Kollision der Pflichten: Wirtschaftlichkeitsgebot trifft Schadensminderung bei Kfz-Unfallschäden
Das Oberlandesgericht Hamm hat ein Urteil gefällt, das sich mit der komplexen Frage der Schadensregulierung bei Verkehrsunfällen auseinandersetzt. Im Kern ging es um die Verpflichtungen des Geschädigten und des Haftpflichtversicherers in Bezug auf das Wirtschaftlichkeitsgebot und die Schadensminderungspflicht. Der Kläger verlangte vom Beklagten, einem Haftpflichtversicherer, Schadensersatz für sein unfallbeschädigtes Fahrzeug. Die strittige Frage war, ob der Kläger bei der Veräußerung seines beschädigten Autos gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat oder nicht, und ob die Restwertermittlung des Fahrzeugs ausreichend war.
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Übersicht
Die Rolle des Wirtschaftlichkeitsgebots
Das Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet den Geschädigten, bei der Schadensbehebung den wirtschaftlichsten Weg zu wählen. In diesem Fall hatte der Kläger sein Auto zu einem Preis verkauft, der in einem Sachverständigengutachten als Restwert ausgewiesen war. Das Gericht stellte jedoch fest, dass dieser Restwert nicht ausreichend ermittelt wurde, da er nicht den Bedingungen des regionalen Marktes entsprach.
Schadensminderungspflicht und Haftpflichtversicherer
Der Beklagte, der Haftpflichtversicherer, konnte nicht beweisen, dass der Kläger gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen hat. Diese Pflicht verlangt von dem Geschädigten, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Der Versicherer argumentierte, dass der Kläger den Restwert des Fahrzeugs nicht korrekt ermittelt hatte, konnte dies aber nicht ausreichend belegen.
Die Bedeutung des regionalen Marktes
Das Gericht legte großen Wert auf die Bedeutung des regionalen Marktes bei der Restwertermittlung. Es wurde festgestellt, dass die Angebote, die der Sachverständige für die Restwertermittlung herangezogen hatte, nicht aus dem regionalen Markt stammten. Dies war entscheidend, da der Geschädigte die Möglichkeit haben muss, das Fahrzeug bei einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler in Zahlung zu geben.
Die finanzielle Entscheidung
Letztlich wurde der Beklagte verurteilt, an den Kläger 9.861,35 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 18% und der Beklagte 82%. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dieses Urteil klärt wichtige Fragen im Bereich der Schadensregulierung bei Verkehrsunfällen und setzt Maßstäbe für die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots und der Schadensminderungspflicht. Es zeigt, dass sowohl der Geschädigte als auch der Haftpflichtversicherer bestimmten Pflichten nachkommen müssen, um eine faire und korrekte Schadensabwicklung zu gewährleisten.
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Oberlandesgericht Hamm – Az.: 11 U 66/22 – Urteil vom 26.04.2023
Leitsätze:
Zum Einhalten des Wirtschaftlichkeitsgebots und zum Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht bei der Verwertung eines unfallbeschädigten Kfz ohne ausreichende Restwertermittlung am regionalen Markt. Zum Feistellungsanspruch für die Kosten eines Kfz-Sachverständigengutachtens mit einer für eine Abrechnung auf Totalschadensbasis ungeeigneten Restwertermittlung.
Auf die Berufungen des Klägers und des Beklagten wird das am 30.03.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.861,35 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.07.2018 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 195,00
€ nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.10.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehenden Berufungen werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 18% und der Beklagte 82%. Der Beklagte trägt auch die Kosten der Nebenintervention in Höhe eines Anteils von 82%. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen
II.
Die wechselseitig eingelegten Berufungen haben teilweise Erfolg und führen zur Teilabänderung des landgerichtlichen Urteils in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel.
1. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von weiterem Schadensersatz in Höhe von 9.861,35 € aus §§ 7, 17, 18 StVG, 115 VVG.
Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Beklagte als Haftpflichtversicherer des unfallgegnerischen Fahrzeuges für den dem Kläger bei dem Verkehrsunfall am 18.05.2018 entstandenen Schaden dem Grunde nach in vollem Umfang ersatzpflichtig ist.
In der Berufung streiten die Parteien hinsichtlich des Fahrzeugschadens um die Höhe des für die Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwandes maßgeblichen Restwerts des durch den Unfall beschädigten Fahrzeuges. Diesen konnte der Kläger bei der Schadensabrechnung mit einem Betrag in Höhe von netto 20.000,00 € ansetzen. Der von dem Beklagten zu ersetzende Wiederbeschaffungsaufwand beläuft sich danach auf netto 48.487,40 €. Unter Berücksichtigung des vorgerichtlich hierauf gezahlten Betrages von netto 38.626,05 € kann der Kläger die Zahlung weiterer 9.861,35 € netto verlangen.
Der Kläger konnte den tatsächlich erzielten Verkaufspreis der Schadensabrechnung zu Grunde legen, weil er bei dem Verkauf nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat [b)]. Dies folgt jedoch nicht bereits daraus, dass er das Fahrzeug zu dem in dem Gutachten ausgewiesenen Restwert veräußert hat [a)]. Der Beklagte hat dagegen nicht den ihm obliegenden Beweis geführt, dass der Kläger bei dem Verkauf gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen hat [c)].
Die Ersatzbeschaffung unterliegt als Variante der Naturalrestitution (§ 249 BGB) dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Aus diesem Gebot folgt für die Frage des Restwertes, dass der Geschädigte bei der Schadensbehebung im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten den wirtschaftlichsten Weg zu wählen hat (BGH, Urteil vom 27.09.2016 – VI ZR 673/15 –, juris Rn. 8).
a) Diesem Wirtschaftlichkeitsgebot hat der Kläger nicht bereits dadurch genügt, dass er das Fahrzeug zu dem in dem Gutachten ausgewiesenen Restwert veräußert hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – welcher der Senat folgt – leistet der Geschädigte dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit im allgemeinen dann Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeugs zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, Urteil vom 12.07.2005 – VI ZR 132/04 –, BGHZ 163, 362-369, juris Rn. 11). Von einer solchen korrekten Wertermittlung für den maßgeblichen regionalen Markt ist danach im Regelfall dann auszugehen, wenn der beauftragte Sachverständige drei Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt ermittelt und diese in seinem Gutachten auch konkret benannt hat (BGH, Urteil vom 13.10.2009 – VI ZR 318/08, juris Rn. 11).
Die Maßgeblichkeit des regionalen Marktes hat sich dabei auch nicht etwa aufgrund einer allgemeinen Zugänglichkeit von Online-Gebrauchtwagenbörsen überholt, da es dem Geschädigten – unabhängig davon ob er letztlich auch so verfährt – möglich sein muss, das Fahrzeug bei einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb eines Ersatzwagens in Zahlung zu geben. Das für den Kauf eines Ersatzfahrzeugs unter Inzahlunggabe des Unfallwagens notwendige persönliche Vertrauen wird der Geschädigte ohne Nachforschungen, zu denen er nicht verpflichtet ist, aber typischerweise nur ortsansässigen Vertragswerkstätten und Gebrauchtwagenhändlern, die er kennt oder über die er gegebenenfalls unschwer Erkundigungen einholen kann, entgegenbringen, nicht aber erst über das Internet gefundenen, jedenfalls ohne weitere Nachforschungen häufig nicht ausschließbar unseriösen Händlern und Aufkäufern (BGH, Urteil vom 27.09.2016 – VI ZR 673/15, juris Rn. 13). Berücksichtigt das Gutachten demnach einen anderen, als den insoweit maßgeblichen regionalen Markt, so vermag dies ein Vertrauen des Geschädigten darin, dass der Restwert zutreffend ermittelt worden ist, nicht zu begründen (OLG Hamm, Urteil vom 28. September 2018 – I-9 U 137/16 –, juris Rn. 43).
