Berührungsloser Unfall: Gericht weist Klage auf Schmerzensgeld ab
In einem Fall, in dem ein Fußgänger durch die schnelle Fahrt eines Autos an einer Tankstelle so erschrocken ist, dass er sich verletzt hat, ohne dass es zu einer Berührung zwischen ihm und dem Fahrzeug kam, hat das Landgericht Siegen entschieden, dass dem Kläger keine Schmerzensgeld- oder Schadensersatzansprüche zustehen. Das Gericht fand nicht genügend Beweise dafür, dass der Fahrer des Autos mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr oder dass der Vorfall direkt zu den behaupteten Verletzungen des Klägers führte. Somit wurde die Klage abgewiesen, und der Kläger muss die Kosten des Rechtsstreits tragen.
Übersicht
Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 8 O 97/23 >>>
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Die Klage eines Fußgängers auf Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem behaupteten berührungslosen Verkehrsunfall wurde abgewiesen.
- Das Gericht konnte nicht feststellen, dass der Fahrer des Fahrzeugs mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr.
- Es gab keine ausreichenden Beweise dafür, dass der Vorfall die behaupteten Verletzungen verursachte.
- Der Kläger konnte den Beweis für einen direkten Zusammenhang zwischen dem Vorfall und seinen Verletzungen nicht erbringen.
- Das Gericht entschied, dass der Unfall nicht „bei Betrieb“ des Fahrzeugs im Sinne des § 7 I StVG geschah.
- Es bestehen Zweifel an der Verletzung des Klägers, die einen Schmerzensgeldanspruch rechtfertigen würden.
- Psychische Beeinträchtigungen des Klägers wurden nicht als haftungsrelevant angesehen.
- Der Kläger muss die Kosten des Rechtsstreits tragen.
Berührungslose Verkehrsunfälle: Schmerzensgeld- und Schadensersatz
Berührungslose Verkehrsunfälle, bei denen sich die beteiligten Fahrzeuge nicht berühren, werfen besondere rechtliche Herausforderungen auf. In solchen Fällen liegt kein unmittelbarer Zusammenstoß vor, dennoch können Personenschäden und Sachschäden entstehen. Ob und inwieweit Geschädigte Ansprüche auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz geltend machen können, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab.
Die Beweislast für die haftungsbegründenden Tatsachen liegt beim Geschädigten. Er muss nachweisen, dass der Unfall durch das Verschulden des Unfallverursachers entstanden ist. Die Gerichte prüfen dabei, ob ein Verhalten des Unfallgegners vorliegt, das als fahrlässig oder vorsätzlich eingestuft werden kann. Auch das Mitverschulden des Geschädigten wird in die Abwägung einbezogen. Die Rechtsprechung zu berührungslosen Verkehrsunfällen ist komplex und erfordert eine sorgfältige Prüfung der individuellen Umstände des Einzelfalls.
Im Zentrum eines ungewöhnlichen Rechtsstreits am Landgericht Siegen stand ein sogenannter berührungsloser Verkehrsunfall an einer Tankstelle, der zu einer Klage auf Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche führte. Der Kläger, ein Fußgänger, behauptete, durch die rasant vorbeifahrende Bewegung eines Autos so stark erschrocken zu sein, dass er sich verletzte, ohne dass es zu einem physischen Kontakt kam. Dieser Vorfall zog eine rechtliche Auseinandersetzung nach sich, die das LG Siegen mit dem Az.: 8 O 97/23 am 16.03.2023 zu entscheiden hatte.
Der Vorfall: Ein schreckhafter Moment führt zu Verletzungen
Der Kläger schilderte den Vorfall detailliert. Er behauptete, dass er sich bereits auf der Plattform zwischen den Tanksäulen befand, als ein Fahrzeug, gesteuert von dem Zeugen W., der für die Beklagtenseite fuhr, mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbeiraste. Der minimale Abstand und die plötzliche Nähe des Fahrzeugs hätten ihn derart erschreckt, dass er, um einen Sturz zu vermeiden, sein gesamtes Körpergewicht auf den rechten Fuß verlagern musste. Diese Reaktion führte laut Kläger zu Verletzungen an der Hüfte und am Knie, welche vorherige medizinische Zustände verschlimmerten und zudem eine posttraumatische Belastungsstörung nach sich zogen.
