Skip to content
Menü

Verkehrsunfall bei Ein- oder Aussteigen aus einem stehenden Lkw und dem Öffnen der Fahrzeugtür

LKW-Fahrer öffnet Tür und beschädigt PKW – Gericht entscheidet

Das Gericht hat in einem Verkehrsunfallfall, bei dem es um das Ein- oder Aussteigen aus einem stehenden LKW und das Öffnen der Fahrzeugtür ging, entschieden. Die Klägerin, ein Kaskoversicherer, wurde teilweise erfolgreich gegen die Beklagte, eine Kfz-Haftpflichtversicherung, vorgegangen. Die Beklagte wurde zur Zahlung von 3.741,62 Euro verurteilt, und es wurde festgestellt, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs durch unvorsichtiges Öffnen der Tür den Unfall verursacht hat, was eine volle Haftung nach sich zog.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 420 C 6703/20  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Verurteilung der Beklagten: Die Beklagte muss an die Klägerin 3.741,62 Euro zuzüglich Zinsen zahlen.
  2. Klärung der Haftung: Der Unfall wurde durch das Verhalten des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs verursacht.
  3. Beweislage: Beweisaufnahme und Sachverständigengutachten bestätigen die Schuld des Beklagtenfahrers.
  4. Keine höhere Gewalt: Der Unfall war kein Fall höherer Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG.
  5. Verstoß gegen die StVO: Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs verstieß gegen § 14 StVO (korrektes Verhalten beim Ein- oder Aussteigen).
  6. Keine Mithaftung des Klägers: Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs traf keine Schuld.
  7. Ersatz der Reparaturkosten: Die Beklagte schuldet Ersatz der Nettoreparaturkosten.
  8. Verjährung ausgeschlossen: Die Geltendmachung der Forderung war nicht verjährt.

Verkehrsrecht: Haftungsfragen bei Verkehrsunfällen

Öffnen der LKW Tür verursacht Unfall
(Symbolfoto: Africa Studio /Shutterstock.com)

Im Fokus des Verkehrsrechts stehen oft komplexe Haftungssituationen, die aus alltäglichen Szenarien wie dem Ein- oder Aussteigen aus einem Fahrzeug oder dem Öffnen der Fahrzeugtür resultieren. Diese scheinbar einfachen Handlungen können zu komplizierten rechtlichen Auseinandersetzungen führen, insbesondere wenn es um die Klärung der Haftung bei einem Verkehrsunfall geht. Zentral sind hierbei die Rollen der beteiligten Parteien – die Klägerin und die Beklagte, oft repräsentiert durch ihre jeweiligen Versicherungen, den Kaskoversicherer und den Kfz-Haftpflichtversicherer.

In solchen Fällen ist eine detaillierte Betrachtung des Unfallgeschehens unerlässlich. Dabei spielen Faktoren wie Reparaturkosten, eventuelle Selbstbeteiligungen und die genaue Rekonstruktion des Unfallhergangs eine wesentliche Rolle. Die juristische Aufarbeitung solcher Fälle beleuchtet nicht nur die individuellen Verantwortlichkeiten, sondern trägt auch zur Schadensregulierung bei und hilft, präzise Haftungsquoten festzulegen.

Der nachfolgende Text gibt einen detaillierten Einblick in ein konkretes Urteil, das solche Haftungsfragen behandelt. Es bietet eine faszinierende Perspektive auf die Feinheiten des Verkehrsrechts und zeigt auf, wie Gerichte in komplizierten Verkehrssituationen zu Entscheidungen kommen. Lassen Sie uns gemeinsam in die Tiefe dieser juristischen Materie eintauchen.

Verkehrsunfall beim Öffnen der Fahrzeugtür: Klärung der Haftungsfrage

Am 17. Mai 2023 fällte das Amtsgericht Hannover ein Urteil in einem Fall, der einen Verkehrsunfall betrifft, der sich beim Ein- oder Aussteigen aus einem stehenden Pkw und dem Öffnen der Fahrzeugtür ereignete. Der Fall drehte sich um den Anspruch der Klägerin, eines Kaskoversicherers, gegen die Beklagte, einen Kfz-Haftpflichtversicherer. Die Klägerin, Versicherer eines Mercedes Benz GLK, verlangte Schadenersatz für die Reparaturkosten nach einem Zusammenstoß mit einem bei der Beklagten versicherten LKW.

