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Auffahrunfall im Einfahrtsbereich einer Auffahrt zu Parkdeck – Haftung

Haftungsfragen bei Auffahrunfällen im Parkdeck-Bereich

Die Fragen der Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen sind oftmals komplex und erfordern eine genaue Untersuchung des Einzelfalls. Insbesondere bei Auffahrunfällen im Bereich von Parkdecks ist es wichtig, die jeweiligen Verursachungsbeiträge beider beteiligter Parteien zu berücksichtigen. In diesem Kontext hat ein kürzlich veröffentlichtes Gerichtsurteil neue Klarheit geschaffen, die eine differenzierte Betrachtung der Haftungsfrage bei Auffahrunfällen auf Parkdecks ermöglicht.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 408 C 12/20 >>>

Die zentrale Bedeutung des Verursachungsbeitrags

Ein Schlüsselelement bei der Ermittlung der Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen ist die Abwägung der Verursachungsbeiträge der Beteiligten. Hierbei ist insbesondere das mögliche Verschulden der Beteiligten zu berücksichtigen. Ein verkehrswidriges Verhalten, das den Unfall mitverursacht hat, kann als fahrlässig bewertet werden. Zur Ermittlung des Verursachungsbeitrags ist auch zu prüfen, inwiefern das Verhalten der Beteiligten den Eintritt des Schadens wahrscheinlicher gemacht hat.

Einsatz des Anscheinsbeweises

Die Rechtsprechung hat den sogenannten Anscheinsbeweis entwickelt, der insbesondere bei Auffahrunfällen zum Einsatz kommt. Dieser Beweis geht davon aus, dass der Auffahrende in der Regel entweder den notwendigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, abgelenkt war oder mit einer unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist. Allerdings findet der Anscheinsbeweis nicht Anwendung, wenn ein atypischer Sachverhalt vorliegt, bei dem zum Beispiel die Möglichkeit eines Rückwärtsfahrens besteht.

Besonderheiten bei Parkdecks

Die besonderen Umstände bei einem Parkdeck können dazu führen, dass ein typischer Auffahrunfall-Sachverhalt nicht vorliegt. Die Rampen eines Parkdecks haben oft ein erhebliches Gefälle, wodurch Fahrzeuge häufiger rückwärts fahren. Darüber hinaus können vorhandene Ticket-Automaten dazu führen, dass Fahrer öfter rangieren müssen. In solchen Fällen kann der Anscheinsbeweis nicht ohne Weiteres zugunsten des Vorausfahrenden angewandt werden.

Die Rolle von Zeugenaussagen

Die Aussagen von Zeugen spielen eine entscheidende Rolle bei der Klärung des Sachverhalts. Jedoch kann ihre Glaubwürdigkeit und Konsistenz variierten, was die Beurteilung erschwert. In dem betrachteten Fall haben die abweichenden und inkonsistenten Zeugenaussagen das Gericht daran gehindert, klare Schlussfolgerungen über den genauen Unfallhergang zu ziehen.

Das Urteil zeigt die Komplexität der Haftungsfragen bei Verkehrsunfällen auf und unterstreicht die Notwendigkeit, jeden Fall individuell zu prüfen und dabei alle relevanten Faktoren und Umstände zu berücksichtigen. Nur so kann eine gerechte und faire Haftungsverteilung gewährleistet werden. […]


Das vorliegende Urteil

AG Hamburg-Bergedorf – Az.: 408 C 12/20 – Urteil vom 24.09.2020

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 599,41 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 30.7.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Sachverständigenkosten in Höhe von 192,35 € gegenüber der Kfz-Gutachtenzentrale D. aufgrund des Gutachtens mit der Nr. […] freizustellen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Kanzlei D in Höhe von 124,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.5.2020 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger und die Beklagte können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweils andere vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 1.688,83 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 6.7.2019, der sich auf der Zufahrt zum öffentlichen Parkplatz zum P.-Supermarkt auf Höhe der Kreuzung S-Weg und F-Platz in H. ereignete.

