AG Lübeck – Az.: 28 C 2456/16 – Urteil vom 07.02.2017
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Berufung gegen das Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um restliche Ansprüche nach einem Verkehrsunfall vom 28.04.2016, der sich in L.-T. ereignet hatte und bei dem ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug den Pkw Nissan Almera der Klägerin mit dem amtlichen Kennzeichen OH-OW … beschädigt hatte. Aufgrund des von der Klägerin in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten des Ingenieurbüros N. und Partner vom 09.05.2016 (Anlage K 1, Bl. 5-18) ist unstreitig, dass der Wiederbeschaffungswert dieses Fahrzeuges bei 3.000,00 EURO liegt. Unstreitig ist weiter, dass angesichts der prognostizierten Bruttoreparaturkosten ein wirtschaftlicher Totalschaden vorliegt. Die Parteien streiten allerdings über die Höhe des Restwertes. Die Beklagte hat, ausgehend von einem von ihr zugrunde gelegten Restwert von 1.009,00 EURO, an die Klägerin 1.991,00 EURO ausgezahlt. Die Klägerin ist der Ansicht, der Restwert betrage lediglich 750,00 EURO. Sie stützt sich hierbei auf das genannte Gutachten. Sie verlangt mithin 2.250,00 EURO, auf die die bereits gezahlten 1.991,00 EURO anzurechnen seien. Mit der Klage macht sie die noch offene Differenz geltend und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 259,00 EURO nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.09.2016 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass der Restwert, wie von ihr zugrunde gelegt, 1.009,00 EURO betrage und beruft sich hierbei auf ein über die Internetplattform cartv.eu eingeholtes Restwertangebot der Firma NRW Autoplanet.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Bei einem wirtschaftlichen Totalschaden kann der Geschädigte vom Schädiger – oder hier eben von der Versicherung – den Betrag verlangen, der für die Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Gegenstandes erforderlich ist, dies abzüglich des Wertes, den die geschädigte Sache noch hat. Durch diese Entschädigung soll der Geschädigte so gestellt werden, als wenn der Schaden nicht eingetreten wäre. Er soll weder einen Vermögensverlust erleiden, noch einen Vermögensgewinn erzielen, BGHZ 154, 395, 398. Angesichts dessen, dass das Eigentum an der geschädigten Sache nicht im Austausch gegen die Schadensersatzverpflichtung an den Schädiger fällt, sondern der Geschädigte selbst das Eigentum an der geschädigten Sache behält, kann er sich aussuchen, ob er dieses, sein Eigentum weiter nutzt, oder veräußert, oder auch gar nichts damit macht. Er ist damit also Herr des Substitutionsgeschehens. Angesichts dessen kommt es aber auf die Frage an, wie der Wert der geschädigten Sache zu ermitteln ist. Entgegen Der Bundesgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass für die Ermittlung des Wertes der regionale Markt der Bezugspunkt ist , und nicht der Markt für verunfallte Fahrzeuge, so zuletzt im Urteil vom 27.09.2016 (VI ZR 673/15).
Gegen diese Ansicht spricht schon, dass der Wert eines Gegenstandes sich danach bemisst, was für ihn zu einer konkreten Zeit an einem konkreten Ort erzielt werden kann. Der Ort ist aber im Zuge des technischen Fortschritts nicht mehr nur der Wohnort des Kfz-Halters oder das sogenannte nicht näher bestimmte regionale Umfeld, sondern der Ort, an dem mit Gegenständen der fraglichen Art Handel getrieben wird. Das ist im Zuge des Internet-Gebrauchtwagenhandels mittlerweile der durch Internetportale vermittelte virtuelle Marktplatz. Der vorrangige Grund für die Annahme, bei der Ermittlung des Restwertes sei grundsätzlich entscheidend auf den regionalen Markt abzustellen, war für den Bundesgerichtshof ausweislich des letzten Urteils die Überlegung, dass es einem Geschädigten möglich sein muss, das Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb eines Ersatzwagens in Zahlung zu geben. Vorliegend beabsichtigt die Klägerin solches gar nicht, so dass diese Gründe für die Einschränkung des Markplatzes wegfallen. Auch ist angesichts der durch den internetbasierten Gebrauchtwagenhandel eingetretenen Entwicklung nicht zu verkennen, dass sich der Gebrauchtwagenverkauf und der Gebrauchtwagenankauf deutlich entkoppelt haben, da auch der mit dem Autohandel nicht vertraute Endkunde, hier die Geschädigte, durch Nutzung von Internetplattformen ohne größere Spezialkenntnisse, ohne nennenswerten Zeitaufwand, der über das Abtelefonieren von Werkstätten und Händlern in der Umgebung hinausginge, in der Lage sind, einen sehr großen potentiellen Käuferkreis anzusprechen. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass hierdurch nicht nur der Kreis der Nachfrager von Gebraucht- und Unfallwagen größer ist, sondern auch der Kreis der Anbieter. Die höhere Markttransparenz auf beiden Seiten führt aber zu Angeboten, die eher geeignet sind, den wahren Wert abzubilden als die übliche, den Vorgaben des Bundesgerichtshof folgende Abfrage bei 3 regionalen Händlern, die der vom Geschädigten eingeschaltete Sachverständige kennt.
Das Bedürfnis des Geschädigten, nur mit angesehenen Händlern des regionalen Umfeldes oder gar seiner ihm bekannten Werkstatt Verträge abzuschließen, ist beim Ankauf eines Gebrauchtfahrzeuges nachvollziehbar, da der Geschädigte zu Recht wissen will, wem gegenüber er etwaige Gewährleistungsansprüche geltend machen kann. Dieses Bedürfnis besteht beim umgekehrten Verkauf eines gebrauchten oder verunfallten Fahrzeuges von privat an Händler nicht, da hier ein Gewährleistungsausschluss die Regel und unschwer zu vereinbaren ist. Beim internetbasierten Gebraucht- oder Unfallwagenkauf besteht allenfalls die Gefahr, dass der durch das Restwertportal gefundene Käufer sich an sein bindendes Angebot doch nicht halten will. Es haben sich bei einer Internetrecherche zu dieser Frage aber keine Hinweise darauf ergeben, dass beispielsweise die über cartv.eu ermittelten verbindlichen Ankaufangebote von den Anbietern nicht eingehalten werden.
Der Geschädigten wäre die Ermittlung eines Restwertes für ihr Fahrzeug durch Internetrecherche ohne Probleme möglich gewesen. Sie hat sich zur Ermittlung des Schadens ohnehin auf Kosten der Beklagten eines Sachverständigen bedient. Dieser hätte ohne weitere Mühewaltung auch internetbasierte Angebote einholen können. Die Frage, dass er dies aufgrund der gefestigten Rechtsprechung im Verhältnis zur Klägerin nicht hätte tun müssen, ist eine andere Frage, die mit der Frage des Wertes der verunfallten Sache und des Rechercheaufwandes nichts zu tun hat.
Schließlich hat auch der Bundesgerichtshof selbst kürzlich anerkannt, dass wenn ein Geschädigter durch eigene Internetrecherche einen höheren Verkaufserlös ermittelt, als dem vom Sachverständigen ermittelten regionalen Wert entspricht, er den Mehrerlös nicht einfach behalten darf, da der Aufwand für die Internetrecherche gering ist, mithin nicht überobligatorisch, Urteil vom 7.12.2004, VI ZR 119/04.
Da das Gericht von der gefestigten BGH-Rechtsprechung abweicht, ist die Berufung zugelassen worden.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.