Die rechtliche Herausforderung: Schadensersatz ohne Berührung
Die zentrale rechtliche Frage dieses Falles drehte sich um die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, obwohl kein physischer Kontakt zwischen dem Fahrzeug und dem Kläger stattgefunden hatte. Diese Konstellation, ein berührungsloser Verkehrsunfall, stellt eine besondere Herausforderung im Verkehrsrecht dar, da üblicherweise für Schadensersatzansprüche ein direkter Zusammenhang durch eine Kollision nachgewiesen werden muss.
Die Entscheidung des Gerichts: Keine Haftung ohne Beweis
Das Landgericht Siegen wies die Klage ab, da es dem Kläger nicht gelang, die behauptete überhöhte Geschwindigkeit des Fahrzeugs und die dadurch verursachten Verletzungen schlüssig zu beweisen. Das Gericht stellte fest, dass die Aussagen des Klägers und des Zeugen W. sich widersprachen und keine weiteren Beweise die Version des Klägers stützten. Zudem waren die medizinischen Berichte nicht ausreichend, um einen direkten Kausalzusammenhang zwischen dem Vorfall und den angegebenen Verletzungen herzustellen. Somit fehlte es an einem Verursachungsbeitrag des Zeugen W. bei dem Vorfall, der bereits nicht „bei Betrieb“ des Fahrzeugs im Sinne des § 7 I StVG geschah.
Juristische Interpretation: Ein Urteil mit Signalwirkung
Die Entscheidung unterstreicht die Schwierigkeiten, die sich aus der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Fällen berührungsloser Verkehrsunfälle ergeben. Sie betont die Notwendigkeit klarer Beweise und die Bedeutung der Beweislast, die beim Kläger liegt. Das Urteil zeigt auf, dass ohne den Nachweis eines direkten Zusammenhangs zwischen dem Verhalten des Beklagten und dem entstandenen Schaden sowie einer konkreten Verletzung durch das Ereignis Schadensersatzansprüche schwer durchzusetzen sind.
Fazit: Das Landgericht Siegen hat mit seinem Urteil deutlich gemacht, dass bei berührungslosen Verkehrsunfällen strenge Maßstäbe an den Nachweis von Schadensersatzansprüchen angelegt werden.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Wie wird ein berührungsloser Verkehrsunfall rechtlich bewertet?
Ein berührungsloser Verkehrsunfall tritt auf, wenn ein Fahrzeugführer aufgrund der Fahrweise eines anderen Verkehrsteilnehmers zu einem Ausweich- oder Bremsmanöver gezwungen wird, ohne dass es zu einer physischen Kollision kommt. Solche Unfälle können komplexe rechtliche Fragen aufwerfen, insbesondere in Bezug auf Versicherung und Haftung.
Haftung bei berührungslosen Verkehrsunfällen
Die Haftung bei einem berührungslosen Verkehrsunfall richtet sich nach § 7 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Demnach haftet der Halter eines Fahrzeugs für Schäden, die durch den Betrieb des Fahrzeugs entstehen, auch wenn es zu keiner Berührung kommt. Voraussetzung ist, dass das Fahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu dem Schaden beigetragen hat. Ein naher örtlicher und zeitlicher Kausalzusammenhang zwischen dem Betriebsvorgang des Fahrzeugs und dem Schaden ist erforderlich.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat klargestellt, dass die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG alle durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs verursachten Schäden umfasst, unabhängig davon, ob es zu einer physischen Berührung kommt. Die Zurechnung des Schadens zum Betrieb des Fahrzeugs kann nicht gelöst werden vom Unfallgeschehen selbst. Eine kritische Verkehrslage, die unmittelbar zum Schaden führt, ist maßgeblich für die Ursächlichkeit und den Zurechnungszusammenhang.
