Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Wenn die Versicherung nach einem klaren Unfall die Zahlung verweigert
- Der Unfall und die erste Gerichtsentscheidung
- Warum die Versicherung und die Fahrerin in Berufung gingen
- Die Prüfung des Gerichts: Wer trägt die Schuld am Unfall?
- Streitpunkt Gutachterkosten: Wer zahlt die Rechnung des Sachverständigen?
- Entschädigung für den Fahrzeugausfall: Wann verliert man den Anspruch?
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Muss ich immer die günstigste Reparaturwerkstatt oder den billigsten Gutachter wählen?
- Kann ich meinen Anspruch auf Entschädigung verlieren, wenn die Reparatur meines Fahrzeugs länger dauert?
- Wer muss beweisen, wer nach einem Unfall Schuld hat oder welche Schäden entstanden sind?
- Was kann ich tun, wenn die gegnerische Versicherung meine Schadensersatzansprüche ablehnt oder kürzt?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 3 S 56/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Lüneburg
- Datum: 11.02.2022
- Aktenzeichen: 3 S 56/21
- Verfahrensart: Berufungsverfahren (Hinweisbeschluss)
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Schadensersatzrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die Partei, der in erster Instanz Schadensersatz, Sachverständigenkosten und Nutzungsentschädigung nach einem Verkehrsunfall zugesprochen wurden.
- Beklagte: Die im Berufungsverfahren beklagten Parteien, von denen eine den Verkehrsunfall durch Missachtung der Wartepflicht verursachte und gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt hatte.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Ein Verkehrsunfall ereignete sich, weil eine der beklagten Parteien unstreitig die Wartepflicht missachtete. Das Amtsgericht verurteilte die Beklagten in erster Instanz zu voller Haftung und sprach dem Kläger alle geltend gemachten Schäden zu. Die Beklagten legten Berufung ein.
- Kern des Rechtsstreits: Im Berufungsverfahren ging es um die Frage, ob der Kläger eine Mithaftung am Unfall trug, ob die Sachverständigenkosten voll erstattungsfähig waren und ob dem Kläger eine Nutzungsentschädigung für sein Fahrzeug zustand.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Landgericht Lüneburg beabsichtigt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Die Kammer ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Den Beklagten wurde eine Frist zur Stellungnahme oder gegebenenfalls zur Zurücknahme der Berufung eingeräumt.
- Begründung: Das Gericht sah keinen Nachweis für einen Verstoß des Klägers gegen das Rechtsfahrgebot, womit die volle Haftung der Beklagten bestätigt wurde. Die Gutachterkosten sind voll erstattungsfähig, da der Kläger die Rechnung bezahlt und potenzielle Rückzahlungsansprüche abgetreten hatte. Zudem steht dem Kläger eine Nutzungsentschädigung zu, da sein Nutzungswille trotz des Reparaturzeitraums gegeben war.
- Folgen: Die Beklagten wurden darauf hingewiesen, dass eine Zurücknahme der Berufung aus Kostengründen vorteilhaft wäre, da sich die Gerichtsgebühren in diesem Fall halbieren würden.
Der Fall vor Gericht
Wenn die Versicherung nach einem klaren Unfall die Zahlung verweigert
Ein Verkehrsunfall ist schnell passiert. Jemand nimmt Ihnen die Vorfahrt, es kracht. Die Schuldfrage scheint eindeutig. Doch dann beginnt der Ärger erst richtig: Die gegnerische Versicherung will nicht den vollen Schaden zahlen. Sie sucht nach Gründen, um die Kosten zu drücken, stellt Ihr Gutachten infrage oder wirft Ihnen vor, den Schaden nicht schnell genug repariert zu haben. Genau mit einer solchen Situation musste sich das Landgericht Lüneburg befassen und klarstellen, welche Rechte ein Geschädigter hat, wenn der Unfallgegner eindeutig schuld ist.
Der Unfall und die erste Gerichtsentscheidung

Die Ausgangslage war unkompliziert: Eine Fahrerin, nennen wir sie Frau M., missachtete an einer Kreuzung die Vorfahrt eines anderen Autofahrers, Herrn S. Sie war unaufmerksam, was sie auch zugab. Es kam zum Zusammenstoß. Herr S. ließ den Schaden an seinem Fahrzeug von einem Sachverständigen begutachten und anschließend reparieren. Die Versicherung von Frau M. weigerte sich jedoch, alle Kosten zu übernehmen.
