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Erstattung fiktiver Reparaturkosten auf Gutachtenbasis nach Verkehrsunfall

LG Darmstadt – Az.: 8 O 26/19 – Urteil vom 24.01.2020

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 866,99 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2017 sowie weitere 394,48 € zu zahlen.

Darüber hinaus wird die Klage abgewiesen.

Die Auslagen des Zeugen O im Zusammenhang mit der Beweisaufnahme haben die Beklagten zu tragen. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 84% und die Beklagten zu 16% zu tragen.

Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der zu vollstreckenden Forderung vorläufig vollstreckbar.

Das Urteil ist für die Beklagten hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der zu vollstreckenden Forderung abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, wobei sowohl der Unfallhergang als auch die tatsächliche bzw. erstattungsfähige Schadenshöhe streitig sind.

Die Zeugin A, die Ehefrau des Klägers, fuhr mit dem im Eigentum des Klägers stehenden Pkw des Typs […] (Erstzulassung am 04.05.2009, vom Kläger am 15.06.2013 mit einer Laufleistung von 66.007 km erworben, Laufleistung beim Unfall ca. 155.000 km) am 12.04.2017 auf einer nachrangigen Straße auf eine Kreuzung mit einer Vorfahrtsstraße zu, um dort nach links auf die Vorfahrtsstraße abzubiegen. Auf der Vorfahrtsstraße staute sich der Verkehr, wobei der auf der Vorfahrtsstraße fahrende Zeuge O am Steuer eines Lkw vor dem Kreuzungsbereich anhielt, um die Kreuzung freizuhalten. Die Zeugin A fuhr sodann unter streitigen Umständen nach links auf die Vorfahrtsstraße auf. Kurz vor, während oder unmittelbar nach diesem Abbiegevorgang – die Einzelheiten des Unfallhergangs sind auch insoweit streitig – fuhr die Beklagte zu 2.) mit ihrem bei der Beklagten zu 1.) haftpflichtversicherten Pkw aus der leicht versetzt gegenüberliegenden nachrangigen Straße ebenfalls auf die Vorfahrtsstraße auf, um ihrerseits aus ihrer Sicht nach links auf diese abzubiegen. Es kam zum Zusammenstoß beider Fahrzeuge, die dabei beschädigt wurden, das Klägerfahrzeug an Front und rechter Seite, das Beklagtenfahrzeug an der rechten Front.

Hinsichtlich der räumlichen Verhältnisse am Unfallort wird auf das Lichtbild in der Anlage K1 zur Klageschrift (Bl. 8 d. A.) verwiesen.

Der Unfall wurde polizeilich aufgenommen und gegen die Beklagte zu 2.) ein Bußgeld von 120,- € wegen Missachtung der Vorfahrt verhängt. Die Beklagte zu 2.) legte dagegen zunächst Einspruch ein, nahm diesen aber später zurück. Der Zeuge O fertigte im Zusammenhang mit der Unfallaufnahme eine Unfallskizze, hinsichtlich deren Gestaltung vollumfänglich auf die Anlage K2 zur Klageschrift (Bl. 9 d. A.) verwiesen wird.

Der Kläger ließ für 882,99 € brutto am 19.04.2017 bei einem an diesem Rechtsstreit nicht beteiligten Sachverständigen ein außergerichtliches Sachverständigengutachten erstellen, welches Reparaturkosten ohne Mehrwertsteuer von 6.900,67 €, einen steuerneutralen Wiederbeschaffungswert von 10.500,- €, einen Restwert von 4.200,- € einschließlich Mehrwertsteuer und eine voraussichtliche Reparaturdauer von sechs bis acht Tagen feststellte. Ein nach der Reparatur verbleibender Minderwert wurde im Gutachten angesichts des Alters, der Laufleistung und des Zustands des Fahrzeugs verneint.

Der Kläger beauftragte den Klägervertreter mit der außergerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte. Dieser schrieb unter dem 25.04.2017 die Beklagte zu 1.) an, schilderte dieser den Unfallhergang und forderte die Beklagte zu 1.) auf, bis zum 17.05.2017 die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert laut Gutachten, also 6.300,- €, zuzüglich einer Kostenpauschale von 25,- € zu zahlen. Ferner forderte er die Beklagte zu 1.) auf, die Sachverständigenkosten von 882,99 € unmittelbar an den Sachverständigen zu zahlen. Mit Schreiben vom 16.06.2017 erwiderte die Beklagte zu 1.), sie gehe von einer hälftigen Haftung beider Seiten aus und berechnete den Schaden des Klägers mit 10.500,- € abzüglich eines Restwerts von 5.820,- € zuzüglich 883,- € (gerundetem) Sachverständigenhonorar und 25,- € Kostenpauschale, insgesamt also mit 5.588,- €. Hiervon zahlte die Beklagte zu 1.) die Hälfte, also 2.794,- €, und zwar 2.352,50 € an den Kläger und 441,50 € direkt an den Sachverständigen. Ferner zahlte die Beklagte zu 1.) dem Klägervertreter 334,75 € Rechtsanwaltsgebühren. Eine weitergehende Haftung wies die Beklagte zu 1.) zurück.

Der außergerichtlich für den Kläger tätige Sachverständige bestätigte diesem am 26.06.2019, dass das Klägerfahrzeug in repariertem Zustand sei. Die „normale Instandsetzungsdauer“ schätzte der Sachverständige auf sieben Arbeitstage, Angaben zur tatsächlichen Reparaturdauer machte er nicht.

