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Verkehrsunfall – Erstattungsfähigkeit von Kosten für Covid19-Schutzmaßnahmen

AG Köln – Az.: 263 C 54/21 – Urteil vom 20.08.2021

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 328,47 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.05.2021 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Ohne Tatbestand gemäß §§ 313a, 495a ZPO.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig.

Der Kläger kann von der Beklagten Zahlung weiterer 328,47 EUR Reparaturkosten verlangen (§§ 7, 18 StVG, 115 VVG, 249 BGB).

Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte den zur Wiederherstellung „erforderlichen“ Geldbetrag verlangen. Erforderlich sind nur Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Auflage 2014, § 249 Rn 12). Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung). Hinsichtlich der Frage, welcher Geldbetrag zur Wiederherstellung objektiv erforderlich ist, genügt der Geschädigte regelmäßig seiner Darlegungslast durch Vorlage der – von ihm beglichenen – Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Fachunternehmens. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zur Schadensbehebung reicht dann grundsätzlich nicht aus, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen. Denn der in Übereinstimmung mit der Rechnung vom Geschädigten tatsächlich erbrachte Aufwand bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2016, VI ZR 612/15). Aber auch das Vorliegen einer noch nicht beglichenen Rechnung kann das Gericht indiziell für die Erforderlichkeit der Schadensbeseitigungsmaßnahmen bewerten, nämlich dann, wenn der Geschädigte auf der Grundlage des Gutachtens disponiert hat und einen Reparaturauftrag nach der Maßgabe des Gutachtens erteilt hat. Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus 2016 zur fehlenden Indizwirkung bei nicht beglichener Sachverständigenrechnung (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2016, VI ZR 50/16) folgt für den hier zu beurteilenden Fall nichts anderes. Dort war zu entscheiden, ob der nicht beglichenen Rechnung des Sachverständigen bereits Indizwirkung für die Erforderlichkeit der Rechnungspositionen zukommt. Dies wurde verneint, so dass bei einfachem Bestreiten des Unfallgegners eine Schätzung der Erforderlichkeit gemäß § 287 ZPO durch das Gericht möglich wurde. Hier liegt der Fall aber anders. Dem Geschädigten liegt das Gutachten vor, dem er grundsätzlich vertrauen darf und mangels eigener Sachkunde auch vertrauen wird. Wenn er auf Grundlage dieses Gutachtens die Reparatur in Auftrag gibt, ist ihm nach der subjektbezogenen Schadensbetrachtung kein Vorwurf zu machen. Die von der Gegenansicht vorgebrachten Argumente, der Geschädigte werde durch eine Kürzung seines Ersatzanspruchs nicht benachteiligt, da er der Werkstatt den Streit verkünden könne (vgl. LG Köln, Urteil vom 14.04.2021, 9 S 77/19; LG Essen, Urteil vom 27.07.2020, 13 S 97/19; Hoppe, SVR 2021, 168), überzeugen nicht, da es aus Sicht des Gerichts durchaus einen Unterschied macht, ob der Geschädigte einen oder zwei Prozesse führen muss, auch wenn er beim zweiten Prozess unter Umständen von der Interventionswirkung profitieren kann. Den zweiten Prozess kann man ebenso gut dem Schädiger zumuten, der die ihm gemäß § 255 BGB abgetretenen Ansprüche gegen die Werkstatt geltend machen kann. Da der Geschädigte unverschuldet in die Situation gebracht wurde, ist es sachgerecht, dem Schädiger das Insolvenzrisiko der Werkstatt zuzuweisen. Dieses Ergebnis steht auch nicht in Widerspruch mit dem sog. Bereicherungsverbot. Die Gefahr, dass der Geschädigte bei nicht beglichener Rechnung den vollen Bruttobetrag von dem Schädiger erlangt, umgekehrt aber die Rechnung der Werkstatt nur teilweise unter Berufung auf fehlende Erforderlichkeit bezahlt, sieht das Gericht nicht. Denn für diesen Fall stünde dem Schädiger ein Anspruch gemäß § 812 Abs. 1, S. 2, 1. Fall BGB wegen späteren Wegfalls des rechtlichen Grunds auf Rückzahlung der Differenz zu.

Deshalb sind dem Geschädigten auch Mehrkosten zu ersetzen, die ohne seine Schuld durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt oder überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt (OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, BeckRS 1995, 1930; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2005, 248, 249; LG Hamburg, Urteil vom 04.06.2013, 302 O 92/11; AG Düsseldorf, Urteil vom 21.11.2014, 37 C 11789/11). Nicht mehr unter das Prognoserisiko fällt allerdings – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – wenn im Gutachten unbeschädigte Fahrzeugteile zu Unrecht als unfallkausal beschädigt bezeichnet werden und die Werkstatt sie daraufhin repariert, obwohl ihr das im Zuge der Reparatur hätte auffallen müssen (OLG Köln, VersR 2011, 235, 236 hinsichtlich einer nicht beschädigten Achse; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 249 BGB Rn. 137). Der Schädiger trägt in allen anderen Fällen aber das sog. Werkstatt- und Prognoserisiko, falls den Geschädigten nicht ausnahmsweise bei der Schadensabwicklung, etwa hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt oder hinsichtlich der konkreten Art der Reparaturvergabe ein Verschulden trifft (vgl. BGH, NJW 1992, S. 302, 304 und auch das von der Beklagten zitierte Urteil des OLG Köln, VersR 2011, 235). Die Reparaturwerkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe im Sinne von § 278 BGB des Geschädigten. Da der Schädiger gemäß § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich zur Naturalrestitution verpflichtet ist und § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Geschädigten lediglich eine Ersetzungsbefugnis zuerkennt, vollzieht sich die Reparatur vielmehr in der Verantwortungssphäre des Schädigers. Würde der Schädiger die Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so träfe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen. Hierbei sind auch die begrenzten Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten in den Blick zu nehmen: Sobald der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug der Reparaturwerkstatt zwecks Reparatur übergeben hat, hat er letztlich keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zulasten des Geschädigten gehen, welcher ansonsten einen Teil seiner aufgewendeten Kosten nicht ersetzt bekommen würde (vgl. BGH, NJW 1975, 160; OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, 9 U 168/94). Die Ersatzfähigkeit von unnötigen Mehraufwendungen ist nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn dem Geschädigten ein äußerst grobes Verschulden zur Last fällt, sodass die Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind (vgl. LG Hagen, Urteil vom 04.12.2009, 8 O 97/09; AG Norderstedt, Urteil vom 14.09.2012, 44 C 164/12).

