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Kettenauffahrunfall – Anscheinsbeweis und Beteiligtenhaftung

LG Essen, Az: 2 O 89/13

Urteil vom 06.07.2015

Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 2.732,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.09.2012 zu zahlen.

Darüber hinaus werden die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verurteilt, von den vorgerichtlichen Anwaltskosten 184,75 € an die R Rechtsschutzversicherung zur Schadennummer … zu zahlen und die Klägerin von der Zahlung der weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 150,00 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

auffahrunfallDie Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin zu 75 % und die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 25 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) tragen die Klägerin zu 50 % und die Beklagte zu 1) zu 50 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) tragen die Klägerin zu 50 % und die Beklagte zu 2) zu 50 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) und 4) trägt die Klägerin. Die Kosten der Nebenintervention tragen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 25 % und die Streithelferin zu 75 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin allerdings nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten und die Streithelferin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten und die Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 13.07.2012 im Kreuzungsbereich Friedrichstraße/Bismarckstraße in Essen ereignete.

Die Klägerin befuhr mit ihrem PKW Renault Clio, amtliches Kennzeichen …, die Friedrichstraße in Richtung Hohenzollernstraße. Als die Klägerin auf den Kreuzungsbereich zufuhr, hörte sie das Martinshorn eines herannahenden Einsatzfahrzeugs. Daraufhin bremste sie stark ab und brachte ihr Fahrzeug vor der Lichtzeichenanlage, die in diesem Moment Grünlicht anzeigte, zum Stehen. Das Einsatzfahrzeug passierte in schnellem Tempo die Bismarckstraße und bog links in die Friedrichstraße ein.

massenunfallIm Zuge des Bremsvorgangs der Klägerin kam es zu einer Kollision mit dem hinter ihr fahrenden PKW der Beklagten zu 1), einem Toyota Yaris mit dem amtlichen Kennzeichen …, welcher bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist.

Darüber hinaus kam es zu einem Zusammenstoß zwischen dem Fahrzeug der Beklagten zu 1) und dem unmittelbar hinter ihr fahrenden PKW der Streithelferin, einem Opel Astra mit dem amtlichen Kennzeichen …, welcher bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist.

Schließlich kam es auch zu einem Zusammenstoß zwischen dem Fahrzeug der Streithelferin und dem unmittelbar dahinter fahrenden PKW der Frau …, geborenen …, einem Ford Sierra mit dem amtlichen Kennzeichen …, der bei der Beklagten zu 4) haftpflichtversichert ist.

In welcher zeitlichen Reihenfolge sich die Kollisionen der vier beteiligten Unfallfahrzeuge ereigneten, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin ließ den an ihrem Fahrzeug entstandenen Schaden von der DEKRA begutachten, wofür ihr Kosten in Höhe von 595,81 € in Rechnung gestellt wurden (vgl. Rechnung der DEKRA vom 17.07.2012, Bl. 13 GA); die Klägerin erklärte gegenüber der DEKRA die Abtretung ihrer (vermeintlichen) Ansprüche auf Erstattung der angefallenen Sachverständigenkosten gegen den Schädiger.

Das Fahrzeug der Klägerin wurde in der Zeit vom 13.07.2012 bis 20.07.2012 durch das Autohaus … e. K. repariert, wofür der Klägerin ein Betrag von 4.079,42 € in Rechnung gestellt wurde (vgl. Rechnung des Autohauses … e. K. vom 21.07.2012, Bl. 14 ff. GA). Mit Vereinbarung vom 13.07.2012 (Bl. 17 GA) erklärte die Klägerin gegenüber dem Autohauses … e. K. die Abtretung der ihr aus dem Schadensereignis (vermeintlich) zustehenden Schadensersatzansprüche auf Erstattung der Reparaturkosten. Während der Reparaturzeit mietete die Klägerin bei der E Autovermietung Deutschland GmbH einen Chevrolet Modell Spark, wofür ihr ein Betrag in Höhe von 464,34 € in Rechnung gestellt wurde; die Klägerin erklärte gegenüber der E Autovermietung Deutschland GmbH die Abtretung ihrer (vermeintlichen) Ansprüche auf Erstattung der angefallenen Mietwagenkosten gegen den Schädiger.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.08.2012 (Bl. 19 f. GA) forderte die Klägerin die Beklagte zu 2) auf, die Einstandspflicht dem Grund nach anzuerkennen, was diese mit Schreiben vom 21.09.2012 (Bl. 21 GA) ablehnte. Daraufhin bat die Klägerin die Beklagte zu 3) mit anwaltlichem Schreiben vom 18.01.2013, ihre Einstandspflicht zu prüfen, die Beklagte zu 3) teilte mit Schreiben vom 31.01.2013 (Bl. 24 GA) mit, dass sie die Alleinverantwortlichkeit für das Unfallgeschehen bei der Beklagten zu 1) sehe.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin stellten dieser für ihr vorprozessuales Tätigwerden einen Betrag in Höhe von 546,59 € in Rechnung, von welchem die Rechtsschutzversicherung 396,69 € ausglich; die von der Klägerin zu zahlende Selbstbeteiligung in Höhe von 150,00 € steht noch aus. Mit Schreiben vom 14.02.2013 (Bl. 51 GA) ermächtigte die … Rechtsschutzversicherung die Klägerin zur Geltendmachung der außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft.

