AG Husum – Az.: 24 C 52/16 – Urteil vom 02.10.2018
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 700,00 € zu zahlen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
5. Der Streitwert wird auf 3.043,05 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz infolge eines Verkehrsunfalles. Die Beklagte begehrt widerklagend die Rückzahlung von an die Klägerin geleistetem Schmerzensgeld.
Am 20.04.2016 kam es zu einem Verkehrsunfall, bei dem der bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw … auf den von der Klägerin geführten Pkw … auffuhr.
Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.
Nach dem Unfallereignis begab sich die Klägerin in ärztliche Behandlung und berichtete der behandelnden Ärztin, … von Nacken- und Kopfschmerzen. Es wurde eine Muskelverspannung neben der Halswirbelsäule und Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule für eine Kopfwendung nach rechts sowie beim Röntgen eine Steilstellung der Halswirbelsäule festgestellt. Auch war im Rahmen der Röntgenuntersuchung ein Verschleiß bei der Patientin erkennbar. Hinsichtlich der genauen Einzelheiten wird auf die als Anlage B3 und B4 eingereichten Arztberichte (Bl. 43 ff. d. A.) verwiesen.
Die Klägerin wurde für die Zeit vom 20.04.2016 bis 17.05.2016 krankgeschrieben. Während dieser Zeit beauftragte die Klägerin Lohnunternehmer für die Bewirtschaftung ihres landwirtschaftlichen Betriebes. Hierfür wurden der Klägerin insgesamt 2.343,05 € netto in Rechnung gestellt. Den Ausgleich dieser Forderung lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin ab.
Die Beklagte leistete an die Klägerin infolge des Verkehrsunfalles ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 700,00 €. Die Zahlungen in Höhe von 300,00 € und 400,00 € erfolgten „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Zudem teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sich die Beklagte die Rückforderung des geleisteten Schmerzensgeldes vorbehalte, wenn sich herausstellen sollte, dass der Anspruch der Klägerin auf Leistung eines Schmerzensgeldes nicht bestehe.
Die Klägerin behauptet, sie habe durch den Verkehrsunfall eine HWS-Distorsion erlitten und sei für die Zeit vom 20.04.2016 bis 17.05.2016 nicht arbeitsfähig gewesen. Sie habe die sonst von ihr erbrachten Arbeiten in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb nicht mehr ausführen können. Diese seien deshalb durch ihren Sohn, der in ihrem Betrieb fest angestellt sei, übernommen worden. Dies habe dazu geführt, dass Lohnarbeiter für solche Arbeiten beauftragt werden mussten, die sonst der Sohn der Klägerin übernommen habe.
Die Klägerin beantragt,
1. die
Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.343,05 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2016 zu zahlen,
2. Die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von dem Anspruch der Rechtsanwälte … auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 211,10 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Widerklagend begehrt die Beklagte, die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 700,00 € zu zahlen.
Die Klägerin beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass das Unfallereignis nicht dazu geeignet war, die von der Klägerin behauptete Verletzungsfolge hervorzurufen. Die Lohnkosten für die Lohndienstleister seien weder angemessen noch erforderlich gewesen. Zudem enthielten die vorgelegten Rechnungen die Preise inklusive Maschinen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 28.03.2017 (Bl. 76 f. d.A.) durch Einholung eines schriftlichen interdisziplinären Sachverständigengutachtens sowie durch Vernehmung der Zeuginnen … Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten der Sachverständigen … (Bl. 125 ff. d.A.) und das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 07.03.2017 (Bl. 93 ff. d.A.) und 20.04.2018 (Bl. 204 ff. d.A.) Bezug genommen.
Die Klage unterliegt der Abweisung, wohingegen die Widerklage Erfolg hat.
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz im Zusammenhang mit der Beauftragung von Lohnunternehmern aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 3 PflVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.
Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist für das Gericht nicht zu der nach § 286 ZPO erforderlichen Überzeugung bewiesen, dass die Klägerin durch den Unfall am 20.04.2018 eine HWS-Distorsion erlitten hat, infolge derer sie arbeitsunfähig war.
Da es sich bei der Frage, ob sich die Klägerin bei dem Unfall überhaupt eine Verletzung zugezogen hat um eine Frage der haftungsbegründenden Kausalität handelt, ist § 286 ZPO als Beweismaßstab heranzuziehen. Dem Gericht obliegt es danach, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Ausreichend ist es insoweit, wenn ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (LG Saarbrücken, Urteil vom 17.11.2010, 9 O 332/05). Eine absolute Gewissheit ist nicht erforderlich. Für die Frage, ob durch den Unfall eine HWS-Distorsion verursacht wurde, trägt die Klägerin die Beweislast, da es sich um einen für die Klägerin vorteilhaften Umstand handelt.
Die Klägerin konnte den Beweis für die Verursachung einer HWS-Distorsion durch den Unfall nicht erbringen. Nach der Einholung des technischen und des medizinischen Gutachtens ist das Gericht davon überzeugt, dass die Beklagte keine HWS-Distorsion oder sonstige Verletzung an der Halswirbelsäule erlitten hat.
Das technische Sachverständigengutachten … kommt zu dem Ergebnis, dass der Pkw der Klägerin durch den Anstoß des bei der Beklagten versicherten Pkw bezogen auf die Position des Fahrersitzes um 6,5 bis maximal 11,1 km/h in Längsrichtung nach vorne und um 0,8 bis maximal 1,5 km/h in Querrichtung nach rechts beschleunigt wurde und die mittlere Beschleunigung in Längsrichtung zwischen 1,3 g bis maximal 2,6 g und in Querrichtung bis 0,2 g bis maximal 0,4 g lag. Das Gutachten ist klar und nachvollziehbar aufgebaut. Der Gang der Untersuchung ist klar verständlich. Widersprüche sind nicht ersichtlich. An der Fachkompetenz des Sachverständigen bestehen keine Zweifel.
