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Berührungsloser Unfall eines Fahrradfahrers mit einem Fahrzeug

Fahrradsturz ohne Fahrzeugkontakt: Kein Kausalzusammenhang – OLG Hamm weist Klage ab

In einem bemerkenswerten Urteil des OLG Hamm wurde die Berufung der Beklagten zu 1 erfolgreich und die der Klägerin zurückgewiesen, was zur vollständigen Abweisung der Klage führte. Im Kern ging es um einen berührungslosen Unfall, bei dem eine Fahrradfahrerin stürzte, als sie eine Vollbremsung einleitete, aus Angst vor einem Zusammenstoß mit einem Fahrzeug. Der Fahrer des Fahrzeugs und dessen Kfz-Haftpflichtversicherer wurden ursprünglich zur Verantwortung gezogen, da das Gericht erster Instanz der Klage teilweise stattgegeben hatte. Das OLG Hamm entschied jedoch, dass kein direkter Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Fahrzeugs und dem Sturz der Klägerin bestand, und wies damit alle Ansprüche der Klägerin ab.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: I-7 U 17/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das OLG Hamm entschied, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Betrieb des beklagten Fahrzeugs und dem Sturz der Klägerin besteht.
  • Der Sturz und die daraus resultierenden Verletzungen der Klägerin konnten nicht dem Fahrverhalten des Beklagten zugeschrieben werden.
  • Die Klägerin konnte keinen (schuldhaften) Verursachungsbeitrag des Beklagten darlegen.
  • Eine Verletzung der Verkehrsregeln durch den Beklagten wurde nicht festgestellt.
  • Die Klägerin erfüllte nicht die Beweislast für den notwendigen Zurechnungszusammenhang ihrer Verletzungen mit dem Betrieb des Fahrzeugs.
  • Das Urteil unterstreicht die Bedeutung eines direkten Zusammenhangs zwischen dem Betrieb eines Fahrzeugs und einem Unfall für die Haftung.
  • Die Entscheidung hebt die hohen Anforderungen an den Nachweis einer Betriebsgefahr und deren Zurechnung zu einem Schaden hervor.
  • Die Kosten des Rechtsstreits wurden der Klägerin auferlegt, und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Berührungslose Fahrradunfälle: Haftung und Beweisfragen

Unfälle im Straßenverkehr können vielschichtige Formen annehmen. Eine besondere Kategorie bilden berührungslose Fahrradunfälle, bei denen ein Radfahrer zu Schaden kommt, ohne dass es zu einer direkten Kollision mit einem anderen Fahrzeug kommt. Trotz der vermeintlich geringeren Schwere solcher Vorfälle stellen sie juristisch oft komplexe Herausforderungen dar.

Wenn Sie Fragen zu einem ähnlichen Fall eines berührungslosen Unfalls haben, fordern Sie noch heute unsere kostenlose Ersteinschätzung an.

Beim Betrieb eines Fahrzeugs und einem Fahrradunfall: Der Fall vor dem OLG Hamm

In einem bemerkenswerten Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm stand ein berührungsloser Unfall zwischen einem Fahrradfahrer und einem Fahrzeug im Mittelpunkt.

Berührungsloser Unfall Fahrrad
(Symbolfoto: Chebakalex7 /Shutterstock.com)

Ein solcher Vorfall wirft Fragen nach Verantwortung, Haftung und den rechtlichen Pflichten von Verkehrsteilnehmern auf. Dieser Fall, gekennzeichnet durch das Aktenzeichen I-7 U 17/23, drehte sich um die Klage einer Fahrradfahrerin, die nach einem Ausweichmanöver stürzte, um eine Kollision mit einem sich nähernden Fahrzeug zu vermeiden.

Die Dynamik des berührungslosen Zusammenstoßes

Die Klägerin war mit ihrem Rennrad auf einem linksseitigen, vorfahrtsberechtigten Fahrradweg unterwegs, als sie einem von links aus einer untergeordneten Straße kommenden Fahrzeug ausweichen wollte. In Erwartung eines bevorstehenden Zusammenstoßes führte sie eine Vollbremsung durch, stürzte und zog sich erhebliche Verletzungen zu, darunter Dauerschäden an beiden Armen. Die Fahrradfahrerin argumentierte, dass der Unfall durch das Fahrverhalten des Autofahrers verursacht wurde, obwohl es zu keiner physischen Berührung kam.