Der Kläger behauptet, dass die Zeugin A vor der Auffahrt auf die Vorfahrtsstraße zunächst im Einmündungsbereich der Kreuzung stehengeblieben sei. Der Zeuge O habe ihr sodann durch Handzeichen bedeutet, dass er auf sein Vorfahrtsrecht verzichte und sie auf die Vorfahrtsstraße abbiegen solle. Die Zeugin habe sich versichert, dass sich kein anderes Fahrzeug nähere und sei dann nach links auf die Vorfahrtsstraße abgebogen. Als sie sich bereits fast vollständig auf die Fahrspur der Vorfahrtsstraße eingeordnet habe, sei die Beklagte zu 2.) plötzlich aus der leicht versetzt gegenüberliegenden nachrangigen Straße herausgeschossen und mit dem Klägerfahrzeug kollidiert.

Der Kläger behauptet weiter, er habe das Fahrzeug inzwischen vollständig reparieren lassen, was sieben Tage gedauert habe, und nutze es bis heute. Die Feststellungen aus dem außergerichtlichen Gutachten seien zutreffend. Die von ihm tatsächlich aufgewandten Reparaturkosten möchte der Kläger nicht mitteilen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagten die volle Haftung treffe. Daher seien ihm die im Gutachten festgestellten Netto-Reparaturkosten von 6.900,67 €, die Sachverständigenkosten von 882,99 € brutto, 413,- € Nutzungsausfallschaden (entspricht 59,- € pro Tag gemäß Gruppe G der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch für sieben Tage) und eine Kostenpauschale von 25,- € abzüglich der bereits geleisteten Zahlungen von insgesamt 2.794,- € zu erstatten, ferner vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 808,13 € (entspricht einer 1,3-Geschäftsgebühr nebst Kommunikationspauschale und Mehrwertsteuer aus einem Gegenstandswert von 8.221,66 €) abzüglich der bereits gezahlten 334,75 €.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.427,66 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 16.06.2017 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, weitere 425,54 € an vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, beide am Unfall beteiligten Fahrzeuge seien etwa zeitgleich an der Kreuzung zur Vorfahrtsstraße eingetroffen. Der Zeuge O habe sodann der Beklagten zu 2.), nicht aber der Zeugin A, mit einer Handbewegung signalisiert, dass diese einfahren könne. Die Beklagte zu 2.) habe sich versichert, dass sich kein anderes vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug nähere, und sei dann aus ihrer Sicht nach links auf die Vorfahrtsstraße aufgefahren. Erst dann sei die Zeugin A ihrerseits auf die Vorfahrtsstraße gefahren, als die Beklagte zu 2.) ihren Abbiegevorgang schon fast beendet gehabt habe.

Hinsichtlich der Schadenshöhe bestreiten die Beklagten, dass der Kläger sein Fahrzeug tatsächlich vollständig und fachgerecht oder überhaupt repariert habe und weiter nutze. Vor diesem Hintergrund bestreiten sie auch einen tatsächlichen Nutzungsausfall. Zudem seien die geltend gemachten fiktiven Reparaturkosten zu hoch. Diese seien bei einem näher genannten Referenzbetrieb lediglich mit 5.119,03 € netto statt 6.900,67 € netto ermittelt worden. Ferner betrage der Restwert des Fahrzeugs nicht 4.200,- €, sondern 5.820,- €. Die Kostenpauschale von 25,- € und die Sachverständigenkosten von insgesamt 882,99 € greifen die Beklagten nicht an.

Die Beklagten sind der Auffassung, dass dem Kläger dem Grunde nach keine weiteren Zahlungen zustünden. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstelle, dass der Zeuge O nicht dem Beklagtenfahrzeug, sondern dem Klägerfahrzeug die Vorfahrt habe gewähren wollen, sei von einer hälftigen Haftung beider Seiten auszugehen.

Die Beklagten sind der Auffassung, dass in Anknüpfung an die neue Rechtsprechung der 23. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt unter Bezugnahme auf die Argumentation im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.02.2018 (Az. VII ZR 46/17) eine Erstattung fiktiver Reparaturkosten auf Gutachtenbasis nicht mehr verlangt werden könne. Vielmehr könne der Kläger im Falle einer Haftung der Beklagten dem Grunde nach allenfalls die Abrechnung auf Totalschadenbasis verlangen, wobei von einem Wiederbeschaffungswert von 10.500,- € und einem Restwert von 5.820,- € auszugehen sei.

Hierauf entgegnet die Klägerseite, dass selbst bei der von ihr ausdrücklich nicht geteilten Auffassung, dass keine fiktive Abrechnung auf Gutachtenbasis zulässig sei, dem Kläger jedenfalls auf Totalschadenbasis der noch offene Betrag der Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert von 10.500,- € und einem Restwert von 4.200,- € zu zahlen sei. Allerdings entspreche die fiktive Abrechnung auf Gutachtenbasis der gefestigten Rechtsprechung und werde durch die Entscheidung des BGH vom 22.02.2018, die das Werkvertragsrecht betreffe, nicht berührt. Die Klägerseite verweist insoweit auf den Hinweisbeschluss des OLG Frankfurt am Main vom 18.06.2019 (Az. 22 U 210/18).

