Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Schwerer Unfall mit Linienbus: Gericht weist Schmerzensgeldklage einer 15-Jährigen ab
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet es, wenn ich als Fußgängerin oder Fußgänger ein Mitverschulden an einem Verkehrsunfall trage?
- Wie wird meine Schuld als Fußgängerin oder Fußgänger gegenüber der allgemeinen Gefahr eines Kraftfahrzeugs, der sogenannten Betriebsgefahr, bewertet?
- Welche Pflichten habe ich als Fußgängerin oder Fußgänger beim Überqueren einer Straße zu beachten?
- Spielt mein Alter eine Rolle, wenn ich als Kind oder Jugendliche in einen Verkehrsunfall verwickelt bin?
- Wann trägt der Fahrer eines Busses oder anderen Fahrzeugs die Schuld an einem Unfall mit einer Fußgängerin oder einem Fußgänger?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 31 O 289/17 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: LG Neuruppin
- Datum: 31.05.2018
- Aktenzeichen: 31 O 289/17
- Verfahrensart: Urteil
- Rechtsbereiche: Straßenverkehrsgesetz (StVG), Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Eine damals 15-jährige Fußgängerin, die nach einem Unfall mit einem Linienbus Schmerzensgeld forderte.
- Beklagte: Die Halterin des Linienbusses und deren Busfahrer, die die Abweisung der Klage beantragten.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Eine 15-jährige Fußgängerin lief zwischen geparkten Autos auf die Fahrbahn und wurde dort von einem Linienbus erfasst. Sie erlitt dabei erhebliche Verletzungen.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage war, ob das grobe Fehlverhalten der 15-jährigen Klägerin beim Betreten der Fahrbahn die Betriebsgefahr des Busses vollständig in den Hintergrund treten lässt und somit ein Anspruch auf Schmerzensgeld entfällt.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Klage auf Schmerzensgeld wurde abgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Begründung: Das Gericht befand, dass das grobe Eigenverschulden der Klägerin, die unachtsam die Fahrbahn betrat, so schwerwiegend war, dass die Betriebsgefahr des Busses vollständig dahinter zurücktritt. Es konnten keine Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten des Busfahrers festgestellt werden. Die Klägerin war mit 15 Jahren alt genug, um die Gefahr ihres Verhaltens einzuschätzen.
- Folgen: Die Klägerin erhielt kein Schmerzensgeld von den Beklagten und muss die Gerichtskosten tragen.
Der Fall vor Gericht
Schwerer Unfall mit Linienbus: Gericht weist Schmerzensgeldklage einer 15-Jährigen ab
Wer kennt das nicht: Man ist in Gedanken oder schaut kurz aufs Handy und achtet im Straßenverkehr einen Moment nicht auf. Meistens geht das gut. Doch manchmal hat eine kurze Unaufmerksamkeit schwerwiegende Folgen. So auch in einem Fall, über den das Landgericht Neuruppin zu entscheiden hatte. Eine junge Frau wurde als Fußgängerin von einem Linienbus erfasst und schwer verletzt. Sie forderte Schmerzensgeld. Doch wie hat das Gericht entschieden, und vor allem, warum?
Der Unfallhergang: Ein unachtsamer Moment mit fatalen Folgen

Es war ein Nachmittag im März 2017, gegen 14:10 Uhr. Eine damals 15-jährige Schülerin, nennen wir sie Frau K. (die Klägerin, also die Person, die vor Gericht eine Forderung stellt), war zu Fuß in Velten unterwegs. Sie wollte die Bahnstraße in Richtung Bahnhof überqueren. Der Busfahrer, Herr M. (der Beklagte, also die Person, gegen die sich die Forderung richtet), lenkte zur gleichen Zeit einen Linienbus mit etwa 40 Stundenkilometern – also innerhalb der erlaubten Geschwindigkeit – auf dieser Straße. Er hielt dabei etwa einen Meter Abstand zum rechten Straßenrand, wo Autos parkten.
Was geschah dann genau? Frau K. lief zwischen zwei geparkten Autos hindurch plötzlich auf die Fahrbahn, direkt vor den herannahenden Bus. Der Bus erfasste sie mit seiner vorderen rechten Seite. Durch die Wucht des Aufpralls wurde Frau K. über ein weiteres geparktes Auto an den rechten Straßenrand geschleudert. Herr M., der Busfahrer, gab später an, Frau K. vor dem Zusammenstoß nicht gesehen zu haben und leitete deshalb auch keine Bremsung ein.
Die Folgen für Frau K. waren gravierend: Sie erlitt einen Bruch des Beckenrings, einen Schlüsselbeinbruch, eine Sprengung der Schambeinfuge (das ist eine Verbindung im vorderen Beckenbereich) sowie Verletzungen an Organen und weitere innere und äußere Wunden. Fast drei Wochen musste sie im Krankenhaus bleiben, gefolgt von einem mehrwöchigen Rehabilitationsaufenthalt. Auch danach waren weitere Behandlungen nötig, und sie befand sich weiterhin in physiotherapeutischer Behandlung. Ihre sportlichen Aktivitäten konnte sie aufgrund der Verletzungen nicht mehr wie früher ausüben.
Ein Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft Neuruppin wegen dieses Unfalls gegen den Busfahrer Herrn M. eingeleitet hatte, wurde eingestellt. Das bedeutet, die Staatsanwaltschaft sah nach Prüfung des Falls keinen ausreichenden Grund für eine Anklage (§ 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung – ein Gesetz, das regelt, wie Strafverfahren ablaufen).
Der Streit vor Gericht: Wer trug die Verantwortung?