Die Klägerin behauptet, dass die Beklagte zu 1) auf ihr – der Klägerin – stehendes Fahrzeug aufgefahren sei. Auf das Fahrzeug der Beklagten zu 1) sei sodann die Streithelferin aufgefahren. Auf den PKW der Streithelferin sei schließlich das Fahrzeug der Frau … aufgefahren.

Die Klägerin meint, für den Fall, dass sich nicht aufklären lasse, in welcher zeitlichen Reihenfolge die vier beteiligten Fahrzeuge miteinander kollidiert seien, welches Fahrzeug also aufgefahren und welches möglicherweise nur aufgeschoben worden sei, ihr – der Klägerin – gem. § 830 BGB sämtliche Beklagte als Gesamtschuldner für den entstandenen Schaden einzustehen hätten.

Die Klägerin behauptet, dass ihr infolge des Unfallgeschehens ein Schaden in Höhe von insgesamt 5.464,57 € entstanden sei, der sich aus den tatsächlich angefallenen Reparaturkosten in Höhe von 4.079,42 €, einer merkantilen Wertminderung in Höhe von 300,00 €, Sachverständigenkosten in Höhe von 595,81 €, Mietwagenkosten in Höhe von 464,34 € und einer Unfallpauschale in Höhe von 25,00 € zusammensetze.

Ursprünglich hat die Klägerin beantragt, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an das Autohaus … 4.079,42 € nebst Zinsen, an sie – die Klägerin – einen Betrag in Höhe von 325,00 € nebst Zinsen, an die DEKRA einen Betrag von 595,81 € nebst Zinsen sowie an die E Autovermietung Deutschland GmbH einen Betrag in Höhe von 464,34 € zu zahlen; des Weiteren hat die Klägerin beantragt, von den vorgerichtlichen Anwaltskosten 396,69 € an die R Rechtsschutzversicherung zu zahlen sowie sie – die Klägerin – von der Zahlung weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 150,00 € freizustellen.

Die Klägerin hat der … und der … mit Schriftsatz vom 06.03.2013 den Streit verkündet; beide Streitverkündete sind dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten.

Das Autohaus … e. K. hat mit Schreiben vom 19.04.2013 die Rückabtretung der Ansprüche aus der Rechnung vom 21.07.2012 in Höhe von 4.079,42 € an die Klägerin erklärt. Die Kosten für die Begutachtung durch die DEKRA in Höhe von 595,81 € und die Mietwagenkosten in Höhe von 464,34 € hat die Klägerin in der Zwischenzeit selbst beglichen. Die Klägerin hat die Klage mit Schriftsatz vom 22.04.2013 (Bl. 48 f. GA) geändert und mit weiterem Schriftsatz vom 16.12.2014 (Bl. 250 ff. GA) auf die bis zu diesem Zeitpunkt lediglich als Streithelferin der Klägerin beteiligte … Versicherungs AG als nunmehrige Beklagte zu 3) sowie auf die Beklagte zu 4) erweitert.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

1. die Beklagten zu 1), 2), 3) und 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 5.464,47 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.09.2012 zu zahlen,

2. die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, von den vorgerichtlichen Anwaltskosten 396,69 € an die … Rechtsschutzversicherung zu Schadennummer … zu zahlen und sie von der Zahlung der weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 150,00 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten zu 1) und 2) behaupten, dass die Beklagte zu 1) aufgrund des scharfen Abbremsens der Klägerin ebenfalls eine Vollbremsung habe durchführen müssen. Während sie – die Beklagte zu 1) – sich noch im Bremsvorgang befunden habe, sei ihr die Streithelferin von hinten aufgefahren. Durch diesen Auffahrvorgang sei das Fahrzeug der Beklagten 1) seinerseits beschleunigt und auf das Fahrzeug der Klägerin aufgeschoben worden. Ohne den Anstoß von hinten wäre es nicht zu einem Zusammenstoß zwischen dem Fahrzeug der Klägerin und demjenigen der Beklagten zu 1) gekommen; jedenfalls wäre der Aufprall mit so geringer Geschwindigkeit erfolgt, dass lediglich ein zu vernachlässigender Bagatellschaden in Höhe von maximal 300,00 € (Beschädigung des Kennzeichens und allenfalls Lackkratzer) eingetreten wäre. Die entscheidende Unfallursache sei damit durch die Streithelferin gesetzt worden.

