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Mithaftung bei Vorbeifahren an Kolonne und fiktive Schadensberechnung bei Weiterveräußerung

OLG Koblenz – Az.: 12 U 1134/19 – Urteil vom 10.02.2020

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 14.06.2019 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier, Az.: 6 O 167/18, teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,

a) an den Kläger 3.752,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.08.2017 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € zu zahlen;

b) den Kläger gegenüber dem Kraftfahrzeugsachverständigen- und Ingenieurbüro …[A], Inhaber Herr …[A], aus der vom 27.06.2017 datierenden Rechnung zu Rechnungs-Nr. …48H in Höhe von weiteren 794,71 € freizustellen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 63 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 37 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu 81 % und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 19 % auferlegt.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Mithaftung bei Vorbeifahren an Kolonne und fiktive Schadensberechnung bei Weiterveräußerung
(Symbolfoto: Von witaker/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Unfallereignis, das sich am 24.05.2017 auf der B … in Höhe des Ortes …[Z] ereignet hat.

Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen.

Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 10.695,67 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.08.2017 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihn gegenüber dem Kraftfahrzeugsachverständigen- und Ingenieurbüro …[A], Inh. Herr …[A], aus einer noch offenstehenden Forderung von 794,71 € nach Maßgabe der vom 27.06.2017 datierten Rechnung zu Rechnungs-Nr. …48H freizustellen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm jeden weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus Anlass des Verkehrsunfallereignisses vom 24.05.2017 auf der B …, …[Z] zur Entstehung gelangt;

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 490,99 € zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit seinem am 14.06.2019 verkündeten Urteil hat das Landgericht der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von ¾ zu ¼ zu Lasten der Beklagten über den von der Beklagten zu 2. außergerichtlich geleisteten Betrag von 1.833,43 € hinaus zur Zahlung von weiteren 2.355,96 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (in beantragter Höhe) sowie zur Freistellung von durch die Inanspruchnahme eines Sachverständigen entstandenen Kosten in Höhe von 496,71 € verurteilt.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, den Beklagten zu 1. treffe ein weit überwiegendes Verschulden an der Herbeiführung des Unfallgeschehens, da er unter Missachtung der Sorgfaltsanforderungen des § 9 StVO aus einer Fahrzeugkolonne ausgeschert sei, um nach links in einen Wirtschaftsweg abzubiegen. Der Kläger seinerseits habe gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 2 StVO) verstoßen, indem er bei unklarer Verkehrslage überholt habe, obwohl er mit einem ungefährdeten Überholvorgang nicht habe rechnen können.

Zur Höhe des zuerkannten Schadensersatzes hat das Erstgericht ausgeführt, dass der Kläger entgegen seiner Berechnung nicht berechtigt sei, auf der Grundlage des gutachterlich ermittelten Schadensbetrages fiktiv abzurechnen, nachdem er das beschädigte Motorrad ohne Weiternutzung unrepariert veräußert habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens erster Instanz sein Klagebegehren weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Trier vom 14.06.2019, Az.: 6 O 167/18,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 8.339,71 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.08.2017 sowie weitere 467,20 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihn gegenüber dem Kraftfahrzeugsachverständigen- und Ingenieurbüro …[A], Inhaber Herr …[A], aus der vom 27.06.2017 datierenden Rechnung zu Rechnung-Nr. …48H in Höhe von weiteren 794,71 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat einen Teilerfolg.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz des ihm anlässlich des Unfallereignisses vom 24.05.2017 entstandenen Schadens in tenorierter Höhe zu.

Abweichend zu der rechtlichen Einschätzung des Erstgerichts geht der Senat bei Abwägung der Verursachungsanteile der am Unfallgeschehen beteiligten Fahrzeugführer (§ 17 Abs. 1, 2 StVG) davon aus, dass den Beklagten zu 1. die alleinige Haftungsverantwortlichkeit für die Herbeiführung des Unfallgeschehens und die dadurch hervorgerufenen Schäden trifft. Die von dem unfallbeteiligten Motorrad des Klägers ausgehende Betriebsgefahr tritt hinter dem in erheblichem Maße verkehrswidrigen Verhalten des Beklagten zu 1. vollständig zurück.