Das bei der Streithelferin eingeholte Gutachten vom 30.05.2018, das dem Kläger vor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs am 06.06.2018 vorlag, genügt nicht diesen Anforderungen. Zwar liegen dem Gutachten vier Angebote zugrunde, diese stammen jedoch nicht vom insoweit maßgeblichen regionalen Markt. Der Gutachter führt zum ermittelten Restwert zwar aus, dass dieser unter „Berücksichtigung der örtlichen Marktsituation ermittelt worden sei“ und dass konkrete Angebote gegen Auftrag bzw. Kostenerstattung nachgereicht werden können (vgl. Seite 15 der Anlage K1, Bl. 32 LG-Akte), tatsächlich erfolgte die Restwertbestimmung jedoch ersichtlich nicht für den regionalen Markt des Klägers, ohne dass es vorliegend entscheidend darauf ankommen würde, wie groß dieser Markt zu bemessen sei. Der Sachverständige hat zur Erstattung des Gutachtens vier Angebote über die Plattform „(…)“ eingeholt. Die darüber abgegebenen Gebote gaben Bieter ab, von denen allenfalls einer dem regionalen Markt des Klägers zugerechnet werden kann. Das höchste Angebot über netto 20.000,00 € wurde von einem Bieter aus B (Bayern) abgegeben. Ein weiteres Angebot über netto 17.092,44 € gab ein Bieter aus Polen ab. Allenfalls das dritthöchste Gebot über netto 7.563,03 € wurde von einem Bieter aus A abgegeben, welcher (noch) dem regionalen Markt der Klägers zugerechnet werden könnte. Das letzte Angebot über netto 1.596,64 € wurde dagegen wiederum von einem überregionalen Bieter aus C (Hessen) abgegeben. Dass aufgrund dieser Gebote ein Restwert für den regionalen Markt in Höhe von netto 20.000,00 € nicht bestimmt werden kann, liegt auf der Hand. Ebenfalls kann aus dem Gutachten – mangels weiterer Angebote aus der Region – nicht geschlossen werden, dass etwa das Angebot des Bieters aus A die Marktlage am örtlichen Markt des Klägers zutreffend wiedergeben würde. Die Notwendigkeit, den örtlichen Markt anhand von wenigstens drei Angeboten zu bestimmen folgt gerade aus dem Umstand, dass bei Berücksichtigung von weniger Angeboten gerade nicht zuverlässig eingeschätzt werden kann, ob diese den örtlichen Markt auch zutreffend wiederspiegeln oder sich vielleicht als „Ausreißer“ nach oben oder unten darstellen.
Ob dem Kläger dabei hätte persönlich auffallen müssen, dass das Gutachten den Restwert nicht zutreffend ermittelt hat, kann letztlich dahinstehen. Denn zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Gutachtens war der Kläger bereits anwaltlich vertreten. Jedenfalls seinem Rechtsanwalt hätte auffallen müssen, dass sich die Restwertermittlung als unzureichend darstellt und nicht geeignet ist, ein Vertrauen in diese zu begründen. Das insoweit seinem Anwalt zur Last fallende Verschulden muss sich der Kläger zurechnen lassen (OLG Hamm, Urteil vom 28.09.2018 – I-9 U 137/16 – juris Rn. 43).
b) Veräußert der Geschädigte ein Fahrzeug, ohne zuvor ein Sachverständigengutachten einzuholen oder entspricht dieses – wie vorliegend – nicht den durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, braucht der Geschädigte kein weiteres Sachverständigengutachten zum Restwert einzuholen und muss grundsätzlich auch nicht den Haftpflichtversicherer über den beabsichtigten Verkauf seines beschädigten Fahrzeugs informieren; vielmehr kann der Geschädigte, der nicht einen fiktiven Restwert abrechnet, sondern denjenigen, den er durch den Verkauf des Fahrzeugs tatsächlich realisiert hat, seiner Schadensberechnung grundsätzlich den erzielten Restwertbetrag zu Grunde legen (BGH, Urteil vom 12.07.2005 – VI ZR 132/04 –, BGHZ 163, 362-369, juris Rn. 13), sofern diese Veräußerung dem oben dargestellten Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht. Dieses beschränkt den nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand des Geschädigten auf den Betrag, der vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheint (BGH, Urteil vom 15.02.2005 – VI ZR 70/04 –, BGHZ 162, 161-169, juris Rn. 9).
