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Bemessung des Schmerzensgeldes bei gravierender Verletzung – Vorteilsausgleich

OLG München – Az.: 10 U 1722/18 – Urteil vom 09.09.2020

I. Soweit der Kläger die Berufung zurückgenommen hat, ist er der Berufung verlustig.

II. Auf die Berufungen beider Parteien vom 23.05.2018 wird das Endurteil des LG Deggendorf vom 26.04.2018 (Az. 33 O 23/15) in Nr. 1. bis 7. abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte zahlt an den Kläger für den Zeitraum bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ein Schmerzensgeld von 27.600 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.10.2014.

2. Ziffer 2. des Urteils des LG Deggendorf vom 26.04.2018 gerät in Wegfall.

3. Die Beklagte zahlt an den Kläger für die Zeit bis 30.11.2014 weiteren Haushaltsführungsschaden in Höhe von 22.560 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.10.2014.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 29.06.2010 zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind. Die Haftung der Beklagten ist beschränkt auf die Haftungshöchstsumme des ihrer Haftung zu Grunde liegenden Versicherungsvertrages.

5. Die Beklagte zahlt an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 929,75 €.

6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

7. Von den Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger 20 %, die Beklagte 80 %.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 20 %, die Beklagte 80 %.

IV. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts sowie dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Haushaltsführung, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sowie Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden aus einem Verkehrsunfall vom 29.06.2010 bei … G. geltend. Die alleinige Haftung der Beklagten als Haftpflichtversicherung des Unfallgegners steht außer Streit. Beim Unfall wurde die linke Hand des Klägers unter dem umgestürzten Fahrzeug eingequetscht und schwer verletzt. Zum Unfallzeitpunkt war der Kläger als Langholzfahrer bei der Firma A. beschäftigt und erzielte ein monatliches Nettoeinkommen von 1196,62 €. Nebenbei war er im Winterdienst bei der Gemeinde G. beschäftigt und erzielte hieraus ein monatliches Durchschnittseinkommen von 311 € netto. Ab November 2011 trat der Kläger eine neue Stelle bei der Gemeinde G. als Gemeindearbeiter in Vollzeit an und erzielte ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1726,12 €. Ab Januar 2013 reduzierte der Kläger seine Arbeitszeit auf Teilzeit. Der Kläger war weiter zum Unfallzeitpunkt Jagdpächter und auf dem Weg zur Reparatur eines Hochsitzes. Seit November 2011 erhält der Kläger 316 € monatliche Rente der Land-und Forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft und ab 2014 weitere Renten. Eine frei verrechenbare Vorschusszahlung wurde in erster Instanz in Höhe von 22.400 € auf das Schmerzensgeld und in Höhe von 4754 € auf den Erwerbsschaden verrechnet, worauf der Kläger den Rechtsstreit bezüglich des Verdienstausfallschadens in Höhe von 4754 € für erledigt erklärte. Die Beklagte schloss sich der Erledigungserklärung nicht an. An Rechtsanwaltskosten wurden seitens der Beklagten vorprozessual 661,16 € bezahlt. Hinsichtlich des weiteren Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 26.04.2018 (Bl. 224/241 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Bemessung des Schmerzensgeldes bei gravierender Verletzung - Vorteilsausgleich
(Symbolfoto: Von Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Das LG Deggendorf hat nach Beweisaufnahme die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein Schmerzensgeld von 12.600 € zuzüglich Zinsen, weiteren Verdienstausfallschaden in Höhe von 7046,60 € nebst Zinsen, Haushaltsführungsschaden in Höhe von 22.560 € nebst Zinsen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1822,06 € zu zahlen, die Einstandspflicht der Beklagten für den künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis festgestellt und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses den Parteien jeweils am 30.04.2018 zugestellte Urteil haben beide Parteien mit einem am 23.05.2018 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 250, 252 d. A.). Der Kläger hat die Berufung nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim Oberlandesgericht am 01.08.2018 eingegangenen Schriftsatz begründet (Bl. 276/280 d. A.). Die Beklagte hat ihre Berufung nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim Oberlandesgericht am 20.07.2018 eingegangenen Schriftsatz begründet (Bl. 263/275 d. A.).

Der Kläger hat seine Berufung nach Hinweisen des Senats vom 17.07.2019 (Bl. 286/294 d. A.) und vom 10.09.2019 (Bl. 305/309 d. A.) hinsichtlich des zunächst beantragten weiteren Verdienstausfallschadens (3446,08 € nebst Zinsen) zurückgenommen (Bl. 315/316 d. A.).

Der Kläger trägt insbesondere vor, beim Verdienstausfallschaden müsse ab November 2011 von einem monatlichen Nettoeinkommen ohne den Unfall in Höhe von mindestens 1726,12 € ausgegangen werden, da schon vor dem Unfall beabsichtigt gewesen sei, dass der Kläger ab diesem Zeitpunkt bei der Gemeinde die Vollzeitstelle eines in Ruhestand gehenden Gemeindemitarbeiters antritt. Die Rente der Land- und Forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft sei nicht anzurechnen, da die Rentenzahlung nichts mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers zum Unfallzeitpunkt bei der Firma A. zu tun habe. Sein Dauerschaden und die unfallbedingte psychische Erkrankung rechtfertige das geltend gemachte Schmerzensgeld.

