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Umsatzsteuer aus fiktiven Reparaturkosten bei Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs

LG Koblenz – Az.: 12 S 4/12 – Urteil vom 25.04.2012

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Neuwied vom 07.12.2011, Az. 41 C 1037/11, abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 598,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.02.2011 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Kosten in Höhe von 83,54 Euro zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die beklagte Haftpflichtversicherung nach einem Verkehrsunfall vom 29.01.2011, für den die volle Haftung der Beklagten außer Streit steht, auf Zahlung der in einem vorprozessual eingeholten Gutachten angegebenen Umsatzsteuer für eine Reparatur in Anspruch.

In dem Gutachten hat der Sachverständige Reparaturkosten von 3.148,73 Euro netto zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von 598,26 Euro angegeben. Die Wertminderung des Unfallfahrzeugs hat er auf 300,00 Euro beziffert, den Zeitwert des Fahrzeugs auf 14.100,00 Euro incl. Mehrwertsteuer und den Restwert auf 8.000,00 Euro geschätzt. Die Klägerin hat das beschädigte Fahrzeug nicht reparieren lassen, sondern ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis von 23.109,24 Euro zuzüglich 4.390,76 Euro Mehrwertsteuer erworben.

Die Beklagte hat vorgerichtlich die fiktiven Reparaturkosten in Höhe von 3.148,73 Euro sowie die Wertminderung in Höhe von 300,00 Euro erstattet, den Ersatz der von der Klägerin geltend gemachten Mehrwertsteuer begrenzt auf die Mehrwertsteuer, die bei einer Reparatur angefallen wäre, jedoch abgelehnt.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stünde bei der vorliegenden Ersatzbeschaffung ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich angefallenen Mehrwertsteuer zu, begrenzt auf die Mehrwertsteuer, die bei einer Reparatur angefallen wäre. Bei der Kombination der fiktiven Reparaturkostenabrechnung und der bei der Ersatzbeschaffung konkret angefallenen Mehrwertsteuer begrenzt auf diejenige, die bei einer Reparatur angefallen wäre, erleide der Haftpflichtversicherer gerade keinen Nachteil und der Geschädigte keinen Vorteil im Vergleich zur Abrechnung im Falle der Reparatur des Fahrzeugs. Die Klägerin wäre hierdurch nicht ungerechtfertigt bereichert. Der Anspruch sei nicht nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB ausgeschlossen. Der Umstand, dass die Klägerin nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot in ihrer Dispositionsfreiheit auf die Reparatur des Fahrzeugs beschränkt gewesen sei, habe nach den Grundsätzen des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB keine Auswirkung auf die Frage der Erstattungsfähigkeit der tatsächlich angefallenen Mehrwertsteuer, sondern allein auf die Höhe des bestehenden Anspruchs. Im übrigen handele es sich um eine konkrete Schadensberechnung, da die Klägerin den Schaden tatsächlich behoben habe. Es verhalte sich so, als ob die Klägerin bei der Reparatur ihres Unfallfahrzeugs einen aufwendigeren Reparaturweg gewählt und die dafür angefallenen Reparaturkosten sodann auf den erforderlichen Betrag begrenzt habe.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 598,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.02.2011 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Klägerin verstoße gegen ihre Schadensminderungspflicht und vermische unzulässigerweise fiktive und konkrete Abrechnung. Der Anspruch auf Ersatz der Mehrwertsteuer sei vorliegend nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB ausgeschlossen, da Mehrwertsteuer bezogen auf den Fahrzeugschaden nicht gezahlt worden sei. Der Kauf eines Ersatzfahrzeugs sei ein ganz anderer steuerlicher Vorgang und daher nicht zu berücksichtigen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB Mehrwertsteuer auf Reparaturkosten nur dann ersetzt verlangt werden könne, sofern eine entsprechende Mehrwertsteuer (auf Reparaturkosten) tatsächlich entrichtet worden sei. Der Klageforderung liege eine unzulässige Kombination fiktiver und konkreter Schadensabrechnung zugrunde.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die das Urteil des Amtsgerichts unter Vertiefung ihrer erstinstanzlichen rechtlichen Ausführungen vollumfänglich angreift.

Sie beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Neuwied vom 07.12.2011 – Az.: 41 C 1037/11 – abzuändern und nach den Schlussanträgen der ersten Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in erster Instanz. Ergänzend trägt sie vor, dass im Falle eines Schadensersatzanspruches auf Ersatzbeschaffung keine Mehrwertsteuer angefallen wäre, da es das geschädigte Fahrzeug der Klägerin auf dem Markt nur regelbesteuert und nicht differenzbesteuert gebe.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

1.

