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Verkehrsunfall mit Gegenverkehr

AG Lübben, Az.: 20 C 49/16, Urteil vom 11.10.2016

1.)

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 732,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 01.11.2015 zu zahlen.

2.)

Die Beklagten tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner

3.)

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 05.06.2015 in Lübben in der Kirchstraße zugetragen hat. Die Klägerin ist Halterin und Eigentümerin des Pkw Ford, amtliches Kennzeichen …, welches von ihrem Ehemann, dem Zeugen …, gesteuert wurde. Dieser befuhr die Poststraße in Fahrtrichtung Hauptstraße und steuerte auf eine Rechtskurve zu, aus der ihr der KOM, amtliches Kennzeichen … der Beklagten zu 2), welcher durch den Beklagten zu 1) gesteuert wurde, entgegenkam. Wegen der Einzelheiten des Straßenverlaufes wird auf die Google-Maps Karte und die Verkehrsunfallskizze Blatt 9 der beigezogenen Verkehrsunfallakte Bezug genommen. Wegen der Bebauung eines Querblockes bis in den Kurvenscheitel hinein ist die gegenseitige Sichtbarkeit eingeschränkt. Es wird Bezug genommen auf die Fotoanlage gemäß Ortstermin in der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2016 (Blatt 74 – 76 aus Beklagtensicht und Blatt 77 – 73 aus Klägersicht).

Als der klägerische Fahrer den Bus, aus dem Kurvenscheitel kommend, wahrnahm, verringerte er seine Geschwindigkeit, um – wie der Zeuge aufgrund seiner 10-jährigen Fahrpraxis dort seines täglichen Arbeitsweges dachte – gefahrlos an dem Bus vorbeizukommen. Etwa als sich beide Fahrerhäuser auf gleicher Höhe befanden, befand sich der Bus seinerseits in Höhe eine rechtsstehenden Straßenlaterne, welche genaue im Kurvenscheitel und so weit am Fahrbahnrand steht, dass ein Passieren des Busses ohne Ausweichbewegung – um eine Berührung mit seinem ausladenden rechten Seitenspiegel zu vermeiden – nicht möglich ist. Wegen des Standortes der maßgeblichen Laterne wird auf das Foto Blatt 75 der Akte Bezug genommen. Im Vertrauen darauf, dass das klägerische Fahrzeug anhalten werde, hat der Beklagte zu 1) ein entsprechendes Ausweichmanöver gemacht und den Bus, der ohnehin wegen seiner Breite und seiner statischen Länge von 12 Meter die Fahrbahnmitte überschritt, noch weiter in Richtung gegnerische Fahrspur bewegt. Der klägerische Fahrer, der dieses Näherkommen bemerkte, versuchte auszuweichen und die Fahrbahn in Richtung Bürgersteig zu verlassen In dem Moment, als er sich mit den Vorderrädern auf dem Bürgersteig befand, kam es zum Zusammenstoß des Busses an der linken hinteren Seite des Pkw’s. Wegen der Schadensbilder wird auf die Fotos Bl. 12,13 der Unfallakte Bezug genommen.

Infolge dessen wandte die Klägerin zur Schadensbeseitigung einen Reparaturbetrag gemäß Rechnung wie K 16 in Höhe von 1.206,04 EUR auf, ferner Gutachterkosten in Höhe von 432,99 EUR und Mietwagenkosten in Höhe von 129,71 EUR. Überdies macht sie eine Wertminderung in Höhe von 300,00 EUR, eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR und außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 349,03 EUR gemäß Blatt 28 der Akte geltend.

Hierauf regulierte die Beklagtenseite zu 70 %.

Mit Schriftsatz vom 22.10.2015 unter Fristsetzung bis 30.10.2015 mahnte der Klägervertreter letztmalig die Zahlung des Differenzbetrages an.

Die Klägerin verfolgt ihre restlichen Zahlungsansprüche nunmehr klageweise weiter.