Das Gericht hat die Beklagte zu 2.) informatorisch angehört. Ferner hat es Beweis erhoben durch die Befragung der Zeugin A und des Zeugen O. Hinsichtlich der Ergebnisse wird auf das Sitzungsprotokoll vom 22.11.2019 (Bl. 123 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist der Höhe nach teilweise begründet, überwiegend aber unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß §§ 823 BGB, 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit §§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr.1, 4 VVG einen Anspruch auf Zahlung von 866,99 € sowie weiteren 394,48 € an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Das Gericht geht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon aus, dass dem Grunde nach die vollständige Haftung der Beklagten für die Schäden des Klägers aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall besteht und dem Kläger weder ein Mitverschulden der Zeugin A noch die Betriebsgefahr anzurechnen ist. Der Zeuge O hat überzeugend geschildert, dass er vor der Kreuzung angehalten und dann der von ihm aus mit dem Klägerfahrzeug links stehenden Zeugin A durch Handzeichen signalisiert habe, dass diese in die Kreuzung einfahren könne. Das Beklagtenfahrzeug habe er zu diesem Zeitpunkt nicht wahrgenommen und diesem auch keine Zeichen gegeben. Dies entspricht der Schilderung durch die Zeugin A. Hinzu kommt, dass sich sowohl aus der von dem Zeugen O angefertigten Unfallskizze (Anlage K2 zur Klageschrift; Bl. 9 d. A.) als auch aus dem für sich unstreitigen Schadensbild des Klägerfahrzeugs ergibt, dass das Klägerfahrzeug (auch) seitlich getroffen wurde, was den Vortrag stützt, dass die Zeugin A ihren Abbiegevorgang schon weitgehend abgeschlossen hatte, als es zur Kollision kam, was wiederum ausschließt, dass die Zeugin A ungefähr gleichzeitig mit oder sogar erst nach der Beklagten zu 2.) angefahren ist. Die in den wesentlichen Punkten übereinstimmenden Schilderungen der Zeugin A und des unbeteiligten Zeugen O zieht das Gericht den entgegenstehenden Angaben der Beklagten zu 2.) ohne erhebliche Restzweifel vor, sodass der entsprechende Beweis als erbracht anzusehen ist.

Soweit die Beklagtenseite zusätzlich die Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens angeboten hat, so war dem nicht nachzugehen. Zu den entscheidenden Geschehensabläufen, insbesondere dem Handzeichen des Zeugen O und dem genauen zeitlichen Ablauf des streitgegenständlichen Unfalls, kann ein Sachverständigengutachten mangels Anknüpfungstatsachen offenkundig keine weiteren Erkenntnisse vermitteln.

Die Beklagten haben dem Kläger daher die noch offenen Restbeträge der unstreitigen Kostenpauschale von 25,- € (verbleiben 12,50 €) und der unstreitigen Sachverständigenkosten von insgesamt 882,99 € (verbleiben 441,49 €) zu erstatten. Darüber hinaus steht für das Gericht aufgrund der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger das Fahrzeug tatsächlich repariert hat und ihm in diesem Zusammenhang tatsächlich ein Nutzungsausfall entstanden ist, wobei das Gericht die Dauer des Nutzungsausfalls gemäß § 287 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung der außergerichtlichen Gutachten auf sieben Tage schätzt. Die Höhe des Nutzungsausfalls schätzt das Gericht unter Verwendung der Tabelle I/2017 von Sander/Danner/Küppersbusch („Schwacke-Liste“) angesichts des Alters des Klägerfahrzeugs von mehr als fünf Jahren zum Unfallzeitpunkt auf 59,- € pro Tag („Gruppe G“), was einen erstattungsfähigen tatsächlichen Nutzungsausfallschaden von 413,- € ergibt.

Der Zinsanspruch ist hinsichtlich dieser Beträge begründet aus §§ 286, 288 BGB.

Ferner sind dem Kläger seine vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abzüglich der bereits gezahlten 334,75 € zu erstatten. Anzusetzen ist insoweit eine 1,3-Geschäftsgebühr nebst Kommunikationspauschale und Mehrwertsteuer aus einem vorgerichtlichen Gegenstandswert von 7.207,99 € (vorgerichtlich geltend gemacht: 6.300,- € Schadensersatz auf Totalschadenbasis + 25,- € Kostenpauschale + 882,99 € Sachverständigenkosten; vgl. Schreiben des Klägervertreters vom 25.04.2017; Anlage K5 zur Klageschrift; Bl. 33 ff. d. A.), was insgesamt 729,23 € und somit verbleibende 394,48 € ergibt. Soweit die Klägerseite von einem vorgerichtlichen Gegenstandswert von 8.221,66 € und entsprechend höheren Gebühren ausgeht, kann dem nicht gefolgt werden und war die Klage insoweit abzuweisen.

Darüber hinaus ist hier der Höhe nach kein erstattungsfähiger Schaden zu erkennen, nachdem die Klägerseite auch auf ausdrückliche Nachfrage bis zuletzt nicht vorgetragen hat, welche Reparaturkosten beim Kläger tatsächlich angefallen sind.

Der entscheidende Richter bleibt im Anschluss an die inzwischen wohl durchaus gefestigt zu nennende Rechtsprechung der 23. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt (vgl. deren Urteile vom 05.09.2018, Az. 23 O 386/17; abgedruckt u.a. ZfSch 2019, 24 ff.; vom 24.10.2018, Az. 23 O 356/17; abgedruckt u.a. MDR 2019, 95 ff. und vom 20.03.2019, Az. 23 O 132/17; abgedruckt u.a. NJW-Spezial 2019, 362 f.; alle im Langtext zit. nach juris) auch in Kenntnis der diese Rechtsprechung abändernden Urteile des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 08.11.2019 (Az. 22 U 16/19; abgedruckt Verkehrsrecht aktuell 2020, 1; im Langtext zit. nach juris) und vom 14.11.2019 (Az. 22 U 177/18; abgedruckt VRR 2019, Nr 12, 2; im Langtext zit. nach juris) sowie des dortigen Hinweisbeschlusses vom 18.06.2019 (Az. 22 U 210/18; abgedruckt DAR 2020, 33 ff.; im Langtext zit. nach juris) und unter Berücksichtigung der Argumentation der Klägerseite bei seiner Rechtsauffassung, dass der Kläger hier unabhängig von der vollständigen Haftung der Beklagten dem Grunde nach im Ergebnis keine Erstattung der fiktiven Reparaturkosten auf Gutachtenbasis verlangen kann, ohne vorgetragen zu haben, ob bzw. in welcher Höhe bei ihm tatsächlich Reparaturkosten angefallen sind, sodass die Klage insoweit trotz der vollständigen Haftung der Beklagten dem Grunde nach abzuweisen ist.