Frau K. zog vor Gericht und verklagte Herrn M. und das Busunternehmen (die Beklagte zu 2), dem der Bus gehörte, auf Zahlung von 40.000 Euro Schmerzensgeld. Schmerzensgeld ist eine finanzielle Entschädigung für erlittene körperliche und seelische Leiden. Sie argumentierte, Herr M. hätte sie sehen müssen, als sie zwischen den Autos auf die Straße treten wollte. Sie räumte zwar ein, möglicherweise durch ihr Mobiltelefon abgelenkt gewesen zu sein, meinte aber, der Busfahrer hätte diese Ablenkung erkennen können. Außerdem, so ihre Argumentation, dürfe aufgrund ihres Alters von 15 Jahren die sogenannte Betriebsgefahr des Busses nicht vollständig hinter ihrem eigenen Verschulden zurücktreten. Aber was ist diese Betriebsgefahr? Jedes Kraftfahrzeug stellt allein durch seinen Betrieb, also schon dadurch, dass es fährt, eine gewisse Gefahr dar – auch wenn der Fahrer alles richtig macht. Diese grundsätzliche Gefahr nennt man Betriebsgefahr.
Herr M. und das Busunternehmen forderten, die Klage abzuweisen. Sie behaupteten, Frau K. sei für den Busfahrer nicht erkennbar gewesen. Er habe das sogenannte Sichtfahrgebot beachtet. Das bedeutet, ein Fahrer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der Strecke, die er einsehen kann, anhalten kann. Frau K., so die Beklagten, treffe die volle Schuld, da sie die Straße überquert habe, ohne auf den herannahenden Bus zu achten. Sie verwiesen dabei auf § 25 Absatz 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO), der besagt, dass Fußgänger beim Überqueren der Fahrbahn besonders vorsichtig sein und den Fahrzeugverkehr beachten müssen. Die Betriebsgefahr des Busses, so die Beklagten weiter, trete aufgrund des unvorsichtigen Verhaltens von Frau K. vollständig zurück. Der Unfall sei ohnehin nicht zu verhindern gewesen, da selbst bei einer üblichen Reaktionszeit von einer Sekunde der Busfahrer nicht mehr rechtzeitig hätte bremsen können.
Um Licht ins Dunkel zu bringen, hörte das Gericht eine Zeugin, Frau G., an und schaute sich das Überwachungsvideo aus dem Bus an. Auch die Akte der Staatsanwaltschaft wurde herangezogen.
Die Entscheidung des Gerichts: Keine Entschädigung für die junge Frau
Das Landgericht Neuruppin wies die Klage von Frau K. ab. Das bedeutet, sie erhält kein Schmerzensgeld. Außerdem muss Frau K. die Kosten des gesamten Rechtsstreits tragen. Das Urteil ist zudem vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung. Das heißt, die Gegenseite könnte die Kostenerstattung von Frau K. fordern, müsste aber ihrerseits eine Sicherheit (z.B. Geld) hinterlegen, falls das Urteil in einer höheren Instanz doch noch geändert wird.
Die Gründe für das Urteil: Warum entschied das Gericht so?
Das Gericht erklärte, dass die Klage zwar zulässig, aber unbegründet sei. Frau K. habe keinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Zwar haften der Busfahrer und das Busunternehmen grundsätzlich für Schäden, die durch den Betrieb des Busses entstehen. Das Busunternehmen haftet aus der bereits erwähnten Gefährdungshaftung nach § 7 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Das ist eine Haftung, die unabhängig von einem Verschulden eintritt – allein die Gefahr, die vom Betrieb eines Fahrzeugs ausgeht, reicht aus. Der Busfahrer haftet aus vermutetem Verschulden gemäß § 18 Absatz 1 StVG. Das bedeutet, es wird zunächst davon ausgegangen, dass ihn ein Verschulden trifft, er kann aber beweisen, dass dies nicht der Fall war.
Das überwiegende Mitverschulden der Klägerin
Der entscheidende Punkt war jedoch das Mitverschulden von Frau K. nach § 9 StVG in Verbindung mit § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Diese Paragraphen regeln, dass wenn jemand einen Schaden erleidet, aber selbst durch eigenes fehlerhaftes Verhalten dazu beigetragen hat, sein Anspruch auf Schadensersatz gekürzt werden kann oder sogar ganz entfällt. Und genau das sah das Gericht hier als gegeben an. Das Mitverschulden von Frau K. wog nach Ansicht des Gerichts so schwer, dass die allgemeine Betriebsgefahr des Linienbusses dahinter vollständig zurücktrat. Man könnte es vergleichen mit jemandem, der bei Rot über eine vielbefahrene Ampel rennt und angefahren wird – hier würde man auch sagen, dass die Hauptverantwortung beim Fußgänger liegt.
Das Gericht war nach der Befragung der Zeugin und der Sichtung der Beweismittel davon überzeugt, dass Frau K. den Unfall verursacht hat, weil sie grob fahrlässig gegen die Pflicht aus § 25 Absatz 3 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen hat. Diese Regel besagt klar, dass Fußgänger die Fahrbahn nur überqueren dürfen, wenn sie sich vorher vergewissert haben, dass sie keinem Fahrzeug in den Weg treten. Sie müssen besonders vorsichtig sein. Die Fahrbahn, so das Gericht, diene in erster Linie dem Fahrzeugverkehr, und Fußgänger müssen darauf Rücksicht nehmen.
Frau K. selbst konnte sich an den Unfallhergang nicht erinnern. Die Zeugin Frau G. bestätigte aber glaubhaft, dass Frau K. ohne anzuhalten auf die Straße gelaufen sei und sich nicht umgeschaut habe. Die Zeugin, die den Unfall beobachtet hatte und als unbeteiligt galt, habe noch gedacht, dass man so etwas normalerweise nicht mache. Das Gericht hatte keine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussage.
Zudem war das Gericht überzeugt, dass Frau K. vor dem Betreten der Fahrbahn überhaupt nicht auf den Bus geachtet, sondern nach unten geschaut hatte – möglicherweise auf ihr Handy, wie sie selbst eingeräumt hatte. Der herannahende Linienbus wäre für sie aber rechtzeitig und deutlich erkennbar gewesen.