Die Beklagten zu 1) und 2) meinen, dass zu ihren Lasten allenfalls die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) Berücksichtigung finden könne, welche nicht höher zu bewerten sei, als die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs. Solange nicht feststellbar sei, welches der hinteren drei Fahrzeuge durch ein jeweiliges Auffahren die entscheidende Unfallursache gesetzt habe, sei von einer gesamtschuldnerischen Haftung sämtlicher Beklagter nach § 830 BGB auszugehen.

Die Beklagten zu 1) und 2) haben die von der Klägerin geltend gemachte Schadenshöhe zunächst bestritten. Hiervon haben sie allerdings in der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2013 Abstand genommen; die geltend gemachte Schadenshöhe ist von den Beklagten zu 1) und 2) unstreitig gestellt worden (vgl. Sitzungsprotokoll vom 22.08.2013, Bl. 106 GA).

Die Beklagte zu 3) behauptet, dass die Klägerin aufgrund des wahrgenommenen Einsatzsignals eine Vollbremsung vollführt habe. Auf diese Vollbremsung habe die Beklagte zu 1) nicht mehr rechtzeitig reagieren können, weshalb die Beklagte zu 1) auf das zum Stehen gekommene klägerische Fahrzeug aufgefahren sei. Erst im Weiteren sei es zu einer Folgekollision des Fahrzeugs ihrer Versicherungsnehmerin, der Streithelferin, und dem der Beklagten zu 1) gekommen. Die Beklagte zu 3) meint, dass die Vorschrift des § 830 BGB im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung gelange, weil es an einer gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung der Beteiligten fehle.

Die Beklagte zu 4) ist der Auffassung, die Klägerin könne sich nicht auf die Vorschrift des § 830 BGB berufen. Insoweit gebe es keine „Urheberzweifel“, da feststehe, dass der Schaden am Fahrzeug der Klägerin durch das Auffahren des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) verursacht worden sei; es sei lediglich unklar, wie es zum schadensbegründenden Auffahren des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) auf das Fahrzeug der Klägerin gekommen sei.

Die Beklagten zu 3) und 4) bestreiten die Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Schadens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie eines Ergänzungsgutachtens des Prof. K-H S. Darüber hinaus wurden die Klägerin, die Beklagte zu 1) sowie die Streithelferin informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten vom 28.08.2014 (Bl. 147 ff. GA) und 28.11.2014 (Bl. 220 ff. GA) sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften vom 22.08.2013 (Bl. 105 ff. GA) und 15.06.2015 (Bl. 326 f. GA) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage hat lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichem Umfang Erfolg. Die Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) ist teilweise begründet; die Klage gegen die Beklagten zu 3) und 4) ist dagegen unbegründet.

I.

Der Antrag zu 1) ist zulässig. Soweit die Klägerin ihren ursprünglichen Antrag mit Schriftsatz vom 22.04.2013 dahingehend neu gefasst hat, dass sie Zahlung der Sachverständigen- und Mietwagenkosten nunmehr an sich selbst verlangt, stellt diese Antragsanpassung eine gem. § 263 ZPO zulässige – weil sachdienliche – Klageänderung dar. Gleiches gilt für die mit Schriftsatz vom 16.12.2014 vorgenommene Klageerweiterung im Hinblick auf die Beklagten zu 3) und 4). Die Beklagten haben sich jedenfalls auf beide Klageänderungen rügelos eingelassen, § 267 ZPO.

Der Antrag zu 1) ist teilweise begründet, soweit er sich gegen die Beklagten zu 1) und 2) richtet (hierzu 1.); im Übrigen ist der Antrag unbegründet (hierzu 2.).

1.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 1) und 2) Anspruch auf Zahlung von 2.732,24 € aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 2, 18 Abs. 1 StVG, 249 ff. BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Das Fahrzeug der Klägerin wurde bei Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) beschädigt. Hierfür ist es unerheblich, dass – wie noch zu zeigen sein wird – nicht aufgeklärt werden kann, ob das Fahrzeug der Beklagten zu 1) auf den PKW der Klägerin aufgefahren ist oder lediglich aufgeschoben wurde. Für die Realisierung der Betriebsgefahr eines Fahrzeugs reicht es aus, wenn ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer Betriebseinrichtung besteht (vgl. BGH, Urt. v. 14.01.2014 – VI 314/30). Diese Voraussetzungen sind hier unzweifelhaft erfüllt.

Als Halterin und Fahrerin des PKW Toyota Yaris mit dem amtlichen Kennzeichen … ist die Beklagte zu 1) der Klägerin für den entstandenen Schaden aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 2, 18 Abs. 1 StVG, 249 ff. BGB einstandspflichtig; der Anspruch gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer ergibt sich aus § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

a)

Da das Unfallgeschehen weder für die Beklagte zu 1) noch für die Klägerin auf höhere Gewalt i. S. d. § 7 Abs. 2 StVG zurückzuführen ist, sind sich die Halter der unfallbeteiligten Fahrzeuge wechselseitig zum Schadensersatz verpflichtet.

aa)

