AG Neustadt (Rübenberge) – Az.: 41 C 622/20 – Urteil vom 31.03.2021
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.133,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.06.2020 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die … Rechtsschutz Versicherung-AG zu deren Schadensnummer … außergerichtliche Kosten in Höhe von 413,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.06.2020 zu zahlen.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
und beschlossen:
5. Der Streitwert wird festgesetzt auf 3.133,51 €.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
Der Verkehrsunfall ereignete sich am 30.05.2020 in … auf der Hauptstraße. … befuhr gegen 10:30 Uhr die Hauptstraße mit dem Pkw … des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen …. Am Straßenrand befanden sich einige geparkte Fahrzeuge. … hielt an. Der Beklagte überholte die vor ihm fahrende Zeugin … mit seinem Pkw …mit dem amtlichen Kennzeichen … Es kam zur Kollision, während die Zeugin … wieder anfuhr.
Mit der Klage begehrt der Kläger Schadensersatz für seine Reparaturkosten netto in Höhe von 2.296,55 €, 172,00 € Nutzungsausfallentschädigung für 4 Tage, 639,96 € Sachverständigenkosten sowie die Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 €. Nachdem der Kläger zunächst die Ansprüche auf Erstattung der Sachverständigengebühren an diesen abgetreten hatte, hat der Sachverständige diese mit Datum vom 30.11.2020 (Anlage K6, Blatt 62 der Akte) rückabgetreten. Die vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 413,64 € hat der Rechtsschutzversicherer des Klägers an dessen Prozessbevollmächtigten gezahlt.
Der Kläger behauptet, die Zeugin … habe verkehrsbedingt anhalten müssen, weil Gegenverkehr gekommen sei. Als der Gegenverkehr durchgefahren sei, habe sich die Zeugin nach hinten orientiert und links geblinkt, um anzuzeigen, dass sie an den parkenden Fahrzeugen vorbeifahren wolle. Sie sei langsam angefahren, als der Beklagte mit hoher Geschwindigkeit zunächst die hinter ihr befindlichen Fahrzeuge überholte und während des Überholens des klägerischen Fahrzeugs aufgrund zu geringen Seitenabstands gegen dieses gestoßen sei. Er ist der Ansicht, der Beklagte habe trotz unklarer Verkehrslage überholt.
Der Kläger beantragt,
1. der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.133,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.06.2020 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die … Rechtsschutz Versicherung-AG zu deren Schadensnummer … außergerichtliche Kosten in Höhe von 413,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.06.2020 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, das klägerische Fahrzeug habe ohne ersichtlichen Grund angehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat den Beklagten informatorisch angehört. Es hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen … Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.03.2021 (Blatt 87-90 der Akte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz der ihm bei dem Verkehrsunfall vom 30.05.2020 entstandenen materiellen Schäden in Höhe von 3.133,51 € aus §§ 7, 17 Abs. 1-3, 18 Abs. 1, 3 StVG.
Unzweifelhaft hat sich der Unfall beim Betrieb der beteiligten Kraftfahrzeuge ereignet. Es kann nicht festgestellt werden, dass es sich bei dem Unfall für einen der Beteiligten um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG handelte. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. „Idealfahrers“. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein solcher das Schadensereignis verhindert hätte.
Sind an dem die Haftung begründenden Schadensereignis mehrere beteiligt, so hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang nach § 17 Abs.2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH, NJW 2012, 1953).
Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ergibt eine Haftungsquote von 100% zu Lasten des Beklagten. Die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeuges tritt vollständig zurück.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Fahrzeugführerin des klägerischen Fahrzeugs in offensichtlich erkennbarer Weise verkehrsbedingt anhielt, um Gegenverkehr passieren zu lassen. In Verkennung dieses Umstandes scherte der Beklagte aus und überholte in einem Zug vier Fahrzeuge, wobei es zur Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug kam.
Dies steht fest aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen …, der bekundet hat, er könne sich an den Unfall noch erinnern, das sei der Samstag vor Pfingsten gewesen. Er habe die Hauptstraße in Richtung … befahren und habe verkehrsbedingt anhalten müssen, um Gegenverkehr durch zu lassen. Vor ihm seien drei weitere Fahrzeuge gewesen, die ebenfalls warteten und als viertes Fahrzeug habe vor ihm der … des Beklagten gestanden. Er selbst sei das fünfte Fahrzeug gewesen. Am Straßenrand hätten teilweise parkende Fahrzeuge in der Nähe des Schlachters gestanden und teilweise seien dazwischen wartende Fahrzeuge gewesen. Während die drei vorherigen Fahrzeuge noch gewartet hätten, sei der … des Beklagten ausgeschert, um die offensichtlich wartenden Fahrzeuge zu überholen, während das erste wartende Fahrzeug losgefahren sei und es zur Kollision gekommen sei. Diese Kollision sei für ihn absehbar gewesen. Das sei erkennbar gewesen, dass die Fahrzeuge warteten und nicht geparkt hätten. Das könne er damit begründen, dass diese vor Einfahrten gestanden hätten. Zudem befindet sich an der Stelle eine leichte Kurve und es komme häufig Gegenverkehr. Es sei auch schwer einzusehen. Die Straße verlaufe dort in einem Bogen und die wartenden Fahrzeuge hätten dementsprechend auch im Verlauf dieses Bogens dort gestanden. Als der … des Beklagten ausgeschert sei, sei gerade kein Gegenverkehr gekommen und es sei eine Lücke vorhanden gewesen. Zu einem Blinken des … könne er nicht sagen. Die Kollision sei für ihn vor allem deshalb absehbar gewesen, weil ersichtlich gewesen sei, dass die davor befindlichen Fahrzeuge warteten. Er habe dann noch gedacht: was macht der denn da? Es sei für ihn klar gewesen, dass das so nicht richtig sei. Die Aussage des Zeugen … ist plausibel und widerspruchsfrei. Erinnerungslücken hat der Zeuge offengelegt. Der Zeuge ist am streitgegenständlichen Verkehrsunfall völlig unbeteiligt und steht in keinem Lager zu einer der Parteien. Er ließ auch keine Belastungstendenzen erkennen. So hat er bezüglich beider Fahrzeuge eingeräumt, sich an ein Blinken nicht mehr erinnern zu können.