Detailanalyse des Unfallgeschehens

Der Unfall ereignete sich am 9. November 2016. Der LKW der Beklagten stand auf der Ronsdorfer Straße, als der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs an diesem vorbeifuhr. Dabei kam es zu einem Zusammenstoß zwischen der Tür des LKW und der rechten Fahrzeugflanke des Pkws. Ein zentraler Streitpunkt war, ob sich die LKW-Tür im Öffnungs- oder Schließungsvorgang befand. Die Reparaturkosten beliefen sich auf 7.483,23 Euro, von denen die Klägerin nach Abzug einer Selbstbeteiligung von 300,00 Euro den Großteil übernahm. Die Beklagte zahlte daraufhin einen Betrag von 3.441,61 Euro an die Klägerin, ging jedoch von einer 50-prozentigen Mithaftung des Versicherungsnehmers der Klägerin aus.

Gerichtliche Bewertung und Entscheidungsgründe

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Klägerin einen berechtigten Anspruch auf Zahlung weiterer 3.741,62 Euro hatte. Dies begründete sich auf verschiedenen rechtlichen Grundlagen, darunter §§ 86 VVG, 7, 17, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG und 249 ff. BGB. Interessant war die Feststellung, dass der Unfall nicht als höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG gewertet wurde und der Fahrzeugführer des Beklagtenfahrzeuges nicht von der Haftung freigestellt werden konnte.

Sachverständigengutachten und Beweisführung

Ein wesentlicher Teil des Gerichtsverfahrens war die Beweisaufnahme, einschließlich der Vernehmung von Zeugen und der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Die Aussagen der Zeugen sowie das Gutachten führten zu der Überzeugung, dass der Unfall im Zusammenhang mit dem Aussteigen bzw. Türöffnen des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs stand. Der Sachverständige ermittelte, dass die Tür des LKW sich nicht im Öffnungsvorgang befand, was durch die Kollisionsspuren am Fahrzeug der Klägerin bestätigt wurde. Dies trug maßgeblich dazu bei, dass das Gericht die volle Haftung beim Fahrzeugführer des Beklagtenfahrzeugs sah.

Das Urteil des Amtsgerichts Hannover in diesem Fall stellt einen wichtigen Referenzpunkt in der rechtlichen Bewertung von Verkehrsunfällen dar, bei denen es um das Ein- oder Aussteigen aus Fahrzeugen und das Öffnen von Fahrzeugtüren geht. Es zeigt die Komplexität solcher Fälle und die Bedeutung einer gründlichen Beweisführung und rechtlichen Abwägung.

Wichtige Begriffe kurz erklärt

Wie wird die Haftungsquote bei einem Verkehrsunfall ermittelt?

Erklärung Text…


Das vorliegende Urteil

AG Hannover – Az.: 420 C 6703/20 – Urteil vom 17.05.2023

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.741,62 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 09.01.2020 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte nach einem Verkehrsunfall vom 09.11.2016 aus übergegangenem Recht in Anspruch. Die Klägerin ist Kaskoversicherer des Fahrzeugs Mercedes Benz GLK mit dem amtlichen Kennzeichen …. Die Beklagte ist Kfz-Haftpflichtversicherer des LKW mit dem amtlichen Kennzeichen … der Firma ….

Der bei der Beklagten versicherte LKW stand zum Unfallzeitpunkt auf der Ronsdorfer Straße, wobei zwischen den Parteien streitig ist, auf welcher von den drei Fahrstreifen. Zuvor war es bereits zu einem Unfallgeschehen mit einem weiteren LKW gekommen. Fahrer des bei der Beklagten versicherten LKW war der Zeuge …. Der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs, der Zeuge …, fuhr links an dem bei der Beklagten versicherten LKW vorbei, wobei es zum Zusammenstoß zwischen der Tür des bei der Beklagten versicherten LKW und der rechten Fahrzeugflanke des bei der Klägerin versicherten PKW kam. Es ist zwischen den Parteien streitig, ob sich die Tür im Öffnungs- oder Schließungsvorgang befand.