Der Fall landete zunächst vor dem Amtsgericht. Dieses erste Gericht stellte fest, was eigentlich offensichtlich war: Frau M. hatte die alleinige Schuld am Unfall. Folglich verurteilte es sie und ihre Versicherung dazu, den gesamten Schaden zu bezahlen. Dazu gehörten die Reparaturkosten, die Kosten für den Gutachter und auch eine Entschädigung dafür, dass Herr S. sein Auto für eine gewisse Zeit nicht nutzen konnte. Doch die Versicherung und Frau M. wollten dieses Urteil nicht akzeptieren.
Warum die Versicherung und die Fahrerin in Berufung gingen
Die Unfallverursacherin und ihre Versicherung legten gegen das Urteil Berufung ein. Das bedeutet, sie forderten ein höheres Gericht – in diesem Fall das Landgericht Lüneburg – auf, die Entscheidung zu überprüfen. Sie hatten drei Hauptargumente, mit denen sie ihre Zahlungspflicht verringern wollten. Was waren das für Argumente?
Argument 1: Der andere Fahrer sei mitschuldig
Die Versicherung behauptete, Herr S. sei nicht weit genug rechts gefahren, wie es die Straßenverkehrsordnung vorschreibt. Dieses sogenannte Rechtsfahrgebot besagt, dass man auf der Fahrbahn möglichst weit rechts fahren muss. Wäre Herr S. weiter rechts gefahren, so die Argumentation, wäre der Unfall vielleicht glimpflicher ausgegangen oder gar nicht erst passiert. Daher müsse er einen Teil des Schadens selbst tragen.
Argument 2: Das Gutachten sei zu teuer gewesen
Als Nächstes griffen sie die Rechnung des Sachverständigen an, den Herr S. beauftragt hatte. Sie meinten, das Gutachten sei unbrauchbar und die Kosten viel zu hoch. Zum Beweis legten sie ein eigenes, günstigeres Gegengutachten vor. Sie argumentierten, Herr S. hätte eine günstigere Werkstatt finden und ein billigeres Gutachten in Auftrag geben müssen.
Argument 3: Der Anspruch auf Entschädigung für den Ausfall sei verwirkt
Schließlich ging es um die Nutzungsausfallentschädigung. Das ist eine Geldsumme, die man als Ausgleich dafür bekommt, dass man sein Auto wegen der Reparatur eine Zeit lang nicht nutzen kann. Die Versicherung meinte, Herr S. habe keinen Anspruch darauf. Warum? Weil zwischen dem Unfall am 4. Juli und dem Beginn der Reparatur am 31. August fast zwei Monate vergingen. Wer sein Auto so lange nicht reparieren lässt, so die Versicherung, der brauche es anscheinend auch nicht dringend. Es fehle also am sogenannten Nutzungswillen, also dem erkennbaren Willen, das Fahrzeug auch tatsächlich zu verwenden.
Die Prüfung des Gerichts: Wer trägt die Schuld am Unfall?
Das Landgericht Lüneburg prüfte nun die drei Argumente der Versicherung und kam zu einem klaren Ergebnis: Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Schauen wir uns die Begründung des Gerichts Schritt für Schritt an.
Zuerst zur Frage der Mitschuld. Das Gericht erklärte einen wichtigen Grundsatz des Prozessrechts: die Beweislast. Das bedeutet: Wer etwas behauptet, muss es auch beweisen. In diesem Fall behauptete die Versicherung, Herr S. sei zu weit links gefahren. Also musste sie dies auch zweifelsfrei nachweisen. Doch wie wollte sie das tun?
Die Versicherung legte ein Foto der Unfallstelle vor. Das Gericht fand dieses Foto aber wenig überzeugend. Es war nämlich unklar, ob das Foto die Autos direkt nach dem Zusammenstoß zeigte oder ob sie danach noch bewegt wurden. Die Unfallverursacherin Frau M. konnte sich selbst nicht erinnern, ob ihr Auto nach dem Aufprall noch zurückgerollt war. Zudem hätte Herr S. fast am linken Fahrbahnrand fahren müssen, damit die Position auf dem Foto stimmt – was völlig unrealistisch ist und selbst der Unfallverursacherin hätte auffallen müssen.