Der Kläger beantragt zuletzt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils an den Kläger für den Zeitraum vom 29.06.2010 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ein weiteres Schmerzensgeld über den zugesprochenen Betrag von 12.600 € in Höhe von weiteren 15.000 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2014 zu bezahlen sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen

Die Beklagte beantragt, das Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt insbesondere vor, die Rente der Land- und Forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft sei anzurechnen. Ohne den Unfall sei nicht absehbar gewesen, dass der Kläger ab November 2011 eine Vollzeitstelle bei der Gemeinde antritt. Bei der Beurteilung der Verletzungsfolgen sei zu berücksichtigen, dass der Kläger an der rechten Schulter erheblich vorgeschädigt und schon unfallunabhängig in seiner Erwerbs- und Haushaltsführungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei. Beim Verdienstausfallschaden sei von ersparten berufsbedingten Aufwendungen in Höhe von 10 % auszugehen.

Der Senat hat gemäß Beweisanordnung vom 23.12.2019 (Bl. 317/319 d. A.) Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens der Sachverständigen Dr. med. K. B. Weiter hat der Senat den Kläger persönlich angehört. Der Kläger hielt während der Sitzung die linke Hand so, dass sie vor dem Bauch zum Liegen kommt und trug einen Spezialhandschuh.

Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 09.09. 2020 verwiesen.

Ergänzend wird auf die vorgenannten Berufungsbegründungsschriften, auf die weiteren Schriftsätze der Parteien sowie die Sitzungsniederschrift vom 09.09.2020 Bezug genommen.

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung des Klägers hat, soweit nach Berufungsrücknahme noch darüber zu befinden war, in der Sache Erfolg. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg.

I.1 Berufung des Klägers:

a) Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf ein 35.000 € übersteigendes Schmerzensgeld verneint. Nach Auffassung des Senats steht dem Kläger das begehrte Teilschmerzensgeld für die bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aufgetretenen Verletzungen und Verletzungsfolgen in Höhe von 50.000 € zuzüglich Zinsen wie tenoriert zu.

(1) Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat, Urt. v. 01.07.2005 – 10 U 2544/05 [Juris] = SVR 2006, 180 [nur Ls.]); v. 14.07.2006 – 10 U 2623/05 [Juris]; v. 27.10.2006 – 10 U 3345/06 [Juris]; v. 24.11.2006 – 10 U 2555/06 [Juris]; v. 13.08.2010 – 10 U 3928/09 [Juris = NJW-Spezial 2010, 617 <red. Leitsatz, Kurzwiedergabe> = VA 2010, 185 <red. Leitsatz>]; v. 24.09.2010 – 10 U 2671/10 [Juris]; v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [Juris]). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (grdl. RG, Urt. v. 17.11.1882 – RGZ 8, 117 [118] und BGHZ – GSZ – 18, 149 ff. = VersR 1955, 615 ff. = NJW 1955, 1675 ff. = MDR 1956, 19 ff.; ferner BGH NJW 2006, 1068 [1069]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat, Urt. v. 01.07.2005 – 10 U 2544/05 [Juris] = SVR 2006, 180 [nur Ls.]; v. 14.07.2006 – 10 U 2623/05 [Juris]; v. 27.10.2006 – 10 U 3345/06 [Juris]; v. 24.11.2006 – 10 U 2555/06 [Juris]; v. 13.08.2010 – 10 U 3928/09 [Juris = NJW-Spezial 2010, 617 <red. Leitsatz, Kurzwiedergabe> = VA 2010, 185 <red. Leitsatz>]; v. 24.09.2010 – 10 U 2671/10 [Juris]; v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [Juris]). Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]); OLG Brandenburg, Urt. v. 08.03.2007 – 12 U 154/06 [Juris]; Senat, Urt. v. 01.07.2005 – 10 U 2544/05 [Juris] = SVR 2006, 180 [nur Leitsatz]; v. 14.07.2006 – 10 U 2623/05 [Juris]; v. 27.10.2006 – 10 U 3345/06 [Juris]; v. 24.11.2006 – 10 U 2555/06 [Juris]; v. 29.06.2007 – 10 U 4379/01 [Juris]; Beschl. v. 19.01.2009 – 10 U 4917/08 [n. v.]; v. 13.08.2010 – 10 U 3928/09 [Juris = NJW-Spezial 2010, 617 <red. Leitsatz, Kurzwiedergabe> = VA 2010, 185 <red. Leitsatz>]; v. 24.09.2010 – 10 U 2671/10 [Juris]; v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [Juris]). §§ 253 II BGB, 11 S. 2 StVG sprechen von „billiger Entschädigung in Geld“. Da es eine absolut angemessene Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Nachteile nicht gibt, weil diese nicht in Geld messbar sind (BGH GSZ 18, 149 [156, 164]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat, Urt. v. 01.07.2005 – 10 U 2544/05 [Juris] = SVR 2006, 180 [nur Ls.]; v. 29.07.2005 – 10 U 2507/05 und v. 28.10.2005 – 10 U 3813/05; Diehl zfs 2007, 10 [11 unter 2]; Beschl. v. 19.01.2009 – 10 U 4917/08; Urt. v. 24.09.2010 – 10 U 2671/10 [Juris]; v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [Juris]), unterliegt der Tatrichter bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung von Gesetzes wegen keinen betragsmäßigen Beschränkungen (BGH VersR 1976, 967 [968 unter II 1]; Senat in st. Rspr., zuletzt etwa Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 6. Aufl. 2012, Rz. 1037, 1040).