Rechtliche Auseinandersetzungen und die Suche nach Gerechtigkeit

Der Kern der rechtlichen Auseinandersetzung lag in der Frage, ob und inwiefern der Betrieb des Fahrzeugs für den Unfall und die daraus resultierenden Verletzungen der Klägerin verantwortlich gemacht werden kann. Im ersten Urteil erkannte das Landgericht Münster der Klägerin teilweise Schadensersatzansprüche zu, wobei es die Betriebsgefahr des Fahrzeugs und ein Mitverschulden der Klägerin berücksichtigte. Der Beklagte zu 2, der Fahrer des Fahrzeugs, wurde hingegen freigesprochen, da kein Verschulden seinerseits festgestellt werden konnte.

Das OLG Hamm urteilt: Kein Zusammenhang zwischen Betrieb des Fahrzeugs und dem Unfall

Die Berufungsinstanz am OLG Hamm nahm eine Neubewertung des Falles vor und kam zu dem Schluss, dass kein direkter Zurechnungszusammenhang zwischen dem Betrieb des Fahrzeugs und dem Sturz der Klägerin besteht. Die Klägerin konnte nicht schlüssig darlegen, dass ihr Sturz eine direkte Folge des Fahrverhaltens des Beklagten war. Demnach fehlte es an einem schuldhaften Verursachungsbeitrag des Fahrers sowie an einer vom Fahrer geschaffenen kritischen Verkehrslage, die den Unfall hätte begründen können.

Die fehlende Betriebsgefahr und die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht erläuterte detailliert die Voraussetzungen für eine Haftung aufgrund der Betriebsgefahr eines Fahrzeugs und stellte fest, dass die bloße Anwesenheit des Fahrzeugs an der Unfallstelle nicht ausreicht, um eine solche Haftung zu begründen. Insbesondere bei einem Unfall ohne Berührung sei eine Haftung nur dann gegeben, wenn das Fahrverhalten des Fahrers das Manöver des Unfallgegners in irgendeiner Weise beeinflusst habe. Da dies nicht der Fall war, wurde die Klage insgesamt abgewiesen, und die Kosten des Rechtsstreits wurden der Klägerin auferlegt.

Das OLG Hamm bestätigte, dass ohne einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Fahrzeugs und dem Unfallereignis keine Haftung der Fahrzeugführung oder des Fahrzeughalters besteht. Diese Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Betrachtung der Umstände jedes einzelnen Falles und die Bedeutung der Beweislast bei der Klärung von Schadensersatzansprüchen in Verkehrsunfällen.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was versteht man unter einem berührungslosen Unfall im Straßenverkehr?

Ein berührungsloser Unfall im Straßenverkehr ist ein Ereignis, bei dem es zu einem Schaden kommt, ohne dass es zu einer direkten physischen Berührung zwischen den beteiligten Fahrzeugen oder Verkehrsteilnehmern kommt. Typischerweise handelt es sich dabei um Situationen, in denen ein Verkehrsteilnehmer aufgrund der Fahrweise eines anderen zu einer Ausweich- oder Abwehrreaktion veranlasst wird, die dann zu einem Unfall führt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis bei einem berührungslosen Unfall konkrete Anhaltspunkte vorliegen müssen, die zeigen, dass sich von dem Fahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Es reicht nicht aus, dass ein Fahrzeug lediglich in der Nähe des Unfallorts anwesend war. Vielmehr muss durch die Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung ein Beitrag zur Entstehung des Schadens geleistet worden sein.

Ein Beispiel für einen berührungslosen Unfall könnte sein, wenn ein Fahrzeug abrupt die Spur wechselt und ein anderes Fahrzeug daraufhin ausweichen muss und dabei gegen einen Baum fährt. Obwohl es keine Berührung zwischen den beiden Fahrzeugen gab, kann der Unfall dem Fahrzeug, das die Spur gewechselt hat, zugerechnet werden, wenn dessen Fahrweise als ursächlich für die Ausweichbewegung und den daraus resultierenden Schaden angesehen wird.