Gleiches gilt für das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten … an dessen fachlicher Kompetenz ebenfalls keine Zweifel bestehen.
In dem Gutachten … wird ausgeführt, dass es für die Beantwortung der Frage, ob durch ein Unfallereignis eine HWS-Distorsion hervorgerufen werden könne, nicht lediglich auf die auf die Fahrzeuginsassen einwirkende biomechanische Belastung ankomme, sondern auf die Umstände des Einzelfalles und die betroffene Person selbst. Insoweit lagen verletzungsfördernde Faktoren bei der Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht erkennbar vor. Bei der auf die Klägerin wirkenden biomechanischen Belastung in Fahrzeuglängsrichtung mit einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung zwischen 6,5 und 11,1 km/h und in Fahrzeugquerrichtung mit einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung zwischen 0,8 und maximal 1,5 km/h könne eine Verletzungsmöglichkeit für die Halswirbelsäule der Klägerin mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Etwas anderes folgt auch nicht aus den Angaben der Klägerin selbst und den Bekundungen der Zeuginnen … Insoweit stellt der Sachverständige fest, dass sämtlich vorgetragenen Beschwerden wie Nackenschmerzen, Kopfschmerzen, Muskelverspannung im HWS-Bereich und Bewegungseinschränkungen des Kopfes aber auch die festgestellte Steilstellung der Halswirbelsäule durch die behandelnden Ärzte … auch bei einer unfallunabhängigen Erkrankung der Halswirbelsäule auftreten können.
Auch die von den Zeuginnen … festgestellten objektivierbaren Befunde sind nicht geeignet eine andere Beurteilung zu begründen. Soweit die Zeugin … die Schilderungen der Klägerin, aufgrund des Verkehrsunfalles für plausibel hält vermag dies ebenfalls nicht für die Annahme einer HWS-Distorsion bei der Klägerin zu führen, da die Plausibilität allein keinen zwingenden Beweisschluss gestattet.
Mangels Hauptanspruch hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Freihaltung von den vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 211,10 €.
II.
Der Beklagten hat gegen die Klägerin einen Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Schmerzensgeldes in Höhe von 700,00 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.
Nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen etwas ohne Rechtsgrund erhält, dem Leistenden zur Herausgabe verpflichtet.
Die Beklagte leistete an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 700,00 €. Die Leistung erfolgte auch ohne Rechtsgrund, da die Klägerin gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes hatte. Im Rahmen des Rückzahlungsanspruchs trägt die Beklagte als diejenige, die sich auf den Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 BGB beruft die Beweislast dafür, dass ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung nicht vorliegt (BGH, NJW 2014, 2275).
Als Rechtsgrund kommt ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, 253 BGB i. V. m. § 3 PflVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG in Betracht, wonach die Klägerin grundsätzlich auch zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes infolge des Verkehrsunfalles verpflichtet ist. Dies setzt allerdings voraus, dass bei der Klägerin auch ein Köper- oder Gesundheitsschaden eingetreten ist. Dies ist nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund des interdisziplinären Gutachtens der Sachverständigen … nicht der Fall. Wie bereits unter I. ausgeführt kommt der Sachverständige … zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung der Klägerin an der Halswirbelsäule mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann und die vorgetragenen Beschwerden sowie die festgestellte Muskelverspannung, Bewegungseinschränkung und die auf den Röntgenbildern abgebildete Steilstellung der Halswirbelsäule nicht unfallspezifisch sind. Das Gericht folgt den Ausführungen des Sachverständigen. Das Gutachten ist in sich schlüssig und nachvollziehbar und Widersprüche sind nicht ersichtlich.
Die vorgetragenen Beschwerden der Klägerin sind insoweit auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen der Zeuginnen … sowie der Angaben der Klägerin selbst nicht dazu geeignet, ernsthafte Zweifel daran zu begründen, dass eine Verletzung der Klägerin nicht eingetreten ist, zumal eine Steilstellung der Halswirbelsäule, wie durch den Sachverständigen … ausgeführt, bereits bei 42 % der Normalbevölkerung vorliegt und bei der Klägerin bereits früher Verspannungen im Nackenbereich aufgetreten waren. Das Gericht verkennt nicht, dass eine Verletzung an der Halswirbelsäule bei einer Geschwindigkeitsänderung unterhalb der sogenannten Harmlosigkeitsgrenze nicht schlechthin ausgeschlossen ist, allerdings geht hiervon eine Indizienlast aus, die umso stärker wiegt, da bei der Klägerin keine Umstände festgestellt werden konnten, die einen Verletzungseintritt begünstigen würden. Zudem kommt es bei der Frage nach einem Zusammenhang der geltend gemachten Beschwerden mit dem Unfallgeschehen wesentlich auf die Beurteilung durch Sachverständige und nicht auf die Aussagen von Zeugen an (BGH, Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 235/07 – VersR 2008, 1133).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert wurde nach §§ 3 ff. ZPO, §§ 39 ff. GKG festgesetzt. Von dem Streitwert in Höhe von 3.043,05 € entfallen 2.343,05 € auf die Klage und 700,00 € auf die Widerklage.