Die Verpflichtung zum Ersatz und der Umfang des zu leistenden Ersatzes im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander hängt nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einem oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Eine solche Haftungsabwägung ist vorliegend geboten, da eine Unabwendbarkeit des Unfallereignisses i. S. d. § 17 Abs. 3 S. 1 StVG weder auf Kläger- noch auf Beklagtenseite anzunehmen ist. Ein Unfallereignis gilt nur dann als unabwendbar, wenn es auch bei Beachtung der äußerst möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann, § 17 Abs. 3 S. 2 StVG. Hierzu gehört ein am Maßstab des Idealfahrers orientiertes, geistesgegenwärtiges Handeln, welches alle möglichen Gefahrenmomente berücksichtigt, wobei es nicht nur darauf ankommt, wie ein Idealfahrer in der konkreten Situation reagiert hätte, sondern auch darauf, ob ein Idealfahrer überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (vgl. BGH, Urt. v. 17.03.1992, Az. VI ZR 62/91, NJW 1992, 1684, 1685). Die Darlegungs- und Beweislast für die Unabwendbarkeit des Unfallereignisses liegt grundsätzlich bei demjenigen, der sich zu seinen Gunsten darauf beruft.

(1) Dass das Unfallgeschehen für die Klägerin ein unabwendbares Ereignis i. S. d. § 17 Abs. 3 StVG dargestellt hat, vermochte das Gericht nicht mit der nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Gewissheit, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, festzustellen. Dafür, dass ein Idealfahrer bei geistesgegenwärtiger Reaktion einen ebenso starken Bremsvorgang eingeleitet hätte, wie es die Klägerin getan hat, bestehen bereits keine objektiven Anhaltspunkte. In diesem Zusammenhang kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass ein alle Gefahrenmomente berücksichtigender Idealfahrer seine Geschwindigkeit nach dem erstmaligen Wahrnehmen des Einsatzsignals nicht abrupt, sondern nur allmählich reduziert hätte. Anknüpfungstatsachen, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass ein Idealfahrer in der Situation der Klägerin ebenfalls eine Vollbremsung vollzogen hätte, sind weder vorgetragen noch aus den sonstigen Umständen des Falles ersichtlich. Daher kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Unfallgeschehen im Falle eines weniger starken Abbremsens durch die Klägerin vermieden worden wäre.

(2) Ebenso wenig kann angenommen werden, dass das Unfallgeschehen für die Beklagte zu 1) ein unabwendbares Ereignis darstellt. Eine Unabwendbarkeit wäre anzunehmen, wenn die Beklagte zu 1) nicht selbst auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren, sondern durch einen Zusammenstoß mit der Streithelferin aufgeschoben worden wäre. Dass die Beklagte zu 1) lediglich auf das Fahrzeug der Klägerin aufgeschoben wurde, konnte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht mit der nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Gewissheit festgestellt werden.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, denen sich das Gericht in vollem Umfang anschließt, lässt sich sowohl ein Unfallablauf darstellen, bei welchem zunächst das Fahrzeug der Beklagten zu 1) auf das Heck des stehenden Fahrzeugs der Klägerin aufgefahren ist und anschließend durch ein Auffahren des Fahrzeugs der Streithelferin nochmals mit geringer Geschwindigkeit gegen das klägerische Heck gestoßen wurde. Alternativ ist aber auch ein Ablauf möglich, bei welchem zunächst das Fahrzeug der Streithelferin auf das Fahrzeug der Beklagten zu 1) auffuhr und dieses sodann auf das Heck des klägerischen PKW aufschob. Darüber hinaus ist es möglich, dass zunächst das Fahrzeug der Frau …, welches bei der Beklagten zu 4) haftpflichtversichert ist, auf das Fahrzeug der Streithelferin, welches bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist, auffuhr und dieses sodann auf den bereits stehenden PKW der Beklagten zu 1) aufschob, wodurch dieser seinerseits auf das klägerische Fahrzeug aufgeschoben wurde. Die Ausführungen des Sachverständigen, die von den Parteien zu keinem Zeitpunkt angegriffen wurden, sind in sich schlüssig und nachvollziehbar. Der Sachverständige ist von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen. Er hat den Unfallablauf anhand der Anstoßkonfigurationen und der ermittelten Relativgeschwindigkeiten rekonstruiert und das gewonnene Ergebnis detailliert begründet und eingehend erläutert. An der Sachkunde des Gutachters bestehen keinerlei Zweifel; als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für KFZ-Technik und Straßenverkehrsunfälle sowie Unfälle mit mechanisch technischem Gerät ist er für die vorliegende Begutachtung besonders qualifiziert.

Auch die informatorischen Anhörungen der Klägerin, der Beklagten zu 1) sowie der Streithelferin konnten zu keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung beitragen. Die Klägerin konnte bereits keine Angaben zur zeitlichen Abfolge der Kollisionen machen; sie hat lediglich angegeben, mindestens zwei Anstöße verspürt zu haben. Auch die Beklagte zu 1) hat bekundet, dass es zwei Anstöße gegeben habe. Sie könne aber nicht mehr sagen, ob sie vorher noch zum Stehen gekommen und dann auf das Fahrzeug der Klägerin aufgeschoben worden sei. Die Streithelferin hat ebenfalls ausgesagt, keine Angaben dazu machen zu können, ob die Beklagte zu 1) selbst auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren sei; es sei alles zu schnell gegangen.