Zum Unfallzeitpunkt war die Klägerin Eigentümerin eines PKW vom Typ Hyundai i30, amtliches Kennzeichen …. Das Fahrzeug wurde am Unfalltag von dem Zeugen G. gesteuert. Bei der Beklagten handelt es sich um die Haftpflichtversicherung des von dem Zeugen A. am Unfalltag gesteuerten Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen ….

Am Unfalltag fuhr der Zeuge A. von dem S-Weg auf die Einfahrt eines öffentlichen Parkgeländes. Die Einfahrt führt eine Rampe herauf auf das öffentlich zugängliche Parkgelände. Hinsichtlich der Gestaltung der Einfahrt wird auf die Anlage K 1 (insbesondere Blatt 9 der Akte) verwiesen. Der Zeuge G. fuhr hinter dem Beklagtenfahrzeug ebenfalls auf die Einfahrt des Parkgeländes. Beide Fahrzeugführer wollten nach oben auf das Parkdeck fahren. In dem Einfahrtsbereich kam es zwischen beiden Fahrzeugen zur Kollision, wobei der Unfallhergang im Einzelnen streitig ist. Durch die Kollision entstanden an dem Fahrzeug der Klägerin Schäden an der vorderen Fahrzeugseite.

Die Klägerin beauftragte zur Ermittlung der eingetretenen Schäden ein KFZ-Sachverständigengutachten bei der Kfz-Gutachtenzentrale D GmbH. Der Gutachter bezifferte die Reparaturkosten nach Abzug „Neu für Alt“ auf 1.008,83 und die Wertminderung auf 150,00 €. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf die Anlage K 2 verwiesen.

Für die Begutachtung stellte der Gutachter der Klägerin einen Betrag von 505,00 € netto in Rechnung (Anlage K 3). Die Klägerin ist umsatzsteuerbefreit und glich die Rechnung nicht aus.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz in Höhe von insgesamt 1.688,83 €. Der Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

Reparaturkosten netto 1.008,83 €

Wertminderung 150,00 €

Sachverständigenkosten netto     505,00 €

Allgemeine Kostenpauschale 25,00 €

Die Klägerin beauftragte ihren heutigen Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung von Ansprüchen, der die Beklagte mit Schreiben vom 17.7.2019 zur Regulierung des Schadens bis zum 29.7.2019 aufforderte. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten belaufen sich auf 255,85 €.

Die Klägerin behauptet, der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs sei ohne erkennbaren Grund auf der Einfahrt zum Parkplatz angehalten und sodann rückwärts gefahren. Hierbei sei das vorausfahrende Beklagtenfahrzeug mit der Anhängerkupplung gegen die vordere Seite des klägerischen Fahrzeugs gestoßen. Der Unfall sei für den Zeugen G. unabwendbar gewesen. Der Kläger behauptet weiter, die im Gutachten festgehaltenen Schäden seien eingetreten.

Die Klage ist der Beklagten am 30.4.2020 zugestellt worden.

Die Klägerin beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.183,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.7.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin in Höhe der Sachverständigenkosten von 505,00 € gegenüber der Kfz-Gutachtenzentrale D. GmbH freizustellen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Zeuge A. habe, bevor er auf das Parkdecken hätte fahren können, wegen querender Fußgänger abbremsen müssen. Anschließend sei der hinter dem Zeugen A. fahrende PKW mit der Front seines Fahrzeugs in voller Überdeckung auf das Heck des Beklagtenfahrzeugs gefahren. Für den Zeugen A. sei die Kollision unabwendbar gewesen.