Die in den Schmerzensgeldtabellen erfassten „Vergleichsfälle“ bilden nur „in der Regel den Ausgangspunkt für die tatrichterlichen Erwägungen zur Schmerzensgeldbemessung“ (BGH VersR 1970, 134; 1970, 281 [dort betont der BGH weiter: „Inwieweit alsdann der Tatrichter die früheren Maßstäbe einhält oder – sei es unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung, sei es im Zuge einer behutsamen Fortentwicklung der Rechtsprechung – überschreitet, liegt wiederum in seinem pflichtgemäßen, in der Revisionsinstanz nicht nachprüfbaren Ermessen.“]);

Sie sind nur im Rahmen des zu beachtenden Gleichheitsgrundsatzes als Orientierungsrahmen zu berücksichtigen (BGH VersR 1961, 460 [461]; 1964, 842 (843); 1967, 256 [257]; OLG Köln VersR 1978, 650 = DAR 1978, 105 = r+s 1978, 122 [„nur geringer Erkenntniswert“]; OLG Saarbrücken zfs 1999, 101 = OLGR 1999, 258; OLG Hamm NJW 2000, 3219 und zfs 2005, 122 [123]); OLG Karlsruhe VersR 2001, 1175; OLG Koblenz, Urt. v. 27.10.2003 – 12 U 714/02; OLG München [1. ZS], Beschl. v. 26.08.2005 – 1 W 2282/05 [Juris]; OLGR 2006, 92; Senat, Urt. v. 30.06.1976 – 10 U 1571/76 [Juris] = VersR 1977, 262 [nur Leitsatz]; v. 05.03.2004 – 10 U 4794/03; v. 01.07.2005 – 10 U 2544/05 [Juris] = SVR 2006, 180-181 [red. Leitsatz]; v. 29.07.2005 – 10 U 2507/05; v. 28.10.2005 – 10 U 3813/05 und v. 08.09.2006 – 10 U 3471/06; v. 22.09.2006 – 10 U 3149/06 [Juris]; v. 27.10.2006 – 10 U 3345/06 [Juris]; v. 15.06.2007 – 10 U 5176/06 [Juris]; v. 29.06.2007 – 10 U 4379/01 [Juris]; Mertins VersR 2006, 47 [50]: „Anhaltspunkte mit einer erheblichen Streuweite“; Geigel/Pardey, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl. 2008, Kap. 7 Rz. 54: „Anhaltspunkte“; Bachmeier, Verkehrszivilsachen, 2. Aufl. 2010, Rz. 564: „Orientierungshilfe“; Jaeger/Luckey a. a. O. Rz. 1040; Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 30. Aufl. 2012, S. 20: „Anregung“ für die eigenverantwortliche Rechtsfindung; vgl. aus rechtstatsächlicher Sicht ebenso Musielak VersR 1982, 613 [618]). Sie sind aber keine verbindliche Präjudizien (BGH VersR 1970, 134; Senat, Urt. v. 30.06.1976 – 10 U 1571/76 [Juris] = VersR 1977, 262 [nur Leitsatz]; Beschl. v. 19.01.2009 – 10 U 4917/08; Urt. v. 13.08.2010 – 10 U 3928/09 [Juris = NJW-Spezial 2010, 617 <red. Leitsatz, Kurzwiedergabe> = VA 2010, 185 <red. Leitsatz>]; Jaeger/Luckey a. a. O. Rz. 1040).