Diese Grundsätze zu Grunde gelegt, hat der Kläger bei der Veräußerung den Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft nicht verlassen, indem er das Fahrzeug am 06.06.2018 an die aus D – und demnach aus seiner Region – stammende Käuferin, die nach ihrem Internetauftritt auf X-Lkw spezialisierte Fa. E, veräußert hat. Die vom Landgericht durch die Anhörung des Klägers und die Vernehmung des Zeugen E in der mündlichen Verhandlung aufgeklärten Umstände, lassen das erkennen. Demnach hatte die Käuferin nach einer Besichtigung des verunfallten Lkw ein Kaufangebot von ca. 19.000,00 bis 20.000,00 € abgegeben, woraufhin man sich auf den vom Kläger vor dem Hintergrund des ihm aus dem Gutachten der Streithelferin bekannten (höchsten) Angebots über netto 20.000,00 € auf diesen Verkaufspreis einigte.
Bei dieser Handhabung ist dem Kläger kein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vorzuhalten. Ihm lag das Kaufangebot einer Fachfirma seiner Region vor, mit der er – unter Berücksichtigung des vorliegenden Gutachtens der Streithelferin – den Betrag von 20.000,00 €, der im oberen Angebotsbereich lag, als Verkaufspreis vereinbaren konnte. Dabei gab das im Gutachten der Streithelferin ausgewiesene höchsten Kaufangebot von netto 20.000,00 € noch einen Anhaltspunkt für die Größenordnung eines wirtschaftlich vernünftigen Restwertes ab und konnte insoweit vom Kläger bei der mit der Fa. E geführten Verkaufsverhandlung genutzt werden. Im vorliegenden Fall hat der Kläger damit mit dem von ihm getätigten Verkauf des verunfallten Lkw für netto 20.000,00 € dem Wirtschaftlichkeitsgebot noch genügt.
c) Der Beklagte hat letztlich nicht nachgewiesen, dass der Kläger bei dem Verkauf an die Fa. E gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen hätte (§ 254 Abs. 2 BGB).
Veräußert der Geschädigte ein beschädigtes Fahrzeug, ohne dass er auf eine korrekte Restwertermittlung durch einen Sachverständigen verlassen konnte und
ohne sich mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung abzusprechen, verbleibt dem Schädiger nämlich grundsätzlich die Möglichkeit einzuwenden, der Geschädigte habe gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen (BGH, Urteil vom 13.10.2009 – VI ZR 318/08 –, juris Rn. 9). Ein solcher Verstoß ist dabei allerdings erst dann anzunehmen, wenn dem Schädiger der Nachweis gelingt, der Geschädigte hätte auf dem regionalen Markt einen höheren Preis nicht nur erzielen können, sondern müssen (BGH, Urteil vom 12.07.2005 – VI ZR 132/04 –, BGHZ 163, 362-369, juris Rn. 14).
Einen solchen Nachweis hat der Beklagte nicht erbracht. Weder aus dem von ihm vorprozessual eingeholten Gutachten vom 24.06.2018, noch aus dem durch das Landgericht eingeholten und von den Parteien nicht angegriffenen Sachverständigengutachten des Sachverständigen F vom 14.10.2021 ergibt sich, dass der Kläger auf dem maßgeblichen regionalen Markt einen höheren Restwert hätte erzielen müssen.