Der Kläger kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass die Beklagte zu 1.) außergerichtlich bereits einen Teil des Schadens auf Gutachtenbasis reguliert habe, was einen entsprechenden Vertrauensschutz schaffe. Die vorgerichtliche Regulierung betraf nämlich gerade nicht die Abrechnung fiktiver Reparaturkosten, sondern die – mit der Klage nicht weiter verfolgte – Abrechnung auf Totalschadenbasis.

Soweit vertreten wird, dass sich ein Anspruch auf die Erstattung fiktiver Reparaturkosten bereits aus dem Gesetzestext des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebe, kann dem nicht gefolgt werden. Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger nach dieser – inhaltlich unverändert dem zum 01.01.1900 eingeführten § 249 Satz 2 BGB a. F. entsprechenden – Norm statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Ausgangspunkt für das Verständnis dieser Regelung ist die in § 249 Abs. 1 BGB normierte Grundentscheidung des deutschen Schadensersatzrechts, den Geschädigten durch Ersatzleistung so weit wie möglich so zu stellen, als hätte die Schädigung nicht stattgefunden. Die ihm entstandene Einbuße soll möglichst vollständig ausgeglichen werden, und zwar nach der klaren Wertung des Gesetzes und des historischen Gesetzgebers vorrangig im Wege der Naturalrestitution, also der tatsächlichen Herbeiführung des hypothetisch schadensfreien Zustands in Natur (vgl. zu alledem: Picker, Anmerkung zu einer Entscheidung des BGH, Urteil vom 22.02.2018 (VII ZR 46/17) – Zur Bemessung der Schadensersatzansprüche gegen den Werkunternehmer bei Werkmängeln und gegen den Architekten bei sich im Bauwerk bereits verwirklichten Planungs- und Überwachungsfehlern, JZ 2018, 676, 678; Weber, „Dispositionsfreiheit“ des Geschädigten und fiktive Reparaturkosten, VersR 1990, 934ff.; beide m. w. N.). Dem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch kommt dabei eine Ausgleichsfunktion zu: Der Schädiger hat gemäß §§ 249 ff. BGB grundsätzlich den vor dem schädigenden Ereignis bestehenden Zustand wiederherzustellen. Darüber hinaus soll sich der Geschädigte aber nicht am Schadensfall bereichern können (sog. schadensrechtliches Bereicherungsverbot) und der Schädiger nicht zivilrechtlich bestraft werden. Dies ist Ausdruck des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden und auch im Zivilrecht anzuwendenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 04.06.1992, Az. IX ZR 149/91 m. w. N, abgedruckt u.a. MDR 1992, 1181ff., mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 14.02.1973, Az. 1 BvR 112/65; abgedruckt u.a. MDR 1973, 737; beide im Langtext zit. nach juris; vgl. ferner MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 249 Rdnr. 8 m. w. N.).

Daraus folgt, dass auch der auf Geldzahlung gerichtete Anspruch nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nach dem Willen des historischen Gesetzgebers seinem Wesen nach ein Wiederherstellungsanspruch ist. Geschützt ist der Güterstand des Geschädigten in seiner konkreten Zusammensetzung vor dem schädigenden Ereignis. Die Vorschrift ist also nicht mit dem Ziel geschaffen worden, dem Geschädigten die fiktive Abrechnung tatsächlich nicht durchgeführter Reparaturmaßnahmen zu ermöglichen, sondern sollte es dem Geschädigten lediglich ersparen, „zum Zwecke der Herstellung eine in ihrem Erfolg zweifelhafte Einwirkung auf seine Person oder auf die Sache dem Ersatzpflichtigen […] zu gestatten“ (D 45 = Mugdan II 1235; zit. nach Staudinger/Schiemann (2017) BGB § 249 Rdnr. 210). Die Vorschrift sollte folglich gerade keine Ausnahme vom Grundsatz der Naturalrestitution darstellen, sondern allein dazu führen, dass der Geschädigte die tatsächliche Wiederherstellung nicht dem Schädiger überlassen muss (vgl. Staudinger/Schiemann a. a. O.; vgl. ferner BeckOK BGB/Johannes W. Flume, 52. Ed. 1.11.2019, BGB § 249 Rdnr. 59; Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Auflage 2017, § 249 BGB Rdnr. 1; vgl. ferner zu alledem: Weber a. a. O. m. w. N.). § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verpflichtet den Schädiger nicht deshalb zur Zahlung an den Geschädigten, weil dieser dadurch einen Schaden erlitten hat, dass er die Kosten einer von ihm selbst auszuführenden Reparatur gezahlt hat oder zahlen muss. Nicht diese – fiktiven oder realen – Kosten sind der Schaden, den der Schädiger ihm ersetzen muss, sondern der Substanzschaden an seinem Fahrzeug; der hieraus ggf. erwachsene Vermögensschaden ist allenfalls die Folge dieses Sachschadens (vgl. Weber a. a. O.).