Auch die Aussage von Frau M., Herr S. sei zu weit links gefahren, hielt das Gericht für nicht glaubhaft. Zum einen gab sie bei ihrer Befragung zu, dass sie den Wagen von Herrn S. gar nicht gesehen hatte, weil sie nach links geschaut hatte. Wie konnte sie dann beurteilen, wo genau er fuhr? Zum anderen wurde ihr diese Aussage im ersten Prozess regelrecht in den Mund gelegt. Das Gericht befand daher: Die Versicherung konnte ihre Behauptung nicht beweisen. Es bleibt dabei: Frau M. ist zu 100 % schuld, weil sie die Vorfahrt missachtet hat.
Streitpunkt Gutachterkosten: Wer zahlt die Rechnung des Sachverständigen?
Nun zu den Kosten für das Gutachten. Die Versicherung hielt die Rechnung für überhöht. Das Gericht machte hierzu eine wichtige Klarstellung: Als Geschädigter darf man sich grundsätzlich auf das Urteil eines qualifizierten Sachverständigen verlassen. Man ist juristischer und technischer Laie und muss nicht selbst prüfen, ob jeder einzelne Posten der Rechnung bis auf den letzten Cent korrekt ist.
Das Gericht verwies auf die sogenannte Indizwirkung der bezahlten Rechnung. Das klingt kompliziert, ist aber einfach zu verstehen. Wenn ein Geschädigter die Rechnung des Gutachters vollständig bezahlt hat, ist das ein starkes Anzeichen (ein Indiz) dafür, dass die Kosten erforderlich waren. Denn wer würde schon freiwillig eine überhöhte Rechnung komplett bezahlen? Will die gegnerische Versicherung dann immer noch behaupten, die Kosten seien zu hoch, muss sie schon sehr gute Gründe vorbringen. Sie muss beweisen, dass die Rechnung so offensichtlich überteuert war, dass dies selbst einem Laien wie Herrn S. hätte auffallen müssen. Dafür gab es hier aber keinerlei Anzeichen.
Zudem hatte Herr S. im Prozess etwas sehr Kluges getan. Er hatte seine möglichen Ansprüche gegen den Gutachter an die Versicherung abgetreten. Das ist so, als würde er sagen: „Liebe Versicherung, wenn ihr wirklich glaubt, der Gutachter hat zu viel verlangt, dann gebe ich euch hiermit das Recht, das Geld in meinem Namen von ihm zurückzufordern. Aber mir müsst ihr jetzt erst einmal meinen vollen Schaden ersetzen.“ Damit waren die Interessen der Versicherung geschützt, und sie konnte sich nicht mehr bei Herrn S. über die Rechnungshöhe beschweren.
Entschädigung für den Fahrzeugausfall: Wann verliert man den Anspruch?
Zuletzt kam das Gericht auf die Nutzungsausfallentschädigung zu sprechen. War der Zeitraum von knapp zwei Monaten zwischen Unfall und Reparatur zu lang? Das Gericht sagte klar: Nein.
Ein fehlender Nutzungswille wird nur dann vermutet, wenn jemand sein Auto über viele Monate gar nicht reparieren lässt. Ein Zeitraum von unter zwei Monaten reicht dafür nicht aus, besonders nicht in der Sommer- und Ferienzeit, in der Werkstatttermine bekanntermaßen knapp sind.
Noch wichtiger war für das Gericht aber ein anderer Punkt: Die Versicherung hatte die Verzögerung teilweise selbst verursacht! Sie hatte darauf bestanden, ein eigenes Gegengutachten einzuholen, was natürlich Zeit kostete. Das Gericht nannte das Verhalten der Versicherung treuwidrig. Man kann das so übersetzen: Es ist unfair und widersprüchlich, wenn man zuerst selbst für eine Verzögerung sorgt und sich dann hinterher darüber beschwert, dass es zu lange gedauert hat. Man kann nicht den anderen für etwas bestrafen, das man selbst mitverursacht hat.