In der Rechtsprechung wird bei berührungslosen Unfällen auch die Betriebsgefahr des Fahrzeugs berücksichtigt, die grundsätzlich immer dann gegeben ist, wenn sich ein Unfall im Straßenverkehr beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs ereignet. Die Betriebsgefahr kann jedoch je nach den Umständen des Einzelfalls unterschiedlich hoch bewertet werden und zu einer Mithaftung führen.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 7 Abs. 1 StVG (Straßenverkehrsgesetz): Regelt die Haftung für Schäden, die beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. Im Kontext des Urteils ist dies relevant, da es um die Frage geht, ob ein berührungsloser Unfall unter die Betriebsgefahr eines Fahrzeugs fällt.
  • § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG: Bezieht sich auf die Haftung des Fahrzeughalters bei Unfällen. In diesem Fall wurde geprüft, ob der Fahrer des Fahrzeugs den Sturz des Fahrradfahrers verschuldet hat.
  • § 823 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Regelung zur Schadensersatzpflicht bei der Verletzung eines Rechtsguts, wie Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges Recht. Im vorliegenden Urteil geht es um den Anspruch auf Schadensersatz aufgrund einer Körperverletzung.
  • § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG (Versicherungsvertragsgesetz): Bestimmt die Verpflichtungen des Versicherers gegenüber dem Geschädigten bei einem Kraftfahrzeug-Haftpflichtschaden. Dies ist relevant für die Ansprüche gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten.
  • § 1 Satz 1 PflVG (Pflichtversicherungsgesetz): Schreibt die Versicherungspflicht für Halter von Kraftfahrzeugen vor, um Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeugs entstehen, abzudecken. In diesem Fall ist es für den Anspruch gegen die Versicherung des Beklagten relevant.
  • § 8 Abs. 2 StVO (Straßenverkehrs-Ordnung): Enthält Regelungen zum Vorfahrtsrecht und zum Verhalten an Kreuzungen und Einmündungen. Dies ist insbesondere wichtig für die Beurteilung, ob der Beklagte zu 2 gegen Verkehrsregeln verstoßen hat, die zum Unfall des Klägers beigetragen haben könnten.


Das vorliegende Urteil

OLG Hamm – Az.: I-7 U 17/23 – Urteil vom 09.05.2023

Auf die Berufung der Beklagten zu 1 wird das am 13.01.2023 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Münster (8 O 190/21) teilweise abgeändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

(abgekürzt gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)

I.

Die Klägerin macht Ansprüche nach einem Sturz von ihrem Fahrrad gegen den Beklagten zu 2 als Fahrer eines von einem Dritten gehaltenen Fahrzeugs und gegen die Beklagte zu 1 als dessen Kfz-Haftpflichtversicherer geltend.

Die Klägerin fuhr erlaubterweise mit ihrem Rennrad auf einem linksseitigen vorfahrtsberechtigten Fahrradweg, während sich der Beklagten zu 2 aus einer untergeordneten, für die Klägerin erst aus der Nähe einsehbaren Querstraße von links näherte. Die Klägerin stürzte, ohne dass es zu einer Berührung kam, weil sie in Befürchtung eines Zusammenstoßes eine Vollbremsung machte, und verletzte sich u. a. erheblich mit Dauerschaden an beiden Armen.

Die Klägerin meint, der Unfall sei beim Betrieb des sich nähernden Fahrzeugs erfolgt, weil sie – ohne dieses zunächst gesehen zu haben – durch dessen Fahrverhalten zu der Vollbremsung herausgefordert worden sei. Die Beklagten verneinen dies und sehen erst recht kein Verschulden auf Seiten des Beklagten zu 2.

Das Landgericht hat der auf Feststellung der materiellen und immateriellen Ersatzpflicht gerichteten Klage hinsichtlich der Beklagten zu 1 wegen der vom Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr (§ 7 Abs. 1 StVG) unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin in Höhe von 80 % zu 20 % stattgegeben und die Klage hinsichtlich des Beklagten zu 2 abgewiesen, weil im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG feststehe, dass dieser den Sturz der Klägerin nicht verschuldet habe.

