AG Hamburg-St. Georg, Az.: 921 C 438/12
Urteil vom 05.10.2012
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 439,68 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.03.2012 zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte rechnete mit dem Kläger unter dem 16.3.2012 dessen Schaden aus einem Verkehrsunfall, der von dem Versicherungsnehmer der Beklagten verursacht wurde, fiktiv ab. Bei der Schadensabrechnung zog sie von den im Gutachten ausgewiesenen Lohnkosten 10 %, entsprechend 439,68 €, ab. Den Abzug begründete die Beklagte unter anderem mit einer ansonsten stattfindenden Überkompensation bei der fiktiven Abrechnung.
Mit Schriftsatz vom 25.6.2012, zugestellt am 18.7.2012, hat der Kläger Klage erhoben. Er beantragt, wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien, ihrer Beweisantritte und der eingereichten Unterlagen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 ZPO).
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist begründet.
1. Der Kläger hat einen Anspruch in Höhe von 439,68 € Restschadensersatz aus dem Verkehrsunfall vom 25.2.2012 gegen die Beklagte gemäß §§ 7, 17 StVG, §115 VVG, § 1 PflVG, § 823 BGB.
Dem Kläger sind auch die von der Beklagten in Höhe von 10 % pauschal abgezogenen Lohnnebenkosten und Sozialabgaben zu erstatten (MünchKommBGB/Oetker, 6. Auflage 2012, § 249 Rn. 459; Palandt/Grüneberg, 71. Aufl. 2012, § 249 Rn. 14, dort als hM bezeichnet). Ein gesetzlicher Abzug ist nicht vorgesehen. Nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB ist bei einer fiktiven Abrechnung nur die Umsatzsteuer nicht erstattungsfähig. Der Gesetzgeber hat weiter ausdrücklich darauf verzichtet, die Lohnnebenkosten und die Sozialabgaben für abzugsfähig zu erklären. Die in einem früheren Entwurf enthaltene Klausel, wonach „öffentliche Abgaben“ nicht fiktiv abgerechnet werden konnten, hat er ausdrücklich nicht übernommen (BT-Drs. 14/7752, S. 13). Der Gesetzgeber wollte keine umfassende Reform des ausdifferenzierten Schadensersatzrechtes, sondern nur eine behutsame Korrektur (aaO, S. 14). Allerdings hat er eine Konkretisierung und Weiterentwicklung des Schadensrechts der Rechtsprechung überlassen (aaO). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass nunmehr zwingend eine Änderung der fiktiven Abrechnung bei den Lohnnebenkosten vorzunehmen ist (so offenbar AG Essen-Borbeck, 14 C 342/11). Der Gesetzgeber hat schließlich gerade keine Änderung des Gesetzes vorgenommen. Wenn der Gesetzgeber eine neue Struktur der Abrechnung plant, so muss er diese auch gesetzlich umsetzen. Eine analoge Anwendung scheidet aus.
Auch im Übrigen kann die Beklagte die Lohnnebenkosten nicht kürzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Geschädigte bei der Naturalrestitution bei einem beschädigten Fahrzeug grundsätzlich zwischen den Kosten für die Ersatzbeschaffung oder den Reparaturkosten frei wählen (NJW 2006, 2179, NZV 2003, 371). Dem Geschädigten steht es dabei frei, wie er die Mittel, die er erlangt, einsetzt (aaO). Der Vermögenseinbuße, die der Geschädigte erlitten hat, steht dabei die Zahlung der für die Reparatur erforderlichen Geldmittel gegenüber (aaO). Als erforderliche Kosten nach § 249 Abs. 2 BGB bei der Naturalrestitution kann der Geschädigte dabei grundsätzlich die in einer Markenwerkstatt anfallenden Reparaturkosten verlangen (etwa BGH, NZV 2003, 273 – Porsche). Zu diesen erforderlichen Geldmitteln zählen dann auch die von der Beklagten abgezogenen Lohnnebenkosten/Sozialabgaben. Der Geschädigte wird nur dann so gestellt, als sei sein Fahrzeug tatsächlich repariert worden; dafür wäre aber auch der Arbeitslohn angefallen. Dem steht das sog. Bereicherungsverbot im Schadensrecht nicht entgegen. Der Geschädigte ist nicht bereichert, sondern seine Vermögenseinbuße ist durch den Ersatz der nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Kosten erst ausgeglichen.
2. Die Entscheidung über die Nebenkosten folgt aus §§ 286, 288 BGB.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
III. Die Berufung war nach § 511 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.