Sorgfalt und Haftung beim Fahrstreifenwechsel: Ein Blick auf das Fahrschüler-Urteil des KG Berlin
Das Kammergericht (KG) Berlin hat in einer kürzlich getroffenen Entscheidung (Az.: 22 U 99/19) die Sorgfaltspflicht von Fahrschülern beim Fahrstreifenwechsel unter die Lupe genommen. Im Kern dieser kontroversen Angelegenheit lag die Frage, ob der Fahrschüler eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen hat, und ob diese den Beklagten zuzurechnen ist.
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Übersicht
Fahrschüler, Fahrstreifenwechsel und Sorgfaltspflicht
Das KG Berlin stellte in seiner Entscheidung klar, dass die Sorgfaltspflicht eines Fahrschülers beim Fahrstreifenwechsel (gemäß § 7 Abs. 5 StVO) nicht zu vernachlässigen ist. Dies beinhaltet, sich zunächst über den nachfolgenden Verkehr zu vergewissern, rechtzeitig den Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen und sich unmittelbar vor dem Wechsel erneut zu vergewissern,dass keine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vorliegt. Es wurde festgestellt, dass dies nicht erkennbar war. Es gab Anzeichen dafür, dass das Fahrzeug des Klägers, das sich unmittelbar vor dem Unfall in der Nähe befunden haben muss, übersehen wurde.
Urteilsbegründung und Fahrerhaftung
Die Beklagten kritisierten die Beurteilung der Beweisaufnahme durch das Landgericht hinsichtlich der rechtzeitigen Erkennbarkeit des Fahrstreifenwechsels für den Kläger. Das KG Berlin fand jedoch keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts begründen würden, und hielt diese daher für bindend (§ 529 Abs. 1 Nr.). Darüber hinaus wurden die Ausführungen der Beklagten hinsichtlich des einzuhaltenen Seitenabstands als spekulativ angesehen.
Reparaturkosten und Beweisantritt
Die Beklagten führten weiterhin an, dass die vom Kläger behaupteten Reparaturkosten überschätzt wurden. Sie behaupteten, dass der Kläger vorgerichtlich eine Kürzung in Bezug auf die angenommenen Reparaturkosten vorgenommen hat. Jedoch, das KG Berlin stellte fest, dass dieser Einwand auf der Grundlage der vom Kläger behaupteten und gutachterlich belegten Kosten ins Leere ging. Die Beklagten rügten außerdem das Übergehen ihres (Gegen-)Beweisantritts zu den Sachverständigenkosten, aber auch hier fehlte es an konkreter Darlegung.
Gleichwertigkeit der Alternativreparatur und Urteilsschluss
Die Beklagten machten geltend, dass die Gleichwertigkeit der Alternativreparatur hinreichend dargestellt worden sei. Das KG Berlin jedoch, in Übereinstimmung mit dem Landgericht, verwarf diese Behauptung und führte aus, dass der Verweis auf die Alternativwerkstatt weder rechtlich (Zumutbarkeit) noch tatsächlich (insbesondere Zertifikate und Dauer) angegriffen wurde. Dies rundet das Urteil ab und schließt den Fall um den Fahrschüler und seinen Fahrstreifenwechsel ab.
Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: 22 U 99/19 – Beschluss vom 06.08.2020
Der Senat weist darauf hin, dass er nach dem Ergebnis der Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Beklagten erhalten Gelegenheit, zu den genannten Gründen binnen 4 Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
Der Senat wird die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen müssen, weil er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Rechtsfortbildung noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 ZPO). Hinweis und Fristsetzung beruhen auf § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO.