Die Beklagte behauptet, das Klägerfahrzeug sei im unfallrelevanten Bereich erheblich vorgeschädigt gewesen. Die Stoßstange hätte ohnehin aufgrund der Vorschäden lackiert werden müssen. Dies gelte aller Voraussicht nach auch für den Stoßstangenhalter.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass die Sachverständigenkosten stark überhöht seien. Pauschale Kosten für Porto und Telefon sowie eine Fahrtkostenpauschale könnten nicht gefordert werden. Auch die von der Klägerin geforderte Kostenpauschale sei überhöht.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B., A., G. und H. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4.8.2020 (Blatt 72 ff der Akte) sowie vom 24.9.2020 (Blatt 91 ff der Akte). Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der von ihr erlittenen Schadens gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG in Verbindung mit §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG bei einer Haftungsquote von 50 zu 50.

1.

Der streitgegenständliche Unfall stellte sich für keinen der Unfallbeteiligten als höhere Gewalt oder als nachweislich unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG dar. Durch die Beweisaufnahme konnte nicht mit hinreichender Gewissheit ausgeschlossen werden, dass die Zeugen G. und A. durch ein verkehrswidriges Verhalten den Unfall verursacht haben. Daraus folgt, dass sich der Umfang der Haftung im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG danach richtet, inwieweit der Unfall vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

Bei der Bewertung und Abwägung der Verursachungsbeiträge ist insbesondere das Verschulden der Beteiligten wie etwa ein als jedenfalls fahrlässig zu bewertendes verkehrswidriges Verhalten zu berücksichtigen, soweit es sich auf den Unfall ausgewirkt hat. Im Hinblick auf die Ermittlung der Verursachungsbeiträge ist in Anschlag zu bringen, inwieweit das Verhalten der Beteiligten den Eintritt des Schadens im Vergleich zu den ansonsten in Betracht kommenden Ursachen wahrscheinlich gemacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 20.01.1998 – VI ZR 59/97 – zitiert nach Juris Rn 8; BGH, Urteil vom 27.06.2000 – VI ZR 126/99 – zitiert nach Juris Rn 23).

Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung sind nur solche Umstände zu berücksichtigen, die unstreitig oder nach § 286 ZPO bewiesen sind (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05 – zitiert nach Juris Rn 15). Lediglich vermutete Ursachenbeiträge sind genauso wie die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund einer bestehenden Gefahrenlage sind nicht in die Abwägung einzustellen (BGH, aaO; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 29. März 2018 – 4 U 56/17 –zitiert nach Juris Rn 41 mwN). Nach den allgemeinen Beweisgrundsätzen sind dabei die im Kontext von § 17 StVG maßgeblichen Umstände jeweils von dem Halter zu beweisen, auf denen das Verschulden des Unfallgegners gestützt wird (BGH, Urteil vom 13.02.1996 – VI ZR 126/95 – zitiert nach Juris Rn 11).

2.

Vorliegend konnte ein Verursachungsbeitrag des jeweils anderen Fahrzeugführers weder durch die Klägerin noch durch die Beklagte nachgewiesen werden, so dass es bei einer Quotelung von 50 zu 50 bleibt.

a.

Ein verkehrswidriges Verhalten des Zeugen G. als Fahrer des Klägerfahrzeugs durch das Auffahren auf das Beklagtenfahrzeug in Form eines zu geringen Sicherheitsabstandes (§ 4 Abs. 1 StVO), Unaufmerksamkeit und/oder nicht angepasster Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 StVO) konnte nicht mit hinreichender Gewissheit festgestellt werden. Die vernommenen Zeugen machten zum Unfallgeschehen insgesamt sehr unterschiedliche Angaben, die überwiegend miteinander nicht in Einklang zu bringen sind.

Die Zeugin B. hat ausgesagt, dass sich das von dem Zeugen A. geführte Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision vorwärts und nicht rückwärts bewegte. Dies bestätigte der Zeuge A. Allerdings stimmen beide Aussagen bezüglich des genauen Unfallortes nicht überein.