Daher entschied das Gericht, dass Herr S. auch für diesen Zeitraum Anspruch auf die Entschädigung hat. Er hatte sein Auto reparieren lassen und damit klar gezeigt, dass er es auch nutzen wollte.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Landgericht Lüneburg hat klargestellt, dass Unfallopfer bei eindeutiger Schuld des Gegners umfassend entschädigt werden müssen, auch wenn die gegnerische Versicherung versucht, die Zahlung zu verweigern oder zu reduzieren. Versicherungen können sich nicht erfolgreich auf Mitschuld berufen, wenn sie diese nicht zweifelsfrei beweisen können, und müssen auch die Kosten für fachgerechte Gutachten übernehmen, selbst wenn diese aus ihrer Sicht zu teuer erscheinen. Eine Reparaturverzögerung von unter zwei Monaten führt nicht zum Verlust der Entschädigung für den Fahrzeugausfall, besonders wenn die Versicherung selbst durch eigene Gegengutachten zur Verzögerung beigetragen hat. Das Urteil zeigt, dass sich Geschädigte nicht von den üblichen Verweigerungstaktiken der Versicherungen einschüchtern lassen müssen und bei klarer Rechtslage gute Chancen vor Gericht haben.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Muss ich immer die günstigste Reparaturwerkstatt oder den billigsten Gutachter wählen?
Nein, als Geschädigter eines Unfallschadens sind Sie grundsätzlich nicht verpflichtet, die absolut günstigste Reparaturwerkstatt oder den billigsten Gutachter zu wählen.
Sie haben das Recht, eine Werkstatt Ihres Vertrauens zu beauftragen. Dies liegt daran, dass der Schaden professionell und vollständig behoben werden soll, was als Ihr Wiederherstellungsinteresse bezeichnet wird. Es wird von Ihnen als Laie nicht erwartet, dass Sie umfangreiche Preisvergleiche anstellen, um das allerbilligste Angebot zu finden. Wichtig ist, dass die Kosten für die Reparatur oder das Gutachten erforderlich sind, um den Schaden fachgerecht zu beheben oder zu bewerten.
Ähnlich verhält es sich mit der Wahl eines Sachverständigen: Sie dürfen einen qualifizierten Gutachter beauftragen, der den Schaden neutral und fachgerecht ermittelt.
Eine bereits bezahlte Reparaturrechnung oder ein bereits beglichenes Gutachterhonorar ist ein starkes Indiz dafür, dass die Kosten tatsächlich angefallen und auch erforderlich waren. Versicherungen haben es dann schwerer, diese Kosten im Nachhinein als zu hoch anzuzweifeln.
Möchte eine Versicherung die geltend gemachten Kosten als zu hoch beanstanden, liegt die Beweislast in der Regel bei ihr. Das bedeutet, die Versicherung muss konkret nachweisen, dass die gewählten Kosten offensichtlich unwirtschaftlich oder nicht notwendig waren. Sie müsste zum Beispiel darlegen, dass eine vergleichbar gute Reparatur oder Begutachtung deutlich günstiger möglich gewesen wäre, ohne die Qualität oder den Umfang der Leistung zu mindern. Diese Anforderungen an die Versicherung sind hoch, da sie in die Entscheidungsfreiheit des Geschädigten eingreifen.
Kann ich meinen Anspruch auf Entschädigung verlieren, wenn die Reparatur meines Fahrzeugs länger dauert?
Grundsätzlich kann der Anspruch auf eine sogenannte Nutzungsausfallentschädigung bestehen bleiben, auch wenn die Reparatur Ihres Fahrzeugs nicht unmittelbar nach einem Unfall beginnt oder länger dauert als erwartet. Diese Entschädigung soll den finanziellen Nachteil ausgleichen, dass Sie Ihr Fahrzeug nicht nutzen können, obwohl Sie es eigentlich bräuchten. Es handelt sich hierbei um eine Entschädigung für den entgangenen Gebrauchswert des Wagens, nicht um tatsächliche Mietwagenkosten.
Wann der Anspruch besteht
Für den Erhalt der Nutzungsausfallentschädigung ist entscheidend, dass Sie Ihr Fahrzeug hätten nutzen wollen und auch hätten nutzen können. Man spricht hier vom Nutzungswillen und der Nutzungsmöglichkeit.