Kein nachweisbares Verschulden des Busfahrers
Gleichzeitig konnte das Gericht keine Anhaltspunkte dafür finden, dass der Busfahrer Herr M. den Unfall schuldhaft verursacht hätte. Für den Beweis, dass jemand Schuld trägt, braucht das Gericht nach § 286 der Zivilprozessordnung (ZPO) – das ist das Regelwerk für Zivilverfahren – die volle richterliche Überzeugung. Das bedeutet einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifel schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Frau K. konnte das Gericht aber nicht davon überzeugen, dass Herr M. sie tatsächlich früher hätte sehen und entsprechend reagieren können.
Unbestritten war, dass Herr M. mit 40 km/h fuhr. Wie weit war Frau K. vom Bus entfernt, als sie auf die Straße trat? Die Angaben schwankten. Frau K. konnte sich nicht erinnern. Herr M. sprach von eher 5 Metern. Das Überwachungsvideo aus dem Bus zeigte keinen genauen Abstand, nur die Kollision. Die Zeugin Frau G. schätzte die Entfernung auf etwa 3 Meter, als Frau K. auf die Straße trat.
Das Gericht stellte fest: Solange sich Frau K. noch auf dem Fußweg befand, war sie für den Busfahrer nicht sichtbar. Dies bestätigte die Zeugin, und auch Frau K. hatte das nicht bestritten. Zwischen den geparkten Autos, wo Frau K. auf die Straße trat, stand zudem ein Baum, der die Sicht zusätzlich verdeckte. Die Zeugin gab an, Frau K. erst zwischen den Autos gesehen zu haben und erinnerte sich, dass sie den Gedanken, „gleich passiert etwas“, kaum zu Ende denken konnte, weil Frau K. „praktisch aus dem Nichts“ aufgetaucht sei.
Selbst wenn die Zeugin Frau K. einen winzigen Moment früher gesehen haben sollte als der Busfahrer, so das Gericht, hätte es praktisch keine Zeit für Herrn M. gegeben, um zu reagieren und den Unfall zu verhindern. Ein schuldhafter Verkehrsverstoß des Busfahrers, etwa weil er zu schnell gefahren wäre, lag ebenfalls nicht vor.
Alter der Klägerin spielte keine entscheidende Rolle
Aber was ist mit dem Alter von Frau K.? Sie war zum Unfallzeitpunkt 15 Jahre alt. Konnte sie die Gefahren vielleicht nicht richtig einschätzen? Frau K. argumentierte ja, dass aufgrund ihres Alters die Betriebsgefahr des Busses nicht vollständig hinter ihrem eigenen Verschulden zurücktreten dürfe. Das Gericht sah das anders.
Frau K. war nach Ansicht des Gerichts nicht altersbedingt daran gehindert, die Gefahren des Straßenverkehrs richtig einzuschätzen. Das Gericht bezog sich dabei auf eine Äußerung von Frau K. nach dem Unfall, in der sie deutlich gemacht hatte, dass sie „grundsätzlich nicht ohne zu schauen auf die Straße laufen würde“. Daraus schloss das Gericht, dass sie selbst die Fähigkeit zur Einsicht in ihre Verantwortlichkeit besaß, als sie unvernünftigerweise zwischen den parkenden Autos trotz nahenden Verkehrs auf die Straße lief. Dieses Verhalten war für sie erkennbar grob verkehrswidrig. Mit 15 Jahren, so das Gericht, wusste eine altersgerecht entwickelte Jugendliche, dass sie nicht ohne zu schauen und abgelenkt durch ihr Handy zwischen parkenden Autos auf die Straße laufen darf. Das sei eine elementare Grundlage der Verkehrserziehung.
Auch bestimmte gesetzliche Regelungen, die Minderjährige besonders schützen (§ 828 Absatz 2 oder 3 BGB), änderten an dieser Bewertung nichts. Solche Regeln können zwar bei Verkehrsunfällen mit Jugendlichen bis etwa 15 Jahren eine Rolle spielen. Das gilt aber vor allem dann, wenn sich typische altersbedingte Defizite ausgewirkt haben – zum Beispiel, wenn ein Kind aufgrund seines Alters Entfernungen und Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen konnte. Das war hier aber nach Ansicht des Gerichts nicht der Fall, da Frau K. ja selbst angab, die Gefahren eigentlich zu kennen. Das Gericht verwies darauf, dass schon deutlich jüngere Kinder und Jugendliche wüssten, dass man nicht zwischen parkenden Fahrzeugen hervor und unmittelbar vor herannahende Fahrzeuge auf die Straße treten darf.
Vor diesem Hintergrund, so das Gericht abschließend, lässt das sehr große Verschulden von Frau K. die normale Betriebsgefahr des Linienbusses als völlig untergeordnet erscheinen. Daher wurde ihre Klage auf Schmerzensgeld abgewiesen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Bei Unfällen zwischen Fußgängern und Fahrzeugen können Fußgänger trotz der grundsätzlichen Betriebsgefahr des Fahrzeugs leer ausgehen, wenn sie grob fahrlässig handeln. Das Gericht wies die Schmerzensgeldklage einer 15-jährigen Fußgängerin ab, die ohne zu schauen zwischen parkenden Autos auf die Straße trat und von einem Linienbus erfasst wurde, da ihr Mitverschulden so schwerwiegend war, dass es die Betriebsgefahr des Busses vollständig verdrängte. Auch Jugendliche müssen die grundlegenden Verkehrsregeln beachten, da bereits in jungen Jahren eine ausreichende Einsichtsfähigkeit in Verkehrsgefahren erwartet wird.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet es, wenn ich als Fußgängerin oder Fußgänger ein Mitverschulden an einem Verkehrsunfall trage?
