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Verkehrsunfall beim Aussteigen aus dem Fahrzeug – Haftung

OLG Köln, Az.: 19 U 57/14, Urteil vom 10.07.2014

Verkehrsunfall beim Aussteigen aus dem Fahrzeug - HaftungLeitsatz – nicht amtlich: Nach § 14 Abs. 1 StVO muss sich der Ein- oder Aussteigende so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Wer die Fahrertür öffnen will, muss den Verkehrsraum vorher nach hinten durch die Rückspiegel und erforderlichenfalls durch die Fenster beobachten. Reicht der Rückblick nicht weit genug, darf er die Tür zunächst nur langsam spaltbreit (bis zu 10 cm) und weiter erst dann öffnen, wenn mit Gewissheit niemand kommt. Soweit – wie bei modernen PKW in der Regel – eine Beobachtung nach hinten ohne spaltweises Türöffnen möglich ist, ist dieses auch ohne vorherige Rückschau unzulässig. Kommt es im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Aussteigen zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der Anscheinsbeweis gegen den Aussteigenden. Diesen Anscheinsbeweis kann der Aussteigende nur dadurch erschüttern, dass er einen atypischen Ablauf des Verkehrsunfalls darstellt.  Der fließende Verkehr hat grundsätzlich Vorrang gegenüber dem ruhenden Verkehr und darf auf die Beachtung dieses Vorrechtes vertrauen. Der fließende Verkehr muss deshalb beim Vorbeifahren an Fahrzeugen nicht mit einem plötzlichen weiträumigen Öffnen von Fahrzeugtüren rechnen, sondern allenfalls mit einem zur Rückschau genügenden Öffnen eines Türspalts, falls das Fahrzeug nicht zweifelsfrei leer ist. Der beim Vorbeifahren hiernach einzuhaltende Seitenabstand darf nach den Umständen des Einzelfalles durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m. Es reicht beim Vorbeifahren in der Regel ein Abstand von 0,50 m zum parkenden Fahrzeug aus.

Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufungen des Klägers und der Drittwiderbeklagten gegen das am 06.03.2014 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 2 O 23/13 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Es ist ferner beabsichtigt, das Rubrum gemäß § 319 ZPO insoweit zu berichtigen, als Beklagte zu 2. nicht die I Versicherung AG ist, sondern die I2 AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorsitzenden, X-Straße 2, D.

Die Berufungsführer erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.

G r ü n d e :

I.

Die Berufungen des Klägers und der Drittwiderbeklagten haben offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO. Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Ebenso wenig ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO) oder aus anderen Gründen eine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

1.

Die Berufungsführer machen eine Rechtsverletzung geltend und wenden sich alleinig gegen die vom Landgericht ausgeworfene Haftungsquote. Sie sind der Meinung, dass nach den erstinstanzlich getroffenen Tatsachenfeststellungen eine Haftungsquote von 45 % zu 55 % zu ihren Gunsten anzunehmen sei.

Die vom Landgericht ausgeworfene Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zulasten der Berufungsführer ist nicht zu beanstanden.

a.

Wenn – wie vorliegend – keine der Parteien bewiesen hat, dass der Unfall für sie ein unabwendbares Ereignis darstellt (§ 17 Abs. 3 StVG), hängt die Ersatzpflicht der Beteiligten untereinander gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Unfallbeteiligten sind auf beiden Seiten nur die unstreitigen, zugestandenen oder nachgewiesenen Tatsachen betreffend die Betriebsgefahr, die Mitverursachung und das Mitverschulden zu berücksichtigen. Dabei hat jede Partei die die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeuges erhöhenden Umstände sowie Mitverursachungs- und Verschuldensanteile seines Fahrers zu beweisen, wobei auch die Grundsätze des Anscheinsbeweises Anwendung finden können.

b.

