Verkehrsunfall: Geschädigter erhält Erstattung für Reparaturkosten und Mietwagen
Das Gericht hat der Klage des Unfallopfers teilweise stattgegeben. Es erkennt einen Anspruch auf Ersatz von Reparaturkosten und Mietwagenkosten, wobei das sogenannte Werkstatt- und Prognoserisiko berücksichtigt wird. Der Geschädigte erhält einen Teilbetrag seiner Forderungen, und die Kosten des Rechtsstreits werden zwischen Kläger und Beklagter aufgeteilt.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Zentrale Punkte aus dem Urteil:
- Anerkennung des Schadensanspruchs: Der Kläger erhält 670,01 € Schadensersatz.
- Kostenaufteilung: Der Kläger trägt 17%, die Beklagte 83% der Gerichtskosten.
- Werkstatt- und Prognoserisiko: Zusätzliche Reparaturkosten aufgrund von Werkstattfehlern sind vom Schädiger zu tragen.
- Kein Auswahlverschulden: Der Kläger trifft keine Schuld bei der Auswahl der Reparaturwerkstatt.
- Mietwagenkosten: Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 140,39 €.
- Berechnung der Mietwagenkosten: Diese erfolgt anhand eines Mittelwertes aus verschiedenen Tabellen.
- Keine Erstattung für Navigationsgeräte: Fahrzeuge der entsprechenden Klasse sind standardmäßig damit ausgestattet.
- Vorläufige Vollstreckbarkeit: Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, und die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden.
Übersicht
Rechtliche Herausforderungen bei Verkehrsunfällen: Werkstatt- und Prognoserisiko
In der Auseinandersetzung mit Verkehrsunfällen und deren rechtlichen Folgen stößt man häufig auf das Thema des Werkstatt- und Prognoserisikos. Dieses Konzept spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung von Schäden nach einem Unfall. Es geht hierbei um die Frage, inwieweit ein Geschädigter für die Entscheidungen haftet, die er im Rahmen der Schadensbehebung trifft – insbesondere bei der Auswahl der Reparaturwerkstatt und der Schätzung des Schadenumfangs.
Die rechtliche Bewertung solcher Fälle basiert auf verschiedenen Gesetzesgrundlagen wie dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) und dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), die den Rahmen für die Schadensersatzansprüche und die damit verbundenen Pflichten des Geschädigten definieren. Gerade inder Praxis von Verkehrsrecht und Versicherungsrecht sind diese Aspekte von hoher Relevanz. Sie beeinflussen nicht nur die Kostenentscheidungen in einem Rechtsstreit, sondern auch die allgemeine Handhabung von Reparaturkosten, Mietwagenkosten und Nutzungsausfallentschädigungen nach einem Unfall.
Der Verkehrsunfall und seine Folgen: Eine rechtliche Betrachtung
Am 28. September 2022 kam es zu einem Verkehrsunfall, der den Kläger und die bei der Beklagten versicherte Partei involvierte. Der Unfallhergang selbst wurde zwischen den Parteien nicht bestritten. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Frage der angemessenen Schadensregulierung. Der Kläger ließ seinen Pkw, ein Fahrzeug der Klasse 6, auf Basis eines eingeholten Gutachtens reparieren und beanspruchte in der Reparaturzeit einen Mietwagen der Klasse 5 für fünf Tage.
Schadensregulierung und Werkstattrisiko
Die Beklagte leistete Zahlungen für die Reparaturkosten und Mietwagenkosten, allerdings verblieben Differenzen. Es entstand eine Differenz von 491,62 € bei den Reparaturkosten und 278,37 € bei den Mietwagenkosten, zuzüglich einer Forderung von 38,00 € für Nutzungsausfall am Tag der Begutachtung des Fahrzeugs. Der Kläger forderte ursprünglich insgesamt 807,99 €, begründet durch die nicht vollständig gedeckten Kosten. Die Beklagte wies diese Forderung zurück, woraufhin der Fall vor Gericht gebracht wurde.
Entscheidung des AG Braunschweig
Das Amtsgericht Braunschweig entschied am 13. Oktober 2023, dass der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 670,01 € hat. Diese Entscheidung stützt sich auf verschiedene rechtliche Grundlagen, darunter §§ 7, 17 StVG, 249 ff. BGB, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG und 1 PflVG. Interessant ist hierbei die Berücksichtigung des sogenannten Werkstattrisikos, wonach dem Kläger auch Mehrkosten zu ersetzen sind, die durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstanden sind, sofern diese Kosten nicht unangemessen hoch sind und kein Auswahlverschulden des Klägers bezüglich der Werkstatt vorliegt.