Bezüglich des weiteren erstinstanzlichen Vortrages, der Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Landgerichts verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts sowie Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung rügt und ihr erstinstanzliches Klagebegehren – unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens – weiterverfolgt. Der Beklagte zu 2 habe gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO und gegen § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO verstoßen. Das Hineintasten habe dabei schon in der Anfahrt auf die Kreuzung, spätestens ab dem Mündungstrichter beginnen müssen.

Gegen ihre Verurteilung wendet sich zudem die Beklagte zu 1, die eine Verletzung materiellen Rechts sowie Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung rügt und ihr erstinstanzliches Klageabweisungsbegehren – unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens – weiterverfolgt. Es fehle am Zurechnungszusammenhang zwischen Betrieb des Fahrzeugs und dem Sturz.

Die Klägerin beantragt, unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit sie aus dem Unfallereignis am 13.07.2020 an der U.-straße Höhe Einmündung W.-straße in G. entstanden sind und künftig entstehen werden.

Die Beklagten beantragen, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte zu 1 beantragt zudem, die Klage unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils vollständig abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zu 1 zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf ihre Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat die Akte 82 Js 7700/20 A der Staatsanwaltschaft Münster beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und zudem die Klägerin und den Beklagten zu 2 persönlich angehört. Insoweit wird auf das Protokoll und den Berichterstattervermerk vom 09.05.2023 (Bl. 117 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte [im Folgenden: eGA II-117 ff.]) Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet, die Berufung der Beklagten zu 1 begründet.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruch gegen den Beklagten zu 2 aus § 18 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 StVG und § 823 (Abs. 1) BGB sowie gegen die Beklagte zu 1 aus § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 Satz 1 PflVG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG und § 18 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 StVG und § 823 (Abs. 1) BGB liegen nicht vor.

1. Ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG scheitert daran, dass die Klägerin jedenfalls den notwendigen Zurechnungszusammenhang zwischen dem unstreitigen Betrieb des Kraftfahrzeugs und ihrem unstreitigen Primärschaden an den Armen bereits nicht schlüssig dargelegt hat.

a) Die gegenteilige Ansicht der Klägerin dahin, dass zwar bloße Anwesenheit an der Unfallstelle nicht genüge, hier aber, wofür der Anschein spreche, eine Beeinflussung vorliege, zumal es nicht darauf ankomme, ob die Abwehr- und Ausweichreaktion objektiv oder gar subjektiv erforderlich gewesen sei, verfängt nicht.

b) Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt bzw. beschädigt worden ist. Dieses Haftungsmerkmal ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit) geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt, die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (st. Rspr., zuletzt etwa BGH Urt. v. 24.1.2023 – VI ZR 1234/20, BeckRS 2023, 3235 Rn. 8 m. w. N.; siehe auch BGH Urt. v. 22.11.2016 – VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Rn. 11 f. m. w. N.).

Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Insbesondere bei einem sogenannten „Unfall ohne Berührung“ ist daher Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs des Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat, mithin, dass das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (BGH Urt. v. 22.11.2016 – VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Rn. 14 m. w. N.).

Dabei ist im Straßenverkehrsrecht anerkannt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für Ursächlichkeit und Zurechnungszusammenhang der Eintritt der konkreten kritischen Verkehrslage ist, die unmittelbar zum Schaden führt. Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann. Das gilt auch für die Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG (BGH Urt. v. 22.11.2016 – VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Rn. 17 m. w. N.; vgl. dazu auch Senat Beschl. v. 10.3.2022 – 7 U 3/22, NJOZ 2022, 1286 = juris Ls. 2 und Rn. 26; OLG München Urt. v. 30.6.2017 – 10 U 4051/16, BeckRS 2017, 116969 = juris Rn. 23).

c) Gemessen daran hat die Klägerin den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Betrieb des beklagten Fahrzeugs und ihrem Sturz sowie ihrer Primärverletzung nicht schlüssig dargelegt. Denn sie hat weder einen (schuldhaften) Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 2 (unter aa) noch eine vom Beklagten zu 2 geschaffene kritische Verkehrslage (unter bb) dargelegt.

aa) Einen (schuldhaften) Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 2 hat die Klägerin bis zuletzt – auch im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung im Senatstermin – nicht darzulegen vermocht.