Wenn Sie als Fußgängerin oder Fußgänger ein Mitverschulden an einem Verkehrsunfall tragen, bedeutet dies, dass Ihr eigenes Verhalten maßgeblich zum Unfall oder zu dessen Folgen beigetragen hat. Auch wenn Sie zu Fuß unterwegs sind, sind Sie ein Verkehrsteilnehmer und müssen bestimmte Pflichten und Verkehrsregeln beachten.
Das deutsche Gesetz, insbesondere § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), regelt, wie ein solches eigenes Verschulden bei der Verteilung von Schaden und Leid berücksichtigt wird. Es geht darum, wie stark Ihr eigenes Verhalten die Unfallfolgen beeinflusst hat und wie sich dies auf die Haftung anderer Beteiligter auswirkt.
Typische Beispiele für Fußgänger-Mitverschulden
Ein Mitverschulden liegt vor, wenn Sie als Fußgängerin oder Fußgänger die im Straßenverkehr übliche Sorgfalt nicht walten lassen. Dazu gehören beispielsweise:
- Das Überqueren einer Straße bei roter Ampel oder außerhalb eines Zebrastreifens, wenn ein solcher in der Nähe ist.
- Das plötzliche und unerwartete Betreten der Fahrbahn, ohne auf den fließenden Verkehr zu achten.
- Unaufmerksamkeit durch Ablenkung, etwa durch die intensive Nutzung eines Smartphones oder anderer elektronischer Geräte, die dazu führt, dass Sie den Verkehr nicht richtig wahrnehmen.
- Das Gehen auf der Fahrbahn, obwohl ein Gehweg vorhanden oder zumutbar wäre.
Auswirkungen auf Schadensersatz und Schmerzensgeld
Die direkte Konsequenz eines Mitverschuldens ist, dass Ihre Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gekürzt werden können. Das bedeutet, dass Sie möglicherweise nicht den vollen Betrag für Ihre erlittenen Schäden (z.B. Behandlungskosten, Verdienstausfall, Sachschäden) und für Ihr Schmerzensgeld erhalten. Die Kürzung hängt davon ab, wie hoch Ihr eigener Anteil am Unfallgeschehen im Vergleich zum Fehlverhalten des Fahrzeugführers bewertet wird.
Im Einzelfall kann ein sehr erhebliches Mitverschulden sogar dazu führen, dass Sie gar keine Ansprüche mehr geltend machen können oder unter Umständen sogar selbst für Schäden des Unfallgegners haften müssen.
Bewertung des Mitverschuldens und dessen Einfluss auf die Haftung des Fahrzeugführers
Gerichte oder die beteiligten Versicherungen prüfen in solchen Fällen sehr genau, welche Ursachen zum Unfall geführt haben. Dabei wird abgewogen, inwieweit das Fehlverhalten des Fußgängers und die sogenannte „Betriebsgefahr“ des Fahrzeugs (also die allgemeine Gefahr, die vom Betrieb eines Kraftfahrzeugs ausgeht) zum Unfall beigetragen haben.
Für den Fahrzeugführer bedeutet Ihr Mitverschulden, dass seine Haftung für den Unfall reduziert wird. Die letztendliche Haftungsverteilung, also wer welchen Anteil am Schaden zu tragen hat, ergibt sich aus der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls und der Beiträge der jeweiligen Unfallbeteiligten. Es ist eine Gewichtung der Verantwortlichkeiten, die zu einer gerechten Verteilung der Unfallfolgen führen soll.
Wie wird meine Schuld als Fußgängerin oder Fußgänger gegenüber der allgemeinen Gefahr eines Kraftfahrzeugs, der sogenannten Betriebsgefahr, bewertet?
Die Bewertung Ihrer Schuld als Fußgängerin oder Fußgänger im Verhältnis zur sogenannten Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs ist ein zentraler Punkt, wenn es zu einem Unfall kommt. Es geht darum, wie die Gerichte die Haftung des Fahrzeughalters (aufgrund der Fahrzeuggefahr) und Ihr eigenes Verhalten (Ihr mögliches Verschulden) gegeneinander abwägen.
Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs: Haftung ohne direktes Verschulden
Jedes Kraftfahrzeug stellt aufgrund seiner Größe, Geschwindigkeit und Masse eine allgemeine Gefahr dar, sobald es im Straßenverkehr bewegt wird. Diese Gefahr wird als Betriebsgefahr bezeichnet. Für den Fahrzeughalter bedeutet dies eine Gefährdungshaftung. Das heißt, der Halter des Fahrzeugs haftet grundsätzlich für Schäden, die durch den Betrieb seines Fahrzeugs entstehen, selbst wenn ihn persönlich kein direktes Verschulden (z.B. durch Rasen oder Unaufmerksamkeit) trifft. Diese Haftung ist im Straßenverkehrsgesetz (§ 7 StVG) verankert. Stellen Sie sich vor, ein Fahrzeug rollt auf einer abschüssigen Straße weg, weil die Handbremse nicht richtig angezogen war, und beschädigt etwas – der Halter haftet in der Regel, auch wenn er nicht aktiv gefahren ist oder böse Absichten hatte. Es reicht die bloße Möglichkeit, dass das Fahrzeug im Betrieb eine Gefahr darstellt.
Ihr eigenes Verhalten als Fußgängerin oder Fußgänger: Die Rolle des Verschuldens
Als Fußgängerin oder Fußgänger sind Sie ebenfalls für Ihr eigenes Verhalten im Straßenverkehr verantwortlich. Hier spricht man von einer verschuldensabhängigen Haftung. Wenn Sie durch Ihr eigenes Fehlverhalten einen Schaden verursachen, haften Sie dafür. Ein Fehlverhalten kann beispielsweise vorliegen, wenn Sie:
- unerwartet auf die Fahrbahn treten, ohne auf den Verkehr zu achten.
- bei Rotlicht die Straße überqueren.
- die Straße an einer unübersichtlichen Stelle betreten.