Soweit sich die Beklagten zu 1) und 2) auf das Zeugnis der Frau … berufen haben, war diesem Beweisangebot nicht nachzugehen. Frau … wurde zum Beweis der Tatsache benannt, dass sie ihrerseits auf das Fahrzeug der Streithelferin aufgefahren sei, was zu einem zweiten Anstoß geführt habe. Für die Frage, ob das Unfallgeschehen für die Beklagte zu 1) ein unabwendbares Ereignis darstellt, ist es jedoch unerheblich, ob Frau … auf das Fahrzeug der Streithelferin aufgefahren ist oder nicht. Eine Unabwendbarkeit i. S. d. § 17 Abs. 3 StVG könnte nur dann angenommen werden, wenn feststünde, dass das Fahrzeug der Beklagten zu 1) durch die Kollision mit dem PKW der Streithelferin auf das klägerische Fahrzeug aufgeschoben worden wäre. Ob ein solches Aufschieben darauf zurückzuführen ist, dass die Streithelferin ihrerseits auf das Fahrzeug der Beklagten zu 1) aufgefahren ist oder durch einen Anstoß des von Frau … gesteuerten Fahrzeugs auf den PKW der Beklagten zu 1) aufgeschoben wurde, ist für die Frage der Unabwendbarkeit ohne Bedeutung. Da nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen sich das Gericht in vollem Umfang anschließt, bereits nicht festgestellt werden konnte, dass die Beklagte zu 1) durch die Streithelferin auf das klägerische Fahrzeug aufgeschoben wurde, war der Frage, ob die Streithelferin ihrerseits auf die Beklagte zu 1) aufgefahren ist oder durch ein Auffahren der Frau … aufgeschoben wurde, nicht weiter nachzugehen.

Da der konkrete Unfallablauf nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht aufgeklärt werden konnte, ist den Beklagten zu 1) und 2) der von ihnen zu führende Nachweis, dass das Unfallgeschehen für die Beklagte zu 1) ein unabwendbares Ereignis i. S. d. § 17 Abs. 3 StVG darstellte, nicht gelungen.

bb)

Im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge hält das Gericht eine Haftungsverteilung von 50:50 für angemessen.

In die Abwägung sind alle diejenigen unstreitigen oder erwiesenen Faktoren einzubeziehen, die unfallursächlich geworden sind, sich also im Unfallgeschehen niedergeschlagen haben (vgl. BGH, Urt. v. 21.11.2006, Az. VI ZR 115/05). Zulasten der Klägerin und der Beklagten zu 1) waren insoweit lediglich die von ihren Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren zu berücksichtigen. Ein die Betriebsgefahr der Unfallfahrzeuge erhöhendes Verschulden der Klägerin oder Beklagten zu 1) konnte das Gericht nicht feststellen. Da die Betriebsgefahren der beiden Fahrzeuge gleich zu bewerten sind, ergibt sich eine Haftungsquote von 50:50.

(1) Ein die Betriebsgefahr erhöhendes Verschulden der Klägerin ist nicht gegeben. Dass die Klägerin ihr Fahrzeug stark abgebremst hat, begründet im vorliegenden Fall keinen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO. Nach dieser Vorschrift ist ein starkes Abbremsen eines Vorausfahrenden lediglich dann untersagt, wenn es an einem zwingenden Grund für die Bremsverzögerung fehlt. Ein solcher wichtiger Grund war vorliegend jedoch gegeben, weil sich unstreitig ein Wegerechtsfahrzeug näherte. Sobald ein Verkehrsteilnehmer ein Einsatzhorn hört, darf er, um dem Gebot des § 38 StVO entsprechen zu können, in einen Kreuzungsbereich nur einfahren, wenn er zuvor abgeklärt hat, dass das Wegerechtsfahrzeug von dort nicht kommen kann. Ein starkes Abbremsen ist in dieser Situation daher als „zwingender Grund“ i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 2 StVO anzusehen (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 04.06.1998 – 6 U 150/97).

(2) Ein die Betriebsgefahr erhöhendes Verschulden der Beklagten zu 1) konnte jedenfalls nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit (§ 286 Abs. 1 ZPO) festgestellt werden. Im Rahmen des § 17 Abs. 1 StVG hat jeder beteiligte Fahrzeughalter die für den Grad des Verschuldens des anderen Teils maßgeblichen Umstände darzulegen und zu beweisen (vgl. BGH, VersR 1966, 164; 1967, 132). Vorliegend ist der Klägerin der Nachweis eines Verschuldens der Beklagten zu 1) nicht gelungen.