Es wird nicht verkannt, dass es sich in der Anwendung und Auslegung dieser – inhaltlich unveränderten! – Norm im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung insbesondere durch das Urteil des 6. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 23.03.1976 (Az. VI ZR 41/74; abgedruckt u.a. VersR 1976, 874ff.; im Langtext zit. nach juris), welches übrigens bewusst von der damals herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum abgewichen ist (vgl. Weber a.a.O.), durchgesetzt hat, bei der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs regelmäßig die Abrechnung fiktiver Reparaturkosten auf Gutachtenbasis zu gestatten, und zwar unabhängig davon, ob der Geschädigte die Reparatur nur teilweise oder nicht fachgerecht durchführen lässt, in Eigenarbeit oder in sonstiger Weise billiger als üblich repariert, den Wagen unrepariert weiterverkauft, schlicht keine Angaben zu dessen Zustand bzw. Verbleib macht oder in Zukunft gänzlich auf ein Kfz verzichtet (vgl. dazu Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 249 BGB Rdnr. 82 mit zahlreichen Nachweisen). Dabei hat der Geschädigte nach gefestigter Rechtsprechung die freie Wahl, wie er die zur Wiederherstellung erforderlichen Mittel tatsächlich einsetzt. Es steht ihm also ausdrücklich frei, den geschuldeten Betrag ganz oder teilweise für andere Zwecke als zur Wiederherstellung zu verwenden (vgl. Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB Rdnr. 79 m. w. N.) und auf diese Weise einen Vermögenswert, der ohne den Schadenseintritt gleichsam im Fahrzeug gebunden gewesen wäre, auf Kosten des Schädigers bzw. der Gemeinschaft der Haftpflichtversicherten einer anderen Nutzung zugänglich zu machen. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass auch die bisherige Rechtsprechung gerade keine vollumfängliche Zulässigkeit der fiktiven Abrechnung annimmt, sondern im Gegenteil ein „schwer durchschaubares Mischsystem von konkret und fiktiv zu errechnenden Ersatzbeträgen“ (Staudinger/Schiemann (2017) BGB § 249 Rdnr. 223) entwickelt hat, um – teilweise mit erheblichem argumentativem Aufwand – einer missbräuchlichen Ausnutzung der fiktiven Schadensabrechnung unter Berufung auf das Wirtschaftlichkeitsgebot bzw. das Bereicherungsverbot Einhalt zu gebieten. So muss der Geschädigte beispielsweise bei einem prognostizierten Aufwand oberhalb des Wiederbeschaffungswertes für die fiktive Abrechnung sein Kfz nach Ende der Reparatur wenigstens für eine Anstandsfrist von sechs Monaten behalten, ohne dass sich dieser Zeitrahmen dem Gesetzeswortlaut entnehmen ließe. Auch muss sich der Geschädigte je nach den Umständen des Einzelfalls auf günstigere gleichwertige Reparaturmöglichkeiten in freien Werkstätten verweisen lassen. Das Ergebnis ist ein „hochkompliziertes Rechtsprechungsgebäude“ (Greger, Das Geschäft mit dem Unfall – Kippt die fiktive Reparaturkostenabrechnung?, MDR 2019, R5, R6), welches die Zulässigkeit der fiktiven Abrechnung letztendlich einzelfallbezogen bejaht oder verneint. Nutzt beispielsweise der Geschädigte bei einem wirtschaftlichen Totalschaden sein beschädigtes, aber fahrtaugliches und verkehrssicheres Fahrzeug unrepariert weiter, ist laut BGH (Urteil vom 06.03.2007, Az. VI ZR 120/06; abgedruckt u.a. MDR 2007, 831f.; im Langtext zit. nach juris) wegen des Bereicherungsverbots bei der Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten der für den regionalen Markt ermittelte Restwert in Abzug zu bringen, obwohl der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich nicht verkauft hat und den Restwert folglich nicht realisiert hat. Auch ist eine fiktive Abrechnung in Höhe der vom Sachverständigen ermittelten Kosten bei durchgeführter sach- und fachgerechter Reparatur abgelehnt worden, wenn die von der beauftragten Werkstatt berechneten Reparaturkosten die von dem Sachverständigen angesetzten Kosten unterschreiten, weil es sich um eine freie Werkstatt handelt (BGH, Urteil vom 03.12.2013, Az. VI ZR 24/13; abgedruckt u.a. MDR 2014, 151f. ; im Langtext zit. nach juris) oder die Reparatur tatsächlich günstiger in einer ausländischen Werkstatt durchgeführt worden ist (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.06.2014, Az. 5 U 28/14; abgedruckt u.a. NJW 2014, 3317ff.; im Langtext zit. nach juris). Die von den Befürwortern der fiktiven Abrechnung bemühte Dispositionsmaxime ist also bereits nach der bisherigen Rechtsprechung zahlreichen Einschränkungen unterworfen, ohne dass dies bislang auf breitere Kritik gestoßen wäre.

Soweit von der Klägerseite argumentiert wird, der Gesetzgeber habe mit der Einfügung von § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach bei der Beschädigung einer Sache der nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit einschließt, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist, die fiktive Abrechnung allein in Bezug auf die Umsatzsteuer ausgeschlossen und damit gleichzeitig hinsichtlich aller sonstigen Positionen konkludent für zulässig erklärt, kann dem nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber selbst hat zur Reichweite der fiktiven Abrechnung in BT-Drs. 14/7752 S. 13 f. ausgeführt:

„Nach derzeitiger Rechtslage (§ 249 BGB) kann der Geschädigte, der einen Körper- oder Sachschaden erlitten hat, frei darüber entscheiden, ob er die Herstellung des ursprünglichen Zustands durch den Schädiger ausführen lässt (das wäre nach § 249 S. 1 BGB der gesetzliche Regelfall, der aber keine praktische Bedeutung mehr hat) oder ob er statt der Herstellung durch den Schädiger den dafür erforderlichen Geldbetrag verlangt. Dem Gesetzeswortlaut kann nicht eindeutig entnommen werden, ob unter dem „dafür erforderlichen Geldbetrag“ der Betrag für eine wirklich durchgeführte oder auch der Betrag für eine nur gedachte Schadensbeseitigung zu verstehen ist. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich bei der Abrechnung des reinen Sachschadens, im Unterschied zu der Abrechnung von Personenschäden und Sachfolgeschäden (z.B. sachverständigen Kosten, Kosten für die Anmietung einer Ersatzsache während der Dauer der Schadensbeseitigung), für die zuletzt genannte Betrachtungsweise entschieden und räumt dem Geschädigten insoweit die Möglichkeit einer fiktiven Schadensberechnung ein […].