Nach der Reparaturkostenrechnung des Kfz Meisterbetriebs … betragen die Reparaturkosten an dem bei der Klägerin versicherten Fahrzeug 7.483,23 Euro. Die Klägerin nahm eine Überprüfung der Rechnung vor und kam auf einen Reparaturkostenbetrag in Höhe von 7.283,23 Euro. Diesen Betrag abzüglich einer Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 Euro zahlte die Klägerin an den Versicherungsnehmer, den Zeugen ….

Die Beklagte zahlte an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3.441,61 Euro und ging von einer Mithaftung des Versicherungsnehmers der Klägerin von 50 % aus. Ferner zahlte die Beklagte die Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 Euro an den Versicherungsnehmer der Klägerin.

Die Klägerin behauptet, der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs habe die Tür des LKW mit voller Wucht geöffnet als das bei ihr versicherte Fahrzeug vorbeigefahren ist. Danach meint die Klägerin, dass den Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten LKW das alleinige Verschulden an dem Verkehrsunfall treffe. Ein Ausweichen sei nicht möglich gewesen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.841,62 Euro nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 09.01.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.

Im Übrigen behauptet die Beklagte, das bei der Klägerin versicherte Fahrzeug sei während des Zuziehens wegen zu geringen Sicherheitsabstandes gegen die sich schließende Fahrertür des bei der Beklagten versicherten LKW gefahren. Aus den beiderseitigen Schadensbildern zeige sich, dass der Seitenabstand nur etwa 60cm betragen habe.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen …, insoweit wird bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Sitzungsprotokoll vom 30.09.2021 (Bl.99 ff d. A.). sowie vom 18.01.2023 (Bl. 249 ff. d. A) Bezug genommen. Ferner hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen …, insoweit wird bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Sitzungsprotokoll vom 26.04.2023 (Bl. 283 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 19.10.2021 (Bl. 108 d. A.) sowie vom 26.07.2022 (Bl. 191 d. A.) Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Insoweit wird auf das Gutachten des Sachverständigen … vom 16.05.2023 (Bl. 136 ff. d. A.) sowie das Ergänzungsgutachten vom 26.10.2022 (Bl. 212 ff. d. A) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

1.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 3.741,62 Euro gemäß §§ 86 VVG i.V.m. §§ 7, 17, 18 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG, 249 ff. BGB.

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG, der gemäß § 18 Abs. 1 StVG auch gegenüber dem Fahrzeugführer gilt und gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG direkt gegenüber dem Haftpflichtversicherer geltend gemacht werden kann, liegen vor. Denn die Schäden am klägerischen Fahrzeug sind bei Betrieb der beiden Fahrzeuge entstanden. Ein Fall höherer Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG lag nicht vor.

Der Unfall ist für den Fahrzeugführer des Beklagtenfahrzeuges auch nicht unabwendbar im Sinne des §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 3 StVG gewesen. Ob es sich für den Kläger bei dem Unfall um ein unabwendbares Ereignis handelte, kann dagegen dahinstehen, da den Fahrer des Beklagtenfahrzeuges im Rahmen der gemäß §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG vorzunehmenden Quotelung anhand der jeweiligen Verursachungsbeiträge die volle Haftung trifft. Hinter dem Verursachungsbeitrag des Beklagtenfahrzeuges tritt die auf der Klägerseite verbleibende Betriebsgefahr vollständig zurück.

Weil der Kläger ebenfalls nach § 7 Abs. 1 StVG haftet, ist § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG anwendbar.

Nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG hängt der Umfang der Haftung im Verhältnis der Fahrzeughalter- und Fahrer zueinander insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Abwägung ist dabei aufgrund aller festgestellten – das heißt unstreitigen, zugestandenen oder gem. § 286 ZPO bewiesenen – Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, soweit diese sich nachweislich auf den Unfall ausgewirkt haben, wobei in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang ist, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben, das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH, NJW 2017, 1177). Die eine Partei trägt jeweils die Beweislast für den Verkehrsverstoß der jeweils anderen Partei. Bei besonders groben Verkehrsverstößen kommt grundsätzlich auch eine alleinige Haftung einer der beiden Parteien in Betracht.