Die Abwägung der Verursachungsbeiträge durch das Landgericht ist fehlerfrei. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger schuldhaft gegen § 14 Abs. 1 StVO verstoßen hat. Hiernach muss sich der Ein- oder Aussteigende so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Wer die Fahrertür öffnen will, muss den Verkehrsraum vorher nach hinten durch die Rückspiegel und erforderlichenfalls durch die Fenster beobachten. Reicht der Rückblick nicht weit genug, darf er die Tür zunächst nur langsam spaltbreit (bis zu 10 cm) und weiter erst dann öffnen, wenn mit Gewissheit niemand kommt. Soweit – wie bei modernen PKW in der Regel – eine Beobachtung nach hinten ohne spaltweises Türöffnen möglich ist, ist dieses auch ohne vorherige Rückschau unzulässig (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, StVO, § 14 Rn. 4).

c.

Es spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Kläger diese Sorgfaltsanforderungen des § 14 Abs. 1 StVO nicht beachtet hat. Kommt es – wie hier – im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Aussteigen zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der Anscheinsbeweis gegen den Aussteigen (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage 2011, StVO, § 14 Rn. 9; KG, NZV 2005, 196). Diesen Anscheinsbeweis haben die Berufungskläger auch nicht durch die Beweisführung der ernsthaften Möglichkeit eines atypischen Ablaufs erschüttert. Die hierfür von ihnen geltend gemachten Umstände bedürfen des Vollbeweises. Soweit die Berufungskläger bereits erstinstanzlich behauptet haben, dass der Beklagte zu 3. mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und die Fahrertür des klägerischen Fahrzeuges bereits bei Annäherung des Beklagtenfahrzeuges leicht aber erkennbar geöffnet gewesen, der Beklagte zu 3. mithin in die maximal 47 cm geöffnete Fahrertür gefahren sei, ist dies nach den nicht zu beanstandenden Ausführungen des Landgerichts nicht bewiesen. Das dem erstinstanzlichen Urteil zugrundeliegende Beweisergebnis wird von den Berufungsklägern ebenfalls nicht in Frage gestellt.

d.