Für die Bewertung Ihrer Schuld kommt es darauf an, ob Ihnen Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Das bedeutet, dass Sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet haben.
Die Abwägung durch die Gerichte: Betriebsgefahr gegen Eigenverschulden
Kommt es zu einem Unfall, bei dem ein Fahrzeug und eine Fußgängerin oder ein Fußgänger beteiligt sind, müssen die Gerichte die genannten Faktoren gegeneinander abwägen. Sie legen bildlich gesprochen die Betriebsgefahr des Fahrzeugs auf die eine Waagschale und Ihr mögliches Eigenverschulden auf die andere.
- Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs wird immer als ein gewisser Anteil an der Unfallursache angenommen. Sie ist der „Sockelbetrag“ der Haftung des Fahrzeughalters.
- Ihr Eigenverschulden als Fußgängerin oder Fußgänger kann diesen Anteil mindern oder sogar vollständig aufheben.
Für Sie bedeutet das: Je gravierender Ihr eigenes Fehlverhalten war, desto stärker tritt die Betriebsgefahr des Fahrzeugs in den Hintergrund. Bei einem groben Eigenverschulden Ihrerseits kann es sogar dazu kommen, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs vollständig irrelevant wird. Dies ist der Fall, wenn Ihr Fehlverhalten so schwerwiegend ist, dass es den Unfall ganz überwiegend verursacht hat und die Gefahr, die vom Fahrzeug ausging, im Vergleich dazu kaum ins Gewicht fällt. Ein Beispiel hierfür wäre das unachtsame Laufen auf eine viel befahrene Straße direkt vor ein herannahendes Fahrzeug, ohne jede Möglichkeit für den Fahrer, zu reagieren. In solchen extremen Fällen kann Ihre Haftung als Fußgängerin oder Fußgänger überwiegen oder die alleinige Grundlage für den Schaden sein.
Welche Pflichten habe ich als Fußgängerin oder Fußgänger beim Überqueren einer Straße zu beachten?
Als Fußgängerin oder Fußgänger sind Sie ebenfalls Teil des Straßenverkehrs und haben bestimmte Pflichten zu beachten, um sich selbst und andere nicht zu gefährden. Diese Regeln sollen einen reibungslosen und sicheren Verkehrsfluss gewährleisten und sind in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) festgelegt. Die grundsätzliche Regel ist, dass Sie sich so verhalten müssen, dass niemand geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird.
Die allgemeine Sorgfaltspflicht
Im Kern geht es um die Sorgfaltspflicht. Das bedeutet, dass Sie beim Überqueren einer Fahrbahn besonders aufmerksam sein müssen. Sie dürfen die Straße nur überqueren, wenn dies unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs gefahrlos möglich ist. Diese Pflicht ergibt sich insbesondere aus § 25 Absatz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Für Sie heißt das:
- Achten Sie auf den Fahrzeugverkehr: Bevor Sie die Straße betreten, müssen Sie sich vergewissern, dass die Fahrbahn frei ist oder sich nähernde Fahrzeuge so weit entfernt sind, dass Sie die Straße sicher und ohne Behinderung des Verkehrs überqueren können.
- Kein Überqueren bei freier Fahrbahn: Es ist Ihre Pflicht, die Fahrbahn nur zu betreten, wenn sie für Sie tatsächlich frei ist oder Sie eine ausreichende Lücke im Verkehr finden, um gefahrlos die andere Seite zu erreichen. Sie dürfen nicht einfach auf die Straße treten und darauf vertrauen, dass Fahrzeuge anhalten.
Besondere Regeln für verschiedene Überquerungssituationen
Die spezifischen Pflichten variieren je nachdem, wo und wie Sie die Straße überqueren:
- An Ampeln und Fußgängerüberwegen (Zebrastreifen): Hier haben Sie Vorrang, wenn die Ampel Grün zeigt oder wenn Sie einen Zebrastreifen nutzen. Dennoch ist auch hier Vorsicht geboten: Vergewissern Sie sich immer, dass der Fahrzeugverkehr wirklich anhält oder Sie wahrgenommen hat, bevor Sie die Fahrbahn betreten. Ein kurzes Blick auf die Fahrzeuge hilft, unerwartete Situationen zu vermeiden.
- Ohne Ampel oder Zebrastreifen: Wenn keine Ampel oder kein Zebrastreifen vorhanden ist, müssen Sie noch vorsichtiger sein:
- An Kreuzungen oder Einmündungen: Überqueren Sie die Fahrbahn möglichst nur im Bereich von Kreuzungen oder Einmündungen. Hier sind Fahrzeuge oft langsamer und die Verkehrssituation ist für alle Beteiligten übersichtlicher.
- Außerhalb von Kreuzungen oder Einmündungen: Wenn Sie die Straße abseits von Kreuzungen oder Einmündungen überqueren, müssen Sie dies auf dem kürzesten Weg tun und den Fahrzeugverkehr besonders intensiv beachten. Sie haben hier keinen Vorrang. Das bedeutet, Sie dürfen die Fahrbahn nur dann betreten, wenn Sie den herannahenden Verkehr nicht behindern oder gefährden.
Das Verständnis dieser Pflichten hilft Ihnen, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen und Unfälle zu vermeiden. Das umsichtige Verhalten als Fußgänger ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer.
Spielt mein Alter eine Rolle, wenn ich als Kind oder Jugendliche in einen Verkehrsunfall verwickelt bin?
Ja, das Alter spielt eine sehr wichtige Rolle, wenn Kinder oder Jugendliche in einen Verkehrsunfall verwickelt sind. Das Gesetz schützt Minderjährige besonders, weil ihre Entwicklung und Erfahrung im Straßenverkehr noch nicht abgeschlossen sind. Ob ein Kind oder Jugendlicher für einen Unfall selbst verantwortlich gemacht werden kann, hängt stark von seinem Alter und seiner individuellen Fähigkeit ab, Gefahren zu erkennen und die Regeln zu verstehen.