Hätte sie dies vermocht, wäre das Merkmal „beim Betrieb“ im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG bei entsprechender Beweisführung seitens der Klägerin ohne Weiteres zu bejahen gewesen, auch wenn die Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG gerade nicht davon abhängt, dass sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat (BGH Urt. v. 22.11.2016 – VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Rn. 12 m. w. N.).

Ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 oder Satz 3 StVO ist nicht festzustellen. Auch ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ist nicht ersichtlich oder vorgetragen.

(1) Laut der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 420/70 S. 57) soll durch § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO bewirkt werden, dass die Geschwindigkeit rechtzeitig gemäßigt wird. Je später sich die beiden Verkehrsteilnehmer sehen können, umso geringer muss die Geschwindigkeit des Wartepflichtigen sein. Die Vorschrift will der verbreiteten, den Verkehrsfluss hemmenden und denjenigen, der die Vorfahrt hat, irritierenden Unsitte Wartepflichtiger gegensteuern, an die Kreuzung forsch heranzufahren und erst auf den letzten Metern scharf zu bremsen (vgl. dazu auch OLG Jena Urt. v. 30.11.2011 – 7 U 178/10, MDR 2012, 213 = juris Rn. 19; OLG Hamm Urt. v. 4.8.1999 – 13 U 64/99, NZV 2000, 178 = juris Orientierungssatz und Rn. 14; OLG Düsseldorf Beschl. v. 7.4.1988 – 5 Ss (OWi) 118/88 – 97/88 I, NZV 1988, 111 = juris Rn. 5; OLG Hamm Urt. v. 20.1.1981 – 5 Ss 2065/80, VRS 1981, 283 = juris Orientierungssatz 1; Spelz in jurisPK-StrVR, § 8 StVO Rn. 32; König in HKD § 8 StVO Rn. 56).

Die Pflicht zum Hineintasten – also zum zentimeterweisen Vorrollen, um gegebenenfalls sofort anhalten zu können (vgl. nur BGH Urt. v. 21.5.1985 – VI ZR 201/83, NJW 1985, 2757 = juris Rn. 15) – gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO beginnt nach dem Gesetzeswortlaut, der Historie (BT-Drs. 420/70 S. 57), der Systematik und dem Sinn und Zweck der Norm erst mit dem Hineinfahren in die Kreuzung / die Einmündung, also mit dem Überfahren der Schnittlinie der bevorrechtigten Straße (vgl. auch etwa LG Saarbrücken Urt. v. 27.4.2018 – 13 S 165/17, NJW-RR 2018, 864 = juris Rn. 13 m. w. N.; OLG Saarbrücken Urt. v. 29.3.2018 – 4 U 56/17, r+s 2018, 492 = juris Rn. 56; KG Urt. v. 28.1.2010 – 12 U 40/09, NZV 2010, 511 = juris Rn. 10). Denn zuvor gilt gerade der Pflichtenkanon des § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO zur mäßigen Annährung und des § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO zum Warten vor dem Hineinfahren.

Nichts anderes ergibt sich aus den von der Klägerin angeführten Entscheidungen. Im Fall des Oberlandesgerichts Hamm geschah ein Zusammenstoß im Bereich der Kreuzung, in die sich der dortige Kläger nicht hineingetastet hatte (vgl. OLG Hamm Urt. v. 15.3.1993 – 6 U 251/92, NZV 1993, 477 = juris Rn. 14). Im Fall des Oberlandesgerichts Celle geschah ein Zusammenstoß im Bereich der Kreuzung, in die sich die dortige Beklagte nicht hineingetastet hatte (vgl. OLG Celle Urt. v. 14.6.2001 – 14 U 263/00, zfs 2001, 492 = juris Rn. 5). Auch der Zusammenstoß im vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedenen Fall lag im Kreuzungsbereich (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 10.2.2015 – 1 U 41/14, BeckRS 2016, 15990 = juris Rn. 22).