Diese Form der abstrakten Schadensberechnung kann insoweit zu einer Überkompensation führen, als dem Geschädigten Schadensposten ersetzt werden, die nach dem von ihm selbst gewählten Weg zur Schadensbeseitigung gar nicht angefallen sind. Das liegt an der Bezugsgröße, die die Rechtsprechung der fiktiven Abrechnung von Sachschäden zugrundelegt, nämlich die „für die Behebung des Schadens üblicherweise erforderlichen Reparaturkosten“ […].

[…]

Bei Erarbeitung des Gesetzentwurfs ist auch eine noch grundlegendere Reform des Sachschadensrechts erwogen worden. Dabei stellte sich insbesondere die Frage, ob der gedankliche Ausgangspunkt der derzeitigen Schadensersatz Praxis, nach dem die fiktiven Reparaturkosten auch dann den Maßstab für die Berechnung der Schadenshöhe bilden, wenn der Geschädigte eine Reparatur gar nicht vornimmt, sondern einen anderen Weg zur Schadensbeseitigung wählt, ganz aufgegeben werden soll. Man könnte stattdessen überlegen, ob der Maßstab für die Höhe des Sachschadensersatzes nicht in allen Fällen danach bestimmt werden sollte, welche Maßnahmen der Geschädigte konkret zur Schadensbeseitigung ergreift. Im Falle einer durchgeführten Reparatur könnten dies z.B. die tatsächlichen Reparaturkosten, im Falle einer Ersatzbeschaffung die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert der Sache vor der Beschädigung und dem Restwert der Sache nach der Beschädigung sein. Und wenn der Geschädigte auf eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung ganz verzichtet und sich damit gegen die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands entscheidet, könnte es unter rechtssystematischen Gesichtspunkten konsequenter sein, nur das Wertungen Interesse zu ersetzen, nämlich die Differenz zwischen dem Verkehrswert der Sache im unbeschädigten und im beschädigten Zustand.

Eine derart umfassende Reform des Sachschadens rechts hätte allerdings den Nachteil, dass dadurch eine langjährige und bis ins einzelne ausdifferenzierter Rechtsprechung grundlegend infrage gestellt würde. Für die erreichte Rechtssicherheit in diesem Bereich hätte das kaum abschätzbare Folgen. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass das derzeitige System der Schadensabwicklung auf der Grundlage fiktiver Reparaturkosten den Verkehrskreisen wohlvertraut ist und – was seine technische Abwicklung betrifft – im Wesentlichen reibungslos funktioniert. Vor diesem Hintergrund wurden die Überlegungen für eine umfassende Reform des Sachschadensrechts zurückgestellt. Es empfahl sich vielmehr, mit der Neuregelung zum nicht Ersatz von fiktiver Umsatzsteuer eine behutsame Korrektur an dem bestehenden System vorzunehmen und es im Übrigen der Rechtsprechung zu überlassen, das Sachschadensrecht zu konkretisieren und weiterzuentwickeln.“

Dieser ausdrücklichen Empfehlung des Gesetzgebers, „das Sachschadensrecht zu konkretisieren und weiterzuentwickeln“, folgt der entscheidende Richter nun unter Anschluss an die Rechtsprechung des 7. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, der mit seinem Urteil vom 22.02.2018 (Az. VII ZR 46/17; abgedruckt u.a. MDR 2018, 465ff.; im Langtext zit. nach juris) unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden hat, dass der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung gegen den Unternehmer seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen kann.

Der BGH führt hierzu (a. a. O.) Folgendes aus:

„Der Besteller, der keine Aufwendungen zur Mängelbeseitigung tätigt, hat keinen Vermögensschaden in Form und Höhe dieser (nur fiktiven) Aufwendungen. Sein Vermögen ist im Vergleich zu einer mangelfreien Leistung des Unternehmers nicht um einen Betrag in Höhe solcher (fiktiven) Aufwendungen vermindert. Erst wenn der Besteller den Mangel beseitigen lässt und die Kosten hierfür begleicht, entsteht ihm ein Vermögensschaden in Höhe der aufgewandten Kosten (Halfmeier, BauR 2013, 320, 322 f.).

[…]

Eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bildet das Leistungsdefizit im Werkvertragsrecht – insbesondere im Baurecht – auch bei wertender Betrachtung nicht zutreffend ab. Vielmehr führt sie häufig zu einer Überkompensation und damit einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen (vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., S. 9 f.) nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers. Denn der (fiktive) Aufwand einer Mängelbeseitigung hängt von verschiedenen Umständen ab, zum Beispiel von der Art des Werks, dem Weg der Mängelbeseitigung, dem Erfordernis der Einbeziehung anderer Gewerke in die Mängelbeseitigung, und kann die vereinbarte Vergütung, mit der die Parteien das mangelfreie Werk bewertet haben, (nicht nur in Ausnahmefällen) deutlich übersteigen.“