Deshalb können aus der Existenz bestimmter ausgeurteilter Schmerzensgeldbeträge keine unmittelbaren Folgerungen abgeleitet werden (Senat, Urt. v. 05.03.2004 – 10 U 4794/03; v. 08.09.2006 – 10 U 3471/06; v. 13.08.2010 – 10 U 3928/09 [Juris = NJW-Spezial 2010, 617 <red. Leitsatz, Kurzwiedergabe> = VA 2010, 185 <red. Leitsatz>]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [124]). Weiter muss die Entstehungszeit der herangezogenen Vergleichsfälle beachtet werden: Der BGH hat bereits in VersR 1976, 967 (968) betont, dass das erkennende Gericht grundsätzlich nicht gehindert sei, die von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen bisher gewährten Beträge zu unterschreiten oder über sie hinauszugehen, wenn dies durch veränderte allgemeine Wertvorstellungen oder die wirtschaftliche Entwicklung gerechtfertigt ist. Dieser Entscheidung, die in Rechtsprechung (vgl. etwa KG KGR 2003, 140 [142]) und Literatur (vgl. etwa Jaeger/Luckey a. a. O. Rz. 1034, 1037) Zustimmung gefunden hat, ist der Senat beigetreten (zuletzt Urt. v. 13.08.2010 – 10 U 3928/09 [Juris = NJW-Spezial 2010, 617 <red. Leitsatz, Kurzwiedergabe> = VA 2010, 185 <red. Leitsatz>]). Konkret bedeutet dies, dass bei der Heranziehung von Vergleichsfällen die Tatsache zu beachten ist, dass die Rechtsprechung bei der Bemessung von Schmerzensgeld nach gravierenden Verletzungen deutlich großzügiger verfährt als früher (OLG Köln VersR 1992, 1013 und 1995, 549; Senat, Urt. v. 01.07.2005 – 10 U 2544/05; v. 28.10.2005 – 10 U 3813/05; v. 27.10.2006 – 10 U 3345/06 [Juris]; Beschl. v. 19.07.2007 – 10 U 1748/07; v. 19.01.2009 – 10 U 4917/08; Urt. v. 13.08.2010 – 10 U 3928/09 [Juris = NJW-Spezial 2010, 617 <red. Leitsatz, Kurzwiedergabe> = VA 2010, 185 <red. Leitsatz>]; OLG Nürnberg VersR 2009, 71 [73 unter 2]; Jaeger/Luckey a. a. O. Rz. 1045; vgl. auch Strücker-Pitz VersR 2007, 1466 ff. zur Schmerzensgeldentwicklung im Bereich der Arzthaftung) und zugunsten des Geschädigten die zwischenzeitliche Geldentwertung (KGR NZV 2002, 230 [232] und 338 [340]; 2003, 416 [420]; 2004, 473; Senat, Urt. v. 01.07.2005 – 10 U 2544/05 und v. 28.10.2005 – 10 U 3813/05; Beschl. v. 19.07.2007 – 10 U 1748/07; Urt. v. 13.08.2010 – 10 U 3928/09 [Juris = NJW-Spezial 2010, 617 <red. Leitsatz, Kurzwiedergabe> = VA 2010, 185 <red. Leitsatz>]; Geigel/Pardey a. a. O. Kap. 7 Rz. 56; Jaeger/Luckey a. a. O. Rz. 1045; Hacks/Wellner/Häcker a. a. O. S. 20) in Rechnung zu stellen ist.

(2) Es besteht vorliegend ein erheblicher Dauerschaden. Nach den erholten handchirurgischen und psychiatrischen Gutachten hat der Geschädigte an der linken Hand die Greiffunktion eingebüßt, es besteht ein erhebliches Bewegungsdefizit, Spitzgriff und Faustschluss sind nicht möglich, der Bruch des 4. Mittelhandknochens ist verkürzt verheilt, die gemessene Kraftminderung ist gegenüber der gesunden Hand signifikant, es besteht eine ausgeprägte Schmerzsymptomatik mit besonderer Kälteempfindlichkeit, weshalb der Kläger die Hand so hält, dass sie vor dem Bauch zum Liegen kommt. Auch trägt er regelmäßig tagsüber einen Spezialhandschuh, im Winter einen solchen mit Heizung. Die Handhaltung wie auch das Tragen des Spezial Handschuhs konnte der Senat in der Sitzung vom 09.09.2020 beobachten. Der Kläger musste seinen Beruf aufgeben, die vor dem Unfall ausgeübten Holzarbeiten sind nicht mehr möglich und er leidet ebenfalls dauerhaft an einer anhaltend depressiven Störung, die ohne Berücksichtigung der Beeinträchtigung auf orthopädisch-chirurgischem Gebiet zu einer MdE von 50 % führt. Insgesamt ist der Kläger zu 2/3 in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt und nimmt dauerhaft erhebliche Mengen an Schmerzmitteln. Das Landgericht glaubte dem Kläger frei von Rechtsfehlern die von ihm geschilderten Schmerzen und Funktionseinschränkungen, die in Verbindung mit dem chronifizierten Schmerzsyndrom die Gebrauchstauglichkeit der linken Hand auch bei einfachen Tätigkeiten weitgehend aufheben. Nach Angaben der Ehefrau, an deren Glaubhaftigkeit der Senat keine Zweifel hat, schlafen die Eheleute jedenfalls seit Anfang 2013 in getrennten Schlafzimmern, weil der Kläger aufgrund seiner unfallbedingten Beeinträchtigungen nachts regelmäßig aufwacht, hochschreckt und schreit. Der Kläger gab in der Sitzung vom 09.09.2020 an, dass seine Angaben vor dem Landgericht zutreffend protokolliert wurden, sein Zustand sich nicht verbessert hat und er und seine Ehefrau auch weiterhin getrennte Schlafzimmer haben, weil er nachts aufwacht, schreit und sich mit dem Unfallgeschehen konfrontiert sieht. Der Senat glaubt dem Kläger. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt erst 40 Jahre alt. Er leidet täglich unter Schmerzen. Der handchirurgische Zustand ist nach den Angaben von Dr. K. anlässlich seiner Anhörung vom 15.02.2018 (B l. 211/213 d. A.) als dauerhaft anzusehen und der psychiatrische Sachverständige Dr. G. führte bei seiner Anhörung am 16.02.2017 (Bl. 152 d. A.) aus, dass unfallbedingt eine anhaltende mindestens mittelgradig depressive Störung bei chronifizierter Belastungsstörung vorliegt, die ihre Ursache insbesondere darin hat, dass der Kläger den Anspruch an sich selbst nicht mehr erfüllen kann und daher gleich aufgibt und auch bei einfachen Tätigkeiten des täglichen Lebens unter Antriebslosigkeit leidet. Dem entsprechen die Angaben des Klägers bei seiner informatorischen Anhörung am 16.02.2017 (Bl. 150 d. A.) und auch vor dem Senat am 09.09.2020, dass er froh ist, wenn er seine 3 Stunden tägliche Arbeitszeit herumkriegt und sich dann hinlegen kann. Der Senat legt die dargelegten Angaben des Klägers, seiner Ehefrau sowie die Gutachten des handchirurgischen und des psychiatrischen Sachverständigen seiner Entscheidung zugrunde. Die Gutachten sind frei von Widersprüchen und Denkfehlern, nach umfassender Anamnese erstellt und in mündlicher Verhandlung umfassend erläutert. Der Senat ist von der Sachkunde des Sachverständigen überzeugt. Die Sachverständige Dr. med. K. B., von deren hervorragender Sachkunde sich der Senat auch anhand einer Vielzahl erholter Gutachten und Anhörungen vor dem Senat überzeugt hat, gelangte nach Untersuchung des Klägers am 09.03.2020 und Auswertung des Vorerkrankungsverzeichnis zu dem Ergebnis (siehe Prot. v. 09.09.2020), dass die Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes bis auf eine endgradige Einschränkung bei der Abduktion völlig frei war und die grobe Kraft der rechten Hand im Normbereich lag. Sämtliche Schulterfunktionen waren ohne Einschränkung ausführbar. Daher bestand bezüglich der rechten Schulter keinerlei Minderung der Erwerbsfähigkeit und keinerlei Minderung der Haushaltsführungsfähigkeit zum Unfallzeitpunkt.