- Zeit für Schadensfeststellung und Entscheidung: Es ist allgemein anerkannt, dass Sie eine angemessene Zeit benötigen, um den Schaden begutachten zu lassen, Kostenvoranschläge einzuholen und zu entscheiden, ob Sie das Fahrzeug reparieren lassen oder ein Ersatzfahrzeug beschaffen wollen. Eine kurze, notwendige Wartezeit führt in der Regel nicht zum Verlust des Anspruchs.
- Verzögerungen durch die Gegenseite: Wenn die Verzögerung bei der Reparatur oder der Schadensabwicklung durch die gegnerische Versicherung oder den Unfallverursacher verursacht wird, geht dies nicht zu Ihren Lasten. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt. Wenn die Versicherung beispielsweise lange für die Begutachtung braucht, unnötig Rückfragen stellt oder die Reparaturfreigabe verzögert, dürfen diese Tage nicht von Ihrem Entschädigungsanspruch abgezogen werden. Die Gegenseite kann sich nicht auf eine Verzögerung berufen, die sie selbst herbeigeführt hat.
- Übliche Reparaturdauer: Auch die reine Reparaturdauer selbst, einschließlich Wartezeiten auf Ersatzteile oder freie Werkstattkapazitäten, wird in der Regel vom Nutzungsausfallanspruch umfasst, solange sie im Rahmen des Üblichen liegt.
Wann der Anspruch gefährdet sein kann
Ihr Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung könnte jedoch beeinträchtigt sein, wenn:
- Sie Ihr Fahrzeug bewusst und ohne triftigen Grund über einen längeren Zeitraum nicht reparieren lassen oder sich sehr lange mit der Entscheidung über eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung aufhalten.
- Sie das Fahrzeug während des Ausfallzeitraums offensichtlich nicht nutzen wollen – beispielsweise, weil Sie längere Zeit im Urlaub sind und das Fahrzeug auch unbeschädigt nicht genutzt hätten.
Es liegt grundsätzlich an der Gegenseite, also der Versicherung, zu beweisen, dass Sie Ihr Fahrzeug nicht nutzen wollten oder die Verzögerung unbegründet und allein in Ihrer Verantwortung lag. Dies ist oft schwierig für die Versicherung, insbesondere wenn die Verzögerung objektiv nachvollziehbar ist oder sie selbst dazu beigetragen hat.
Wer muss beweisen, wer nach einem Unfall Schuld hat oder welche Schäden entstanden sind?
Im deutschen Recht gilt der Grundsatz: Wer etwas behauptet, muss dies auch beweisen. Dies ist die sogenannte Beweislast. Für Sie als Beteiligten eines Unfalls bedeutet das folgendes:
Beweislast für die Schuld am Unfall
Wenn Sie nach einem Unfall Schadenersatz von einer anderen Person oder deren Versicherung fordern, weil diese den Unfall verursacht haben soll, dann müssen Sie beweisen, dass die andere Person schuld am Unfall war. Sie tragen also die Beweislast dafür, dass der Unfall durch das Fehlverhalten des anderen Unfallbeteiligten entstanden ist. Dies kann durch verschiedene Arten von Beweismitteln geschehen, wie zum Beispiel:
- Polizeiberichte
- Zeugenaussagen
- Fotos vom Unfallort und den Schäden
- Aufnahmen von Dashcams
- Unfallgutachten
Beweislast für die entstandenen Schäden
Auch für die Art und den Umfang der entstandenen Schäden liegt die Beweislast bei der Person, die den Schadenersatz fordert. Wenn Sie also einen bestimmten Schaden geltend machen, müssen Sie beweisen, dass dieser Schaden durch den Unfall entstanden ist und welche Kosten er verursacht. Dies gilt beispielsweise für:
- Reparaturkosten am Fahrzeug
- Kosten für ein Ersatzfahrzeug (Mietwagen)
- Kosten für medizinische Behandlungen bei Personenschäden
- Schmerzensgeld
- Verdienstausfall
Auch hier sind entsprechende Belege wie Reparaturrechnungen, Kostenvoranschläge, ärztliche Atteste oder Gutachten notwendig, um Ihre Ansprüche zu belegen.