Dem Führer des Beklagtenfahrzeuges ist ein Verstoß gegen § 14 StVO vorzuwerfen.

Nach § 14 Abs. 1 StVO muss, wer ein- oder aussteigt sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer am Verkehr Teilnehmenden ausgeschlossen ist. Der Beweis des ersten Anscheins spricht gegen denjenigen, der in ein Fahrzeug ein- oder ausgestiegen ist, wenn sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Ein- bzw. Aussteigen ereignet hat (BGH NJW 2009, 3792; DAR 2010, 135 mAnm Ternig; OLG Celle r+s 2019, 286; OLG Düsseldorf DAR 2015, 85; OLG Köln BeckRS 2020, 37246, 999; KG NZV 2005, 19; OLG Hamm DAR 2000, 64. Den Anscheinsbeweis vermochte die Beklagtenseite auch nicht zu erschüttern.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass sich die Kollision im Zusammenhang mit dem Aussteigen bzw. Türöffnens des Fahrzeugführers des Beklagten ereignete. Der Zeuge … gab im Zuge seiner Vernehmung an, dass ihm, während er eingestiegen sei, von links jemand in die Tür gefahren sei. Er habe gerade noch den Fuß aus der Tür bekommen. Er habe sich vergewissert, dass kein „Verkehr da war“. Der Zeuge … führte weiter aus, dass er meine, dass auf der linken Spur gar kein Verkehr gewesen sei. Diese Aussage stand zum einen im Widerspruch zu der Aussage des Zeugen … und konnte ferner auch nicht durch das Sachverständigengutachten bestätigt werden. Der Zeuge … gab an, dass er links an dem stehenden LKW vorbeigefahren sei. Er habe zuvor niemanden vor, hinter oder neben dem Fahrzeug gesehen. Es sei fließender Verkehr gewesen. Vor ihm seien bereits weitere Fahrzeuge mit gleichem Seitenabstand an dem LKW vorbeigefahren. Der Sachverständige … kam im Rahmen seines Gutachtens zu dem Ergebnis, dass sich die Tür des Beklagtenfahrzeuges nicht im Öffnungsvorgang befand, da die beginnenden Kollisionsspuren erst deutlich nach Ausbildung der Fahrzeugkontur am klägerischen Fahrzeug (B-Säule) festzustellen sind. Als Diplom-Ingenieur ist der Sachverständige für die Begutachtung besonders qualifiziert. Das Gutachten ist gedanklich nachvollziehbar und in sich stimmig begründet. Insbesondere ist der Sachverständige von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen und hat die daraus gezogenen Schlussfolgerungen logisch widerspruchsfrei dargestellt und begründet. Der Sachverständige führte anhand der Höhen- und Längenmaße der unfallbeteiligten Fahrzeuge eine Bewegungsanalyse durch. Eine sich schließende Tür konnte anhand des Schadensbild am klägerischen Fahrzeug nicht begründet werden.

Hinter diesem Verursachungsbeitrag tritt die Betriebsgefahr auf der Klägerseite gänzlich zurück. Eine Mithaftung kann grundsätzlich dann in Betracht kommen, wenn der Vorbeifahrende nicht umsichtig gefahren ist (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 27. Aufl. 2022, StVO § 14 Rn. 2-6a). Dem Fahrzeugführer ist jedoch zur Überzeugung des Gerichts weder ein derartiger Verstoß durch Nichteinhaltung des Sicherheitsabstands noch durch Überschreitung der angemessenen Geschwindigkeit vorzuwerfen.