Nach Aussage der Zeugin B. habe sich der Unfall an der zum Parkplatzdeck führenden Rampe weiter oben kurz vor Beginn des Parkplatzbereichs ereignet. Der Zeuge A. hingegen hat den Unfall weiter unten im Einfahrtsbereich zur Rampe verortet. Die Zeugen G. und H. haben indes ausgesagt, der Zeuge A. sei vor der Kollision rückwärts gefahren, während das von dem Zeugen G. geführte Fahrzeug gestanden haben soll. Angesichts dieser divergierenden Aussagen ist es dem Gericht nicht möglich, den Sachverhalt insoweit aufzuklären. Auch die Aussagen der jeweiligen sich in einem Fahrzeug befindlichen Zeugen weichen voneinander ab. Zudem haben sich alle Zeugen jeweils nach Vorhalt von Bildern des Unfallortes genötigt gesehen, ihre Angaben zu korrigieren oder zum Ausdruck zu bringen, dass sie sich nicht mehr genau erinnern können. Auch die jenseits des Unfallgeschehens gemachten Angaben der Zeugen lassen keine Rückschlüsse auf ihre Glaubhaftigkeit zu.

Ein Fehlverhalten des Zeugen G. ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht nach den Grundsätzen eines Anscheinsbeweises nachgewiesen. Ein Anscheinsbeweis zugunsten des Vorausfahrenden kommt im Falle eines Auffahrens durch den Hintermann in Betracht, da das Auffahren von gleichgerichteten Fahrzeugen einen Geschehensablauf darstellt, bei dem sich nach allgemeiner Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass der Auffahrende entweder nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand zu dem Vorausfahrenden eingehalten hat, unaufmerksam oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (siehe etwa OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 19.03.2020 – 12 U 2181/19; BGH VersR 1964, 263).

Entgegen der Rechtsprechung eines Teils der Instanzenrechtsprechung scheidet dieser Anscheinsbeweis zugunsten des Vorausfahrenden nicht bereits dann aus, wenn der Kernsachverhalt des Auffahrens streitig ist (so etwa OLG Hamm, Urteil vom 15.04.2010, 6 U 205/09). Vielmehr ist nach etablierter Rechtsprechung der Hamburger Gerichte davon auszugehen, dass in dem Zusammenhang ein sogenannter doppelter Anschein gegeben ist. Der erste Anschein ist darauf gerichtet, dass sich die am Unfall beteiligten Fahrzeuge gleichgerichtet vorwärts bewegt haben. Dieser Anschein ist bereits dann gegeben, wenn die beiden Fahrzeuge gleichgerichtet, d.h. die Fahrzeugfronten in die gleiche Fahrtrichtung ausgerichtet waren, und dass der Zusammenstoß achsparallel und mit wesentlicher Überdeckung erfolgte (vgl. auch LG Berlin, Urteil vom 06. Januar 2000 – 58 S 176/99, juris Rn 11; vgl. auch LG Berlin, Urteil vom 10. Januar 2000 – 58 S 188/99). Gegenstand des zweiten Anscheins ist hingegen die Pflichtverletzung des nachfolgenden Fahrzeugführers.

Ein für die Anwendung dieses Anscheinsbeweises geeigneter Geschehensablauf liegt jedoch nicht vor, wenn ein atypischer Sachverhalt vorliegt, bei dem die ernsthafte Möglichkeit etwa eines Rückwärtsfahrens besteht und die Schlussfolgerung eines Auffahrens nicht in dem Maße naheliegt, dass hieraus ein Anscheinsbeweis zuungunsten des Auffahrenden abgeleitet werden kann. Denn in diesem Fall liegt kein Geschehensablauf vor, bei dem typischerweise die Schlussfolgerung zogen werden kann, dass beide Fahrzeuge gleichgerichtet vorwärts, der Hintermann dem Vorausfahrenden also aufgefahren ist (vgl. hierzu etwa LG Berlin, Urteil vom 10. Januar 2000 – 58 S 188/99, juris Leitsatz Ziffer 3).