Versicherungsschutz bei berührungslosen Unfällen
In der Praxis kann die Abwicklung eines berührungslosen Unfalls mit der Versicherung herausfordernd sein. Versicherungen könnten argumentieren, dass ein Ausweichmanöver nicht erforderlich gewesen sei oder es sich um eine Überreaktion gehandelt habe, um Leistungen zu verweigern. Jedoch hat die Rechtsprechung die Rechte der Geschädigten gestärkt, indem sie klargestellt hat, dass auch bei berührungslosen Unfällen eine Haftung nach § 7 StVG bestehen kann. Der Unfallverursacher muss durch sein Verhalten eine kritische Lage geschaffen haben, die das Ausweichverhalten auslöst.
Beweislast und Durchsetzung von Ansprüchen
Die Beweislast für die Umstände des Unfalls und die Schuldfrage liegt grundsätzlich bei demjenigen, der Ansprüche geltend macht. Dies kann bei berührungslosen Unfällen besonders schwierig sein, da es oft an physischen Beweisen fehlt. Ein Unfallrekonstruktionsgutachten kann in solchen Fällen hilfreich sein, um den genauen Unfallhergang zu klären und die Schuldfrage zu beantworten.
Berührungslose Verkehrsunfälle werfen komplexe rechtliche Fragen auf, insbesondere hinsichtlich der Haftung und des Versicherungsschutzes. Die Rechtsprechung erkennt an, dass auch bei einem Unfall ohne physische Kollision eine Haftung nach § 7 StVG bestehen kann, sofern das Verhalten des Fahrzeugführers zu dem Schaden beigetragen hat. Geschädigte sollten sich bewusst sein, dass die Durchsetzung ihrer Ansprüche eine genaue Darstellung des Unfallhergangs und gegebenenfalls die Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens erfordern kann.
§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil
- §§ 7 I, 18 I StVG: Diese Paragraphen regeln die Haftung bei Schäden, die durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. Im Kontext des Urteils wurde geprüft, ob der berührungslose Verkehrsunfall unter diese Haftungsregelung fällt.
- § 115 I 1 Nr. 1, Satz 4 VVG in Verbindung mit § 1 Pflichtversicherungsgesetz: Diese Vorschriften betreffen die Leistungspflichten der Kfz-Haftpflichtversicherung. Im vorliegenden Fall wurde untersucht, ob Ansprüche gegen die Versicherung des Fahrzeughalters geltend gemacht werden können.
- § 286 ZPO: Dieser Paragraph beschreibt das Beweismaß in Zivilprozessen, also die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit einer Behauptung. Das Gericht sah sich im gegebenen Fall nicht überzeugt von der Behauptung des Klägers hinsichtlich der Geschwindigkeit des Fahrzeugs.
- § 25 StVO: Diese Vorschrift regelt das Verhalten von Fußgängern im Straßenverkehr. Im Urteil wurde erwähnt, dass möglicherweise ein Verstoß des Klägers gegen diese Regelung vorlag.
- § 823 I BGB: Regelung der Schadensersatzpflicht bei der Verletzung eines Rechtsgutes, wie zum Beispiel der Gesundheit. Die Frage, ob eine Verletzung des Klägers vorlag, die einen Schadensersatzanspruch rechtfertigen würde, war Teil der gerichtlichen Prüfung.
- § 287 ZPO: Dieser Paragraph erlaubt dem Gericht, unter bestimmten Umständen den Schaden zu schätzen. Im Urteil war relevant, ob und inwieweit eine Schätzung von Schadensersatzansprüchen, insbesondere hinsichtlich Schmerzensgeld, möglich und angemessen ist.