Beweislast bei Gegenbehauptungen der Gegenseite
Eine wichtige Ausnahme oder Ergänzung zu diesem Grundsatz betrifft die Behauptungen der Gegenseite. Behauptet die Gegenseite, Sie hätten eine Mitschuld am Unfall, muss sie diese Mitschuld beweisen. Gleiches gilt, wenn die Gegenseite Ihre geltend gemachten Schäden als überhöht oder nicht unfallbedingt ansieht – auch das muss von ihr belegt werden. Sie müssen also nicht jeden Vorwurf der Gegenseite widerlegen, sondern die Gegenseite muss ihre eigenen Behauptungen beweisen.
Es ist daher entscheidend, alle relevanten Informationen und Belege nach einem Unfall sorgfältig zu sichern, da sie im Falle einer Auseinandersetzung als Beweismittel dienen.
Was kann ich tun, wenn die gegnerische Versicherung meine Schadensersatzansprüche ablehnt oder kürzt?
Wenn die gegnerische Versicherung Ihre Schadensersatzansprüche ablehnt oder kürzt, kann dies zunächst frustrierend sein. Doch auch in dieser Situation stehen Ihnen verschiedene Möglichkeiten offen, Ihre Position zu stärken. Der erste und wichtigste Schritt ist es, die Begründung der Versicherung genau zu verstehen. Prüfen Sie detailliert, warum Ihre Ansprüche abgelehnt oder reduziert wurden – bezieht sich die Versicherung auf die Schuldfrage, die Höhe des Schadens, oder gibt es andere Gründe?
Beweismittel sorgfältig prüfen und ergänzen
Im Kern jeder erfolgreichen Schadensersatzforderung steht eine solide Beweislage. Überprüfen Sie alle bereits vorhandenen Unterlagen wie Fotos vom Unfallort, Zeugenaussagen, Polizeiberichte oder ärztliche Atteste. Oftmals sind zusätzliche Beweise erforderlich, um die Argumentation der Versicherung zu entkräften. Für Sie bedeutet das, alle relevanten Informationen umfassend zu sichern:
- Fotos und Videos: Halten Sie den Schaden und die Umgebung umfassend fest.
- Zeugenaussagen: Kontaktieren Sie mögliche Zeugen und bitten Sie um schriftliche Aussagen oder Kontaktdaten.
- Dokumente: Sammeln Sie alle relevanten Belege über entstandene Kosten (z.B. Reparaturrechnungen, Mietwagenkosten, Belege für Heilbehandlungen).
- Kommunikation: Bewahren Sie den gesamten Schriftverkehr mit der Versicherung auf.
Bedeutung von unabhängigen Gutachten
Gerade wenn die Höhe des Schadens oder der kausale Zusammenhang zwischen einem Ereignis und dem Schaden bestritten wird, ist ein unabhängiges Sachverständigengutachten oft ausschlaggebend. Ein solches Gutachten bewertet den Schaden objektiv und nachvollziehbar. Es kann die Argumente der Versicherung entkräften und die tatsächliche Schadenshöhe fundiert belegen. Ein qualifiziertes Gutachten stärkt Ihre Position erheblich, da es auf fachlicher Expertise basiert und nicht auf einer Einschätzung der Gegenseite.
Die rechtliche Auseinandersetzung vorbereiten
Die Argumente einer Versicherung basieren oft auf spezifischen rechtlichen Einschätzungen oder Vertragsbedingungen. Um diesen wirksam zu begegnen, ist ein fundiertes Verständnis der Rechtslage und der relevanten Paragraphen entscheidend. Es geht darum, die Ablehnungsgründe der Versicherung juristisch zu widerlegen. Dies erfordert eine präzise Analyse der Sach- und Rechtslage. Wenn Sie die Begründung der Versicherung nicht nachvollziehen können oder Zweifel an deren Richtigkeit haben, ist es wichtig, sich mit den rechtlichen Hintergründen und den Anforderungen an eine erfolgreiche Anspruchsdurchsetzung intensiv auseinanderzusetzen. Die genaue Kenntnis der eigenen Rechte und Pflichten bildet die Basis für das weitere Vorgehen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Beweislast
Die Beweislast beschreibt im Recht, wer dafür verantwortlich ist, eine Behauptung vor Gericht zu beweisen. Im Unfallfall bedeutet das: Wer eine Tatsache für sich geltend macht, muss diese auch nachweisen. Wird zum Beispiel behauptet, jemand sei am Unfall schuld, muss diese Person oder deren Versicherung dies durch Beweismittel (etwa Fotos, Zeugenaussagen) belegen. Die Beweislast ist zentral, weil das Gericht ohne ausreichende Beweise eine Behauptung meist nicht anerkennt.