(3) Ein Schmerzensgeld, wie vom Senat in seinem Urteil vom 13.08.2010, Az. 10 U 3928/09 (Schaden-Praxis 2011, 107-109) mit 100.000 € ausgeurteilt, erscheint vorliegend zu hoch, die dortige Geschädigte hat u.a. ein stumpfes Bauchtrauma, zahlreiche Frakturen und Narben erlitten und war auf Rollstuhl und Unterarmkrücken angewiesen. Auch ein Schmerzensgeld von 85.000 € wie vom Senat mit Urteil v. 22.03.2013, Az. 10 U 3619/10 zugesprochen, erscheint vorliegend zu hoch. Beim dortigen Kläger war die Gebrauchstauglichkeit des linken Armes auch bei einfachen Tätigkeiten weitgehend aufgehoben, es bestand ein chronifiziertes Schmerzsyndrom mit jahrelangem Schmerzerleben bei schon geringfügigen Belastungen und unfallbedingt vollständigem Verlust der Erwerbsfähigkeit bei Opiatabhängigkeit und dadurch deutlicher Beeinträchtigung auch seiner geistigen Leistungsfähigkeit (somatoforme Schmerzstörung in Verbindung mit sowohl psychischen Faktoren als auch einem körperlichen Krankheitsfaktor nach ICD-10, F 45.4 sowie Opiatabhängigkeit mit physiologischer Abhängigkeit nach ICD 10, F 11.2.).

Aufgrund der Angaben des Klägers und des Ergebnisses der Sachverständigen Dr. med. K. B., wonach bei der von ihr durchgeführten Untersuchung die rechte Schulter weitestgehend frei beweglich war, ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger im Bereich der rechten Schulter nicht an Schmerzen leidet und eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit bzgl. der Tätigkeit als Langholzfahrer und Gemeindeangestellter zum Unfallzeitpunkt nicht gegeben war und auch eine Minderung der Fähigkeit zur Haushaltsführung nicht vorlag.. Angesichts des dargestellten Leidensweges des Klägers und des Gewichts der Dauerfolgen insbesondere auch auf psychiatrischen Gebiet hält der Senat vorliegend auch unter Berücksichtigung des immateriellen Vorbehalts ein Schmerzensgeld für die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eingetretenen Verletzungen und Verletzungsfolgen in Höhe von insgesamt 50.000 € für angemessen, weshalb unter Berücksichtigung der erbrachten Vorschusszahlung noch 27.600 € nebst Zinsen zuzusprechen waren.

b) Hinsichtlich des mit der Berufung zunächst begehrten weiteren Verdienstausfalls für die Zeit bis November 2014 hat der Kläger seine Berufung zurückgenommen, weshalb ihm insoweit die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen waren. Weiterhin war auszusprechen, dass der Kläger insoweit seiner Berufung verlustig ist.

I.2. Berufung der Beklagten:

a) Soweit sich die Berufung gegen das zugesprochene Schmerzensgeld richtet, hat sie keinen Erfolg und ist zurückzuweisen. Auf die Ausführungen unter I.1.a) der Urteilsgründe wird Bezug genommen.

b) Verdienstausfall für die Zeit bis November 2014:

Insoweit ist die Berufung der Beklagten begründet.

(1) Auszugehen ist von dem vor dem Unfall erzielten durchschnittlichen monatlichen Nettoverdienst von 1507,62 €.