Dass der Seitenabstand zum Beklagtenfahrzeug im Zeitpunkt des Passierens des Klägerfahrzeugs 1,0 Meter unterschritt, kann dem Zeugen … als Fahrzeugführer nicht zum Vorwurf gemacht werden. Der Zeuge … hat hierzu angegeben, dass er ein Stückchen weiter links auf seiner Fahrspur gefahren sei. Weiter links habe er nicht fahren könne, da die linke Fahrspur neben ihm „belegt“ gewesen sei. Der Sachverständige … ermittelte anhand von einem maßstabsgerechten skalierten Drohnenbild mit dem Rekonstruktionsprogramm PC-Crash, dass der rechte und linke Fahrstreifen der R-straße ca. 2,45 m breit ist und der mittlere Fahrstreifen ca. 2,60m breit. Das bei der Klägerin versicherte Fahrzeug konnte daher bei linksseitiger Ausrichtung in der Fahrspur einen maximalen Seitenabstand von 0,97 bzw. 1,04 m Seitenabstand und bei mittlerer Ausrichtung in der Fahrspur einen Seitenabstand der 1,0 m um rund 0,35 m unterschreitet, erreichen. Ein Sicherheitsabstand von 1 m konnte nur dann erreicht werden, wenn die bei der Beklagten versicherte Sattelzugmaschine äußerst rechts in der Fahrspur gestanden hätte und das klägerische Fahrzeug äußerst links in der mittleren Fahrspur gestanden hätte. Der Zeuge … gab bereits an, dass er „ganz normal“ mittig in seiner Fahrspur gestanden habe. Die „blaue Pritsche“ habe rechts neben ihm gestanden; diese sei recht breit gewesen. Eine rechte Ausrichtung war danach bereits schon nicht möglich. D.h. selbst bei einer linken Ausrichtung in der mittleren Fahrspur durch den Zeugen …, konnte ein Seitenabstand von 1 Meter bereits nicht mehr erreicht werden.

Der Zeuge … hat weiter bekundet, dass er etwas langsamer an dem stehenden LKW vorbeigefahren sei. Er schätze, dass er mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h gefahren sei. Er habe weder vor noch hinter oder neben dem Beklagtenfahrzeug irgendwas gesehen. Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen …, die mit dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens in Einklang zu bringen ist, gab es keine Anhaltspunkte die zulässige Höchstgeschwindigkeit noch weiter zu reduzieren.

2.

Die Beklagte hat gemäß § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 BGB statt Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen.

Die Beklagte schuldet demnach den Ersatz der Nettoreparaturkosten in Höhe von 7.483,23 Euro. Auf die geltend gemachten und erstattungsfähigen Schadenspositionen zahlte die Beklagte einen Betrag von insgesamt 3.441,61 Euro, weshalb abzüglich der Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 Euro sich ein ausstehender Restbetrag in Höhe von 3.741,62 Euro errechnet. Im Hinblick auf einen Betrag in Höhe von 100 Euro war die Klage daher rein rechnerisch unschlüssig, worauf die Klägerin auch mit der Klageerwiderung (Bl. 37 d. A.) hingewiesen worden ist.

3.

Der Anspruch, welcher nach der Regelverjährung gemäß § 195 ZPO mit dem Ablauf des Jahres 2019 verjährt gewesen wäre, ist aufgrund des Hemmungstatbestands nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht verjährt.

Durch die Zustellung des am 27.12.2019 beantragten Mahnbescheids mit Datum vom 08.01.2020 wurde die Verjährung gehemmt. Die Hemmung endet gemäß § 204 Abs. 2 BGB, sofern das Verfahren in Stillstand gerät, das heißt die Parteien es nicht weiter betreiben, sechs Monate nach der letzten Verfahrenshandlung der Parteien oder des Gerichts.

Letzte Verfahrenshandlung des Gerichts war die Absendung der Nachricht über den Eingang des Widerspruchs am 17.01.2020, wobei es auf den Zugang dieser Mitteilung ankommt. Dies war der 21.01.2020, sodass die Hemmung am 21.07.2020 endete. Die Verjährungsfrist verlängerte sich um diese Zeit (207 Tage) bis zum 25.07.2020. Am 01.07.2020 erfolgte jedoch bereits die Einzahlung der weiteren Gerichtskosten. Am 22.07.2020 folgte die Aufforderung zur Anspruchsbegründung, sodass sich die Verjährungsfrist nochmals um sechs Monate verlängerte.

Die Anspruchsbegründung erfolgte am 24.12.2020 und somit fristwahrend.

4.

Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus Verzugsgesichtspunkten gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, 187 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 709 Satz 2 ZPO.

III.

Der Streitwert ist gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 43, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO auf bis zu 4.000,00 Euro festzusetzen.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Verkehrsrecht, Versicherungsrecht und der Regulierung von Verkehrsunfällen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile aus dem Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!