So liegt es hier. Der Unfall hat sich nach der Überzeugung des Gerichts auf der Rampe zum Parkplatzdeck ereignet. Diese Rampe weist ein nicht unerhebliches Gefälle auf, sodass eine rückwärtige Bewegung von Fahrzeugen in einem höheren Maße vorkommt als im regulären gleichgerichteten Straßenverkehr. Darüber hinaus befinden sich an der linken Seite der nach oben führenden Auffahrt Ticket-Automaten, die dazu führen, dass Fahrzeugführer in dem Bereich vermehrt rangieren müssen. Damit fehlt es an einer Grundlage für den ersten Anschein.

Dass sich das vom Zeugen A. geführte vorausfahrende Fahrzeug vor der Kollision bereits auf der Rampe befunden hat, ergibt sich aus den insoweit übereinstimmenden Aussagen der Zeugen G., H. und B. Zwar haben die Zeugen bezüglich des genauen Ortes der Fahrzeuge vor der Kollision nicht die exakt gleichen Angaben gemacht; auch haben sich die Zeugen in ihrer Vernehmung zum Teil jeweils korrigiert. Nach Vorhalt von Bildern der Rampe haben die genannten Zeugen gleichwohl jeweils weitgehend übereinstimmend ausgesagt, dass jedenfalls das Beklagtenfahrzeug bereits auf der Rampe gestanden hat. Etwas anderes ergibt sich insoweit nicht aus der Aussage des Zeugen A. Dieser hat zwar angegeben, die Kollision sei unten an der Rampe gewesen und er habe wegen Fußgängern zunächst bremsen müssen. Gleichzeitig hat er aber auch ausgesagt, dass das auf Blatt 8 der Akte enthaltene Bild die Fahrzeuge zeigen würde, nachdem diese 2 bis 3 Meter nach der Kollision zurückgefahren sind (Blatt 77 der Akte). Anhand des Fotos auf Blatt 8 der Akte lässt sich so rekonstruieren, dass das von dem Zeugen A. geführte Fahrzeug jedenfalls bereits in dem Bereich der Rampe gestanden haben muss, in der bereits ein Gefälle vorhanden ist und es vermehrt zu Rangiervorgänge kommt.

b.

Ein Verstoß des Zeugen A. als Fahrer des Beklagtenfahrzeugs gegen die sich aus § 9 Abs. 5 StVO ergebende Pflicht, beim Rückwärtsfahren sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, konnte im Rahmen der Beweisaufnahme ebenfalls nicht nachgewiesen werden. Es konnte schon nicht festgestellt werden, ob der Zeuge vor oder während der Kollision rückwärts gefahren ist, sodass auch ein entsprechender Anscheinsbeweis nicht greift.

Der Zeuge A. und dessen Beifahrerin, die Zeugin B., haben übereinstimmend erklärt, dass ihr Fahrzeug nicht rückwärts gefahren, sondern nach Anfahren auf die Auffahrt zum Parkdeck stehen geblieben sei und es dann durch ein Auffahren des dahinter fahrenden Fahrzeugs zur Kollision gekommen sei. Die Zeugen G. und H. haben hingegen übereinstimmend ausgesagt, der Zeuge A. sei rückwärts in das Klägerfahrzeug gefahren. Aufgrund dieser Divergenzen und weiterer Unklarheiten in den Aussagen aller Zeugen war es dem Gericht nicht möglich, objektive Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder der anderen Aussage zu identifizieren. Die beiden Zeugen H. und G. waren in ihren Aussagen schwankend und sahen sich immer wieder veranlasst, ihre Aussagen – auch bei Vorhalt von Lichtbildern – zu korrigieren. Sie machten in dem Zusammenhang wiederholt deutlich, sich doch nicht so genau erinnern zu können. Eine Überzeugung konnte sich das Gericht auf Grundlage dieser Aussagen und unter Einbeziehung der abweichenden Aussagen der Zeugen A. und B. nicht bilden.

c.