Diese – inhaltlich auf das Bauvertragsrecht ausgerichtete – Argumentation lässt sich vollumfänglich auf die Interessenlage bei der fiktiven Abrechnung nach einem Verkehrsunfall übertragen (vgl. Picker a. a. O. mit der Forderung, im Anschluss an diese Rechtsprechung nach dem das Schadensersatzrecht der §§ 249 ff. BGB prägenden Grundsatz der Restitution die Ersatzfähigkeit fiktiver Mangelbeseitigungs- oder sonstiger Restitutionskosten generell auszuschließen; vgl. ferner: Peters, Schadensbemessung beim Werkvertrag, JR 2019, 331 ff.). Insbesondere handelt sich bei dem Problem der Überkompensation gerade nicht um eine Besonderheit des Werkvertragsrechts, diese ist vielmehr nach den eigenen Ausführungen des BGH „nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen“ (so wörtlich BGH a. a. O.; Hervorhebung durch den entscheidenden Richter) nicht gerechtfertigt. Dem entspricht, dass das OLG Frankfurt mit Urteil vom 21.01.2019 (Az. 29 U 183/17; abgedruckt u.a. BauR 2019, 866ff.; im Langtext zit. nach juris) entschieden hat, dass die fiktive Abrechnung „auch im Kaufrecht aus Gründen des allgemeinen vertraglichen Schadensrechts […] mit dem Verbot der Überkompensation unvereinbar“ ist (vgl. dazu: Heinemeyer, Ende der fiktiven Mängelbeseitigungskosten auch im Kaufrecht?, NJW 2018, 441 f.). Dies entspricht der Systematik des Gesetzes. Maßgeblich für die Bemessung des erstattungsfähigen Schadens sind sowohl bei vertraglichen aus auch bei deliktischen Ansprüchen die §§ 249 ff. BGB, die auf sämtliche Schadensersatzansprüche des materiellen Zivilrechts anzuwenden sind, soweit nicht im besonderen Schuldrecht oder im Deliktsrecht spezialgesetzliche Regelungen vorhanden sind. Da dies in Bezug auf die Erstattungsfähigkeit fiktiver Reparaturkosten nicht der Fall ist, müssen die obenstehenden Ausführungen des BGH zur Schadensbemessung auch auf den vorliegenden Fall Anwendung finden. Die Schadensersatzvorschriften der §§ 249 ff. BGB unterscheiden nämlich gerade nicht danach, ob der Schadensersatzanspruch auf einem vertraglich begründeten Schuldverhältnis beruht oder aber (beispielsweise) auf §§ 823 ff. BGB, 7, 18 StVG. Auch diese Vorschriften begründen ein Schuldverhältnis im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB, mag dieses auch nicht auf Vertrag beruhen, sondern auf dem Gesetz. Der Begriff des Schuldverhältnisses in § 241 Abs. 1 BGB erfasst jede durch einen einheitlichen Begründungstatbestand geschaffene Gesamtheit schuldrechtlicher Beziehungen zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner (vgl. Toussaint in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 241 BGB Rdnr. 12 ff.; Staudinger/Olzen (2015) BGB § 241 Rdnr. 36 ff.; BeckOK BGB/Sutschet, 52. Ed. 1.11.2019, BGB § 241 Rdnr. 3 f.; MüKoBGB/Bachmann, 8. Aufl. 2019, BGB § 241 Rdnr. 3 f.; alle m. w. N.).

Die einheitliche Schadensbemessung unter Außerachtlassung der fiktiven Abrechnung ist auch sach- und interessengerecht. Das Problem der Überkompensation im Rahmen des Deliktsrechts bei fiktiver Abrechnung nach einem Verkehrsunfall stellt sich nicht wesentlich anders dar als beim Werkvertragsrecht. Wer nach einem Verkehrsunfall fiktiv abrechnet, tut dies nicht mit dem Ziel, einen „überobligationsmäßigen Verzicht“ (so wörtlich der 22. Zivilsenat des OLG Frankfurt a. a. O) zu leisten. Im Gegenteil will der Geschädigte bei der fiktiven Abrechnung erfahrungsgemäß an dem Unfall verdienen; die tatsächliche Reparatur ist dann – wenn und soweit sie überhaupt erfolgt – häufig wesentlich preiswerter (so ausdrücklich: Lemcke, Anmerkung zur Entscheidung des LG Darmstadt, Urteil vom 24.10.2018 (23 O 356/17) – Zum fiktiven Schadensersatz auf Gutachtenbasis nach Verkehrsunfall, r+s 2019, 176; vgl. ferner das plakative Praxisbeispiel bei Syrbe, LG Darmstadt: Vollständige Aufgabe des Anspruchs auf fiktive Schadensabrechnung für vertraglich und gesetzlich begründete Schuldverhältnisse, SVR 2019, 264, 268). Auch hier muss deshalb der vom 7. Zivilsenat aufgestellte Grundsatz gelten, dass derjenige, der Mängel bzw. Schäden nicht beseitigen lässt und sich mit der eingetretenen Situation offenbar abfindet, eben auch keinen Vermögensschaden in Höhe von lediglich fiktiven Aufwendungen hat.

Zudem ist die fiktive Abrechnung das Einfallstor für jegliche Art von Unfallmanipulationen. So führt Lemcke (a. a. O.) aus:

„Der Verf. dieser Anm. war seit 1985 mehr als 15 Jahre lang Vorsitzender des 6. Zivilsenats des OLG Hamm, damals eines Spezialsenats für Haftpflichtsachen; wir hatten uns jeden Monat mehrfach mit Fällen zu befassen, in denen es um eine behauptete Unfallmanipulation ging. Fast immer wurde der Schaden fiktiv abgerechnet. Oft hatte das betreffende Fahrzeug, wie sich im Prozess herausstellte, vorher schon mehrfach einen Totalschaden erlitten; den (angeblich) Geschädigten war es aber immer wieder gelungen, als Autobastler und unter Einsatz von nicht beschädigten Gebrauchtteilen vom Schrottplatz das Fahrzeug mit einem Bruchteil (geschätzt 20 – 30 %) der kalkulierten Reparaturkosten wieder zumindest äußerlich in einen passablen Zustand zu versetzen.“

Dies deckt sich mit der eigenen Erfahrung des entscheidenden Richters, dass zwar nicht allen Fällen der fiktiven Abrechnung ein gestellter Unfall zugrunde liegt (auch und gerade im hier vorliegenden Fall gibt es dafür keinerlei Anzeichen). Wohl aber ist dem entscheidenden Richter bei seiner beruflichen Praxis bisher noch kein Fall begegnet, in dem bei einem nach Überzeugung des Gerichts gestellten Unfall nicht die fiktive Abrechnung versucht worden wäre.