Das Gutachten des Beklagten berücksichtigt bereits nicht (nur) den maßgeblichen regionalen Markt. Sofern das Gutachten auch drei Angebote von Bietern beinhaltet, welche dem regionalen Markt des Klägers zugeordnet werden können, belaufen sich diese auf – jeweils netto – 14.386,55 € (Bieter aus H), 19.873,95 € (Bieter aus G) und 24.756,30 € (Bieter aus I). Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, ob das Gutachten – welches zeitlich nach dem Verkauf des Fahrzeugs erstellt worden ist – geeignet ist, die Marktlage zum Zeitpunkt des Verkaufs wiederzugeben. Denn allenfalls folgt aus diesem Gutachten, dass der Kläger einen höheren Kaufpreis hätte erzielen können, jedoch nicht müssen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem gerichtlichen Sachverständigengutachten des Sachverständigen F. Der Sachverständige hat in seinem von den Parteien nicht angegriffenen und überzeugenden Gutachten ausgeführt, nach welchen Kriterien potentielle Ankäufer von Unfallfahrzeugen entscheiden, ob ein Ankaufspreis für sie lohnend ist. Da es sich bei dem hier beschädigten Fahrzeug danach um ein vorzugsweise reparaturwürdiges Unfallfahrzeug handele, sei der Restwert des Fahrzeugs maßgeblich von folgenden Faktoren abhängig: dem Verkaufspreis des instandgesetzten Fahrzeuges, den zu investierenden Reparaturkosten und dem angestrebten Gewinn. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren hat der Sachverständige nachvollziehbar ermittelt, dass sich der Restwert für das beschädigte Fahrzeug in einem Bereich zwischen 18.602,00 € und 31.732,00 € bewegen würde. Da sich der
von dem Kläger erzielte Restwert innerhalb des durch den Sachverständigen Bereiches bewegt, ist dieses Gutachten nicht zum Nachweis der Tatsache geeignet, dass der Kläger einen höheren Restwert nicht nur hätte erzielen können, sondern müssen (vgl. zum Beweismaß auch: BGH, Urteil vom 12.07.2005 – VI ZR 132/04, juris Rn. 16).
2. Der Kläger hat dagegen keinen Anspruch darauf, dass ihn der Beklagte von den Sachverständigenkosten in Höhe von netto 2.156,93 € aus der Rechnung der Streithelferin vom 01.06.2018 freistellt. Dem Kläger steht insoweit ein Anspruch aus §§ 823 BGB, 7, 18 StVG, 115 VVG gegen den Beklagten nicht zu, obwohl die Einstandspflicht des Beklagten dem Grunde nach nicht im Streit steht. Es fehlt jedoch an einem ersatzfähigen Schaden.
Der Vertrag zwischen dem Kläger und der Streithelferin ist ein Werkvertrag gem. § 631 Abs. 1 BGB (vgl. Retzlaff in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., Einf v § 631 Rn. 24 m.w.N.). Durch den Vertragsschluss war der Vergütungsanspruch der Streithelferin auch zunächst entstanden. Weist ein Gutachten jedoch solch gravierende Mängel auf, wie sie einem Sachverständigen bei der Begutachtung von Unfallschäden schlechterdings nicht unterlaufen dürfen und können diese nicht durch eine Nacherfüllung beseitigt werden, liegt eine in Gänze unbrauchbare Leistung vor, welche den Auftraggeber berechtigt, die Leistung insgesamt zu verweigern (vgl. Senatsurteil vom 21.12.2016 – I-11 U 54/15, juris Rn. 6 und 10). In diesem Fall ist dem Geschädigten, jedenfalls wenn er – wie im hier zu entscheidenden Streitfall – die Rechnung noch nicht ausgeglichen hat, ein Schaden nicht entstanden.
Vorliegend weist das Gutachten der Streithelferin solch gravierende Mängel auf, dass es für den Kläger schlechterdings unbrauchbar ist und weswegen er berechtigt ist, die Leistung insgesamt zu verweigern.