Sie meint, die Beklagtenseite hafte zu 100 %, auf ihrer Seite liege ein unabwendbares Ereignis

Die Klägerin beantragt daher, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 732,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 01.11.2015 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten meinen, die Klägerseite trage einen Mitverursachungsanteil in Höhe von 30 %, weil das klägerische Fahrzeug bei Erkennen können des Busses im Gegenverkehrs hätte anhalten und auf seine Vorfahrt verzichten müssen. Trotz des offensichtlichen Platzmangels sei der Zeuge mit seinem Fahrzeug weiter in die Kurve eingefahren, so dass es zu der Situation gekommen sei, dass beide Fahrzeuge nicht mehr ungehindert weiterfahren konnten.

Es wurde Beweis erhoben durch Beiziehung der Verkehrsunfallakte sowie Vernehmung des Zeugen, ferner durch Inaugenscheinnahme der Unfallörtlichkeit. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2016, nebst Anlagen, Blatt 69 ff. der Akte, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat Erfolg.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagtenseite gemäß § 7,18 StVG steht außer Streit, wobei die Beklagte zu 2) gemäß § 2 Abs. 1 Nr.5 Pflichtversicherungsgesetz von der Haftpflichtversicherung befreit ist.

Steht die grundsätzliche Haftung der Beklagtenseite fest, ist zu prüfen, ob eine Mithaftung der Klägerseite zu berücksichtigen ist. Dies ist der Fall, weil die Kläger als Halterin ihrerseits gemäß § 7 StVG haftet. Gemäß § 17 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 StVG richtet sich deshalb die Haftungsverteilung nach den Umständen, insbesondere danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, wobei bei der Abwägung der Verursachungsanteile nur solche Umstände berücksichtigt werden können, die entweder unstreitig oder bewiesen sind.

Dies führte dazu, dass die Beklagtenseite zu 100 % haftet, denn auf Klägerseite konnte ein Mitverursachungsanteil nicht festgestellt werden.

Auf Beklagtenseite steht zunächst fest, dass der Bus im gesamten Fahrverlauf bei Passieren der – aus seiner Sicht – Linkskurve gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 2 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Da der Bus allerdings bereits aufgrund seiner eigenen Bauweise und der Straßensituation im Kurvenbereich zwingend seine eigene Fahrspur verlassen musste, kann er das grundsätzliche Gebot, je schmaler eine Straße wird, desto schärfer rechts und langsamer müsse erfahren, bereits technisch nicht umsetzen. Ist eine Fahrbahn so schmal, dass zügiger Begegnungsverkehr unmöglich ist, darf über die Fahrbahnmitte nur gefahren werden, solange kein Gegen- oder Überholverkehr gegeben ist (Hentschel, Kommentar zum Straßenverkehrsgesetzt § 2 StVO Rn 35 mit weiteren Nachweisen).

Für eine zügige Begegnung wird ein Mindestzwischenraum von 1 Meter zwischen den Fahrzeugen verlangt, wobei dem Entgegenkommenden noch ein gewisser Abstand zu seinem rechten Fahrbahnrand zu verbleiben hat. Ein solcher war hier – unabhängig davon, dass die konkreten Fahrbahnbreiten und auch die konkreten Autobreiten nicht feststehen – nicht möglich, wie die Inaugenscheinnahme der Unfallörtlichkeit ergeben hat.

Lässt deshalb die Fahrbahnbreite, wie im vorliegenden Fall, überhaupt keinen zügigen Begegnungsverkehr zweier Kraftwagen zu, bestehen zwar keine Bedenken gegen das Fahren über die Fahrbahnmitte hinaus. Die Gefahren des Begegnungsverkehrs lassen sich jedoch nur dadurch ausschließen, dass jeder Fahrzeugführer nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO auf halbe Sicht, d.h. mit einer Geschwindigkeit fährt, aus der er in sicherem Abstand vor der Mitte der übersehbaren Strecke anhalten kann (Bayrisches Oberstes Landesgericht in DRR 1990 Seite 107 und BGH in NJW 1996 Seite 3003).

Diesem Anhaltegebot sind die Parteien hier grundsätzlich nachgekommen, weil in der Ausgangslage beide Fahrzeuge zunächst nebeneinander ohne Kollision zum Stehen gekommen sind, als sich ihre Fahrerhäuser auf gleicher Höhe befunden haben. Dies ist im Ergebnis der Beweisaufnahme durch persönliche Anhörung des Beklagten zu 1) und der Vernehmung des Zeugen … sowie auch ausgehend vom Parteivortrag unstreitig.