Mietwagenkosten und Nutzungsausfall
Bezüglich der Mietwagenkosten wurde ein Anspruch auf Ersatz weiterer Kosten in Höhe von 140,39 € anerkannt. Die Berechnung der erforderlichen Mietwagenkosten erfolgte auf Basis des Mittelwerts der Tabellen des F. Instituts 2021 und der S.-Liste 2022. Zusätzlich wurden Kosten für Winterreifen und eine Vollkaskoversicherung mit einem Selbstbehalt von 150,00 € berücksichtigt. Für den Nutzungsausfall am Tag der Begutachtung seines Pkws wurde dem Kläger ebenfalls eine Entschädigung zugesprochen.
Insgesamt verdeutlicht das Urteil die Komplexität der Schadensregulierung bei Verkehrsunfällen, insbesondere wenn es um Aspekte wie Werkstatt- und Prognoserisiko sowie die Erstattung von Mietwagenkosten geht. Es zeigt, wie wichtig eine detaillierte und sachgerechte Bewertung der einzelnen Schadenspositionen ist, um eine faire und angemessene Schadensregulierung zu gewährleisten.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was bedeutet das Werkstatt- und Prognoserisiko bei Verkehrsunfällen?
Das Werkstatt- und Prognoserisiko bezieht sich auf die Unsicherheiten, die bei der Reparatur eines Fahrzeugs nach einem Verkehrsunfall auftreten können. Es kann vorkommen, dass während der Reparatur zusätzliche Schäden entdeckt werden, die in der ursprünglichen Schadensprognose nicht berücksichtigt wurden. In solchen Fällen können die tatsächlichen Reparaturkosten höher ausfallen als ursprünglich prognostiziert.
Das Werkstatt- und Prognoserisiko liegt in der Regel beim Schädiger, also der Person oder der Versicherung, die für den Unfall verantwortlich ist. Dies bedeutet, dass der Schädiger die zusätzlichen Kosten tragen muss, die durch unerwartete Schäden während der Reparatur entstehen. Dies gilt jedoch nur, wenn dem Geschädigten kein Auswahlverschulden bezüglich des Sachverständigen oder der Werkstatt vorgeworfen werden kann und der Geschädigte keine Maßnahmen veranlasst, die offensichtlich außer Verhältnis zum erwarteten Schadenbeseitigungsaufwand stehen.
In Bezug auf die Haftung kann der Schädiger oder seine Versicherung bei einer Zahlung der überhöhten und nach dem Grundsatz des Werkstatt- und Prognoserisikos erstattungsfähigen Reparaturkosten im Wege des Vorteilsausgleichs die Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt verlangen.
Die Beweislast hinsichtlich der Reparaturkosten liegt beim Geschädigten. Wenn der Geschädigte die Reparaturkostenrechnung noch nicht bezahlt hat, kann der auf Grundlage eines Schadengutachtens erteilte Reparaturauftrag ein Indiz für den erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sein.
In Bezug auf die Versicherung, wenn der Geschädigte nach entsprechender Information durch Einholung eines Sachverständigengutachtens den Weg der Schadensbehebung wählt, geht das Werkstatt- und Prognoserisiko zu Lasten des Schädigers, wenn dem Geschädigten nicht ausnahmsweise insoweit ein (Auswahl-)verschulden zur Last fällt.
Bei der Reparatur, wenn während der Reparaturarbeiten nach einem Unfall ein Bauteil beschädigt wird, so hat der Schädiger die Kosten hierfür zu ersetzen.
Das vorliegende Urteil
AG Braunschweig – Az.: 120 C 389/23 – Urteil vom 13.10.2023
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 670,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.02.2023 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 17 %, die Beklagte zu 83 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht weitere Ansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend.
Am 28.09.2022 ereignete sich zwischen dem Pkw des Klägers (Fahrzeugklasse 6) und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug ein Verkehrsunfall. Die Eintrittspflicht der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.
Der Kläger holte ein Gutachten ein und ließ seinen Pkw auf dessen Grundlage reparieren. In der Zeit vom 09.01.2023 bis zum 13.01.2023 nutzte er für 5 Tage einen Mietwagen der Fahrzeugklasse 5.
Auf die von dem Kläger geforderten Reparaturkosten von 5.486,47 € zahlte die Beklagte 4.994,85 €, sodass eine Differenz von 491,62 € verbleibt. Auf die Mietwagenkosten über 591,34 € einschließlich einer Haftungsreduzierung mit einer Selbstbeteiligung von 150,00 € zahlte die Beklagte 312,97 €, sodass 278,37 € verbleiben. Darüber fordert der Kläger Nutzungsausfall in Höhe von 38,00 € für den Tag der Begutachtung seines Fahrzeugs.
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 02.02.2023 forderte er die Beklagte erfolglos zum Ersatz seiner Schäden bis zum 09.02.2023 auf.
Der Kläger behauptet, für die Reparatur des Pkws fielen Reparaturkosten in der beanspruchten Höhe an. Er habe an dem Tag der Begutachtung nicht frei über seinen Pkw verfügen können.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 807,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.02.2023 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz von 670,01 € gem. §§ 7, 17 StVG, 249 ff. BGB, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG.
