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Verkehrsunfall – gestörter Gesamtschuldnerausgleich bezüglich eingetretener Schäden

LG Heilbronn, Az.: 10 O 116/15

Urteil vom 06.05.2016

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

4. Der Streitwert wird auf 7.789,19 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner aus gemäß § 116 SGB X übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Regress.

Verkehrsunfall - gestörter Gesamtschuldnerausgleich bezüglich eingetretener Schäden
Symbolfoto: FreedomTumZ/Bigstock

Am 15.07.2011 gegen 09.30 Uhr ereignete sich auf der L 1072 zwischen Bühlertann und Kottspiel ein Verkehrsunfall. In einer Rechtskurve kam der zum Unfallzeitpunkt von der … geführte Pkw Peugeot 106, amtliches Kennzeichen …, dessen Halter zum Unfallzeitpunkt der Beklagte Ziff. 1 war und welcher zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten Ziff. 2 haftpflichtversichert war, infolge einfach fahrlässigen Verhaltens der Fahrzeugführerin von der Fahrbahn ab, fuhr eine Böschung hinab, kippte auf die Seite und stieß gegen zwei Bäume. Infolge des Unfalls wurden die in dem Pkw befindlichen Fahrzeuginsassen … und … verletzt. Sämtliche Fahrzeuginsassen einschließlich der Fahrzeugführerin befanden sich zum Unfallzeitpunkt im Rahmen eines Klassenausflugs auf dem Weg zu einem Grillplatz. Sie hatten im Auftrag des Lehrers das Grillgut besorgt.

Die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung im Sinne von § 114 SGB VII kam für Heilbehandlungskosten der Fahrzeuginsassen … in Höhe von insgesamt 15.578,37 € auf. Mit der vorliegenden Klage verlangt sie von den Beklagten 50 % dieser Kosten, mithin 7.789,19 €, ersetzt.

Die Klägerin ist der Auffassung, im internen Gesamtschuldverhältnis zwischen dem Beklagten Ziff. 1 als Fahrzeughalter und der Fahrzeugführerin … liege eine Haftungsteilung (50:50) vor. Dies ergebe sich aus der Gegenüberstellung von Betriebsgefahr auf Seiten des Fahrzeughalters und der lediglich einfachen Fahrlässigkeit auf Seiten der Fahrzeugführerin. Die Betriebsgefahr trete auch bei Vorliegen eines gestörten Gesamtschuldverhältnisses nicht voll zurück, wie sich auf aus dem Urteil des OLG Stuttgart vom 06.10.2009, Az. 8 U 14/09 (Bl. 40 ff. d.A.) ergebe.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 7.789,19 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.11.2014 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie sind der Auffassung, den Beklagten Ziff. 1 treffe im Innenverhältnis zur Fahrzeugführerin keine Haftung. Da die Fahrzeugführerin den Unfall fahrlässig und damit schuldhaft verursacht habe, während der Beklagte Ziff. 1 nur aus Gefährdungshaftung hafte, habe die Fahrzeugführerin den Drittschaden im Innenverhältnis alleine zu tragen. Nach den Grundsätzen über das gestörte Gesamtschuldverhältnis komme daher eine Haftung der Beklagten auch im Außenverhältnis gegenüber den verletzten Fahrzeuginsassen nicht in Betracht. In §§ 840 Abs. 2 und Abs. 3 BGB komme ein allgemeiner Rechtsgedanke zum Ausdruck, dass dann, wenn der eine Gesamtschuldner dem geschädigten Dritten aus Verschuldenshaftung hafte, der andere dagegen nur aus Gefährdungshaftung, im Innenverhältnis der schuldhaft Handelnde den Drittschaden im Regelfall allein tragen soll. Dies gelte insbesondere dann, wenn es um das Innenverhältnis zwischen Halter und Fahrer gehe; denn der Halter habe dann dem Fahrer die Beherrschung der Betriebsgefahr anvertraut.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 08.04.2016 (Bl. 47 f. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von 7.789,19 € gemäß § 7 Abs. 1 StVG, §§ 249 ff. BGB, § 3 PflVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WG, § 116 Abs. 1 SGB X zu.