Zugunsten der Kläger streitet insbesondere kein Anscheinsbeweis. Zwar spricht bei Auffahrunfällen grundsätzlich ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Auffahrenden, weil dieser entweder unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO einen zu geringen Sicherheitsabstand eingehalten hat oder entgegen § 1 Abs. 1 StVO unaufmerksam war bzw. zu spät reagiert hat (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 24.03.2010 – 13 U 125/09). Bei Kettenauffahrunfällen gilt dieser Anscheinsbeweis jedoch nicht für die innerhalb der Kette befindlichen Kraftfahrer, weil häufig nicht feststellbar ist, wer auf wen aufgefahren ist und wer wen aufgeschoben hat (vgl. OLG Hamm, a. a. O.). So liegt der Fall hier, da die Beklagte zu 1) das zweite von insgesamt vier Gliedern in der Kette war.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann weder ein Verstoß der Beklagten gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO noch gegen § 1 Abs. 1 StVO mit der für eine Verurteilung erforderlichen Gewissheit festgestellt werden. Nach den überzeugenden und in sich schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen ist es möglich, dass der PKW der Beklagten zu 1) zunächst zum Stehen kam und erst durch ein Auffahren der Streithelferin bzw. ein Auffahren der Frau … auf das Fahrzeug der Streithelferin auf das klägerische Heck aufgeschoben wurde. Die Ausführungen des Sachverständigen, welche von den Parteien zu keinem Zeitpunkt angegriffen wurden, sind detailliert begründet und für das Gericht durchweg nachvollziehbar; an der Sachkunde des Gutachters bestehen – wie bereits aufgezeigt – keinerlei Zweifel.

b)

Aufgrund der hälftigen Haftungsquote steht der Klägerin gegen die Beklagten zu 1) und 2) ein Anspruch auf Zahlung von 2.732,29 € zu.

Der Klägerin ist infolge des Unfallgeschehens ein Schaden in Höhe von 5.464,57 € entstanden. Dieser Betrag setzt sich aus den tatsächlich angefallenen Reparaturkosten in Höhe von 4.079,42 €, einer merkantilen Wertminderung in Höhe von 300,00 €, Sachverständigenkosten in Höhe von 595,81 €, Mietwagenkosten in Höhe von 464,34 € und einer Auslagenpauschale in Höhe von 25,00 € zusammen. Da die Beklagten zu 1) und 2) die Höhe des von der Klägerin mit 5.464,57 € bezifferten Schadens in der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2013 unstreitig gestellt haben, bedurfte es insoweit keiner weiteren Beweisaufnahme.

aa)

Die Beklagten zu 1) und 2) haben die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten in hälftiger Höhe zu ersetzen. Gegen die Aktivlegitimation der Klägerin bestehen insoweit keine Bedenken. Das Autohaus Günter Körber e. K. hat mit Schreiben vom 19.04.2013 die Rückabtretung des Anspruchs auf Ersatz der angefallenen Reparaturkosten aus der Rechnung vom 21.07.2012 an die Klägerin erklärt; im Übrigen wurde die Aktivlegitimation der Klägerin von den Beklagten zu 1) und 2) nie in Abrede gestellt.

Die Beklagten zu 1) und 2) können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der größere Teil der Reparaturkosten auf Beschädigungen entfiele, die erst durch einen zweiten, von ihnen nicht zu verantwortenden Anstoß verursacht worden seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass die in der Rechnung des Autohauses … e. K. ausgewiesenen Reparaturkosten bereits durch den ersten zwischen dem PKW der Klägerin und dem Fahrzeug der Beklagten zu 1) stattgefundenen Anstoß veranlasst wurden.

Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass in der Unfallkonstellation, in welcher die Beklagte zu 1) zunächst auf das klägerische Heck aufgefahren ist und es infolge eines sich anschließenden Aufschiebens zu einem zweiten Anstoß gekommen ist, der zweite Anstoß zu keiner signifikanten Schadenserweiterung geführt hat. Der Gutachter hat detailliert dargelegt, dass die Relativgeschwindigkeit des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) in dieser Unfallkonstellation im Rahmen des ersten Zusammenstoßes 16 bis 21 km/h betragen habe und damit deutlich höher gewesen sei als beim zweiten Anstoß, bei welchem allenfalls eine Relativgeschwindigkeit von 8 km/h vorgelegen habe. Daraus folge, dass der Hauptteil der Schäden am Heck des klägerischen PKW beim ersten Anstoß des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) entstanden sei. Das Gericht schließt sich den durchweg nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, die von den Parteien nicht angegriffen wurden, in vollem Umfang an. Der Sachverständige hat die getroffenen Feststellungen detailliert begründet und in sich schlüssig dargestellt; Zweifel an seiner Sachkunde bestehen nicht.

bb)