Es widerspricht im Übrigen der allgemeinen Lebenserfahrung sowie auch den konkreten Erfahrungen des entscheidenden Richters aus zahlreichen gerichtlichen und privaten Wertgutachten, dass bei einem Verzicht auf die Durchführung der Reparatur des beschädigten Fahrzeugs an diesem stets ein Wertverlust in entsprechender Höhe haften bleibe, weil jeder potentielle Käufer des Fahrzeugs den Wert desselben um die noch anfallenden Netto-Reparaturkosten mindern würde, und zwar unabhängig davon, ob auch nach vollständig und fachgerecht durchgeführter Reparatur eine merkantile Wertminderung bleibe (so aber der 22. Zivilsenat des OLG Frankfurt a. a. O. ohne weitere Nachweise; vgl. ferner: Dötsch, Darmstadt locuta [recte: Darmstadium locutum], causa fiktive Abrechnung finita?, ZfSch 2018, 601). Im Gegenteil ist es bei älteren oder preisgünstigeren, insbesondere aber bei vorgeschädigten Fahrzeugen eher die Regel als die Ausnahme, dass die zur Schadensbeseitigung erforderlichen Reparaturkosten (oft erheblich) höher sind als der schadensbedingte Minderwert. So ist es auch hier: Aus dem vom Kläger eingeholten Sachverständigengutachten ergeben sich Netto-Reparaturkosten von 6.900,67 €, während der Verkehrswert des Fahrzeugs gegenüber einem unbeschädigten Vergleichsfahrzeug laut Gutachten lediglich um 6.300,- € (Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und – streitigem – Restwert) reduziert ist.

Soweit die fiktive Abrechnung mit dem Hinweis verteidigt wird, dass diese für die Versicherungswirtschaft oftmals einfacher und damit im Ergebnis auch kostengünstiger sei als eine Überprüfung, welche Reparaturarbeiten zu welchen Kosten tatsächlich durchgeführt worden seien, steht es den Parteien unverändert frei, außergerichtlich im Rahmen ihrer Privatautonomie entsprechend zu verfahren. Auch sind die Parteien eines Zivilrechtsstreits nicht daran gehindert, eine entsprechende Schadenshöhe unstreitig zu stellen und damit der gerichtlichen Nachprüfung zu entziehen, wenn sie beide an der fiktiven Abrechnung festhalten wollen. Allerdings ist damit keineswegs immer eine Vereinfachung verbunden. Im Gegenteil wird im Rahmen der fiktiven Abrechnung bei teilweise niedrigen Streitwerten und überschaubarem wirtschaftlichen Interesse der Parteien oftmals „eine weitere Front für Gutachterschlachten eröffnet, die auf vergleichende Qualitätsaudits zwischen markengebundenen und markenungebundenen Werkstätten hinauslaufen und deren Kosten zumeist in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zum Streitwert stehen“ (vgl. LG Darmstadt 23 O 356/17 und 23 O 386/127, jeweils a. a. O.).

Die Verneinung der Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung erscheint auch nicht unbillig. Wer sich entscheidet, sein beschädigtes Fahrzeug nicht oder jedenfalls nicht vollständig sach- und fachgerecht reparieren zu lassen, der ist offenbar bereit, mit den Einschränkungen aufgrund der verbleibenden Schäden zu leben. Es ist daher nicht einzusehen, weshalb er über den Ersatz seiner tatsächlichen Aufwendungen sowie eines verbliebenen unfallbedingten Minderwerts weitere Zahlungen erhalten soll, denen mit einem lediglich fiktiven Reparaturaufwand keine gleichwertige Vermögensminderung oder auch nur –gefährdung gegenübersteht.

Zudem sollte bei allem Respekt für die Dispositionsfreiheit und die Privatautonomie nicht völlig außer Acht gelassen werden, dass es ein schützenswertes öffentliches Interesse daran gibt, dass die am Straßenverkehr teilnehmenden Fahrzeuge fahrtauglich und verkehrssicher sind. Jedenfalls soweit unfallbedingte Schäden zu sicherheitsrelevanten Einschränkungen führen, besteht ein allgemeines Interesse daran, dass diese tatsächlich sach- und fachgerecht repariert werden. Auch vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, den Geschädigten einen wirtschaftlichen Anreiz zu schaffen, Schäden unvollständig, unzureichend oder überhaupt nicht reparieren zu lassen, um die ausgezahlten fiktiven Reparaturkosten anders nutzen zu können.

Auf die Frage, ob sich der Kläger hinsichtlich der Schadenshöhe auf die niedrigeren Kosten des von den Beklagten genannten Referenzbetriebs verweisen lassen muss, kommt es mangels Entscheidungserheblichkeit nicht an und braucht nicht geprüft zu werden.

Der Kläger kann hier auch nicht die Zahlung der offenen Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert auf Totalschadenbasis verlangen, da er ja selbst behauptet, das Fahrzeug vollständig repariert zu haben, sodass nach seinem eigenen Vortrag bzw. seinem eigenen Gutachten kein unfallbedingter Minderwert des Fahrzeugs mehr besteht.

Die Kostenentscheidung erging hinsichtlich der Beweisaufnahme durch Zeugenbefragung nach § 96 ZPO, weil die Beweisaufnahme vollumfänglich den insoweit streitigen Vortrag der Klägerseite bestätigt hat. Im Übrigen erging die Kostenentscheidung nach § 92 Abs. 1 ZPO ausgehend von einem Streitwert von 5.427,66 € und einem Obsiegen der Klägerseite hinsichtlich der Hauptforderung mit einem Teilbetrag von 866,99 €.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erging für den Kläger nach § 709 ZPO und für die Beklagten nach §§ 708 Nr. 11, 2. Alt., 711 ZPO.

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