Das vorliegende Urteil
LG Siegen – Az.: 8 O 97/23 – Urteil vom 16.03.2023
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aus einem behaupteten berührungslosen Verkehrsunfall vom „00.00.0000“ geltend.
An dem behaupteten Verkehrsunfall, der sich gegen Uhr auf dem Grundstück der unter der H.-straße gelegenen Tankstelle ereignet haben soll, waren beteiligt der Versicherungsnehmer der Beklagten, der Zeuge W., als Halter und Fahrer des bei der Beklagten mit dem amtlichen Kennzeichen M. pflichtversicherten Fahrzeugs der Marke Y.A. und darüber hinaus der Kläger als Fußgänger.
Der Kläger behauptet, er habe mit seinen Füßen die in der Mitte der Tanksäulen befindliche Plattformkante erreicht und habe gerade den rechten Fuß gehoben und dieser habe sich in Richtung Boden bewegt, als der Zeuge W. mit weit überhöhter Geschwindigkeit „um Haaresbreite“ am Kläger vorbeigefahren sei. Er habe sich deshalb so erschrocken, dass er sein ganzes Körpergewicht auf den rechten Fuß habe platzieren müssen, um seinen in Vorwärtsbewegung befindlichen Oberkörper aufzufangen und zu verhindern, dass er sich weiter nach vorne bewege, da es sonst zu einer Berührung mit dem vom Zeugen W. geführten Fahrzeug gekommen wäre. Der Abstand zwischen ihm und dem vorbeifahrenden Fahrzeug habe allenfalls 10-15 cm betragen. Hätte er noch den linken Fuß auf den Boden gesetzt, wäre es zur Kollision mit dem Fahrzeug gekommen. Er habe sich deswegen erschrocken und unter Schock gestanden mit der Folge, dass er eine ganze Weile aus dieser Schockphase heraus, sowie aus Empörung laut gebrüllt und geschrien habe. Aufgrund einer vor dem streitgegenständlichen Geschehen stattgehabten Operation an der linken Hüfte habe er sich bei dem Vorfall nach rechts gewrungen und dadurch alles gezerrt und verdreht. Deswegen habe er vorfallsbedingt Probleme in der rechten Hüfte und im rechten Knie. An der rechten Hüfte habe er seit dem ein Problem mit der Kapsel, welche nicht operiert werden könne. Das rechte Knie solle ebenfalls operiert werden. Aufgrund des Vorfalls sei seine psychische Situation beeinträchtigt worden. Der Vorfall habe ihn sehr beschäftigt. Die psychische Situation sei bei ihm seit dem wieder sehr angespannt und nicht wie zuvor. Er sei deswegen in Behandlung. Er leide inzwischen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und habe Angst, an dieser Tankstelle zu tanken.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.230,00 EUR sowie außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 800,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.05.2022 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Zeuge W. sei mit dem Pkw VW Golf gegen 13:40 Uhr auf das streitgegenständliche Tankstellengelände gefahren, um zu tanken. Er sei dabei mit einer geschätzten Geschwindigkeit von etwa 10 km/h gefahren. Auf Höhe der Zapfsäulen habe er abgebremst, zumal er den Kläger gesehen habe. Dieser sei plötzlich zwischen den Zapfsäulen aufgetaucht und habe die Absicht verfolgt, von der Plattform auf die Fahrbahn des Tankstellengeländes zu treten. Der Kläger sei dann offensichtlich einen Schritt zurückgetreten und habe sofort angefangen, gegenüber dem Zeugen W. herumzuschreien. Die herbeigerufene Polizei habe aber zunächst auf eine formelle Verkehrsunfallaufnahme vor Ort verzichtet, da es zu keiner Kollision gekommen sei, keine Sachschäden vorgelegen hätten und beide Beteiligten unverletzt gewesen seien. Schließlich liege ein Verstoß des Klägers gegen § 25 StVO vor und seine Glaubwürdigkeit sei in Bezug auf die Änderung seiner Angaben gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten vor Ort und den später vorgetragenen Gesundheitsbeeinträchtigungen mit unüberwindbaren Zweifeln behaftet.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Q. und W.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9.2.2023 (Bl. 186a ff d. A.) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gem. §§ 7 I, 18 I StVG, 115 I 1 Nr. 1, Satz 4 VVG in Verbindung mit § 1 Pflichtversicherungsgesetz zu.