Beispiel: Wenn die Versicherung sagt, der Geschädigte sei mitverantwortlich für den Unfall, muss die Versicherung dafür Beweise vorlegen – sie kann nicht einfach nur behaupten, der Geschädigte habe falsch gefahren.
Rechtsfahrgebot
Das Rechtsfahrgebot ist eine Regel der Straßenverkehrsordnung (StVO), nach der Fahrzeuge grundsätzlich möglichst weit rechts auf der Fahrbahn fahren müssen. Dies dient der Sicherheit, weil so Abstände zwischen Fahrzeugen eingehalten werden und Verkehrsfluss gewährleistet wird. Beim Unfall wird geprüft, ob ein Fahrer das Gebot missachtet hat, was eine Mitschuld am Unfall begründen kann.
Beispiel: Wer auf einer mehrspurigen Straße immer in der linken Spur ohne triftigen Grund fährt, verstößt gegen das Rechtsfahrgebot.
Indizwirkung der bezahlten Rechnung
Die Indizwirkung bedeutet, dass die vollständige Bezahlung einer Rechnung einen starken Anhaltspunkt dafür darstellt, dass die Kosten berechtigt und notwendig waren. Das Gericht geht dann in der Regel davon aus, dass die Rechnung nicht überhöht ist, solange keine klaren Gegenbeweise vorliegen. Für den Geschädigten bedeutet dies Rechtssicherheit: Wer bezahlt hat, muss das nicht bei jedem Posten selbst auf Plausibilität prüfen.
Beispiel: Wenn Sie nach einem Unfall die Rechnung des Gutachters zahlen, zeigt das Gericht daraus, dass der Gutachter ordnungsgemäß gearbeitet hat und die Kosten anzuerkennen sind.
Nutzungswillen
Der Nutzungswille bezeichnet den erkennbaren Willen des Geschädigten, sein Fahrzeug nach einem Unfall auch tatsächlich zu benutzen. Er ist Voraussetzung dafür, dass der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung besteht – also den finanziellen Ausgleich für die Zeit, in der das Auto wegen der Reparatur nicht genutzt werden kann. Fehlt der Nutzungswille (zum Beispiel, wenn das Fahrzeug lange nicht repariert wird, obwohl es hätte genutzt werden können), kann der Anspruch entfallen.
Beispiel: Wenn Sie Ihr Auto bewusst mehrere Monate im Unfallzustand stehen lassen, ohne es zu reparieren oder zu verwenden, zeigt das keinen Nutzungswillen.
Treuwidrigkeit
Treuwidrigkeit bedeutet im Recht ein Verhalten, das den Grundsätzen von Treu und Glauben widerspricht, also unfair oder widersprüchlich ist. Im Streit ums Schadensersatzrecht spricht man von treuwidrigem Verhalten, wenn eine Partei etwa selbst Verzögerungen verursacht, sich anschließend aber auf diese Verzögerungen beruft, um Ansprüche der anderen Partei zu kürzen oder abzulehnen. Das Gericht wertet derartiges Verhalten als unzulässig.