Eine Kreuzung ist dabei der Ort, an dem Fahrbahnen verschiedener Straßen, die sich u. U. jenseits fortsetzen, zusammentreffen (vgl. BGH Urt. v. 5.2.1974 – VI ZR 195/72, NJW 1974, 949 = juris Rn. 10). Eine Einmündung ist jedes Zusammentreffen von Straßen mit nur einer Fortsetzung (vgl. BGH Urt. v. 5.2.1974 – VI ZR 195/72, NJW 1974, 949 = juris Rn. 10).

(2) Ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO liegt damit ersichtlich nicht vor. Das Beklagtenfahrzeug ist vorliegend unstreitig mindestens einen halben Meter vor der gestrichelten Linie des querenden Fahrradweges (Schutzstreifen im Sinne von Nr. 22 Zeichen 340 Ge- oder Verbot Ziffer 2 zu § 42 Abs. 2 StVO) und damit noch vor dem Kreuzungs- / Einmündungsbereich zum Stehen gekommen, in den der Beklagte zu 2 mithin gar nicht eingefahren ist.

Auf den vermeintlichen Mündungstrichter, der nach den vorliegenden Lichtbildern im Übrigen auch nicht jenseits der Stillstandsposition begann, kommt es nach obigen Ausführungen nicht an, da die Gefährdung, der durch § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO begegnet werden soll, erst mit dem Überfahren der gestrichelten Linie des Fahrradweges eintreten konnte.

(3) Zugleich scheidet damit ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO aus, weil der Beklagte zu 2 seiner Wartepflicht durch rechtzeitigen Stillstand unstreitig genügt hat.

(4) Aber auch ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO im Rahmen der Annährung liegt nicht vor.

(a) Denn die Klägerin kann keinerlei konkrete Angaben zur Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs machen und behauptet damit bereits keine übermäßige Annäherungsgeschwindigkeit. Sie gesteht zu, dass das Beklagtenfahrzeug deutlich vor der gestrichelten Linie des Fahrradweges zum Stehen gekommen ist. Auf Nachfrage im Senatstermin räumte sie ein, sie habe aus den Gesamtumständen nur geschlussfolgert, dass das „Auto schnell gekommen sein muss“ (Berichterstattervermerk vom 09.05.2023 Seite 1, eGA II-123).

Das stimmt mit ihrem sonstigen Vorbringen im Kern überein.

Die Klägerin hat erstinstanzlich schriftsätzlich vortragen lassen, sie habe das Beklagtenfahrzeug nicht gesehen, sondern nur einen Schatten und ein derart lautes Motorengeräusch wahrgenommen, dass sie von einer Annäherung des Beklagtenfahrzeugs mit überhöhter Geschwindigkeit ausgegangen sei und einen Zusammenstoß befürchtet habe; eine überhöhte Geschwindigkeit will sie aber ausdrücklich nicht behaupten. Sie ging „nur“ davon aus, der Beklagte zu 2 würde sie übersehen und sie sei daher gezwungen gewesen zu bremsen.

In der Verkehrsunfallanzeige gegenüber der Polizei (Bl. 2 der Beiakte 82 Js 7700/20 A StA Münster) hat die Klägerin ebenfalls nur geschildert, dass das Beklagtenfahrzeug sich zügig – zu einer übermäßigen Geschwindigkeit sagt sie nichts – genähert habe und sie befürchtet habe, es könne nicht mehr bremsen.

Im Rahmen ihrer erstinstanzlichen persönlichen Anhörung hat die Klägerin ebenfalls ausgeführt, sie habe das Beklagtenfahrzeug (nur) gehört und von links etwas Dunkles gesehen. Ihr sei dann klar gewesen, sie müsse bremsen (Protokoll vom 09.12.2022 Seite 1 vorletzter Absatz, GA I-137). Das Auto sei sehr schnell da gewesen; sie habe einen schwarzen Schatten wahrgenommen (Protokoll vom 09.12.2022 Seite 2 Abs. 1 und Abs. 2, GA I-138).

In der Berufungsbegründung führt die Klägerin zudem selbst aus, der Kläger habe sich möglicherweise langsam genähert und sei etwa in Höhe des Vorfahrtachten-Schildes, also etwa einen halben Meter vor dem Radweg zum Stehen gekommen. Er habe sich aber zuvor nur zentimeterweise vortasten dürfen.

