zulässt. Ein Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung über die Reparaturdauer hinaus kann zwar ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn die Reparaturkosten so hoch sind, dass die Geschädigte sie nicht aus eigenen Mitteln bezahlen kann und die Aufnahme eines Kredits in dieser Höhe ihr weder möglich noch zumutbar ist. Gewährt die Schuldnerin ihr in diesem Fall trotz Aufforderung keinen Vorschuss, so hat sie auch für die Zeit den Nutzungsausfall zu ersetzen, in der die Geschädigte nicht in der Lage ist, die Reparaturkosten vorzufinanzieren (KG, U. v. 02.07.1992, 12 U 6781/81; LG Berlin, U. v. 03.06.2008, 24 S 232/07). Eine solche Entschädigung kommt allerdings wegen § 254 Abs. 2 BGB nur in Betracht, wenn der Geschädigte dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung die Möglichkeit gibt, durch rechtzeitige Vorschusszahlung weiteren Nutzungsausfallschaden abzuwenden. Dazu muss er in geeigneter Weise und frühzeitig darauf hingewiesen haben, dass er nicht über die Mittel zur Vorfinanzierung der Reparaturkosten verfügt und diese auch nicht durch Kredit beschaffen kann (OLG Brandenburg, U. v. 30.08.2007, 12 U 60/07; LG Berlin, U. v. 03.06.2008, 24 S 232/07). Dieser Pflicht ist die Klägerin nicht nachgekommen. Die Erklärung seitens des Prozessbevollmächtigten vom 09. April 2013, die Klägerin habe neben dem Sohn auch noch eine Tochter zu versorgen, die im Haushalt der Familie lebt und über kein eigenes Einkommen verfügt, reicht hierfür keinesfalls aus, zumal sie insbesondere nicht frühzeitig erfolgte. Zwar trifft die Beweislast für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht den Ersatzpflichtigen (BGH NJW-RR 2006, 394). Der Geschädigte muss aber, soweit es um Umstände, die aus seiner Sphäre rühren, an der Sachaufklärung mitwirken und gegebenenfalls darlegen, was er zur Minderung des Schadens unternommen hat. Die Klägerin hätte dementsprechend vortragen müssen, weshalb sie nicht in der Lage war, in Vorlage zu treten und gegebenenfalls Gründe vortragen müssen, weshalb sie keinen Kredit für die Kosten der Reparatur erhalten konnte. Ein Abwarten der Klägerin auf die Kostenübernahmebestätigung durch die Beklagte ist hingegen nicht zulässig. Diese zeitliche Verzögerung kann hier nicht zu Lasten der Beklagten gehen, weil – wie aufgezeigt – kein Fall von Unzumutbarkeit schnellstmöglicher Reparaturauftragserteilung vorliegt (vgl. dazu etwa OLG Hamm, U. v. 18.01.1984, 3 U 116/83).

Nach alldem steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin den mit der Klageforderung geltenden zusätzlichen Nutzungsausfall nicht verlangen kann, weshalb die Klage abzuweisen war.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 S. 1, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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