Beispiel: Wenn eine Versicherung absichtlich Verzögerungen bei der Schadensregulierung verursacht und dann sagt, der Geschädigte habe das Auto zu spät reparieren lassen, ist das treuwidrig.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Straßenverkehrsgesetz (StVG), insbesondere § 7 StVG und § 17 StVG: Das Straßenverkehrsgesetz regelt die Haftung für Schäden, die durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. § 7 StVG begründet eine sogenannte Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters, das heißt, er haftet grundsätzlich für Schäden, die von seinem Fahrzeug ausgehen, auch ohne eigenes Verschulden. § 17 StVG regelt, wie der Schaden aufgeteilt wird, wenn mehrere Fahrzeuge oder Personen an der Entstehung eines Unfalls beteiligt waren und damit zur Schadenverursachung beigetragen haben. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Haftung von Frau M. und ihrer Versicherung beruht auf diesen Vorschriften, da durch den Betrieb ihres Fahrzeugs ein Schaden verursacht wurde. Insbesondere § 17 StVG war relevant für die Prüfung der Frage, ob Herr S. eine Mitschuld am Unfall trug, die den Schaden mindern würde.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 249 BGB (Art und Umfang des Schadensersatzes): Diese zentrale Norm des Schadensrechts bestimmt, dass derjenige, der einen Schaden verursacht hat, den Zustand wiederherstellen muss, der bestehen würde, wenn der Schaden nicht eingetreten wäre. Dies bedeutet, der Geschädigte soll so gestellt werden, als hätte es das schädigende Ereignis nie gegeben. Der Ersatz kann durch Reparatur oder durch Zahlung des hierfür erforderlichen Geldbetrags erfolgen und umfasst alle unfallbedingten Aufwendungen, wie Reparaturkosten, Gutachterkosten oder auch eine Entschädigung für den Nutzungsausfall. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Herr S. verlangte auf Grundlage des § 249 BGB Ersatz seiner Reparatur-, Gutachter- und Nutzungsausfallkosten, die durch den Unfall entstanden sind, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 254 BGB (Mitverschulden): Diese Vorschrift regelt, dass sich der Schadensersatz mindert oder sogar ganz entfällt, wenn der Geschädigte selbst durch sein Verhalten an der Entstehung des Schadens mitgewirkt hat oder eine Schadensminderungspflicht verletzt hat. Dabei wird eine Abwägung der Verursachungsbeiträge auf beiden Seiten vorgenommen. Das Gesetz fördert somit die Eigenverantwortung und soll verhindern, dass jemand für einen Schaden voll haftet, an dem der Geschädigte selbst einen Anteil trägt. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherung von Frau M. versuchte, die Zahlungspflicht durch den Vorwurf eines Mitverschuldens von Herrn S. (Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot) gemäß § 254 BGB zu reduzieren.
- Zivilprozessordnung (ZPO), Grundsatz der Beweislast: Im deutschen Zivilprozess muss grundsätzlich jede Partei die Tatsachen beweisen, die zu ihren Gunsten wirken und die sie zur Begründung ihrer Ansprüche oder zur Abwehr von Gegenansprüchen vorträgt. Wer sich auf eine bestimmte Tatsache beruft, um beispielsweise einen Anspruch durchzusetzen oder eine Haftung zu mindern, trägt die Beweislast für diese Tatsache. Gelingt der Beweis nicht, geht dies zu Lasten der Partei, die die Beweislast trägt. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Da die Versicherung die Mitschuld von Herrn S. behauptete, trug sie die Beweislast dafür, was ihr vor Gericht nicht gelang.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 249 BGB in Bezug auf die Indizwirkung bezahlter Gutachtenkosten: Wenn ein Geschädigter die Rechnung eines Sachverständigen nach einem Unfall bereits vollständig bezahlt hat, gilt dies als starkes Anzeichen oder „Indiz“ dafür, dass die Kosten angemessen und erforderlich waren. Dieses Prinzip basiert auf der Annahme, dass niemand freiwillig überhöhte Rechnungen ohne Not begleicht. Möchte die gegnerische Versicherung die Höhe der Gutachterkosten anfechten, muss sie detailliert beweisen, dass diese Kosten objektiv überhöht und für den Geschädigten als Laien erkennbar unangemessen waren. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die vom Landgericht Lüneburg anerkannte Indizwirkung der von Herrn S. bezahlten Gutachterkosten stärkte seine Position und erschwerte der Versicherung den Nachweis überhöhter Kosten.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 242 BGB (Grundsatz von Treu und Glauben): Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz besagt, dass jedermann seine Leistungspflichten so erfüllen muss, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Er dient dazu, Lücken im Gesetz zu schließen und unbillige Ergebnisse zu vermeiden, indem er fordert, dass niemand aus seinem eigenen widersprüchlichen Verhalten oder einer von ihm selbst verursachten Situation Vorteile ziehen darf. Im Kern geht es um Fairness und Verlässlichkeit im Rechtsverkehr. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherung konnte Herrn S. keinen fehlenden Nutzungswillen vorwerfen, da sie durch die Anforderung eines Gegengutachtens die Reparaturverzögerung gemäß § 242 BGB selbst mitverursacht hatte und sich widersprüchlich verhielt.
Das vorliegende Urteil
AG Bad Kissingen – Az.: 72 C 383/20 – Urteil vom 09.03.2021
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