Altersstufen und die Frage der Verantwortung
Das deutsche Recht unterscheidet hier klar zwischen verschiedenen Altersgruppen, wenn es darum geht, ob ein Kind oder Jugendlicher für einen verursachten Schaden haftbar gemacht werden kann, also ob es „deliktsfähig“ ist. Deliktsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit, für ein Fehlverhalten, das zu einem Schaden führt, rechtlich verantwortlich zu sein.
- Kinder unter 7 Jahren: Grundsätzlich sind Kinder unter sieben Jahren nicht deliktsfähig. Das bedeutet, sie können für Schäden, die sie verursachen, nicht persönlich haftbar gemacht werden. Bei einem Verkehrsunfall sind sie daher in aller Regel von einer eigenen Schuld ausgenommen.
- Kinder zwischen 7 und 10 Jahren bei Verkehrsunfällen mit Kraftfahrzeugen: Für Unfälle im Straßenverkehr, an denen ein Kraftfahrzeug (z.B. Auto, Motorrad) beteiligt ist, gibt es eine besondere Schutzregelung: Kinder zwischen sieben und zehn Jahren sind nicht für Schäden verantwortlich, die sie einem anderen zufügen. Diese Regel soll die besonderen Risiken und die eingeschränkte Einschätzungsfähigkeit von Kindern im Straßenverkehr berücksichtigen. Eine Ausnahme besteht nur, wenn das Kind den Schaden vorsätzlich (also absichtlich) verursacht hat.
- Jugendliche ab 10 Jahren bis 18 Jahren: Ab dem vollendeten zehnten Lebensjahr bis zur Volljährigkeit (18 Jahre) wird die Haftung von Jugendlichen anders beurteilt. Hier kommt es entscheidend auf die individuelle Einsichtsfähigkeit an.
Die individuelle Einsichtsfähigkeit
Für Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren stellt sich die Frage, ob sie im konkreten Fall die notwendige Einsichtsfähigkeit besaßen. Das bedeutet die Fähigkeit, die Gefährlichkeit ihres Handelns und die möglichen Folgen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Es wird geprüft, ob der Jugendliche nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung in der Lage war, die Verkehrsregeln und die Gefahren der Situation zu verstehen und sich richtig zu verhalten.
Hierbei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:
- Alter und Reife: Ein 12-Jähriger wird anders beurteilt als ein 17-Jähriger.
- Kenntnisse der Verkehrsregeln: Hatte der Jugendliche grundlegende Verkehrsregeln, wie das Anhalten an einer roten Ampel oder das Achten auf den Gegenverkehr, bereits gelernt und verstanden?
- Komplexität der Verkehrssituation: Handelte es sich um eine einfache oder eine sehr unübersichtliche und anspruchsvolle Situation?
- Individuelle Umstände: Hatte der Jugendliche zum Unfallzeitpunkt beispielsweise eine besondere Ablenkung oder war er in seiner Wahrnehmung eingeschränkt?
Wenn ein Jugendlicher die erforderliche Einsichtsfähigkeit besaß, kann er für seinen Anteil am Unfallschaden verantwortlich gemacht werden. Dies führt dann oft zu einem Mitverschulden, was bedeutet, dass der eigene Anspruch auf Schadensersatz gemindert wird, wenn man selbst zum Unfall beigetragen hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Alter eine entscheidende Rolle spielt und der Gesetzgeber Minderjährigen einen besonderen Schutz zukommen lässt. Gleichzeitig wächst die Verantwortung mit dem Alter und der Fähigkeit, die Gefahren des Straßenverkehrs zu erkennen und zu bewältigen.
Wann trägt der Fahrer eines Busses oder anderen Fahrzeugs die Schuld an einem Unfall mit einer Fußgängerin oder einem Fußgänger?
Der Fahrer eines Fahrzeugs trägt die Schuld an einem Unfall mit einer Fußgängerin oder einem Fußgänger, wenn er eine ihm obliegende Pflicht im Straßenverkehr verletzt hat und diese Pflichtverletzung ursächlich für den Unfall war. Da von Fahrzeugen eine höhere Betriebsgefahr ausgeht, haben Fahrzeugführer generell eine erhöhte Sorgfaltspflicht gegenüber schwächeren Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern.
Besondere Pflichten eines Fahrzeugführers
Fahrzeugführer müssen im Straßenverkehr verschiedene Regeln und Pflichten beachten, die darauf abzielen, Unfälle zu vermeiden. Wenn diese Pflichten verletzt werden, kann dies zur Schuld des Fahrers führen:
- Angepasste Geschwindigkeit und Sichtfahrgebot: Ein Fahrer muss seine Geschwindigkeit stets den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen anpassen. Das bedeutet auch, dass er nur so schnell fahren darf, wie er überblicken kann (man spricht vom Sichtfahrgebot). Kann der Fahrer wegen einer Kurve, eines Hindernisses oder schlechter Sicht (Nebel, Regen) nicht weit genug sehen, muss er seine Geschwindigkeit so weit reduzieren, dass er innerhalb seiner Sichtweite jederzeit anhalten kann. Das ist besonders wichtig, wenn Fußgänger unerwartet die Fahrbahn betreten könnten, etwa an Bushaltestellen, Schulen oder in Wohngebieten.
- Rücksichtnahme auf Fußgänger: Insbesondere in Bereichen, in denen mit Fußgängern zu rechnen ist (z.B. Zebrastreifen, Fußgängerzonen, aber auch beim Abbiegen), muss der Fahrer besondere Rücksicht nehmen. Er muss bremsbereit sein und darf Fußgänger nicht gefährden oder behindern, wenn diese die Fahrbahn überqueren.