Zutreffend weist das Urteil des Landgerichts (UA S. 9, 10) darauf hin, dass weder vorgetragen noch – mit dem erleichterten Beweismaß gem. §§ 252 BGB, 287 ZPO – nachgewiesen war, dass beim Kläger, der vor dem Unfall als Langholzfahrer tätig war, bereits zum Unfallzeitpunkt absehbar oder geplant war, dass er auch ohne den Unfall und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen ab November 2011 eine Vollzeitstelle bei der Gemeinde angetreten hätte. Die unfallunabhängige Ausübung einer besser entlohnten Arbeitsstelle ab Ende 2011 kann auch mit dem Vorbringen in der Berufungsbegründung nicht bewiesen werden. Die erleichterte Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 287 Abs. 1 ZPO entbindet nicht vollständig von der grundsätzlichen Beweislastverteilung und erlaubt es nicht, zugunsten des Beweispflichtigen einen bestimmten Schadensverlauf zu bejahen, wenn nach den festgestellten Einzeltatsachen „alles offen“ bleibt oder sich, wie vorliegend, sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Gegenteil ergibt (so BGH VersR 1970, 924 [927]; Senat, Urt. v. 27.01.2006 – 10 U 4904/05 = NZV 2006, 261 [262]; v. 07.07.2006 – 10 U 2270/06 [Juris]; v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [Juris]; v. 15.09.2006 – 10 U 3622/99 = r+s 2006, 474 = NJW-Spezial 2006, 546 m. zust. Anm. von Heß/Burmann; Senat, Urteil v. 29.06.2007 – 10 U 4379/01). Das mit Schriftsatz vom 06.09.2019 erstmals vorgetragene und unter Beweis gestellte, strittige Vorbringen, es sei bereits zum Unfallzeitpunkt geplant gewesen, dass der Kläger ab November 2011 eine Vollzeitstelle bei der Gemeinde antritt, die höher entlohnt wird als die Stelle als Langholzfahrer, wobei der Kläger denjenigen ruhestandsbedingt ausscheidenden Gemeindemitarbeiter ersetzen sollte, den er bereits zum Unfallzeitpunkt aushilfsweise ersetzt hat und er wäre dann weiterhin auf der Basis von 450 € monatlich als Langholzfahrer bei der Fa. A. tätig gewesen, ist neu und, da die Voraussetzungen des § 531 II ZPO nicht vorliegen, im vorliegenden Verfahren nicht zuzulassen.

Für den weiteren Verdienstausfallsschaden ab Dezember 2014 weist der Senat aber angesichts der vorgelegten Bestätigung des Bürgermeisters und der Erklärung des vormaligen Arbeitgebers darauf hin, dass alles dafür spricht, dass tatsächlich zum Unfallzeitpunkt der spätere Antritt der Vollzeitstelle bei der Gemeinde bereits geplant war. Soweit sich der Kläger darüber hinaus darauf beruft, er hätte dann zusätzlich im Nebenerwerb seine bisherige Hauptbeschäftigung als Langholzfahrer ausgeübt ist anzumerken, dass der Kläger seinen Angaben nach jeden Samstag mit Holz- oder Gartenarbeiten beschäftigt und zusätzlich unter der Woche über seine berufliche Tätigkeit hinaus erhebliche Zeit mit Haushaltsführungstätigkeiten befasst war, weshalb eine zusätzliche Nebenerwerbstätigkeit als Langholzfahrer mit zunehmendem Alter zunehmend zweifelhaft erscheint.

(2) Zu Unrecht hat das Landgericht im Rahmen des Vorteilsausgleichs den Abzug ersparter berufsbedingter Aufwendungen nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Tätigkeit des Klägers in seiner Heimatgemeinde entstehen gegenüber der Ausübung des vormaligen Berufes als Langholzfahrer bei der Fa. A. zwar weiterhin berufsbedingte Aufwendungen, jedoch nur in weit geringerem Umfang. Der Wegfall berufsbedingter Mehraufwendungen ist im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen. Zu den Mehraufwendungen zählen insbesondere Fahrtkosten (BGH VersR 1980, 455 = NJW 1980, 1787) Verpflegungsmehrsaufwand (Senat, Hinweis v. 08.02.2008 – 10 U 5616/07) sowie Kosten für Arbeitskleidung. Da zur Höhe der Kosten konkreter Vortrag nicht vorliegt, erfolgt die Berücksichtigung pauschal durch Abzug von 5% (OLG Celle SP 2006, 96 = MDR 2006, 985) bis 10% (Senat, Beschl. v. 17.09.2008 – 10 U 2272/08; LG Tübingen zfs 1992, 82 [nur red. Ls.]) jeweils vom Nettoeinkommen. Der Senat schätzt die Ersparnis vorliegend mit 5 %.