Die angefallenen Mietwagenkosten sind von den Beklagten zu 1) und 2) ebenfalls in hälftiger Höhe zu ersetzen. Ein weiterer Abzug im Wege der Vorteilsausgleichung ist nicht vorzunehmen. Mietet der Geschädigte ein einfacheres Fahrzeug, dessen Miete 10 % geringer ist als die Miete eines gleichwertigen PKW, entfällt der sonst vorzunehmende Abzug für ersparte Eigenaufwendungen, da ein solcher der Billigkeit widersprechen und den Schädiger unbillig entlasten würde (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl. 2015, § 249 Rn. 36). So liegt der Fall hier. Der von der Klägerin angemietete Chevrolet Spark liegt mindestens eine Klasse unter dem beschädigten Renault Clio (§ 287 ZPO). Ausweislich der E-Mail der E Autovermietung Deutschland GmbH vom 17.02.2015 (Bl. 296 GA) hat die Klägerin die Rechnung für die Nutzung des Mietwagens selbst ausgeglichen, so dass gegen die Aktivlegitimation der Klägerin, die von den Beklagten zu 1) und 2) ohnehin nicht in Abrede gestellt wurde, keine Bedenken bestehen.

cc)

Die angefallenen Sachverständigenkosten und die von der Klägerin geltend gemachte Auslagenpauschale sind ebenfalls entsprechend der Haftungsquote zu erstatten. Hinsichtlich der Aktivlegitimation der Klägerin in Bezug auf die beanspruchten Sachverständigenkosten gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Die DEKRA Automobil GmbH hat mit E-Mail vom 11.02.2015 (Bl. 295 GA) angezeigt, dass die Klägerin die Rechnung über 595,81 € vollständig ausgeglichen hat; dies wurde von den Beklagten zu 1) und 2) nicht in Zweifel gezogen.

c)

Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagten zu 1) und 2) befinden sich seit dem 22.09.2012 in Verzug, da im Schreiben der Beklagten zu 2) vom 21.09.2012 (Bl. 21 GA) eine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung zu sehen ist.

2.

Soweit sich der Antrag zu 1) gegen die Beklagten zu 3) und 4) richtet, ist die Klage unbegründet.

a)

Der Klägerin steht gegen die Beklagten zu 3) und 4) kein Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG zu, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden konnte, dass sich die Betriebsgefahren der bei den Beklagten zu 3) und 4) haftpflichtversicherten Fahrzeuge realisiert haben.

Eine Ursächlichkeit des Betriebs der bei den Beklagten zu 3) und 4) haftpflichtversicherten Fahrzeuge könnte lediglich dann angenommen werden, wenn feststünde, dass der Zusammenstoß zwischen dem klägerischen Fahrzeug und demjenigen der Beklagten zu 1) auf einen Verursachungsbeitrag der bei den Beklagten zu 3) und 4) versicherten PKW zurückzuführen wäre. Dass die schadensursächliche Kollision zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Fahrzeug der Beklagten zu 1) auf die Betriebsgefahr der letzten beiden Glieder in der Kette zurückzuführen ist, konnte jedoch nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Zwar hat der Sachverständige ausgeführt, dass es möglich sei, dass das Fahrzeug der Beklagten zu 1) zunächst zum Stehen gekommen und erst durch ein Auffahren der hinteren beiden Fahrzeuge auf das Heck der Klägerin aufgeschoben worden sei; gleichzeitig sei es aber auch möglich, dass die Beklagte zu 1) unmittelbar auf das Fahrzeug der Klägerin aufgefahren sei. Die Unaufklärbarkeit des Unfallgeschehens geht hier zulasten der Klägerin, die die Beweislast für die Realisierung der Betriebsgefahren der bei den Beklagten zu 3) und 4) haftpflichtversicherten Fahrzeuge trägt.

Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausginge, dass sich die Betriebsgefahren im Zusammenhang mit einem zweiten Anstoß realisiert hätten, würde es jedenfalls an der haftungsausfüllenden Kausalität fehlen, da der Schaden nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen im Rahmen der Erstkollision mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 1) verursacht wurde und der zweite Anstoß zu keiner Schadensvertiefung geführt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

b)

Auch eine gesamtschuldnerische Haftung sämtlicher Beklagter nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB kommt – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht in Betracht. Eine gesamtschuldnerische Haftung sämtlicher Beteiligter nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB setzt voraus, dass diese unabhängig voneinander eine gefährliche Handlung begangen haben, wobei feststeht, dass der Schaden von einem der Beteiligten verursacht wurde, jedoch ungewiss ist, von welchem. Steht einer der Beteiligten dagegen als Verantwortlicher für den entstandenen Schaden fest, haften die anderen, die ihn nur möglicherweise (mit-)verursacht haben, nicht nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB; die bloße Ungewissheit, ob zusätzlich ein weiterer Beteiligter für den entstandenen Schaden verantwortlich ist, reicht für die Anwendbarkeit des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB nicht aus v(vgl. Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl. 2015, § 830 Rn. 8).

