LG Bielefeld – Az.: 22 S 236/18 – Urteil vom 10.07.2019
Die Berufung des Klägers gegen das am 13. September 2018 verkündete Urteil des Amtsgerichts Halle (Westfalen) wird auf seine Kosten zurückgewiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen weiteren Anspruch aus §§ 7 Abs. 1 StVO, 823 BGB, 115 VVG auf Schadensersatz wegen des Verkehrsunfalls vom 18.03.2018, für den – unstreitig – der beklagte Haftpflichtversicherer zu 100 % haftet. Ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten für das Fahrzeug, einen ca. 11 Jahre alten VW Polo, in Höhe von noch 2.948,52 Euro (6.348,52 Euro abzüglich bereits regulierter 3.400,00 Euro) besteht nicht.
Die Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs ist in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig, wenn die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert liegen (BGH, a.a.O.; BGH, Urteil vom 8. Februar 2011 – VI ZR 79/10). In einem solchen Fall, in dem das Kraftfahrzeug nicht mehr reparaturwürdig ist, kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich nur Ersatz der für die Beschaffung eines gleichwertigen Fahrzeuges erforderlichen Kosten, also den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts, verlangen. Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug dennoch reparieren, so können die Kosten nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen (bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts) und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden (BGH, Urteil vom 02. Juni 2015 – VI ZR 387/14 -, Rn. 71 – 72, juris m.w.N.).
Hier hat der Kläger das Fahrzeug mit 6.348,52 Euro zu einem Preis reparieren lassen, der um 21,48 Euro unter der von der Rechtsprechung anerkannten 130%- Grenze liegt. Diese beträgt hier 6.370,00 Euro, da im Gutachten vom 27.03.2018 Reparaturkosten in Höhe von 6.961,82 Euro, ein Wiederbeschaffungswert von 4.900,00 Euro und ein Restwert von 1.500,00 Euro festgestellt worden waren.
1. Eine Erstattung der Kosten für eine im Rahmen der 130%-Grenze liegenden Reparatur des Fahrzeugs ist trotz zuvor höherer Schätzung der Kosten durch den Sachverständigen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs möglich, wenn dennoch eine fachgerechte Reparatur nach den Vorgaben des Gutachters gelungen ist:
In Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann Ersatz des Reparaturaufwands (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nur verlangt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (BGH, Urteil vom 02. Juni 2015, VI ZR 387/15 m.w.N). Das vorgerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten hat im Rahmen der Schadensschätzung, die sich grundsätzlich an den Preisen der markengebundenen Fachwerkstatt zu orientieren hat, keine absolute Bedeutung für die Frage, welche Reparaturkosten tatsächlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ersatzfähig sind. Jedenfalls in Fällen, in denen die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über der 130%-Grenze liegen, es dem Geschädigten aber – auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen – gelungen ist, eine fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, kann dem Geschädigten aus dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden (BGH, Urteil vom 02. Juni 2015 – VI ZR 387/14, Rn. 8 juris; Urteil vom 14. Dezember 2010 – VI ZR 231/09, VersR 2011, 282 Rn. 13). Dabei kommt es im Rahmen der Vergleichsbetrachtung allein auf den erforderlichen, d.h. nach objektiven Kriterien zu beurteilenden und deshalb auch unschwer nachzuprüfenden Reparaturaufwand an (BGH, Urteil vom 02. Juni 2015 – VI ZR 387/14 -, Rn. 10, juris; Urteil vom 10. Juli 2007 – VI ZR 258/06, VersR 2007, 1244 Rn. 10 mwN).
2. Die Reparaturkosten sind hingegen dann nicht zu ersetzen, wenn die Unterschreitung der 130%-Grenze deshalb gelungen ist, weil dem Geschädigten durch die Reparaturfirma erhebliche und nicht näher erläuterte Rabatte gewährt worden sind (BGH, Urteil vom 08. Februar 2011 – VI ZR 79/10 -, Rn. 9, juris). In dem genannten Fall waren dem dortigen Anspruchsteller, ohne dass dieser hierzu die Hintergründe vorgetragen hatte, 11% Rabatt auf die Reparaturkosten gewährt worden, mit der Folge, dass er für die Reparatur anstelle der im Gutachten ausgewiesenen Reparaturkosten von 10.028,49 Euro tatsächlich nur 8.925,35 Euro zahlen und damit die 130%-Grenze einhalten konnte. Dort hatte der BGH die Klageabweisung gehalten, weil der dortige Kläger zum Hintergrund der Rabatte nichts vorgetragen hatte.
Genauso liegt der Fall hier. Der Kläger hat ausweislich der im Termin überreichten und mit „Sonderpreis“ gekennzeichneten Rechnung einen Rabatt von 7,8 % auf alle Ersatzteile erhalten. Eine nachvollziehbare Erklärung gibt es für diese Rabatte nicht. Soweit der Kläger vorgetragen hat, er sei in dem Autohaus Stammkunde, handelt es sich jedoch offensichtlich nicht um einen allgemein üblichen „Stammkundenrabatt“, zumal der Kläger weiter angegeben hat, zuletzt Anfang der 2000er Jahre einmal ein Fahrzeug zur Reparatur in der Werkstatt gehabt zu haben. Auch spricht die Kennzeichnung als „Sonderpreis“ gegen einen allgemeinen Stammkundenrabatt. Die „krumme“ Größenordnung des Rabattes von 7,8 % und die mit nur 21,48 Euro äußerst knappe Unterschreitung der 130%-Grenze lässt vielmehr darauf schließen, dass die Rabatte auf die Einhaltung dieser Grenze ausgerichtet und allein deshalb gewährt worden sind.
3. Die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO war nicht geboten, weil die Rechtsfrage durch die vorgenannte Entscheidung vom Bundesgerichtshof bereits entschieden worden ist und sich die Kammer dieser Rechtsauffassung angeschlossen hat.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.