In tatsächlicher Hinsicht folgt der Senat den Feststellungen des Vorderrichters, der auf der Grundlage der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme mit plausibler und nachvollziehbarer Begründung zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Beklagte zu 1. unter Verletzung der sich für ihn aus § 9 StVO ergebenden besonderen Sorgfaltspflichten aus einer Kolonne von mehreren Fahrzeugen ausgeschert ist, um nach links abzubiegen, ohne zuvor den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 StVO) und seiner doppelten Rückschaupflicht (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO) nachzukommen.

Da sich das Unfallereignis unstreitig im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Versuch des Beklagten zu 1. ereignet hat, unter Überquerung der Fahrbahn nach links in einen Wirtschaftsweg abzubiegen, spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Beklagte zu 1. die hohen Sorgfaltsanforderungen aus § 9 StVO nicht beachtet hat. Diesen gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis haben die Beklagten nicht zu erschüttern oder gar auszuräumen vermocht. Vielmehr hat die erstinstanzliche Beweisaufnahme ergeben, dass der Beklagte zu 1. die Abbiegeabsicht – entgegen seiner eigenen Darstellung – nicht durch Setzen des Blinkers rechtzeitig angekündigt hat und darüber hinaus auch seiner Rückschaupflicht nicht in hinreichendem Maße nachgekommen ist.

Im Berufungsrechtszug ist das Berufungsgericht grundsätzlich nicht mehr umfassend zweite und neue Tatsacheninstanz. Hinsichtlich der erstinstanzlich durch Beweiserhebung getroffenen Feststellungen ist die Überprüfung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO darauf beschränkt, ob konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Die Beweiswürdigung erster Instanz ist demnach nur insoweit prüfbar, als konkrete Anhaltspunkte erkennbar sind, insbesondere mit der Berufung schlüssig aufgezeigt werden, die Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen dergestalt begründen, dass sich eine erneute Beweisaufnahme zur Ausräumung dieser Zweifel gebietet. Ein derartiger Fehler des Landgerichts bei der Würdigung der erhobenen Beweise ist nicht dargetan, aber auch ansonsten in keiner Weise ersichtlich. Die Beweiswürdigung durch den Einzelrichter ist umfassend, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Sie verstößt nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze und ist insgesamt auch nach der eigenen Würdigung des Senats in der Sache zutreffend.

Der vor dem Landgericht gehörte Zeuge …[B] hat – im Wesentlichen bestätigt durch die Angaben der Zeugin …[C] – klar und unmissverständlich bekundet, dass der Beklagte zu 1. zu einem Zeitpunkt, da sich der Kläger mit seinem Motorrad bereits auf der Höhe des von ihm, dem Zeugen, gesteuerten Pkw befunden habe, „schlagartig“ nach links gezogen sei, „definitiv“ ohne Setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers.

Hiernach steht fest, dass der Beklagte zu 1. das Unfallgeschehen durch ein schuldhaftes, verkehrswidriges Verhalten verursacht hat. Der Beklagte zu 1. hat er damit seine verkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten als Linksabbieger in grobem Maße verletzt und das Unfallgeschehen in schuldhafter Weise herbeigeführt.

Demgegenüber kann dem Kläger ein die Mithaftung begründendes Mitverschulden nicht zur Last gelegt werden.

Entgegen der rechtlichen Beurteilung des Landgerichts hat der Kläger nicht unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO bei Vorliegen einer unklaren Verkehrslage zum Überholen angesetzt. Allein der Umstand, dass der Kläger eine Kolonne von mehreren Fahrzeugen überholt hat, begründet noch keinen solchen Verstoß (so auch OLG Rostock, Urteil vom 23. Februar 2007 – 8 U 39/06 –, juris). Unklar ist eine Verkehrslage erst dann, wenn der Überholende nicht zuverlässig beurteilen kann, was der Vorausfahrende sogleich tun werde. Denn das Überholen einer Fahrzeugkolonne ist auch nach § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO nicht generell verboten. Ohne Hinzutreten von besonderen Umständen, die für ein unmittelbar folgendes Ausscheren sprechen, muss der eine Fahrzeugkolonne Überholende nicht damit rechnen, dass ein in der Kolonne befindliches Fahrzeug unvermittelt nach links ausschert (BGH, Urteil vom 23.09.1986, Az.: VI ZR 46/85, NJW 1987, 322 – 323; KG Berlin, Urteil vom 30.01.1995, Az.: 12 U 2820/93, NZV 1995, 359 – 360; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Auflage, § 2 StVO, Rz. 34, 35). Die Beklagten vermochten aber das Vorliegen solcher Umstände nicht zu beweisen.