Der Unfall ereignete sich bei dem Betrieb des Pkws des Klägers und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug. Die Eintrittspflicht der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.
Gem. § 249 Abs. 2 BGB hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der für die Reparatur des Fahrzeugs erforderlichen Kosten. Erforderlich sind Kosten, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte.
Der Kläger hat zunächst einen Anspruch auf Ersatz weiterer Reparaturkosten in Höhe von 491,62 € unter Berücksichtigung des sogenannten Werkstattrisikos.
Einem Geschädigten sind im Rahmen des § 249 Abs. 2 BGB auch Mehrkosten zu ersetzen, die ohne seine Schuld durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstanden sind, soweit sie nicht unangemessen hoch sind. Der Schädiger trägt das sog. Werkstatt- und Prognoserisiko, sofern den Geschädigten nicht ausnahmsweise hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft. Denn die Reparaturwerkstatt ist kein Erfüllungsgehilfe des Geschädigten. Da der Schädiger gem. § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich zur Naturalrestitution verpflichtet ist und dem Geschädigten lediglich eine Ersetzungsbefugnis zuerkennt, vollzieht sich die Reparatur vielmehr in der Verantwortungssphäre des Schädigers (vgl. AG Düsseldorf, Az. 37 C 11789/11 m.w.N.).
Anhaltspunkte für ein Auswahlverschulden des Klägers hinsichtlich der Werkstatt liegen nicht vor.
Der Kläger hat gegen die Beklagte zudem einen Anspruch auf Ersatz weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 140,39 €.
Die Kosten für einen Mietwagen zählen zu den für die Reparatur erforderlichen Kosten im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB.
Der Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten besteht für 5 Tage.
Die Höhe der erforderlichen Mietwagenkosten berechnet das Gericht gem. § 287 ZPO nach dem Mittelwert der Tabellen des F. Instituts 2021 und der S.-Liste 2022. Abzustellen ist auf die Fahrzeugklasse des angemieteten Fahrzeugs. Dieses unterfällt der Klasse 5.
Nach der S.-Liste für 2022 ergibt sich nach der Berechnung des Tagespreises auf der Grundlage des arithmetischen Mittels der Wochenpauschale (Postleitzahlenbezirk …) für 5 Tage ein Betrag von 379,32 €.
Nach der F. Tabelle für 2021 betragen die Mietwagenkosten für 5 Tage (Postleitzahlenbezirk …) 282,84 €.
Der Mittelwert der Kosten nach den beiden vorgenannten Tabellen entspricht 331,08 €.
Zu berücksichtigen sind zudem die Kosten für eine Vollkaskoversicherung mit einem Selbstbehalt von 150,00 €, weil die vorgenannten Tabellen eine Begrenzung der Selbstbeteiligung in dieser Höhe nicht berücksichtigen. Für einen Geschädigten wäre die Nutzung eines Mietwagens für den Fall des Eintritts eines Schadens mit einem unangemessen hohen Risiko verbunden, sofern er im Schadensfall eine hohe Selbstbeteiligung zu tragen hätte. Einen Betrag von 21,87 € netto/Tag (114,35 € für 5 Tage) erachtet das Gericht gem. § 287 ZPO unter Heranziehung der S.-Nebenkostentabelle für angemessen.
Zu addieren sind die Kosten für Winterreifen für 5 Tage, weil Winterreifen zu einer Sonderausstattung eines Fahrzeugs zählen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass ein Fahrzeug während der streitgegenständlichen Mietzeit nach den geltenden Vorschriften mit Winterreifen ausgestattet sein muss. Unter Heranziehung der S.-Nebenkostentabelle erachtet das Gericht gem. § 287 ZPO Kosten von 11,66 € für angemessen. Für 5 Tage ergeben sich mithin 58,30 €.
Der Kläger hat gegen die Beklagte hingegen keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für ein Navigationsgerät. Fahrzeuge der Klasse 5 sind in der Regel serienmäßig mit einem Navigationsgerät ausgestattet und entsprechen dem heutigen Standard.
Abzüglich des vorzunehmenden Vorteilsausgleichs in Höhe von 10 % beträgt der Normaltarif 453,36 €. Abzüglich der Zahlung der Beklagten über 312,97 € verbleiben 140,39 €.
Der Kläger hat gegen die Beklagte zudem einen Anspruch auf Ersatz von Nutzungsausfall für einen Tag in Höhe von 38,00 €.
Der Kläger konnte an dem Tag der Begutachtung seines Pkws nicht frei über diesen verfügen. Die Beklagte ist daher zum Ersatz von Nutzungsausfall verpflichtet.
Der Zinsanspruch besteht gem. §§ 280 Abs. 2, 286, 288 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Dem Beklagten war kein Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 08.10.2023 zu gewähren, weil ihm die entsprechende S.-Liste zugänglich ist und der Schriftsatz keinen neuen erheblichen Tatsachenvortrag enthält.