Es geht daher vorliegend nicht um einen etwaigen Pflichtenverstoß dahingehend, mit unangemessener Geschwindigkeit gefahren und nicht rechtzeitig zum Stehen gekommen zu sein, denn so ein Kollisionsvorfall hat es im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Ursächlich für die Kollision war vielmehr eine – über das ohnehin Über-die-Mitte-Fahren des Busses hinaus – weitere Seitwärtsbewegung, weil der Beklagte zu 1) der „berühmten Straßenlaterne“ ausweichen wollte. Insofern bekundete er, er habe das Ausweichmanöver gemacht und habe darauf vertraut, dass der Zeuge anhalte. Der Zeuge sei dabei auf seiner Höhe gewesen. Er habe auf die Lampe geachtet und dann habe es den „Dups“ gegeben.

Hätten beide in der Position verharrt, wäre es zu einer Kollision nicht gekommen.

Hierin liegt der maßgebliche haftungsbegründende Verstoß gegen § 2 II StVO.

Unerheblich ist demgegenüber, ob

A) das klägerische Fahrzeug zu einem früheren Zeitpunkt bei erstmaligem Erkennen des Busses eingangs des Kurvenscheitels, als sich das klägerische Fahrzeug in Höhe der letzten Parktasche in der Kirchstraße befunden hat, hätte anhalten und dort auf sein Vorfahrtsrecht verzichten müssen oder

B) ob ohne diesen Schlenker des Busses nach links die Fahrbahnbreiten überhaupt ausgereicht hätten, als dass die beiden Fahrzeuge gefahrlos aneinander vorbeigekommen wären.

Denn dies sind vor- bzw. nachkollisionäre Varianten ohne unmittelbaren Ursachenbezug zum Streifschaden zwischen Busflanke und linkem hinteren Kotflügel/Stoßfänger. Ursächlich war allein das oben genannte punktuelle leichte Ausweichmanöver der Beklagtenseitewegen der Laterne nach links.

Verkehrsunfall mit Gegenverkehr
Symbolfoto: Colorfulworld86/Bigstock

Der Beklagte zu 1) durfte auch nicht darauf vertrauen, dass das klägerische Fahrzeug sich präkollisionär umsichtiger verhält. Ein Vertrauen entsteht insbesondere auch nicht daraus, dass sich andere Verkehrsteilnehmer den Busfahrern gegenüber in der Vergangenheit möglicherweise anders und umsichtiger verhalten haben.

Der Umstand zu 2 a) schließt mithin nur aus, dass auf Klägerseite kein unabwendbares Ereignis vorliegt. Denn ein umsichtiger Fahrer wäre bei Erkennen des Busses nicht bis in den Kurvenscheitel hineingefahren, gleich ob der Zeuge meint, in der Vergangenheit habe er problemlos große Fahrzeuge an dieser Stelle passieren können.

Letztlich fehlen für eine etwaige Vermeidbarkeitsrechnung iSv. 2.a) auch die notwendigen Anknüpfungstatsachen, nämlich zu welchen Zeitpunkt welches Fahrzeug an welcher Stelle und mit welcher Geschwindigkeit sich bewegt hat und das jeweils andere erkennbar war. Nach obigen Feststellungen ist aber gerade dieser etwaiger Vorfahrtsverzicht nicht kausal für die Kollision. Ferner hat sich das klägerische Fahrzeug unstreitig in einer Ausweichbewegung auf den Bürgersteig hin befunden.

Auf die unstreitigen Schadenspositionen hat die Beklagtenseite mithin noch restlichen 30 % in Höhe von 732,83 EUR zu zahlen. Soweit die Beklagtenseite die Zahlung der Rechtsanwaltskosten mit Nichtwissen bestreitet, ist dies in Ansehung einer bereits erfolgten Zahlung hierauf in Höhe von 70 % unbeachtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert 732,00 EUR.

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