Skip to content
Menü

Kollisionen von Überholern mit Linksabbiegern auf ein Grundstück

LG Osnabrück, Az.: 4 S 389/16, Beschluss vom 22.12.2016

Gründe

I.

Die Kammer beabsichtigt, die Berufung durch nicht anfechtbaren einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, zu diesem Hinweisbeschluss binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

II.

Die Kammer lässt sich bei ihrer Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

Der Kläger und Berufungskläger macht mit der Berufung geltend, dass das Amtsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen habe. Das Amtsgericht habe fehlerhaft einen Anscheinsbeweis angenommen. Die Voraussetzungen lägen nicht vor, da der Kläger nicht in ein Grundstück eingebogen sei, sondern in eine öffentliche Straße. Im Übrigen habe der Kläger bei seiner Anhörung glaubhaft vorgetragen, dass er den Blinker nach links vor dem Beginn des Überholvorgangs der Beklagten zu 2. gesetzt habe. Zudem habe die Beklagte zu 2. unmittelbar nach dem Unfall angegeben, dass sie nicht erkannt habe, ob der Kläger den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt habe. Die Beklagte zu 2. habe somit bei unklarer Verkehrslage überholt trotz durchgezogener Linie, womit ein erheblicher Sorgfaltsverstoß der Beklagten zu 2. vorliege. Dass das Amtsgericht durch Inaugenscheinnahme festgestellt habe, dass die Linie nicht vollständig durchgezogen sei, sei fehlerhaft. Auch dies erschüttere einen möglichen Anscheinsbeweis. Daher sei vielmehr hier eine Haftungsquote von 80 % zu Lasten der Beklagten und ein Schmerzensgeld von mindestens 600,00 € angezeigt.

Die Rügen des Klägers an dem Urteil des Amtsgerichts gehen jedoch fehl.

Zutreffend hat das Amtsgericht das Vorliegen eines Anscheinsbeweises zu Lasten des Klägers bejaht. Denn entgegen der Ansicht des Klägers greift der Anscheinsbeweis nicht nur bei Kollisionen von Überholern mit Linksabbiegern auf ein Grundstück i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO, sondern auch bei „normalen“ Kollisionen von Linksabbiegern mit Überholern. Kommt es im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegenden zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers (st. Rspr. KG NZV2010, 470 m.w.N.). Denn im Falle der Kollision eines Linksabbiegers mit einem Überholer hat der Linksabbieger typischerweise die ihm nach § 9 Abs. 1 StVO obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt. Dieser Anscheinsbeweis kann erschüttert oder widerlegt werden durch unstreitige oder bewiesene Tatsachen, die einen atypischen Verlauf möglich erscheinen lassen. Das ist jedoch, wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, nicht der Fall.

Kollisionen von Überholern mit Linksabbiegern auf ein Grundstück
Symbolfoto: Four Oaks/Bigstock

Der Kläger ist unstreitig nach links abgebogen, ohne sich mit der gebotenen zweiten Rückschau zu vergewissern, dass durch sein Fahrmanöver niemand behindert oder gefährdet wird. Das war insbesondere daher geboten, da er unmittelbar zuvor bereits von einen anderen Fahrzeug überholt worden war. Dann hätte er erkennen müssen, dass die Beklagte zu 2. im Begriff war, sein Fahrzeug zu überholen, so dass er von dem Abbiegevorgang Abstand hätte nehmen müssen. Zudem konnte nicht zur Überzeugung des Amtsgericht festgestellt werden, dass der Kläger rechtzeitig den Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesetzt und sein Fahrzeug möglichst weit links zur Fahrbahnmitte gelenkt hatte. Die Feststellungen des Amtsgerichts sind nicht zu beanstanden. Sie sind aufgrund der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung nach § 286 ZPO getroffen worden. Gemäß § 286 ZPO hat das Gericht nach Erhebung der angebotenen und entscheidungserheblichen Beweise nach seiner freien, nicht an Beweisregeln gebundenen Überzeugung zu entscheiden. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts kann die Kammer in Hinblick auf § 286 ZPO nur darauf prüfen kann, ob sie in sich widersprüchlich ist, den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwiderläuft oder Teile der Beweiswürdigung ungewürdigt lässt. Diese Prüfung ergibt eine fehlerhafte Beweiswürdigung nicht. Vielmehr schließt sich die Kammer der Überzeugung aufgrund der widerstreitenden Erklärungen der Unbeteiligten und des Inhalts der beigezogenen Bußgeldakte zweifelsfrei an. Auch unter Berücksichtigung der Angaben der Unfallbeteiligten nach der Bußgeldakte, die unmittelbar nach dem Unfallgeschehen von den Polizeibeamten aufgenommen wurden, steht auch zur Überzeugung der Kammer nicht ausreichend sicher fest, dass der Kläger rechtzeitig den Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesetzt und sein Fahrzeug möglichst weit links zur Fahrbahnmitte gelenkt hatte. Auch die Kammer vermochte nicht zu entscheiden, welche der beiden sich widersprechenden Erklärungen der Unfallbeteiligten zutrifft. Beide sind gleichermaßen lebensnah. Objektive Kriterien, an denen der Wahrheitsgehalt der Erklärungen gemessen werden könnte, bestehen nicht.

Ferner war für die Beklagte zu 2. keine unklare Verkehrslage gegeben, da der Kläger nicht den Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesetzt, sein Fahrzeug nicht möglichst weit links zur Fahrbahnmitte gelenkt hatte und im Unfallpunkt keine durchgezogene Linie mehr bestand, wie sich aus Bildern von Bl. 11, 12, 13 und 20 der Bußgeldakte ergibt. Damit verbleibt allein im Hinblick auf die bis vor dem Abbiegevorgang auf der Fahrbahn noch bestehende durchgezogene Mittellinie, die die Beklagte zu 2. überfahren haben könnte, eine Haftungsquote der Beklagten von maximal 30 %, ohne dass dadurch der Anscheinsbeweis erschüttert ist. Die Haftungsquote des Amtsgerichts ist entsprechend nicht zu beanstanden. Ein weiteres Schmerzensgeld steht dem Kläger daher und aufgrund der bisher geleisteten Zahlungen der Beklagten nicht zu.

Die zur Entscheidung stehende Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Urteilsentscheidung ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO. Ein rechtlich relevanter neuer Tatsachenvortrag i.S.d. § 531 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor. Das angefochtene Urteil beruht aus den genannten Gründen nicht auf einer falschen Rechtsanwendung.

Eine mündliche Verhandlung i.S.v. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO ist nicht geboten.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Verkehrsrecht, Versicherungsrecht und der Regulierung von Verkehrsunfällen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile aus dem Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!