Dieser Vortrag der Klägerin lässt insgesamt aus den bereits genannten Gründen die Feststellung eines Verstoßes gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO nicht zu.

(b) Das gilt erst recht unter Berücksichtigung der Angaben des Beklagten zu 2 und der erstinstanzlich vernommenen Zeugin:

Der Beklagte zu 2 hat ausgeführt, dass er das Beklagtenfahrzeug vor der Linie (auf Höhe des Vorfahrtachtenschildes) angehalten habe, nachdem er sich in Kenntnis der Gefährlichkeit der Kreuzung für Radfahrer an diese herangetastet habe (Protokoll vom 09.12.2022 Seite 4 f., GA I-140 f., und Berichterstattervermerk vom 09.05.2023 Seite 1, eGA II-123).

Auch die erstinstanzlich vernommene Zeugin, die selbst mit dem Fahrrad unterwegs war, hat nichts anderes bekundet. Sie habe den Sturz nicht gesehen, sondern nur wahrgenommen, dass das Beklagtenfahrzeug etwa in einem Abstand von einem halben Meter vor der gestrichelten Linie des Fahrradweges gestanden habe, als sie die Klägerin und den Beklagten zu 2 bei deren Unterhaltung im Anschluss an den Sturz traf (Protokoll vom 09.12.2022 Seite 6, GA I-142).

(c) Ein Anscheinsbeweis, der hier jedenfalls erschüttert wäre, kommt der Klägerin entgegen ihrem Ansatz ebenfalls nicht zu Gute.

Die von ihr zitierten Entscheidungen betreffen andere Fallgestaltungen. Das Urteil des Landgerichts Saarbrücken (LG Saarbrücken Urt. v. 12.3.2010 – 13 S 215/09, NZV 2011, 188) betrifft einen Fahrstreifenwechsel im Hinblick auf § 7 Abs. 5 StVO. Das Urteil des Landgerichts Wuppertal (LG Wuppertal Urt. v. 14.5.2020 – 9 S 201/19, NZV 2020, 595) betrifft ein kombiniertes Wende- und Linksabbiegemanöver im Hinblick auf § 9 Abs. 5 StVO. Und der Beschluss des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG Brandenburg Beschl. v. 29.11.2018 – 12 U 92/18, BeckRS 2018, 38727) verneint einen Anscheinsbeweis wegen nicht feststehenden Spurwechsels.

Ein Anscheinsbeweis kommt in Betracht, wenn ein typischer Geschehensablauf feststeht, der nach der Lebenserfahrung den Schluss auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten rechtfertigt (BGH Beschl. v. 28.2.2023 – VI ZR 98/22, BeckRS 2023, 6492 Rn. 12). Ein Anscheinsbeweis kann im Hinblick auf § 8 StVO zwar grundsätzlich zu Lasten des Wartepflichtigen in Betracht kommen, wenn es zu einem Zusammenstoß gekommen ist (vgl. Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, § 8 StVO Rn. 258 m. w. N.). Jedenfalls aber lässt sich die geforderte Typizität im Streitfall, in dem es keinen Zusammenstoß gab, der Beklagte zu 2 sogar unstreitig jedenfalls einen halben Meter vor der gestrichelten Linie zum Stehen gekommen ist und konkrete Angaben zur Annäherungsgeschwindigkeit fehlen, nicht aus den örtlichen Gegebenheiten und den Bewegungsrichtungen der Beteiligten herleiten. Auch im Übrigen bestehen aus den sogleich dargelegten Gründen keine Anhaltspunkte für eine durch den Beklagten zu 2 herbeigeführte kritische Verkehrslage.

bb) Steht damit ein Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2 nicht fest, ist – wie bereits ausgeführt – zwar nicht ausgeschlossen, dass trotzdem ein Zurechnungszusammenhang zum Betrieb des Beklagtenfahrzeugs besteht. Jedoch hat die Klägerin eine für diese Feststellung notwendige kritische Verkehrslage durch die bloße Annäherung des Beklagten zu 2 an die Kreuzung / Einmündung nicht schlüssig dargelegt.