- Vorfahrt gewähren: An Zebrastreifen (Fußgängerüberwegen) haben Fußgänger grundsätzlich Vorrang. Ein Fahrer muss hier anhalten und ihnen das sichere Überqueren ermöglichen. Auch beim Abbiegen müssen abbiegende Fahrzeuge Fußgängern auf der Fahrbahn oder dem Gehweg, die in die gleiche Richtung unterwegs sind, Vorrang gewähren.
- Aufmerksamkeit und Ablenkungsverbot: Der Fahrer muss stets aufmerksam sein und darf sich nicht ablenken lassen (z.B. durch das Handy). Nur so kann er auf unerwartete Situationen, wie ein plötzlich auf die Fahrbahn tretendes Kind, schnell reagieren.
Wann der Fahrer als schuldhaft gilt
Der Fahrer gilt als schuldhaft, wenn er eine der genannten Pflichten missachtet und diese Missachtung direkt zum Unfall führt. Beispiele hierfür sind:
- Der Fahrer fährt zu schnell und kann daher nicht rechtzeitig bremsen, als ein Fußgänger die Fahrbahn überquert.
- Der Fahrer ist abgelenkt und bemerkt einen Fußgänger auf einem Zebrastreifen oder beim Abbiegen nicht, dem er Vorrang gewähren müsste.
- Der Fahrer missachtet bewusst die Vorfahrt eines Fußgängers.
- Der Fahrer beachtet das Sichtfahrgebot nicht und fährt in eine unübersichtliche Stelle, ohne bremsbereit zu sein, wo er dann mit einem Fußgänger kollidiert.
Es ist wichtig zu verstehen, dass auch ein „Fehler“ des Fußgängers, wie ein unerwartetes Betreten der Fahrbahn, den Fahrer nicht automatisch von der Schuld befreit. Der Fahrer muss, wenn der Fußgängerfehler für ihn erkennbar und vermeidbar war, dennoch reagieren. Nur wenn der Unfall selbst bei größter Sorgfalt des Fahrers nicht zu vermeiden gewesen wäre, kann er unter Umständen von einer alleinigen Schuld entlastet werden. In der Praxis kommt es häufig zu einer Haftungsteilung, also einer Mitschuld beider Beteiligten, wenn sowohl Fahrer als auch Fußgänger zur Unfallentstehung beigetragen haben.
Der Nachweis des Verschuldens
Der Nachweis, dass der Fahrer die Schuld am Unfall trägt, ist oft anspruchsvoll. Es ist nicht immer einfach zu belegen, was genau vor dem Unfall passiert ist.
Wichtige Beweismittel, die bei der Klärung der Schuldfrage eine Rolle spielen können, sind:
- Zeugenaussagen: Personen, die den Unfall beobachtet haben, können entscheidende Hinweise zur Geschwindigkeit, zum Verhalten des Fahrers und des Fußgängers sowie zu den Umständen geben.
- Aufzeichnungen von Kameras: Dashcams im Fahrzeug, Überwachungskameras an Gebäuden oder Kameras in Bussen können den Unfallhergang aufzeichnen und wertvolle Beweise liefern. Die Zulässigkeit solcher Aufnahmen kann im Einzelfall geprüft werden müssen.
- Unfallspuren: Sachverständige können aus Bremsspuren, der Lage der beteiligten Personen und Fahrzeuge nach dem Aufprall oder dem Schaden am Fahrzeug Rückschlüsse auf die Geschwindigkeit und den Kollisionsverlauf ziehen.
- Polizeibericht: Die bei der Unfallaufnahme erfassten Daten, Skizzen und Beobachtungen der Polizei sind ebenfalls wichtige Anhaltspunkte.
Ein Unfall ist ein komplexes Ereignis, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen. Ob ein Fahrer die Schuld trägt, hängt immer von den spezifischen Umständen des Einzelfalls ab und erfordert eine sorgfältige Prüfung aller verfügbaren Informationen und Beweismittel.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Betriebsgefahr
Die Betriebsgefahr bezeichnet die allgemeine Gefahr, die von einem Kraftfahrzeug ausgeht, sobald es in Betrieb ist, also fährt oder auch einfach nur auf Straßen benutzt wird. Selbst wenn der Fahrer alles richtig macht, kann durch die Größe, das Gewicht und die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs ein Unfall entstehen. Diese Gefahr ist im Rechtsstaat so gewertet, dass der Fahrzeughalter für Schäden, die durch sein Fahrzeug entstehen, haftet – auch ohne eigenes Verschulden. Rechtsgrundlage ist die Gefährdungshaftung nach § 7 Absatz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG).
Beispiel: Ein geparktes Auto rollt aufgrund einer nicht angezogenen Handbremse los und beschädigt einen Gartenzaun. Obwohl der Halter nichts falsch gemacht hat, haftet er für den Schaden wegen der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs.
Sichtfahrgebot
Das Sichtfahrgebot ist eine Pflicht für Fahrzeugführer im Straßenverkehr, wonach sie nur so schnell fahren dürfen, dass sie innerhalb der vorhandenen Sichtweite sicher anhalten können. Das bedeutet, ein Fahrer muss seine Geschwindigkeit an die Sichtbedingungen, Verkehrsverhältnisse und Straßenverhältnisse anpassen, um im Notfall rechtzeitig bremsen zu können. Es ist eine wichtige Sorgfaltspflicht und dient dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere in Bereichen mit eingeschränkter Sicht.
Beispiel: Wenn ein Fahrer in eine Kurve mit eingeschränkter Sicht fährt, darf er nicht so schnell fahren, dass er nicht anhalten kann, falls plötzlich ein Fußgänger auf die Fahrbahn tritt.
Mitverschulden
Mitverschulden bedeutet, dass eine geschädigte Person selbst teilweise oder überwiegend an der Entstehung eines Schadens oder eines Unfalls schuld ist. Nach § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird bei der Haftung berücksichtigt, inwieweit das eigene Verhalten zum Schaden beigetragen hat. Ein Mitverschulden kann dazu führen, dass der Schadensersatz oder das Schmerzensgeld gekürzt oder ganz ausgeschlossen wird. Die Haftung wird also zwischen den Unfallbeteiligten anteilig aufgeteilt.