Die Klägerin hat gemäß §§ 7 Abs. 1,17 Abs. 1 StVG, 115 VVG Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Mehrwertsteuer.

a)

Die Klägerin war zur Ersatzbeschaffung berechtigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehen dem Geschädigten im allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: Die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines „gleichwertigen“ Ersatzfahrzeugs. Unter den zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten der Naturalrestitution hat der Geschädigte nach dem sogenannten Wirtschaftlichkeitspostulat grundsätzlich diejenige zu wählen, die den geringsten Aufwand erfordert. Darüber hinaus findet das Wahlrecht des Geschädigten seine Schranke an dem Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern (BGH VersR 2009, 1554 m.w.N.).

Die vorliegende Ersatzbeschaffung war vom Wirtschaftlichkeitsgebot nicht gedeckt. Allerdings konnte die Klägerin statt einer wirtschaftlich gebotenen Reparatur eine höherwertige Ersatzsache erwerben. Auch in diesem Fall kann sie nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot aber nur auf Reparaturkostenbasis abrechnen, weil eine Reparatur den geringsten Aufwand zur Schadensbeseitigung erforderte. Rechnet die Klägerin insoweit auf Basis eines vorgerichtlich eingeholten Gutachtens ab, handelt es sich um eine fiktive Schadensabrechnung, weil eine Reparatur nicht tatsächlich durchgeführt worden ist (vgl. BGH a.a.O.).

b)

Der Anspruch ist nicht nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift soll bei der Beschädigung einer Sache die Umsatzsteuer nur dann ersetzt werden, wenn und soweit sie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands durch Reparatur oder Ersatzbeschaffung auch tatsächlich anfällt, d. h. wenn und soweit sie der Geschädigte zur Wiederherstellung aus seinem Vermögen aufgewendet oder er sich hierzu verpflichtet hat (Bundestagsdrucksache 14/7752 Seite 23). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll auch die Möglichkeit bestehen, dem Wirtschaftlichkeitspostulat nicht zu folgen, sondern eine andere Art der Wiederherstellung zu wählen und auf der Basis der wirtschaftlich gebotenen Wiederherstellung fiktiv abzurechnen. So kann der Geschädigte nach wie vor etwa eine höherwertige Ersatzsache anschaffen (Bundestagsdrucksache 14/7752 Seite 24). In diesen Fällen soll es für den Ersatz der Umsatzsteuer nur darauf ankommen, ob sie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes angefallen ist, nicht aber welchen Weg der Geschädigte zur Wiederherstellung beschritten hat. Auch wenn der Geschädigte das Gebot der Wirtschaftlichkeit verletze und nicht den zumutbaren Weg zur Schadensbeseitigung wähle, der den geringeren Aufwand erfordere, so soll er damit nicht den Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer verlieren, wenn auf dem von ihm gewählten Weg Umsatzsteuer anfällt. Sein Anspruch soll jedoch auf den Umsatzsteuerbetrag begrenzt sein, der bei dem wirtschaftlich günstigeren Weg angefallen wäre: „Fällt bei der konkreten Wiederherstellung Umsatzsteuer auf das Entgelt für die Reparatur oder Ersatzbeschaffung an, kann sie bis zur Höhe des Umsatzsteuerbetrages verlangt werden, der bei der wirtschaftlich günstigeren Wiederherstellung angefallen wäre“ (Bundestagsdrucksache a.a. O.).

Danach liegt hier keine unzulässige Kombination fiktiver und konkreter Schadensabrechnung vor. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug auf dem Markt nur differenzbesteuert oder regelbesteuert zu erwerben wäre, da maßgeblich für die Höhe des Ersatzanspruches vorliegend die auf die fiktiven Reparaturkosten entfallende Umsatzsteuer ist. Die Klägerin ist weder bereichert noch entsteht der Beklagten hierdurch ein wirtschaftlicher Nachteil.

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen, die den wesentlichen Grundsätzen des Schadensersatzrechts, insbesondere dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und des Verbots der Überkompensation, sowie der Dispositionsfreiheit des Geschädigten hinreichend Rechnung tragen und die die Kammer sich zu eigen macht, war die hier geltend gemachte Mehrwertsteuer in voller Höhe erstattungsfähig.

2.

Die Beklagte schuldet der Klägerin nach § 249 Abs. 1 BGB auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 Euro. Der Zinsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt des Verzugs gerechtfertigt (§§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB).

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob der Geschädigte die für die Beschaffung eines höherwertigen Ersatzfahrzeugs angefallene Mehrwertsteuer in der Höhe verlangen kann, in der Mehrwertsteuer aus fiktiven Reparaturkosten angefallen wäre, ist bislang nicht höchstrichterlich entschieden. In der Entscheidung des BGH vom 22.09.2009 (VersR 2009, 1554 ff.) ist bei der Ersatzbeschaffung keine Umsatzsteuer angefallen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 600,– Euro festgesetzt.

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