(3) Zutreffend ist die Berufung der Beklagten der Ansicht, dass sich der Kläger die Rente der Land- und Forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, welche seit 02.11.2011 in Höhe von monatlich 316 € an den Kläger bezahlt wird, auf seinen Schadensersatzanspruch anrechnen lassen muss. Dass der Kläger die Jagd nicht mehr ausübt und insoweit keinen „Verdienstausfall“ als Jagdpächter geltend macht, ist irrelevant. Der Kläger erhält seit 02.11.2011 von der BG eine monatliche Rente von 316 €. Dem mit Schriftsatz der Klagepartei vom 15.07.2019 vorgelegten vollständigen Rentenbescheid der BG ist zu entnehmen, dass Berechnungsgrundlage der Rente der Jahresarbeitsverdienst als Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Klägers in den 12 Monaten vor Eintritt des Versicherungsfalles ist. Das Argument, dass die Rente nicht oder allenfalls geringfügig von Einnahmen als selbstständiger Nebenerwerbslandwirt/Jagdpächter beeinflusst ist, berücksichtigt nicht ausreichend den schadensrechtlichen Zusammenhang zwischen der unfallbedingten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Klägers (als Ursache für den streitgegenständlichen Einkommensausfall) und der Rente. Die Rente in ihrer Funktion als soziale Existenzsicherung durch pauschale Entschädigung für (vermutete) Erwerbseinbußen wegen der Minderung der abstrakten Erwerbsfähigkeit (BGHZ 153, 113 = VersR 2003, 390; BGH VersR 1985, 356) dient dem gesamten Ausgleich der unfallbedingten Behinderung, die Arbeitskraft als Erwerbsquelle zu nutzen (BGH VersR 1985, 356). Auf den vom Kläger hergestellten Bezug zu einem konkreten Einkommensausfall als einer bestimmten Schadensposition kommt es nicht an. Er wird für die Gewährung der Rente gerade nicht vorausgesetzt. Die dadurch begründete sachliche Kongruenz mit dem streitgegenständlichen Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens – also des Schadens, der wegen derjenigen Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers entstanden ist, aus der sich zugleich der Anspruch auf die BG-Rente herleitet – führt zur Anrechnung der Rente insgesamt. Die sozialrechtliche Wohltat, die Rente als pauschale Entschädigung für (vermutete) Erwerbseinbußen wegen der Minderung der abstrakten Erwerbsfähigkeit auch in den Fällen zu erhalten, in denen der Geschädigte einer Erwerbstätigkeit trotzdem nachgeht und Einkommen erzielt, zwingt schadensrechtlich nicht dazu, ihre Lohnersatzfunktion und damit ihre schadensmindernde Wirkung zu verneinen (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil v. 09.11.2005, Az. 1 U 166/04 [Juris]). Die Verletztenrente ist nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH kongruent zum Verdienstausfallschaden. Der Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer auf Ersatz seines Verdienstausfallschadens geht mithin gem. § 116 SGB X in entsprechender Höhe auf den Unfallversicherungsträger über. Berechnungsgrundlage der Rente ist vorliegend der Jahresarbeitsverdienst (JAV) i. S. d. §§ 81 ff. SGB VII. Als JAV gilt regelmäßig der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte (§ 14 SGB IV) und Arbeitseinkünfte (§ 15 SGB IV) des Verletzten in den letzten zwölf Kalendermonaten vor dem Unfallmonat (§ 82 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Der JAV errechnet sich mithin nicht nur aus dem Einkommen derjenigen Beschäftigung oder Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignete, vielmehr sind auch weitere Einnahmen (z. B. aus Nebenbeschäftigungen) zu berücksichtigen, soweit diese – wie hier – ebenfalls gesetzlich unfallversichert sind.Auch bei der Frage der Kongruenz und des Anspruchsübergangs muss eine Gesamtbetrachtung stattfinden. Da der Unfallversicherungsträger mithin bis zur Höhe der gezahlten Verletztenrente aus übergegangenem Recht gem. § 116 SGB X den Haftpflichtversicherer wegen des Verdienstausfallschadens auch aus einer Nebentätigkeit in Anspruch nehmen kann, fehlt dem Geschädigten insoweit im eigenen Prozess gegen den Haftpflichtversicherer die Aktivlegitimation. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch den Vortrag in der Berufungsbegründung der Beklagten S. 9, wonach die BG wegen der gezahlten Rente bei der Beklagten regressiert.

(4) Berechnung des Verdienstausfalls:

Januar 2011 bis Oktober 2011: 4102,29 € wie im Urteil unter Berücksichtigung von 5 % ersparter berufsbedingter Aufwendungen.

2013: Unter Berücksichtigung des Anspruchsübergangs auf die Berufsgenossenschaft in Höhe von monatlich 316 € verbleibt kein Verdienstausfallschaden.

Januar 2014 – November 2014: Unter Berücksichtigung von 5 % ersparten berufsbedingten Aufwendungen auf die ohne den Unfall erzielten mtl. 1507,62 € und des Anspruchsübergangs auf die Berufsgenossenschaft in Höhe von monatlich 316 € sowie der sonstigen anzurechnenden Drittleistungen (vgl. Urteil S. 12) verbleibt ein Verdienstausfallschaden iH von 585,56 €.

Insgesamt errechnet sich bis November 2014 ein Verdienstausfallschaden von 4.687,85 €, so dass sich unter Berücksichtigung bereits bezahlter 4754 € eine Überzahlung von 66,15 € ergibt.

Ziffer 2. des Endurteils des Landgerichts Denkendorf war daher aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen. Eine Aufrechnung der Überzahlung erfolgte seitens der Beklagten nicht.

c) Haushaltsführungsschaden für die Zeit bis 30.11.2014:

Insoweit ist die Berufung der Beklagten sachlich nicht begründet und zurückzuweisen.