Zwar liegen die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten für die bei den Fahrzeuginsassen … und … eingetretenen Schäden in Form von Heilbehandlungskosten gemäß § 7 Abs. 1 StVG, §§ 249 ff. BGB, § 3 PflVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WG grundsätzlich vor.

Eine Haftung ist aber nach den Grundsätzen über den gestörten Gesamtschuldnerausgleich ausgeschlossen.

a)

Fahrzeughalter und Fahrzeugführer haften grundsätzlich als Gesamtschuldner gemäß § 426 BGB für die infolge eines Verkehrsunfalls eingetretenen Schäden, § 840 Abs. 1 BGB.

Im vorliegenden Fall scheidet eine Haftung der Fahrzeugführerin … gegenüber den weiteren Fahrzeuginsassen jedoch aus.

Es besteht ein gesetzlicher Haftungsausschluss gemäß §§ 104 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 106 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, da sämtliche Fahrzeuginsassen unter den von § 2 Abs. 1 Nr. 8 b) SGB VII erfassten Personenkreis fallen. Die Haftungsbeschränkung käme nur dann nicht zum Tragen, wenn der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt worden wäre. Der Fahrzeugführerin fällt hier aber nur (einfache) Fahrlässigkeit zur Last. Es findet somit auch kein Forderungsübergang gemäß § 116 SGB X statt (§ 104 Abs. 1 S. 2 SGB VII). Hierüber besteht zwischen den Parteien auch Einigkeit.

b)

Infolge des Haftungsausschlusses zugunsten der Fahrzeugführerin liegt eine Konstellation der gestörten Gesamtschuld vor.

In den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, können Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre (st. Rspr.: vgl. etwa BGH, NJW 1973, 1648; NJW 1985, 2261; NJW 2004, 951; NZV 2008, 289). Die Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, dass einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten durch eine gesetzliche Unfallversicherung nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden alleine tragen zu lassen. Deshalb ist in solchen Fällen der Zweitschädiger in Höhe des Verantwortungsteils freigestellt, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinweg denkt, wobei unter „Verantwortungsteil“ die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen ist (vgl. BGH, NJW 1990, 1361; NJW 2004, 951; NZV 2008, 289).

c)

Die Anwendung dieser Grundsätze hat im vorliegenden Fall zur Folge, dass eine Außenhaftung des Beklagten Ziff. 1 und damit auch der Beklagten Ziff. 2 als Haftpflichtversicherung ausscheidet. Im Innenverhältnis zwischen Beklagtem Ziff. 1 und … haftet die … für den Unfall alleine.

Zwar folgt aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB, dass die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander grundsätzlich zu gleichen Anteilen verpflichtet sind. Dies gilt nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB aber nur, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Im vorliegenden Fall liegt eine derartige „andere Bestimmung“ i.S.d. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB vor.

Eine andere Bestimmung liegt allerdings nicht in § 840 Abs. 2 oder 3 BGB. Diese Vorschriften gelten nur für die in ihnen genannten Fälle. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften auf Fälle der Gefährdungshaftung nach den Vorschriften des StVG ist nicht zulässig (vgl. BGH, NJW 1952, 1087; NJW 2011, 139). Dies hat zur Folge, dass in Fällen der Gefährdungshaftung nach dem StVG durchaus eine (Mit-)Haftung des Fahrzeughalters aus Betriebsgefahr im Innenverhältnis zu aus festgestelltem Verschulden haftenden Personen in Betracht kommen kann. Dies wird etwa in der Rechtsprechung zu Schulbusunfällen angenommen, in denen über die Haftungsverteilung im Innenverhältnis zwischen Schulbushalter und aus festgestelltem Verschulden haftenden Mitschülern zu befinden ist. In derartigen Fällen wurde bereits eine (Mit-)Haftung des Fahrzeughalters aus Betriebsgefahr bejaht (vgl. etwa OLG Koblenz, NJW-RR 2013, 599; so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 06.10.2009, Az. 8 U 14/09, vorgelegt als Anlage zum Schriftsatz vom 05.06.2016, Bl. 40 ff. d.A.).