Insoweit darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich hier nicht um eine mit durchschnittlicher Geschwindigkeit sich fortbewegende Kolonne handelte, die der Kläger mit seinem Motorrad überholte, sondern um eine solche, die sich aufgrund eines Rückstaus vor einer Ampel gebildet hatte. Auch der Zeuge …[D] hat in diesem Zusammenhang von einem „Stop-and-Go-Verkehr“ gesprochen. Ist schon generell eine langsame Fahrweise, ohne Hinzutreten weiterer, für ein Abbiegemanöver sprechender Umstände nicht geeignet, eine unklare Verkehrslage mit entsprechender Signalwirkung für den überholenden Verkehrsteilnehmer hervorzurufen, so gilt dies im Besonderen für solche Verkehrssituationen wie die hier zu beurteilende, in der die Verkehrsteilnehmer schon verkehrsbedingt gehindert sind, sich mit höherer Geschwindigkeit fortzubewegen. Wie der Sachverständige …[E] in seinem Gutachten festgestellt hat, lag die Ausgangsgeschwindigkeit des klägerischen Motorrades zwischen 15 km/h und 23 km/h und dessen Kollisionsgeschwindigkeit, ebenso wie die des Beklagtenfahrzeugs, bei etwa 15 km/h. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Strecke, auf der sich das Unfallgeschehen ereignete, ausweislich der in dem Gutachten des Sachverständigen …[F] befindlichen Lichtbilder (Anlage Ia) gut einsehbar ist und keine Umstände dargetan oder anderweitig erkennbar sind, die den Blick des Beklagten zu 1. auf den mit geringer Geschwindigkeit herannahenden Kläger verstellt oder behindert hätten, hätte der Beklagte zu 1. die Verkehrslage und das von einem Abbiegemanöver zu diesem Zeitpunkt ausgehende hohe Gefahrenpotenzial erkennen können und demzufolge von seinem Vorhaben Abstand nehmen müssen. Der Kläger andererseits musste nicht damit rechnen, dass der Beklagte zu 1. zu einem Zeitpunkt, da sich sein Motorrad bereits in Höhe des dem Beklagtenfahrzeug folgenden Pkw des Zeugen …[B] befand, mit seinem Fahrzeug unvermittelt, ohne vorherige Ankündigung, aus der Kolonne ausscheren würde, um den Abbiegevorgang durchzuführen.

Unabhängig von der Frage, ob sich der Kläger in dieser Verkehrssituation wie ein Idealfahrer verhalten hat, führt eine Gewichtung der Verursachungsbeiträge nach § 17 StVG hier jedenfalls zu der Feststellung, dass den Beklagten zu 1. ein so überwiegender Verantwortungsanteil an der Herbeiführung des Unfallgeschehens trifft, dass die von dem Motorrad des Klägers ausgehende (trotz Überholens einer Fahrzeugkolonne angesichts der besonderen Umstände hier nicht erhöhte) Betriebsgefahr konsumiert wird. Die Beklagten haben daher für die dem Kläger unfallbedingt entstandenen Schäden dem Grunde nach in vollem Umfang einzustehen.

Bei der Höhe des dem Kläger zustehenden Schadensersatzanspruchs ist das Landgericht zu Recht von einer Berechnung auf der Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwands ausgegangen. Soweit der Kläger auf Erstattung des unfallbedingt entstandenen Schadens auf Basis des von dem Sachverständigen Dipl. Ing. …[G] ermittelten Reparaturkostenaufwands von 11.009,20 € angetragen hat, war der Klage nicht zu entsprechen.