Es wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
1. Soweit die Beklagten die Ausführungen zum Grund der Haftung angreifen, hat das Landgericht zu Recht zulasten der Beklagten einen Anschein für die Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrschülers bei einem Fahrstreifenwechsel (§ 7 Abs. 5 StVO) angenommen, die den Beklagten ungeachtet des Umstandes, dass der Beklagte zu 1. gemäß § 2 Abs. 15 S. 2 StVG als Fahrzeugführer galt, zuzurechnen ist. Hierfür genügt, dass der Anstoß unstreitig in dem von dem Kläger genutzten linken Fahrstreifen seitlich erfolgte. Der Anscheinsbeweis, der Fahrstreifenwechsler habe gegen seine Sorgfaltspflichten aus § 7 Abs. 5 StVO verstoßen, setzt lediglich voraus, dass – wie hier feststeht – der Fahrstreifenwechsel im räumlichen und zeitlichen engen Zusammenhang mit der Kollision erfolgte (vgl. m.w.Nw. Kuhnke, Darlegungs- und Beweislast bei Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen, NZV 2018, 447, 449 [II.2.(2)(b)], 450 [II.4.(1)(b)]). Im Übrigen dürfen zwar Lkw-Fahrer ausnahmsweise zwei Fahrstreifen nutzen, wenn dies zum Zweck des Abbiegens im Hinblick auf beengte Kurven oder wegen des Ausschwenkens des Hecks erforderlich ist. Sie haben dann aber deutlich beide Fahrstreifen zu belegen, so dass jedes Missverständnis für den nachfolgenden Verkehr ausgeschlossen ist. Dass der Fahrschüler seiner von § 7 Abs. 5 StVO geforderten äußersten Sorgfaltspflicht zum Ausschluss jeder Gefährdung nachgekommen wäre, also zunächst sich über nachfolgenden Verkehr im linken Fahrstreifen vergewissert hätte, anschließend rechtzeitig, d.h. mindestens 5 Sekunden zuvor, den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hätte und unmittelbar vor dem (teilweisen) Wechsel in den linken Fahrstreifen sich nochmals vergewissert hätte, im linken Fahrtstreifen keine anderen Verkehrsteilnehmer zu gefährden und sicherzustellen, dass seine Absicht bemerkt und berücksichtigt wurde, ist schon nicht erkennbar. Die Aussage des Zeugen und die Angaben des Beklagten zu 1. widersprechen sich hinsichtlich der Richtung des gesetzten Fahrtrichtungsanzeigers. Der Beklagte zu 1. hat schon nicht geschildert, dass der Fahrschüler zu irgendeinem Zeitpunkt wieder rechts blinkte, was nicht plausibel ist. Andernfalls hätte das Fahrzeug des Klägers, das sich auch drei Sekunden zuvor in der Nähe befunden haben muss, sicherlich nicht übersehen werden können. Soweit die Beklagten meinen, das Landgericht habe das Ergebnis der Beweisaufnahme – hinsichtlich der rechtzeitigen Erkennbarkeit des Fahrstreifenwechsels für den Kläger – unzutreffend gewürdigt, fehlen konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts begründen würden, weshalb diese für den Senat bindend sind (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Mit der näheren, zutreffenden Beweiswürdigung des Landgerichts setzen sich die Beklagten schon nicht auseinander. Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass subjektive Schätzungen zu Geschwindigkeiten oder Entfernungen ohne konkrete Bezugspunkte unzuverlässig sind und daher Zeugen als taugliche Beweismittel ausscheiden (vgl. m.w.Nw. Kuhnke, Darlegungs- und Beweislast bei Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen, NZV 2018, 447 f. [vor I. und II.1.(1)-(2)]). Die Ausführungen der Beklagten zu dem einzuhaltenden Seitenabstand sind daher spekulativ. Dass der Kläger rechtzeitig das Herüberziehen des Lkw in den linken Fahrstreifen hätte erkennen und das Verkürzen des erforderlichen Sicherheitsabstand zum Lkw vermeiden können, ist nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und der Anhörung des Beklagten zu 1. nicht festzustellen.
2. Soweit die Beklagten das Übergehen ihres (Gegen-) Beweisantritts hinsichtlich der Wertminderung rügen, gehen sie auf die Begründung des Landgerichts, das nachvollziehbaren Vortrag vermisst hat, nicht ein. Welche (abweichende) Berechnungsmethode dem zu Grunde liegen sollte, ist nicht ersichtlich. Insoweit dürfte im Übrigen naheliegen, dass der Beklagte zu 2. vorgerichtlich eine Kürzung im Hinblick auf die von ihm angenommene Verringerung der Reparaturkosten vorgenommen hat, also der Einwand auf der Grundlage der von dem Kläger behaupteten, gutachterlich belegten Kosten ins Leere geht.
3. Soweit die Beklagten das Übergehen ihres (Gegen-) Beweisantritts zu den Sachverständigenkosten rügen, fehlt bereits eine konkrete Darlegung. Eine Auseinandersetzung mit der Begründung des Landgerichts unterbleibt ebenfalls. Vorgerichtlich wird die Kürzung durch den Beklagten zu 2. auch hier durch die Kürzung der Reparaturkosten bedingt gewesen sein.
4. Soweit die Beklagten das Übergehen ihres (Gegen-) Beweisantritts zu den Reparaturkosten rügen, bleibt unklar, was konkret an dem (Privat-) Gutachten bestritten und welcher konkrete Bezug zu welchem konkreten Sachverständigenbeweisantritt gegeben sein soll. Die Ausführungen des Landgerichts hinsichtlich des nicht in Betracht kommenden Verweises auf die Alternativwerkstatt werden weder rechtlich (Zumutbarkeit) noch tatsächlich (insbesondere Zertifikate und Dauer) angegriffen, sondern lediglich geltend gemacht, die Gleichwertigkeit der Alternativreparatur sei hinreichend dargestellt worden.
Abschließend wird darauf hingewiesen, dass im Falle der Berufungsrücknahme sich die gerichtliche 4-fache Verfahrensgebühr auf eine 2-fache Gebühr ermäßigt (KV-Nr. 1222 zum GKG).