Das Gericht sieht sich nicht veranlasst, ein unfallanalytisches Gutachten einzuholen. Von der Einholung eines Gutachtens kann das Gericht absehen, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse bringen kann (BGH, VI ZR 378/17). So liegt es hier. Nach Auffassung des Gerichts stehen keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen zur Verfügung, um weitergehende sachverständige Feststellungen darüber treffen zu treffen, ob das Beklagtenfahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision rückwärtsfuhr oder ob das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung war. Ohne besondere Unfallspuren lässt sich anhand des bloßen Schadensbildes nicht feststellen, ob ein unfallbeteiligtes Fahrzeug rückwärts gefahren ist oder ob umgekehrt ein Fahrzeug vorwärts gegen das andere Fahrzeug gefahren ist (hierzu etwa KG Berlin, Urteil vom 06. Dezember 2004 – 12 U 28/04, juris Rn 6). Ein unfallanalytisches Gutachten ist lediglich geeignet, die Geschwindigkeitsänderung und den Kollisionswinkel festzustellen (LG Berlin, aaO).

3.

Die Klägerin kann die Hälfte des ihr entstandenen Schadens von der Beklagten ersetzt verlangen.

a.

Die Reparaturkosten betragen nach dem vorgelegten Gutachten der Klägerseite netto 1.389,69 €. Dem insoweit hinreichend substantiierten Vortrag der Klägerin ist die Beklagtenseite lediglich im Hinblick auf den Minderwert sowie den Abzug „neu für alt“ hinreichend substantiiert entgegengetreten. Soweit sie den durch das Gutachten im Detail aufgelisteten Reparaturschaden darüber hinaus einfach bestreitet, ist dies unzulässig.

b.

Hinsichtlich des Abzugs „neu für alt“ schätzt das Gericht diesen gemäß § 287 ZPO anknüpfend an das vorgelegte Gutachten auf netto 380,86 €, sodass ein Schaden in Höhe von 1.008,83 € verbleibt. Ausweislich von Seite 17 des Gutachtens (Blatt 26 der Akte) hat der KFZ-Gutachter die im unfallrelevanten Bereich vorhandenen Altschäden – insbesondere Kratzer – bereits berücksichtigt. Anhaltspunkte für ein darüber hinausgehenden Abzug für „neu für alt“ sind nicht erkennbar und wurden auch nicht vorgetragen.

c.

Auch die mit der Reparatur einhergehende Wertminderung schätzt das Gericht anknüpfend an das vorgelegte KfZ-Gutachten auf 150,00 €. Diese ist nach Auffassung des Gerichts moderat bemessen und trägt dem Umstand Rechnung, dass der von dem Unfall beschädigte Teil des Fahrzeugs keine tragende Funktion im Hinblick auf die Konstruktion des Fahrzeugs spielt. Die Wertminderung ist auch unter Berücksichtigung der bisherigen Laufleistung von 57.782 km und dem sonstigen Zustand des Fahrzeugs plausibel. Das Gericht auf dieser Grundlage davon aus, dass auf dem Markt im Falle eines Verkaufs nur noch ein entsprechend geringerer Preis erlangt werden kann. Der Vortrag der Beklagtenseite gibt keinen Anlass, von dieser Schätzung abzuweichen.

d.

Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Freistellung von den entstandenen Sachverständigenkosten. Der Anspruch besteht nach Maßgabe der hier festgelegten Quote von 50 zu 50 (hierzu BGH, VI ZR 133/11).

Da die Klägerin die von dem KFZ-Sachverständigen gestellte Rechnung nicht ausgeglichen hat, ergibt sich aus dem Rechnungsbetrag kein im Rahmen der Schätzung des Schadens gemäß § 287 ZPO zu berücksichtigendes Indiz (hierzu BGH, Urteil vom 26.4.2016 – VI ZR 50/15, Rn 12).