Vorliegend steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte zu 1) für den entstandenen Schaden verantwortlich ist, weil dieser jedenfalls durch den Betrieb ihres Kraftfahrzeugs verursacht wurde. Dass durch einen eventuellen zweiten Anstoß eine Schadensvertiefung stattgefunden hätte, kann aufgrund der in sich schlüssigen Feststellungen des Sachverständigen ausgeschlossen werden. Zur Vermeidung von Wiederholung wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Tatbestandsmerkmal des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB ist es aber gerade, dass mehrere eine zur Herbeiführung des Schadens geeignete Gefahr in rechtlich zurechenbarer Weise gesetzt haben, dass der Schaden mit Sicherheit entweder durch den einen oder den anderen (möglicherweise auch durch beide) verursacht worden ist („alternative Kausalität“), und dass der Geschädigte ohne die Vorschrift nur deshalb ersatzlos bleiben müsste, weil er wegen der Möglichkeit der Schadensverursachung durch den (oder einen der) anderen „Beteiligten“ die Verursachung durch den jeweils in Anspruch Genommenen nicht sicher nachweisen kann (vgl. BGH, Urt. v. 22.06.1976 – VI ZR 100/75, NJW 1976, 1934, 1935). Er müsste also ersatzlos bleiben, obwohl er mit Sicherheit entweder gegen den einen oder einen anderen „Beteiligten“ einen Anspruch hat. Das erscheint deshalb unbillig, weil jeder der „Beteiligten“ eine Gefährdung rechtlich zu verantworten hat und es im Zweifel nicht sein Verdienst ist, wenn nicht seine eigene, sondern eine fremde Gefährdungshandlung ursächlich geworden sein sollte. Für diesen Fall einer echten Alternativhaftung hat sich das Gesetz zugunsten des Geschädigten für eine Gesamthaftung der je einzeln für ihre Gefährdungshandlung verantwortlichen Beteiligten entschieden (vgl. BGH, a. a. O.). Diese Voraussetzung der alternativen Kausalität ist aber dort nicht gegeben, wo festgestellt werden kann, dass dem Geschädigten auf jeden Fall einer von denen, die ihn gefährdet haben, haftet, so dass er auch nicht als „Beteiligter“ im Sinne der Vorschrift bezeichnet werden kann (vgl. BGH, a. a. O.). So liegt der Fall hier. Die Haftung der Beklagten zu 1) und 2) steht – entsprechend der obigen Ausführungen – positiv fest, weshalb sie der Klägerin für den entstandenen Schaden in jedem Fall einstandspflichtig sind; in einem solchen Fall ist für die Anwendbarkeit des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB kein Raum (vgl. insoweit auch Greger, Aufgeschoben ist nicht aufgefahren – Haftungsfragen beim Serienunfall, NZV 1989, 58 ff.).

II.

Der Antrag zu 2) ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichem Umfang begründet.

1.

Die Klägerin ist zur Geltendmachung der außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft berechtigt, da sie die Roland Rechtsschutzversicherung mit Schreiben vom 14.02.2013 (Bl. 51 f. GA) hierzu ausdrücklich ermächtigt hat, die Klägerin ein schutzwürdiges Interesse an der Prozessführung im eigenen Namen hat und die Belange der Beklagten zu 1) und 2) hierdurch nicht beeinträchtigt werden.

2.

Der Anspruch auf Erstattung der vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten ergibt sich ebenfalls aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 2, 18 Abs. 1 StVG, 249 ff. BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Die vorprozessual entstandenen Rechtsanwaltsgebühren stellen einen erstattungsfähigen Schaden dar, weil es sich hierbei um notwendige Kosten der Rechtsverfolgung handelt. Die Höhe des Erstattungsanspruchs ist auf Grundlage des Gegenstandswerts der berechtigten Schadensersatzforderung zu ermitteln (BGH, Urt. v. 07.11.2007, Az. VIII ZR 341/06, NJW 2008, 1888 f.)

Für die Durchsetzung und Geltendmachung der begründeten Klageforderung in Höhe von 2.732,29 € sind vorprozessuale Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 € entstanden. Dieser Betrag setzt sich aus einer 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 261,30 € (Nr. 2300 VV RVG), einer Kostenpauschale für Post und Telekommunikation in Höhe von 20,00 € (Nr. 7002 VV RVG) sowie 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) zusammen.

Da die Klägerin eine Selbstbeteiligung in Höhe von 150,00 € zu tragen hat, ist sie in dieser Höhe von der Gebührenforderung ihrer Prozessbevollmächtigten freizustellen. Der Differenzbetrag in Höhe von 184,75 € ist unmittelbar an die Rechtsschutzversicherung zu leisten, auf welche der Erstattungsanspruch der Klägerin gem. § 86 Abs. 1 VVG nach erfolgtem Ausgleich der Gebührenforderung übergegangen ist.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1, 100 Abs. 1 und Abs. 4, 101 Abs. 1 ZPO i. V. m. den Grundsätzen über die sog. Baumbach’sche Formel. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich für die Klägerin nach § 709 S. 1 und S. 2 ZPO und für die Beklagten sowie die Streithelferin nach § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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