Beauftragt ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall ein Schadensgutachten und ist für den Gutachter erkennbar, dass das verunfallte Fahrzeug einen (wirtschaftlichen) Totalschaden erlitten hat, kommt der Restwertermittlung eine besondere Bedeutung zu. So ein Gutachten kann gravierende Mängel aufweisen, die zu einer völligen Unbrauchbarkeit führen, wenn der in dem Gutachten ausgewiesene Restwert fehlerhaft ermittelt worden ist, weil die Ermittlung nicht nach den durch den Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen entspricht. Die fehlerhafte Restwertermittlung verhindert dann eine ordnungsgemäße Schadensabrechnung, weil der vom Wiederbeschaffungswert abzusetzende Restwert nicht zuverlässig zu beurteilen ist. Das muss auch dem das Gutachten erstattenden Sachverständigen klar sein, weil der Geschädigte das Gutachten in aller Regel gerade auch deswegen beauftragt, um auf seiner Basis abrechnen zu können und in einer etwaigen späteren Auseinandersetzung mit dem Schädiger nicht dem Einwand ausgesetzt zu sein, gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen zu haben. Ein Gutachten, das in der Konstellation, in der auf Totalschadenbasis abzurechnen ist, den Restwert nicht anhand der vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze ermittelt, ist jedoch gerade nicht geeignet, diesen Zweck zu erreichen.
Die Restwertermittlung im Gutachten der Streithelferin vom 30.05.2018 genügte – wie oben bereits dargelegt – bereits deswegen nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, weil sie den regionalen Markt nicht abbildete. Hinzu kommt, dass sie bei einer Angebotspräsentation auf der Plattform „(…)“ für die Dauer von nur 7 Stunden und 47 Minuten auch nur vier Kaufangebote für den verunfallten Lkw auswies, ohne eine Erläuterung für den kurzen Präsentationszeitraum oder den Hinweis zu geben, dass der Restwert unter
„Berücksichtigung der örtlichen Marktsituation“ ermittelt worden sei. Bei der Gutachtenerstattung sind die Anbieter ersichtlich nicht näher geprüft worden, was bereits insgesamt zu einer unbrauchbaren Restwertermittlung führt. Dass zudem noch technische Daten des verunfallten Fahrzeugs in die Abfrage bei „(…)“ unzutreffend aufgenommen wurden, fällt insoweit nicht mehr ins Gewicht, zumal die falschen Daten eher höhere Restwertangebote erwarten ließen.
Bei dem genannten Mangel handelt es sich auch nicht um einen solchen, der durch eine Nachbesserung behoben werden könnte, wenn das beschädigte Fahrzeug – wie hier – bereits verkauft worden ist. Denn der Geschädigte kann das Risiko, dass sich der von ihm realisierte Restwert im späteren Prozess als zu niedrig erweist, nur dadurch vermeiden, dass er vor dem Verkauf sich mit dem Haftpflichtversicherer abstimmt oder aber ein Gutachten mit einer korrekten Wertermittlung einholt (BGH, Urteil vom 12.07.2005 – VI ZR 132/04, juris Rn. 14). Ist das vor dem Verkauf eingeholte Gutachten jedoch nicht dazu geeignet, für den Geschädigten bei der Abrechnung auf Totalschadensbasis eine verlässliche Vertrauensgrundlage zu begründen, so stellt sich dieses für ihn als völlig wertlos dar, selbst wenn der Sachverständige später im Rahmen der Nachbesserung einen zutreffenden Restwert ermitteln sollte. An einer solchen Nachbesserung besteht für den Kläger demnach kein Interesse.
Es kann im vorliegenden Fall ebenfalls dahinstehen, ob weitere Anknüpfungstatsachen für die Berechnung des Schadens, wie der Wiederbeschaffungswert oder die Reparaturkosten, zutreffend ermittelt worden sind.
Die zutreffende Ermittlung dieser Positionen weist für den Geschädigten in einem Falle wie dem vorliegenden keinen eigenständigen Wert auf, welcher es gerechtfertigt erscheinen ließe, einen Vergütungsanspruch des Sachverständigen bestehen zu lassen. Es ist für eine Abrechnung des Schadens gegenüber einer gegnerischen Haftpflichtversicherung schlicht nicht zu gebrauchen.