1.
Das Gericht ist nach der Beweisaufnahme nicht in Zweifel Schweigen gebietender Weise iSd § 286 ZPO davon überzeugt, dass der Zeuge W. mit seinem Pkw im Sinne der Behauptung des Klägers mit weit überhöhter Geschwindigkeit auf das streitgegenständliche Tankstellengelände gefahren ist und sich der Kläger in Folge dessen als Fußgänger derart erschrocken hat, dass er sein ganzes Körpergewicht auf den rechten Fuß habe platzieren müssen, sich nach rechts gewrungen und dadurch alles gezerrt und verdreht hat.
Insoweit stehen die Angaben des Klägers den Angaben des Zeugen W. und der Beklagten entgegen, die ein ganz normales Fahrverhalten geschildert und schon schriftsätzlich abgestritten haben, dass der Zeuge W. mit einer Geschwindigkeit von mehr als 10 km/h auf das Tankstellengelände gefahren ist.
Da beide ein unmittelbares Eigeninteresse als mögliche Unfallverantwortliche haben, kann der Aussage des Zeugen W. zwar kein für die Überzeugungsbildung entscheidend höheres Gewicht beigemessen werden. Es steht schlicht Aussage gegen Aussage, so dass der Kläger beweisfällig geblieben ist. Denn die Aussage des Zeugen Q. war gerade in Bezug auf das entscheidende Geschehen unergiebig, weil er den Vorfall an sich nicht beobachtet hat, sondern seine Information vielmehr in erster Linie aus den Schilderungen und Reaktionen des Klägers und eines namentlich nicht bekannten und auch nicht von der Polizei befragten Dritten gefolgert hat. Insbesondere zur gefahrenen Geschwindigkeit, der Entstehung des Vorfalls und der vom Kläger behaupteten Reaktion konnte er keine belastbaren Angaben tätigen. Beides, also sowohl die behauptete überhöhte Geschwindigkeit, aber auch die behauptete schmerzhafte Reaktion des Klägers sind vom darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht bewiesen worden.
Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen fehlt es bereits an einem Verursachungsbeitrag des Zeugen W.. Der Unfall geschah damit bereits nicht „bei Betrieb“ des „Beklagtenfahrzeugs“ iSd § 7 I StVG, was der Kläger beweisen müsste, ihm aber nicht gelungen ist.
Das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ ist nach der Rechtsprechung des BGH entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 I StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. An diesem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (BGH NJW 2017, 1173 = r + s 2017, 95 = NZV 2017, 176 Rn. 11 mwN). Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Allerdings hängt die Haftung gem. § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat, und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision gekommen ist (BGH NJW 2017, 1173 = r + s 2017, 95 = NZV 2017, 176 Rn. 12 mwN).
Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 I StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 I StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kfz – erlaubterweise – eine Gefahrenquelle eröffnet wird, und will daher alle durch den Kfz-Verkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (BGH NJW 2017, 1173 = r + s 2017, 95 = NZV 2017, 176 Rn. 13 mwN). Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Insbesondere bei einem sogenannten „Unfall ohne Berührung“ ist daher Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs des Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise die Reaktion des Unfallgegners beeinflusst hat, mithin, dass das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (BGH NJW 2017, 1173 = r + s 2017, 95 = NZV 2017, 176 Rn. 14 mwN). Die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs in der Nähe der Unfallstelle genügt für eine Haftung gem. § 7 I StVG nicht. Dies würde anderenfalls zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen, weil nicht nur das Fahrmanöver des einen, sondern auch die Reaktion des anderen Verkehrsteilnehmers gleichermaßen die Verkehrssituation (mit-)geprägt hat. Gemessen daran geschah auch der vorliegende Unfall nicht bei Betrieb des Beklagtenfahrzeugs. Den unstreitigen und bewiesenen Tatsachen zufolge, war eine kritische Verkehrslage durch das Auffahren auf das Tankstellengelände durch den Zeugen W. noch nicht eingetreten. Eine kritische Verkehrslage entstand frühestens dann, als sich der Kläger – ohne den Verkehr ausreichend zu beobachten – zwischen den Tanksäulen auf die Fahrbahn bewegte. Dieser Umstand kann dem Zeugen W. indes nicht zugerechnet werden. Denn es stellt keine typische Gefahr eines Auffahrens auf ein Tankstellengelände dar, dass Fußgänger das Betreten der Fahrbahn von der in der Mitte der Tanksäulen befindlichen Plattform zurückstellen müssen. Dazu gab auch nicht die Fahrweise des Zeugen W. Anlass, da insoweit eine überhöhte Geschwindigkeit von dem dafür darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht bewiesen wurde. Der Zeuge W. befand sich damit nach den unstreitigen und festgestellten Umständen sozusagen nur bei Gelegenheit auf der für ihn bevorrechtigten Fahrspur, die der insoweit wartepflichtige Kläger betreten wollte, um seinen Tankvorgang durch Aufsuchen und Bezahlen im Kassenhäuschen abzuschließen. Allein der Umstand, dass der Zeuge W. durch seine verkehrsgerechte Anwesenheit den Kläger zum Zurückstellen seines Gehvorgangs veranlasste, reicht nicht aus, um eine im Rahmen des § 7 I StVG relevante Ursächlichkeit seiner Fahrweise (oder sonstigen Verkehrsbeeinflussung) für den behaupteten Unfall zu bejahen.
2.
Überdies bestehen aber auch Zweifel an einer Verletzung des Klägers, die einen Schmerzensgeldanspruch nach sich zieht. Der beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Siegen ist zu entnehmen, dass der Kläger vor Ort gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten keine Schmerzen in der Hüfte geschildert und später auf der Dienststelle angegeben hat, da noch keine Schmerzen verspürt zu haben, nun aber Schmerzen in der rechten Seite der Hüfte habe. Im Rahmen der persönlichen Anhörung hat der Kläger eine Vielzahl an orthopädischen Problemen in der Vergangenheit geschildert, so dass – auch anhand der in diesem Verfahren eingereichten ärztlichen Atteste – nicht davon ausgegangen werden kann, dass es wegen dem streitgegenständlichen Vorfall insoweit zu einer Verschlechterung gekommen ist. Dabei findet mangels Nachweises einer Berührung zwischen dem Kläger und dem Fahrzeug, aber auch mangels Nachweises der behaupteten