Sofern der Beklagte im Rahmen seiner informatorischen Anhörung das Geschehen anders dargestellt hat, so waren diese Angaben in erheblichem Maße widersprüchlich und ließen erkennen, dass der Beklagte selbst keinerlei Erklärung dafür hat, was dort passiert ist. Ferner sind die Angaben des Beklagten aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen widerlegt. So hat der Beklagte im Rahmen seiner informatorischen Anhörung mehrfach angegeben, dass die Fahrzeuge dort geparkt hätten, weil sie hätten zum Schlachter gehen wollen. Auch auf mehrmalige Nachfrage hielt der Beklagte eine andere Erklärung für ausgeschlossen. Wenn er gefragt werde, wie er darauf komme, dass diese Autofahrer zum Schlachter hätten fahren wollen, so könne er nur fragen, wo sie denn sonst hinwollten. Wenn er gefragt werde, ob er geblinkt habe, so könne er nur fragen warum er den blinken solle, wenn er geradeaus fahre. Als der Beklagte schließlich gebeten wurde, eine Skizze von der Örtlichkeit anzufertigen, bereitete ihm auch dies erhebliche Schwierigkeiten und er entschied sich immer wieder um, aus welcher Fahrtrichtung er gekommen sei. Die Angaben des Beklagten waren insgesamt nicht glaubhaft. Sie wurden zudem durch die überzeugenden Angaben des Zeugen widerlegt.
Der Beklagte hat in mehrfacher Hinsichten gegen seine Pflichten aus § 5 StVO verstoßen. Nach dieser Vorschrift darf nur überholen, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Das Überholen bei unklarer Verkehrslage ist unzulässig. Das Ausscheren zum Überholen und das Wiedereinordnen sind rechtzeitig und deutlich anzukündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen.
Gegen all diese Regeln hat der Beklagte mit seinem Überholmanöver verstoßen. So hat der Beklagte unmissverständlich eingeräumt, seinen Überholvorgang nicht durch Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers angekündigt zu haben. Ferner hat er ein Überholvorgang eingeleitet, obwohl nach den glaubhaften Angaben des Zeugen die Straße in einer Kurve verläuft und schwer einzusehen ist. Der Überholvorgang war deshalb bereits nach § 5 Abs. 2 StVO unzulässig, weil die Straße für den Beklagten nicht ausreichend einsehbar war, dies erst recht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beklagte drei Fahrzeuge auf einmal überholt hat. Ferner verstieß der Beklagte auch gegen das Verbot des Überholens bei unklarer Verkehrslage. Nach glaubhaften Aussagen des Zeugen Fesche war es offensichtlich, dass die drei vor dem Beklagten befindlichen Fahrzeuge warteten und bei der nächsten Gelegenheit ausscheren würden. Der Beklagte hätte daher seinen Überholvorgang zurückstellen müssen. In dem der Beklagte trotzdem überholte, hat er schuldhaft gegen die Vorschrift des § 5 StVO verstoßen und den Unfall verursacht. Die Verstöße des Beklagten sind dabei so schwerwiegend, dass eine etwaige Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs dahinter zurücktritt.
Der Beklagte hat dem Kläger die entstandenen Reparaturkosten netto in Höhe von 2.296,55 €, die Sachverständigenkosten in Höhe von 639,96 € sowie die geltend gemachte Kostenpauschale in Höhe von 25,00 € zu erstatten. Ferner hat der Beklagte auch den geltend gemachten Nutzungsausfall für 4 Tage in Höhe von 172,00 € zu erstatten. Eine Nutzungsausfallentschädigung kommt auch bei fiktiver Abrechnung in Betracht, wobei diesbezüglich auf die objektiv erforderliche Dauer der Reparatur abzustellen ist. Aus dem vom Kläger vorgelegten Gutachten ergibt sich die Reparaturdauer von 4 Tagen. Ferner hat der Kläger seine Absicht, das Fahrzeug zu reparieren, kundgetan. Die Kosten sind daher erstattungsfähig.
Der Anspruch auf Verzugszinsen sowie Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 € an die Rechtschutzversicherung ergibt sich aus §§ 280, 286, 288, 291 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 S.2 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwertes fußt auf § 3 ZPO unter Berücksichtigung von §43 GKG.