Beispiel: Wenn ein Fußgänger bei roter Ampel die Straße überquert und dadurch einen Unfall verursacht, kann sein Mitverschulden seinen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem Fahrzeughalter vermindern oder ausschließen.
Gefährdungshaftung
Gefährdungshaftung ist eine Form der Haftung, bei der der Haftende nicht erst für ein Verschulden oder Fehlverhalten verantwortlich gemacht werden muss, sondern allein aufgrund der Gefährlichkeit einer bestimmten Handlung oder eines bestimmten Betriebs haftet. Im Straßenverkehr ist die Gefährdungshaftung im § 7 Absatz 1 StVG verankert: Der Fahrzeughalter haftet für Schäden, die durch den Betrieb seines Fahrzeugs verursacht werden, auch wenn er keine Schuld trifft.
Beispiel: Wenn ein Autofahrer plötzlich an einem technisch einwandfreien Fahrzeug nichts zu vertreten hat, aber sein Fahrzeug auf der Straße einen Schaden verursacht, haftet er dennoch aufgrund der Gefährdungshaftung.
Deliktsfähigkeit
Deliktsfähigkeit bezeichnet die rechtliche Fähigkeit einer Person, für unerlaubte Handlungen (Delikte) verantwortlich gemacht zu werden, also für Schäden, die sie vorsätzlich oder fahrlässig verursacht hat. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist diese Fähigkeit altersabhängig geregelt: Kinder unter 7 Jahren sind generell nicht deliktsfähig, während Jugendliche ab 10 Jahren deliktsfähig sind, sofern sie die nötige Einsichtsfähigkeit besitzen, die Gefahren ihres Handelns zu erkennen. Die Deliktsfähigkeit ist entscheidend dafür, ob jemand für einen Verkehrsunfall haftbar gemacht werden kann.
Beispiel: Ein siebenjähriges Kind, das aus Unachtsamkeit auf die Straße läuft und dabei einen Unfall verursacht, haftet in der Regel nicht persönlich, da es noch nicht deliktsfähig ist. Ein 15-jähriger Jugendlicher hingegen kann für sein Verhalten haftbar gemacht werden, wenn er die Gefahren einsehen konnte.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) – Gefährdungshaftung: Dieses Gesetz regelt die Haftung des Fahrzeughalters für Schäden, die durch den Betrieb seines Fahrzeugs verursacht werden, unabhängig von eigenem Verschulden. Die Betriebsgefahr, also das Risiko, das jedes fahrende Fahrzeug darstellt, begründet eine verschuldensunabhängige Haftung. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Haftung des Busunternehmens basiert auf dieser Gefährdungshaftung, wodurch grundsätzlich ein Anspruch auf Schadensersatz bestehen könnte, wenn der Betrieb des Busses den Unfall verursacht hat.
- § 18 Abs. 1 StVG – Vermutetes Verschulden des Fahrzeugführers: Diese Vorschrift nimmt an, dass der Fahrer eines Fahrzeugs ein Verschulden trifft, solange er nicht das Gegenteil beweist. Der Fahrer kann durch Nachweise entlastet werden, wenn er keine Pflichtverletzung begangen hat. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Busfahrer konnte das Gericht davon überzeugen, dass er keine schuldhafte Pflichtverletzung begangen hat, sodass die vermutete Schuld widerlegt wurde und keine Fahrerhaftung aus Verschulden besteht.
- § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB – Mitverschulden: Diese Regelungen ermöglichen eine Kürzung oder einen Ausschluss des Schadensersatzanspruchs, wenn der Geschädigte den Schaden zumindest teilweise durch eigenes Fehlverhalten verursacht hat. Das gilt insbesondere bei grobem Mitverschulden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht stellte ein überwiegendes Mitverschulden der Klägerin fest, welches die Betriebsgefahr vollständig zurücktreten lässt und somit den Anspruch auf Schmerzensgeld ausschließt.
- § 25 Abs. 3 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) – Sorgfaltspflicht der Fußgänger: Fußgänger müssen die Fahrbahn besonders vorsichtig überqueren und den Fahrzeugverkehr beachten, um Unfälle zu vermeiden. Ein Verstoß gegen diese Pflicht gilt als fahrlässiges Verhalten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin hat gegen diese Verkehrspflicht grob fahrlässig verstoßen, indem sie unachtsam zwischen parkenden Fahrzeugen unvermittelt auf die Fahrbahn trat, was das Gericht als hauptsächlichen Unfallgrund ansah.
- § 828 Abs. 2 und 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – Haftung Minderjähriger: Minderjährige unter sieben Jahren haften grundsätzlich nicht für Schäden, Jugendliche von sieben bis unter zehn Jahren nur bei Vorsatz, erst ab zehn Jahren ist eine Haftung bei Fahrlässigkeit möglich, wobei typische altersbedingte Einschränkungen zu berücksichtigen sind. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Da die Klägerin 15 Jahre alt war und nach Ansicht des Gerichts die Gefahren des Straßenverkehrs altersgerecht einschätzen konnte, waren die besonderen Schutzvorschriften des Minderjährigenrechts hier nicht einschlägig.
- § 286 Zivilprozessordnung (ZPO) – Beweismaßstab der vollen Überzeugung: Das Gericht benötigt zur Begründung einer Schuld die volle Überzeugung auf der Grundlage der vorgelegten Beweise, um einen Schuldvorwurf durchsetzen zu können. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass der Busfahrer seine Sorgfaltspflichten verletzt hat, sodass das Gericht nicht überzeugt war, ein Verschulden des Fahrers anzunehmen.
Das vorliegende Urteil
LG Neuruppin – Az.: 31 O 289/17 – Urteil vom 31.05.2018
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.