Ausweichreaktion, das Beweismaß des § 286 ZPO Anwendung. Der Kläger hätte mithin den Vollbeweis hinsichtlich der Unfallkausalität der Beeinträchtigungen erbringen müssen, wozu es erforderlich ist, dass diese in einer Weise zur Überzeugung des Gerichtes feststehen, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH NJW 2014, 71; BGH NJW 2012, 192; BGH NJW 1970, 946). Die zeitliche Nähe der Entstehung einer Verletzung zu einem Haftungs- oder Unfallereignis allein erschließt nicht die haftungsbegründende Kausalität in Bezug auf eine Gesundheits- oder Körperverletzung (OLG Naumburg BeckRS 2013, 22077 = SVR 2014, 301). Das ausschließlich auf subjektiven Beschwerdebeschreibungen des Betroffenen beruhende ärztliche Attest, bei dem die Notwendigkeit einer Therapie im Mittelpunkt oder Vordergrund steht, weist den Verletzungsschaden nicht nach (BGH BeckRS 2008, 13873 = VersR 2008, 1133; Geigel Haftpflichtprozess, Kap. 4 Personenschaden Rn. 43, beck-online). Dies gilt hier insbesondere bezüglich der Notwendigkeit einer Operation des rechten Kniegelenks. Der Kläger hat bereits künstliche Prothesen in beiden Hüft- und im linken Kniegelenk. Der Befund Gonarthrose beschreibt einen chronischen Verschleiß eines Gelenks. Dies passt zur vom Kläger, der inzwischen pensioniert ist, geschilderten beruflichen Tätigkeit als X. sowie den bislang notwendig gewordenen Operationen und hat mit Sicherheit nichts mit dem streitgegenständlichen Vorfall zu tun. Für eine schmerzhafte Zerrung der rechten Hüfte, unterstellt diese hat vorgelegen, ist die für einen Schmerzensgeldanspruch notwendige Erheblichkeitsschwelle nicht überschritten. Denn eine Überschreitung der Bagatellgrenze liegt nicht vor. Eine für einen Anspruch auf Schmerzensgeld relevante Körper- und Gesundheitsverletzung ist nur gegeben, wenn diese nicht unerheblich ist (BGH NJW 1953, 1440). Geringfügige Beeinträchtigungen, etwa geringfügige Verletzungen der Gesundheit (Bagatell-Beeinträchtigungen) begründen keinen Schmerzensgeldanspruch, wenn es sich nur um vorübergehende, im Alltagsleben typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des seelischen Wohlbefindens handelt (BGH NJW 1992, 1043; BGHZ 122, 363, 366 ff = NJW 1993, 2173, 2175; BAG AP § 611a Nr 6 = NJW 1990, 67; umfassend zur Bagatellgrenze Looschelders in Karlsruher Forum 2003, S 31, 35 ff). Der Ausschluss einer Entschädigung kommt damit insbesondere bei geringfügigen Verletzungen der Gesundheit in Betracht. (vgl. BGH NJW 1992, 1043; OLG Köln VersR 1999, 116; OLG Naumburg NJW-RR 2008, 1056; LG Mönchengladbach SP 1999, 13; LG München I SP 2002, 164 -unfallbedingte Verstauchung eines Fingers). Hiermit sind Beeinträchtigungen gemeint, die sowohl von der Intensität als auch der Art der Primärverletzung her nur ganz geringfügig sind und üblicherweise den Verletzten nicht nachhaltig beeindrucken (vgl. BGH NJW 1992, 1043). In diesen Fällen ist die erlittene Beeinträchtigung derart geringfügig, dass ein Ausgleich des sich aus ihr ergebenden immateriellen Schadens in Geld nicht mehr billig erscheint. Deshalb hält sich der Tatrichter im Rahmen seines ihm durch § 287 ZPO eingeräumten Ermessens, wenn er bei geringfügigen Verletzungen ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung und ohne Dauerfolgen jeweils prüft, ob es sich nur um vorübergehende, im Alltagsleben typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens handelt (wie vorliegend beim Erleiden der unterstellten Zerrung mit Ausstrahlung in den Rücken), die im Einzelfall weder unter dem Blickpunkt der Ausgleichs- noch der Genugtuungsfunktion ein Schmerzensgeld als billig erscheinen lassen.