Eine kritische Verkehrslage entstand frühestens dann, als die vorfahrtsberechtigte Klägerin über die Bordsteinabsenkung die vom Beklagten zu 2 befahrene Querstraße überfahren wollte. Auch dieser Umstand kann dem Beklagten zu 2 indes nicht zugerechnet werden. Denn es stellt keine typische Gefahr der Annäherung an eine vorfahrtsberechtigte Kreuzung / Einmündung dar, dass vorfahrtsberechtigter Querverkehr die Annäherung zu einer Vollbremsung nutzt und dabei – ohne dass eine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung des Sichannähernden dazu Anlass gegeben hätte – stürzt. Der Beklagte zu 2 befand sich nach dem eigenen Vortrag der Klägerin sozusagen nur bei Gelegenheit in der Querstraße, die die Klägerin überfahren wollte. Denn ein verkehrswidriges Annähern lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen. Der Beklagte zu 2 ist zudem problemlos und eindeutig deutlich vor dem Fahrradweg, und das erst nach dem Sturz, zum Stehen gekommen. Allein der Umstand, dass sich der Beklagte zu 2 annäherte, reicht daher nicht aus, um eine im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG relevante Ursächlichkeit seiner Fahrweise (oder sonstigen Verkehrsbeeinflussung) für den Unfall zu bejahen (vgl. BGH Urt. v. 22.11.2016 – VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Rn. 18; Senat Beschl. v. 10.3.2022 – 7 U 3/22, NJOZ 2022, 1286 = juris Rn. 26; OLG München Urt. v. 30.6.2017 – 10 U 4051/16, BeckRS 2017, 116969 = juris Rn. 23).

Dass sich die Klägerin wegen des sich der Kreuzung nähernden Beklagtenfahrzeugs dennoch zur Bremsung veranlasst gesehen hat, reicht demnach nicht aus. Zwar ist der Vortrag der Klägerin zutreffend, dass auch ein Unfall infolge einer voreiligen – also objektiv nicht erforderlichen – Abwehr- oder Ausweichreaktion gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden kann, das diese Reaktion ausgelöst hat (vgl. BGH Urt. v. 21.9.2010 – VI ZR 265/09, SVR 2010, 466 Rn. 6 auch zur subjektiven Erforderlichkeit und einzigen Möglichkeit; siehe auch Senat Urt. v. 24.8.2021 – 7 U 81/20, NJW-RR 2022, 177 = juris Rn. 17). Vorliegend hat jedoch aus den genannten Gründen der Betrieb des Beklagtenfahrzeugs gerade die Reaktion der Klägerin nicht zurechenbar ausgelöst. Es gab keine konkreten objektiven Anhaltspunkte dahin, dass die Klägerin nicht auf den ihr zu Gute kommenden Vertrauensgrundsatz bauen konnte. Nach diesem Grundsatz durfte die Klägerin als sich regelgerecht verhaltende Verkehrsteilnehmerin darauf vertrauen, dass der Beklagte zu 2 ihr Vorfahrtsrecht beachten wird, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gab (vgl. BGH Urt. v. 4.4.2023 – VI ZR 11/21, BeckRS 2023, 9120 Rn. 11). Sichtbaren Anlass hätte der Beklagte zu 2 aber nur gesetzt, wenn er die gestrichelte Linie des Fahrradweges überfahren oder sich aus seiner Fahrweise ergeben hätte, dass er diese unter Missachtung des Vorfahrtsrechts der Klägerin überfahren werde (vgl. zum Überschreiten oder zur wahrnehmbar drohenden Überschreitung der Mittellinie durch einen die Straße querenden Fußgänger BGH Urt. v. 4.4.2023 – VI ZR 11/21, BeckRS 2023, 9120 Rn. 13 f.). Beides ist nicht schlüssig dargelegt.

2. Ein Anspruch aus § 18 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 StVG scheitert nach obigen Ausführungen am fehlenden Betrieb im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG und an den insoweit nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen des Landgerichts, dass der Beklagte zu 2 zudem im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG bewiesen hat, dass er den Unfall / Schaden nicht verschuldet hat.

3. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB scheidet nach den insoweit nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen des Landgerichts daran, dass die Klägerin nicht dargelegt hat, dass der Beklagte zu 2 den Unfall / Schaden verschuldet hat.III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO i. V. m. § 542 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

IV.

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

 

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