Auf die vorliegende Konstellation, die einen völlig anderen Lebenssachverhalt betrifft, lässt sich die Rechtsprechung zu den Schulbusunfällen jedoch nicht übertragen. In Fällen der vorliegenden Art, in denen sich der Mitverursachungsanteil des Fahrzeughalters in der Überlassung des Fahrzeugs an den Fahrzeugführer erschöpft, den Fahrzeugführer hingegen zumindest ein (Mit-)Verschulden an dem Unfall trifft, haftet der Fahrzeugführer im Innenverhältnis zum Fahrzeughalter abweichend von der Regel des § 426 Abs. 1 S. 1 BGB für den Unfall allein (ebenso OLG Saarbrücken, Urteil vom 19.12.2000 – 4 U 941/99, Rn. 39, juris). Die Begründung hierfür ist dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30.05.1972 – VI ZR 38/71 (= NJW 1972, 1415) zu entnehmen, die sich das Gericht zu eigen macht. Darin stellt der BGH unter Ziff. II. 2. der Gründe zunächst fest, dass auch der aus Verschulden Haftende dem geschädigten Fahrzeughalter entgegensetzen kann, dass dieser für die Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeugs einzustehen hat. In den Fällen, in denen nur ein Kraftfahrzeug an dem Unfall beteiligt ist, ist in entsprechender Anwendung des § 254 BGB zu fragen, ob und wie der Schaden nach Maßgabe der beiderseitigen Verursachung aufzuteilen ist. Voraussetzung einer solchen Haftungskürzung ist aber, dass der Geschädigte die nach § 7 StVG zu vertretende Betriebsgefahr seines Kfz im gegebenen Fall dem Geschädigten gegenüber zu verantworten hätte, wenn er diesen geschädigt hätte. Trifft das nicht zu, so kann dem Fahrzeughalter die Betriebsgefahr seines Kraftwagens auch nicht in entsprechender Anwendung des § 254 BGB schadensmindernd zugerechnet werden. Dies bedeutet, dass der Fahrzeugführer dem Fahrzeughalter die Betriebsgefahr nur dann entgegenhalten kann, wenn der Fahrzeughalter, falls der Fahrzeugführer den Schaden erlitten hätte, diesem ersatzpflichtig sein würde. Das StVG erlegt nun aber dem Halter eines Kfz nicht ausnahmslos eine Haftung für Schäden auf, die auf die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zurückzuführen sind. So haftet nach § 8 Nr. 2 StVG der Halter dem Verletzten, der beim Betriebe des Kfz tätig war, nicht. Da infolgedessen der Fahrzeughalter dem Fahrzeugführer nicht für die Betriebsgefahr des Fahrzeugs einzustehen braucht, kann der Fahrzeugführer dem Fahrzeughalter auch nicht die Betriebsgefahr in entsprechender Anwendung des § 254 BGB schadensmindernd anrechnen, mag auch die von dem Fahrzeug ausgehende allgemeine Gefahr an sich im Rechtssinne eine mitwirkende Ursache des eingetretenen Schadens gewesen sein (vgl. BGH, NJW 1972, 1415 f.). Etwas anderes kann dann gelten, wenn ein Fehler in der Beschaffenheit des Wagens oder ein Versagen seiner Einrichtungen mitursächlich gewesen ist oder wenn der Fahrzeughalter das Fahrzeug dem Fahrzeugführer in einem fahrunsicheren Zustand übergeben hat (BGH, NJW 1972, 1415, 1416; im Anschluss hieran auch BGH, NJW-RR 1993, 911). Derartige Umstände sind im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich. Vielmehr erschöpft sich der Verursachungsbeitrag des Beklagten Ziff. 1 in der Fahrzeugüberlassung an die … die den Unfall infolge Fahrlässigkeit verursacht und damit verschuldet hat. Auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben muss sich der Beklagte Ziff. 1 im Innenverhältnis zur … die Betriebsgefahr nicht anrechnen lassen, denn er hatte ihr, als er ihr das Steuer des Wagens überließ, die Beherrschung eben dieser Betriebsgefahr anvertraut (vgl. BGH, NJW 1972, 1415, 1416). Daher hat es im vorliegenden Fall bei der Alleinhaftung der … im Innenverhältnis zum Beklagten Ziff. 1 zu verbleiben.

2.

Mangels bestehender Hauptforderung steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Zinsen zu.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.

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