Entsprechendes gilt bezüglich der geltend gemachten psychischen Folgen. Ebenso wenig wie für eine physische kann die Beklagte für eine etwaige psychische Ursache der vom Kläger beklagten Beschwerden haftbar gemacht werden. Zwar ist allgemein anerkannt, dass eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 I BGB keine physische Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraussetzt, vielmehr auch psychisch vermittelt werden kann. Dabei muss die geltend gemachte Beeinträchtigung selbst aber einen Krankheitswert aufweisen, also eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 I BGB darstellen (s. etwa OLG Hamm, Urteil vom 02. Juli 2001 – 13 U 224/00 -, Rn. 68 f, zitiert nach juris). Zur Körper- bzw. Gesundheitsverletzung zählen damit zwar grundsätzlich auch psychische Beeinträchtigungen. Diese müssen aber medizinisch feststellbar sein und über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehen (St Rspr., BGHZ 137, 142, 145 ff; 132, 341, 343 ff; 172, 263 Tz 12; BGH NJW 1998, 813, 814; NJW 1997, 1640, 1641; s auch NJW 1983, 340, 341; NJW 1986, 777, 778 f; NJW 1991, 2347, 2348; NJW 1991, 2347, 2348.) Es muss eine pathologisch fassbare Gesundheitsbeschädigung von einiger Intensität vorliegen (OLG Hamm NZV 2002, 234; OLG Naumburg NZV 2005, 530 mwN). Eine solche Beeinträchtigung wurde vom Kläger nicht vorgetragen. Gefühle wie Trauer, Schrecken oder Entsetzen als haftungsbegründende Verletzungen widersprächen der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken (BGHZ 56, 163, 165; Dahm NVZ 2008, 187, 188; Adelmann VersR 2009, 449, 450;). Erforderlich ist daher eine nachhaltige traumatische Schädigung, die zudem aus juristischer Sicht dasjenige übersteigt, worin sich das normale Lebensrisiko der menschlichen Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt verwirklicht (OLG Oldenburg NJW-RR 1999, 820; OLG Hamm VersR 1998, 730, 731). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Kläger trägt keine psychischen Beeinträchtigungen vor, die medizinisch feststellbar waren und über das allgemeine Lebensrisiko hinausgingen. Die bloße – nachvollziehbare – Sorge um die relativ frisch operierte linke Hüfte, erfüllt diese Erfordernisse nicht. Insoweit ist das Gericht auf Grundlage der klägerischen Ausführungen und den eingereichten Attesten insbesondere nicht im Sinne des § 286 I 1 ZPO davon überzeugt, dass der Kläger durch das behauptete Unfallereignis eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erlitten hat. Dies kann das Gericht aufgrund der Erfahrungen und der Beweisaufnahme im Rahmen eines anderen Rechtsstreits (Az. 2 O 42/20) ohne weitere Beweisaufnahme ausschließen. Der streitgegenständliche Vorfall hat schon deshalb beim Kläger keine haftungsrelevante posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst, weil Voraussetzung für die Diagnose einer PTBS nach ICD-10 ein bestimmter Schweregrad des erlittenen Traumas (das sogenannte „A-Kriterium“) ist, das im Falle des Klägers ersichtlich nicht vorliegt. Das A-Kriterium setzt voraus, dass die vom Betroffenen geschilderten psychischen Reaktionen darauf zurückführbar sind, dass der Betroffene einem kurz- oder langanhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt war, das nahezu bei jedem eine tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde (vgl. dazu auch LG Bremen, SVR 2022, 138). Dies kann das Gericht anhand der festgestellten Umstände und den Angaben der behandelnden Ärzte ohne weitere Beweisaufnahme ausschließen. Der vorliegende Vorfall, bei dem es nicht zur Kollision gekommen und wo im Prinzip nichts außer der unterstellten Bagatellverletzung passiert ist, löst mit Sicherheit nicht nahezu bei jedem eine tiefgreifende Verzweiflung aus.
Schließlich kann dem Kläger auch nicht über die Rechtsprechung zu Schockschäden (vgl. BGHZ 56, 163 = NJW 1971, 1883) ein Schmerzensgeld zuerkannt werden. Schockschäden, die eigentlich in den Bereich des allgemeinen Lebensrisikos fallen, lösen nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise und unter besonderen Voraussetzungen Ansprüche auf Schmerzensgeld aus. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen eine Person Ersatz für den Schaden verlangt, der ihr daraus entstanden ist, dass sie die Tötung eines anderen Menschen hat mit ansehen oder die Todesnachricht hat entgegennehmen müssen. Nichts dergleichen steht vorliegend im Raum.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Streitwert: 7230,00 EUR