Ein dem Beklagten zu 3. anzulastender Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 6 S. 1 StVO wiegt demgegenüber deutlich geringer. Es kann dahinstehen, ob der Beklagte zu 3. nach den örtlichen Verhältnissen überhaupt zu einem größeren Seitenabstand, als durch die Beweisaufnahme festgestellt (0,57 m zum Fahrbahnrand und 0,65 m zum Klägerfahrzeug), verpflichtet war, wovon das Landgericht allerdings ausgeht. Auch wenn man nicht zu Gunsten der Berufungsbeklagten von einer Unvermeidbarkeit ausgehen kann, stellt sich die etwaige Unterschreitung des gebotenen Sicherheitsabstandes bei der gegebenen Sachlage zumindest als nicht so schwerwiegend dar, sodass im Ergebnis eine deutlich überwiegende Haftung der Berufungsführer anzunehmen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts. Dieses hat insbesondere mit Recht darauf abgestellt, dass eine hälftige oder gar zu Gunsten der Berufungskläger liegende Haftungsquote mangels Vergleichbarkeit mit der einzelnen Entscheidungen jeweils zugrundeliegenden Sachverhaltskonstellation nicht in Betracht kommt (vgl. die zitierten Entscheidungen bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 13. Aufl. 2013, Rn. 301). Der Senat merkt lediglich an, dass die für beide Fahrtrichtungen freigegebene Fahrbahn ausweislich der Ablichtung 4 des Gutachtens des Sachverständigen T (Bl. 101 GA) mit einer Breite von nur 3,35 m nicht als so großzügig beurteilt werden kann, dass vom Beklagten zu 3. ein weiträumiges Vorbeifahren hätte erwartet werden müssen. Auch wenn an der Unfallstelle nur mit mäßigem Gegenverkehr zu rechnen ist und ein solcher zum Unfallzeitpunkt auch nicht geherrscht haben mag, galt für den Beklagten zu 3. gleichwohl das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO. Hiernach ist grundsätzlich immer – nicht nur bei Gegenverkehr – möglichst weit rechts zu fahren. Dass im vorliegenden Fall nach den örtlichen Verhältnissen ein Seitenabstand geboten war, der deutlich oberhalb von 0,50 m anzusiedeln ist, erscheint dem Senat eher zweifelhaft, weshalb der vom Landgericht hierzu eingenommene Standpunkt nach den zugrundezulegenden Tatsachenfeststellungen jedenfalls keine Rechtsverletzung zulasten der Berufungsführer begründet. Die Auffassung der Berufungskläger, bei ausreichend breiter Fahrbahn müsse an rechts parkenden und mit einem Fahrzeugführer besetzten Fahrzeugen ein Seitenabstand von mindestens 1 m eingehalten werden, ist in dieser Allgemeinheit jedenfalls unzutreffend. Denn grundsätzlich hat der fließende Verkehr Vorrang gegenüber dem ruhenden und darf auf die Beachtung dieses Vorrechtes vertrauen. Er muss deshalb beim Vorbeifahren nicht mit einem plötzlichen weiträumigen Öffnen von Fahrzeugtüren rechnen, sondern allenfalls mit einem zur Rückschau genügenden Öffnen eines Türspalts, falls das Fahrzeug nicht zweifelsfrei leer ist (vgl. BGH, MDR 1981, 661). Der beim Vorbeifahren hiernach einzuhaltende Seitenabstand darf nach den Umständen des Einzelfalles durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m. Für ein vorsichtiges leichtes Öffnen zum Zwecke einer Rückschau (etwa bis Raste 1 mit einer Öffnungsweite von 0,47 m) war der vom Beklagten zu 3. eingehaltene Seitenabstand angesichts der für den Kläger recht guten Sichtverhältnisse nach hinten zweifelsohne ausreichend.

2.

Auch im Übrigen werden von den Berufungsführern keine Umstände aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen oder sonst eine fehlerhafte Anwendung materiellen oder formellen Rechts durch das Landgericht erkennen lassen.

II.

Allerdings ist das Rubrum gemäß § 319 ZPO insoweit zu berichtigen, als Beklagte zu 2. nicht die – zudem nicht existierende – I Versicherung AG ist, sondern, wie der Beklagtenvertreter bereits in erster Instanz mit Schriftsatz vom 21.02.2013 (Bl. 31 GA) unbestritten mitgeteilt hat, die I2 AG, X-Straße 2, D. Dies ist dem Landgericht „durchgegangen“. Der Beklagtenvertreter hat nochmals in der Berufungserwiderung vom 30.06.2014 klargestellt, dass im vorliegenden Fall die HUK24 AG und nicht die – tatsächlich auch nicht existierende – I-Allgemeine Versicherung AG eintrittspflichtige Haftpflichtversicherung aus dem I3 ist. Hierfür ist der Anwendungsbereich des § 319 ZPO eröffnet. Ein Parteiwechsel liegt nicht vor. Denn das Begehren des Klägers kann zwanglos dahingehend ausgelegt werden, dass er die tatsächlich haftende Versicherungsgesellschaft in Anspruch nehmen wollte. Dies war aber trotz der durchaus missverständlichen Korrespondenz (vgl. Zeugenbericht Bl. 37 GA) unstreitig die I2 AG. Die Beklagten haben überdies in der Berufungserwiderung zu erkennen gegeben, sich einer solchen Auslegung nicht zu verschließen. Solange das Berufungsgericht mit der Sache befasst ist, kann es auch das Urteil erster Instanz gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigen (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Auflage 2012, § 319 Nr. 22 m. w. N.).

III.

Die Berufungsführer werden auf die Möglichkeit der Berufungsrücknahme und die damit einhergehende Kostenersparnis nach Nr. 1220 KV-GKG hingewiesen.

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