Nach § 249 BGB hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Für die Berechnung von Kraftfahrzeugschäden stehen dem Geschädigten im allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung, die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs. Dabei ist der Geschädigte nach dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes Herr des Restitutionsgeschehens. Er bleibt es auch in dem Spannungsverhältnis, das durch den Interessengegensatz zwischen ihm und dem Schädiger bzw. dessen Versicherer besteht (vgl. BGHZ 143, 189, 194). Diese Stellung findet Ausdruck in der sich aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden Ersetzungsbefugnis und der freien Wahl der Mittel zur Schadensbehebung. Der Geschädigte ist aufgrund der nach anerkannten schadensrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositionsfreiheit grundsätzlich auch in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich beanspruchen kann (vgl. BGH, VersR 1989, 1056 f. m.w.N.). Er ist weder dazu verpflichtet, sein Fahrzeug zu reparieren noch es zur Reparatur in eine Kundendienstwerkstatt zu geben, deren Preise in der Regel Grundlage der Kostenschätzung sind. Es bleibt vielmehr ihm überlassen, auf welche Weise er sein Fahrzeug wieder instandsetzt (vgl. BGHZ 54, 82, 86; BGH, VersR 1989, 1056 m.w.N.; VersR 1992, 710).

Unter den zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten der Naturalrestitution hat der Geschädigte grundsätzlich diejenige zu wählen, die den geringsten Aufwand erfordert. Dieses so genannte Wirtschaftlichkeitspostulat findet gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB seinen gesetzlichen Niederschlag in dem Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit, ergibt sich aber letztlich schon aus dem Begriff des Schadens selbst. Darüber hinaus findet das Wahlrecht des Geschädigten seine Schranke an dem Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Denn auch wenn er vollen Ersatz verlangen kann, soll der Geschädigte an dem Schadensfall nicht „verdienen”.

Unter Berücksichtigung dieser Berechnungsgrundsätze kann der Geschädigte zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt. Ein Anspruch auf die fiktiven Reparaturkosten ohne Berücksichtigung des Restwerts besteht selbst dann, wenn der Geschädigte das Fahrzeug im beschädigten, aber noch verkehrstauglichen Zustand weiterbenutzt (vgl. BGHZ 168, 43).

Der Wille des Geschädigten zur Reparatur kann nicht zur Voraussetzung für den Anspruch auf Zahlung des zur Instandsetzung erforderlichen Geldbetrags erhoben werden. Der in der Reparaturbedürftigkeit zum Ausdruck gekommenen Einbuße, die sich im Vermögen des Geschädigten niedergeschlagen hat, steht die Zahlung der für die Reparatur erforderlichen Geldmittel gegenüber. Ob diese tatsächlich für eine Instandsetzung eingesetzt werden, liegt in der Disposition des Geschädigten (vgl. BGHZ 66, 239).

Voraussetzung ist jedoch, dass der Geschädigte das Fahrzeug weiterbenutzt. Daran mangelt es, wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach dem Unfall alsbald veräußert. In diesem Fall gibt er sein Integritätsinteresse auf und realisiert durch den Verkauf den Restwert seines Fahrzeugs mit der Folge, dass er sich diesen grundsätzlich anrechnen lassen muss (vgl. BGH, NJW 2005, 2541). Da er am Schadensfall nicht verdienen darf, ist in einem solchen Fall sein Anspruch der Höhe nach durch die Kosten der Ersatzbeschaffung begrenzt (vgl. BGHZ 66, 239).

Nach der Rechtsprechung des BGH ist insoweit im Regelfall ein Zeitraum der Weiternutzung von sechs Monaten erforderlich, aber auch ausreichend (vgl. BGHZ 168, 43). Bei einem so langen Weitergebrauch wird im Allgemeinen ein ernsthaftes Interesse des Geschädigten an der Weiternutzung, das einem Abzug des Restwerts nach den oben dargelegten Grundsätzen entgegensteht, angenommen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass eine längere Frist für die Möglichkeit einer Abrechnung mit Abzug des Restwerts den Schädiger und seinen Versicherer begünstigen bzw. zur Verzögerung der Abrechnung veranlassen könnte und von daher dem Geschädigten nicht zumutbar wäre. Deshalb erscheint in der Regel ein Zeitraum von sechs Monaten als angemessen, wenn nicht besondere Umstände ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen.

Vorliegend hat der Kläger eine die Weiternutzung ermöglichende Reparatur des Motorrads nicht vorgenommen, sondern dieses im unreparierten Zustand weiterveräußert. Die Voraussetzungen für eine Schadensabrechnung auf der Basis des gutachterlich ermittelten Reparaturaufwands sind daher nicht gegeben. Dem Kläger steht lediglich ein Schadensregulierungsanspruch auf der Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwands zu.