Aus der in erster Instanz-verfahrensfehlerhaft-unterbliebenen Begutachtung, inwieweit sich die unfallunabhängige Beeinträchtigung der Beweglichkeit der rechten Schulter auf die Haushaltsführungsfähigkeit auswirkte, kann die Berufung nicht Durchgreifendes zu ihren Gunsten herleiten. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. K. B. war und ist beim Kläger im maßgeblichen Zeitraum eine Beeinträchtigung der Haushaltsführungsfähigkeit nicht gegeben. Die rechte Schulter war zum Zeitpunkt der Untersuchung bis auf eine endgradige Einschränkung frei beweglich, der Kläger nach dem erholten Vorerkrankungsverzeichnis seit 10 Jahren nicht mehr in Behandlung. Der Kläger leidet insoweit auch nicht an Schmerzen.

Im Einzelnen:

(1) Stundenzahl:

Der Senat ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. BGH VersR 2005, 945; Senat, Urt. v. 9.10.2009 – 10 U 2965/09 [juris] und v. 21.6.2013 – 10 U 1206/13). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]; Senat, a. a. O.); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, a. a. O.; Senat, a. a. O.). Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ist von der Berufung nicht aufgezeigt worden. Das Landgericht hat sich auf Grund der umfangreichen Anhörung des Klägers und seiner Ehefrau (Protokoll v. 16.02.2017, S. 2 – 5 = Bl. 150/152 d.A.) frei von Rechtsfehlern davon überzeugt, dass der Kläger durchschnittlich 20 Std./Woche im Haushalt/Garten sowie bei Holzarbeiten tätig war. Zu bedenken ist insbesondere, dass sich der Kläger nach seinen und den Angaben seiner Ehefrau jedenfalls im Winter praktisch jeden Samstag bereits frühmorgens in den Wald zu Holzarbeiten begab und sich um den 3.000 qm² großen Garten kümmerte. Er war auch sonst erhebliche Zeit mit Haushaltstätigkeiten befasst war, weil seine Ehefrau wegen eines eigenen Unfalls auf seine Hilfe, etwa beim Wäsche aufhängen und Einkaufen angewiesen ist und er auch für die Schneeräumarbeiten zuständig war. Die in wiederkehrenden Abständen anfallenden Renovierungsarbeiten sind bei der Schätzung des Landgerichts zudem noch gar nicht berücksichtigt. Die Berufung zeigt nicht auf, weshalb sich das Landgericht auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht von einer Haushaltstätigkeit des Klägers von 20 Std./Woche hätte überzeugen dürfen.

(2) Prozentsatz der MdH:

Nach Anhörung des Klägers („ich bin froh, wenn ich meine 3 Stunden täglich Arbeitszeit rumkriege und mich dann hinlegen kann. Im Haushalt kann ich praktisch überhaupt nichts mehr machen“), seiner Ehefrau und insbesondere der Sachverständigen gelangte das Landgericht frei von Rechtsfehlern auf Grund der durch die depressive Erkrankung bedingten zusätzlichen Schwächung des Klägers zu einer dauerhaften MdH von 50 %. Insbesondere bei den schweren Holz- und Gartenarbeiten ist nach Anhörung der Sachverständigen Dr. med. B. nicht mehr davon auszugehen, dass das der Kläger wegen der Vorerkrankung an der Schulter bereits unfallunabhängig in seiner Haushaltsführungsfähigkeit beeinträchtigt war. Zudem hat das Landgericht ab 01.07.2011 die unfallbedingte Beeinträchtigung nur insgesamt mit 50 % bemessen, obwohl der handchirurgische Sachverständige in seiner Anhörung davon ausging, dass der Kläger die Holzarbeiten sowie die Garten– und Mäharbeiten, für welche das Landgericht 6 Stunden/Woche ansetzte, auf Dauer gar nicht mehr ausführen kann (Protokoll v. 15.02.2018, S. 3 = Bl. 212 d. A.). Danach ergäbe sich eine wöchentliche Ausfallzeit von 13 Stunden, das Landgericht ging insoweit von einer Ausfallzeit von 10 Stunden aus, weshalb bei der weiteren Berechnung Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten nicht ersichtlich sind. Auf die Berechnung im Urteil des Landgerichts, Seite 14 wird Bezug genommen. Danach ergibt sich ein Anspruch auf Haushaltsführungsschadensersatz in Höhe von 22.560 € nebst Zinsen wie tenoriert.

d) Feststellungsbegehren:

Dieses ist angesichts der Schwere der erlittenen Verletzungen und der Möglichkeit weiterer Verschlechterung insbesondere im Hinblick auf die psychische Beeinträchtigung begründet. Die Haftungsbegrenzung war wie von der Berufung geltend gemacht im Tenor auszusprechen.

e) Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten:

Diese errechnen sich aus einem berechtigten vorprozessualen Streitwert von 44.560 € (Anlage K 14, Schreiben Klägervertreter vom 16.09.2014) unter Ansatz einer 1,3 Gebühr mit 1590,91 €. Mit der Folge des §138 II ZPO nicht bestritten hat die Beklagte mit der Klageerwiderung vom 19.02.2015, S. 13 = Bl. 29 d. A. vorgetragen, dass bereits Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 661,16 € an den vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers bezahlt wurden. Daher verbleibt noch ein Anspruch in Höhe von 929,75 €.

II. Die Kostenentscheidung beruht in erster Instanz auf § 92 I 1 Fall 2 ZPO, im Berufungsverfahren auf §§ 92 I 1 Fall 2, 516 III ZPO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

 

 

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