Da eine Honorarvereinbarung zwischen der Klägerin und dem Kfz-Gutachter nicht vorgetragen worden ist, beläuft sich der Schaden auf die gemäß § 632 Abs. 2 BGB übliche Vergütung.

Für die Bemessung des Grundhonorars legt das Gericht die Honorarbefragung 2018 des BVSK zu Grunde. Nach dem HB V Korridor beträgt das Grundhonorar bei einem Schaden in Höhe von (netto zuzüglich merkantiler Wertminderung, siehe die Angaben in der Legende unter * unten auf S. 4 der Honorarbefragung) 1.158,83 € (bzw. bis 1.250,00 €) nach Maßgabe des HV Korridors zwischen 313 € und 344 €. Der sich daraus ergebende und für die Schätzung der üblichen Vergütung maßgebliche Mittelwert beläuft sich auf 328,50 €. Nebenkosten sind üblicherweise nur geschuldet, soweit sie konkret angefallen sind. Eine Pauschale für Nebenkosten/Telefon/Porto und eine Fahrtkostenpauschale können nicht verlangt werden. Entstandene Fahrtkosten wurden seitens der Klägerin nicht vorgetragen. Die für die Anfertigung der im Gutachten enthaltenen Bilder sind mit 2 € je Farbfoto, insgesamt also mit 40,00 €, zu vergüten (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 2 JVEG).

Hinzu kommen Schreibkosten, die der Sachverständige gegenüber der Klägerin geltend machen kann. Dabei ist unschädlich, dass der Sachverständige dieser in seiner Rechnung nicht gesondert ausweist. Der Anspruch besteht gleichwohl, zumal der hier tätig gewordene Gutachter stattdessen sein Grundhonorar über das Übliche hinaus abgerechnet hat und unstreitig – wie anhand des vorgelegten Gutachtens erkennbar – Schreibkosten angefallen sind.

Bei der Bemessung der Schreibkosten knüpft das Gericht an § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 JVEG an, wonach eine Pauschale von 0,90 € je angefangene 1.000 Anschläge verlangt werden können (vgl. hierzu auch LG Hamburg, Aktz. 306 S 49/17). Das Gericht folgt dem BGH und schätzt die Zahl der Anschläge pro Seite des Gutachtens durchschnittlich auf 2.000 (s. hierzu nur BGH, Beschluss vom 15.02.2011, Aktenzeichen X ZR 7/09, Beschluss vom 25.09.2007, Aktenzeichen X ZR 52/05 und Beschluss vom 07.11.2006, Aktenzeichen X ZR 138/04). Zwar erfolgt für Gutachtenseiten, die keinen Text enthalten, sondern zum Beispiel nur Fotos, keine Erstattung, weil die Pauschale auf eine erbrachte Schreibleistung abstellt (Schneider, Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetz, 3. Auflage, 2018, § 12 Rn 70 mwN). Das vorliegende Gutachten hat einen Umfang von 9 Seiten, d.h. rund 18.000 Anschläge, sodass die Schreibkosten mit 16,20 € zu beziffern sind.

Der Anspruch auf Freistellung von den Sachverständigenkosten beläuft sich damit auf:

328,50 € Grundhonorar

40,00 € Foto-Kosten

16,20 € Schreibkosten

384,70 € Gesamt.

e.

Eine Kostenpauschale wird im hiesigen Gerichtsbezirk nur in Höhe von 20 € zugesprochen.

4.

Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nach Maßgabe des Gegenstandswertes von 791,76 € in Höhe von 147,56 € abzüglich 23,56 € Umsatzsteuer, d.h. 124,00 €. Die von der Klägerin offensichtlich auch geltend gemachten Umsatzsteuer-Kosten kann die Klägerin indes nicht verlangen, da sie nach ihrem eigenen Vortrag umsatzsteuerbefreit ist.

5.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 92, 708 Nr. 11, 711 S. 1, S. 2, 709 S. 2 ZPO.

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