Soweit der Kläger hiergegen erstmals mit der Berufung einwendet, er sei wirtschaftlich nicht in der Lage gewesen, die Reparaturkosten oder jedenfalls hinreichende finanzielle Mittel zur Wiederherstellung der Verkehrsfähigkeit des Motorrads aufzubringen; auch habe er ein Darlehen mangels hinreichender Kreditwürdigkeit nicht in Anspruch nehmen können, führt diese Argumentation nicht zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Unabhängig davon, ob der insoweit erstmals in der Berufung gehaltene ergänzende Sachvortrag vorliegend überhaupt Berücksichtigung finden kann (§ 531 Abs. 2 ZPO), hat der Kläger auch auf das ausdrückliche Bestreiten der Beklagten hin weder Tatsachen vorgetragen, die die mangelnde Fähigkeit des Klägers zur Finanzierung der Reparaturkosten erkennen ließen, noch hat der Kläger dargetan, dass er nicht in der Lage war, die erforderlichen finanziellen Mittel anderweitig, etwa durch Inanspruchnahme einer Vollkaskoversicherung, zu beschaffen.

Insbesondere aber lässt auch die klägerseits vorgelegte, mit der beklagten Versicherung vorgerichtlich geführte Korrespondenz hinsichtlich der Schadensregulierung nicht erkennen, dass der Kläger diese auf eine beabsichtigte Reparatur und Weiternutzung des beschädigten Motorrads hingewiesen hätte. Will der Kläger, wie hier, aus dem Regulierungsverhalten der Beklagten zu 2. rechtliche Konsequenzen dergestalt herleiten, dass er wegen einer Einschränkung des Wahlrechts hinsichtlich der Form der Schadensbehebung und einer damit einhergehenden Verletzung seines Integritätsinteresses einen (weiteren) Schaden in Höhe der Differenz zwischen dem Schadensbetrag bei fiktiver Schadensberechnung auf Reparaturkostenbasis und demjenigen auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwands geltend machen möchte, so hätte er seiner Warnungspflicht nachkommen und die Beklagte zu 2. auf diese drohenden Folgen hinweisen müssen (zur Warnungspflicht siehe auch Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 22 Rdn. 102 ff).

Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Kläger kann seinen Schaden nach allem lediglich auf der Basis des Wiederbeschaffungsaufwands liquidieren.

Hiernach errechnet sich der von den Beklagten unter Anrechnung ihrer vorgerichtlich geleisteten Zahlungen noch zu erbringende Erstattungsbetrag wie folgt:

Wiederbeschaffungswert laut Gutachten: 15.365,85 €

Abzüglich Restwert laut Gutachten: 10.100,00 €

Zuzüglich Abschleppkosten 210,00 €

Zuzüglich Motorradhelm 85,00 €

Zuzüglich Kostenpauschale 25,00 €

Schadenssumme: 5.585,85 €

Abzüglich hierauf geleisteter Zahlungen der Beklagten zu 2.   1.833,43 €

noch zu leistender Schadensbetrag: 3.752,42 €

Die Kosten für die zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderliche Einholung des Sachverständigengutachtens sind als mit dem Schaden unmittelbar verbundene Kosten Teil des gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensschadens und damit ebenfalls zu erstatten. Bei unstreitigen Gebühren für die Einschaltung eines Schadenssachverständigen in Höhe von 1.192,00 € und einer hierauf erfolgten (Teil-)Zahlung der Beklagten zu 2. in Höhe von 397,29 € verbleibt ein Differenzbetrag von 794,71 €, so dass der Kläger in dieser Höhe von seiner Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Sachverständigenbüro freizustellen war.

Darüber hinaus hat der Kläger auch Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten für die vorgerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts. Hinsichtlich der Höhe des hierfür entstandenen Gebührenanspruchs war insoweit von der begründeten Schadensersatzforderung in Höhe eines Betrages von insgesamt 5.585,85 € und dem Ansatz einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach § 13 RVG i.V.m. Nr. 2300 VV-RVG auszugehen. Hieraus errechnet sich unter Einbeziehung einer Kostenpauschale in Höhe des geltend gemachten Betrages von 20,00 € ein – zumindest im Wege zulässiger Klageerweiterung verfolgter – begründeter Gebührenanspruch in Höhe von 571,44 €

III.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 9.134,42 € festgesetzt.

 

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