3. Der Kläger hat weiter einen Anspruch auf Zahlung weiterer 195,00 € wegen der ihm vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten.
Die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit dieser Schadensposition steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Der Kläger durfte unmittelbar nach dem Unfall einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragen, der dann noch am Unfalltage die Schadensersatzansprüche des Klägers gegenüber dem Beklagten angemeldet hat, was ebenfalls nicht zu beanstanden ist.
Unter Berücksichtigung des Erfolges der Klage berechnen sich die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten nach einem Streitwert von 48.592,40 € (Wiederbeschaffungsaufwand: 48.487,40 €, Ummeldekosten: 80,00 € und Unkostenpauschale: 25,00 €). Die Gesamtkosten für die anwaltliche Tätigkeit belaufen sich bei Zugrundelegung einer 1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) und einer Auslagenpauschale von 20,00 € (Nr. 7002 VV RVG) auf insgesamt 1.531,90 €. Umstände, welche eine Erhöhung der Geschäftsgebühr rechtfertigen würden, hat der Kläger nicht dargetan. Abzüglich der durch die Beklagte auf diese Position geleisteten 1.336,90 € hat der Kläger danach einen Anspruch auf Zahlung weiterer 195,00 €.
4. Der Kläger hat letztlich einen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen aus § 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB aus einem Betrag in Höhe von 9.861,35 € seit dem 19.07.2018 [a)] und auf Zahlung von Prozesszinsen aus § 291, 288 Abs. 1 BGB aus einem Betrag in Höhe von 195,00 € seit dem 13.10.2018 [b)]. Soweit der Kläger einen höheren Zinssatz geltend macht, stellt sich die Klage dagegen als unbegründet dar [c)].
a) Entgegen der Annahme des Landgerichts war das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 04.06.2018 nicht geeignet, einen Verzug der Beklagten zu begründen. Zwar ist regelmäßig von einer Mahnung auszugehen, wenn der Geschädigte eines Verkehrsunfalls seinen Schaden durch Anwaltsschreiben gegenüber dem Versicherer des Unfallgegners geltend macht und den Versicherer auffordert, die Zahlung bis zu einem bestimmten Datum oder innerhalb einer bestimmten Frist zu erbringen (Seichter, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 286 BGB , Rn. 15), einer solchen Mahnung kommt jedoch dann keine Wirkung zu, wenn diese dem Schuldner vor Eintritt der Fälligkeit zugeht.
Dies ist vorliegend jedoch der Fall. Einem Haftpflichtversicherer, der nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen wird, ist im Regelfall eine Prüfungszeit von vier bis sechs Wochen zuzubilligen, vor deren Ablauf Verzug nicht eintritt (OLG Koblenz, Beschluss vom 10.09.2020 – 12 W 326/20, NJOZ 2021, 1109 m.w.N.). Diese Frist beginnt mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens (OLG Hamm, Beschluss vom 28.10.2020 – 7 U 58/20, BeckRS 2020, 46353). Vorliegend ereignete sich der Verkehrsunfall am 18.05.2018. Die Prüfungsfrist war demnach vor Übersendung des Schreibens vom 04.06.2018 für den Beklagten ersichtlich nicht abgelaufen.
Erst nach Ablauf der im Schreiben vom 10.07.2018 gesetzten achttägigen Frist, mit welchem die Zahlung von Rechtsanwaltskosten jedoch nicht angemahnt worden ist und die mit Ablauf des 18.07.2018 endete, ist die Beklagte mit der Zahlung der angemahnten Forderung in Verzug geraten.
b) Hinsichtlich der nicht angemahnten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen (§§ 291, 288 Abs. 1 BGB).
c) Der Zinsanspruch ist der Höhe nach jedoch nur auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz beschränkt (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Sofern der Kläger behauptet hat, dass er ständig Bankkredit in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe in Anspruch nimmt, ist er hinsichtlich dieses von dem Beklagten bestrittenen Vorbringens beweisfällig geblieben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 101 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen weil die Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.