Hier handelt es sich nicht um Mehrkosten, die durch die Reparatur unbeschädigter Teile entstanden sind, sondern um Mehrkosten, die entstanden sind (oder abgerechnet werden) bei Reparatur der beschädigten Fahrzeugteile. Damit ist der Anwendungsbereich des sog. Werkstattrisikos eröffnet. Anhaltspunkte für ein besonders grobes Verschulden liegen nicht vor. Dass der Kläger hier die fehlende Erforderlichkeit hätte erkennen können, hat die Beklagte nicht einmal behauptet. Er hat sein verunfalltes Fahrzeug nach dem Unfall begutachten lassen. Aus dem Gutachten ergeben sich Reparaturkosten von brutto 3.909,72 EUR. Er hat sein Fahrzeug im Folgenden bei der Werkstatt zur Reparatur nach den Vorgaben des Gutachtens in Auftrag gegeben. Die Werkstatt hat den Reparaturauftrag unter dem 22.01.2021 mit einem Gesamtbetrag in Höhe von 3.971,61 EUR brutto abgerechnet und damit nur unwesentlich höher als der vom Sachverständigen ausgeworfene Betrag. Dass sich die Reparatur nicht an die Vorgaben des Gutachtens gehalten hätte, ist nicht behauptet worden.

Soweit der Kläger allerdings Kosten für die Covid19-Schutzmaßnahmen in Höhe von brutto 49,98 EUR (entspricht netto 42 EUR, nicht 49,50 EUR) verlangt, sind diese Kosten nur in Höhe von brutto 30 EUR erforderlich.

Der Anspruch scheitert zwar nicht am Erfordernis der Adäquanz. Der Schädiger soll nicht für alle äquivalent kausalen, sondern nur für diejenigen Schadensfolgen haften, die auch adäquat kausal sind. Dies soll alle diejenigen Kausalverläufe ausgrenzen, die dem Schädiger billigerweise rechtlich nicht mehr zugerechnet werden können. Gänzlich unwahrscheinliche Kausalverläufe begründen keine Haftung (Palandt/Grüneberg BGB Vor § 249 Rn 26). Die Covid19-Schutzmaßnahmen sind in diesem Sinne nach Auffassung des Gerichts adäquat kausal. Denn für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Schadensfolgen ist der Zeitpunkt der schädigenden Handlung maßgeblich. Im Zeitpunkt des Unfalls am 04.01.2021 war die Corona-Pandemie bereits im vollen Gange und hatte bereits zu umfangreichen Umstrukturierungen und Hygieneauflagen in sämtlichen Betrieben in Deutschland geführt. Dass auch das klägerische Fahrzeug bei einer Reparatur derartige Maßnahmen herausfordern würde, war zu diesem Zeitpunkt absehbar und nicht unwahrscheinlich.

Bezüglich derjenigen Kosten, die der Vorbereitung der Übergabe des Fahrzeugs an den Kunden dienen, fehlt es nach Auffassung des Gerichts auch nicht am Schutzzweckzusammenhang. Etwas anderes gilt für die Maßnahmen, die dem Schutz der eigenen Mitarbeiter dienen, wie etwa die Ausstattung mit Schutzmasken. Allein die Tatsache, dass es sich um „Gemeinkosten“ handelt, steht zwar einer Erstattung noch nicht entgegen. Denn in den abgerechneten Löhnen und Materialkosten eines an der Schadensabwicklung beteiligten Dritten sind selbstverständlich zu großen Teilen auch Gemeinkosten enthalten, etwa Kosten für die Anmietung der Räume etc. Gemäß § 632 Abs. 2 BGB wird die Vergütung des Werkunternehmers nach der Üblichkeit bestimmt und es dürfte üblich sein, dass Werkunternehmer ihre Rechnungen so stellen, dass sie am Ende des Monats keinen Verlust machen und ihre Kosten bestreiten können. Sie kalkulieren ihre Rechnungen so, dass mit den Einnahmen alle Kosten beglichen werden können und dazu noch ein Gewinn übrigbleibt, der dem Unternehmensinhaber zusteht. Wenn aufgrund von besonderen Umständen wie etwa behördlichen Hygieneauflagen die Gemeinkosten steigen, steigen auch die Löhne, da die Kosten umgelegt werden müssen. Die Kosten zum Schutz der Arbeitnehmer fallen aber nicht mehr unter den Schutzzweck der verletzten Norm. Es muss sich um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen wurde. Wenn es sich um die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos handelt, fällt ein Schaden nicht mehr unter den Schutzzweck der verletzten Norm. So liegt der Fall hinsichtlich der Kosten zum Schutz der Mitarbeiter. Denn das Risiko, an Corona zu erkranken, traf im Januar 2021 die gesamte Bevölkerung. Die schädigende Handlung hat das Risiko des einzelnen Mitarbeiters bei der Vielzahl von Ansteckungsmöglichkeiten, denen alle ausgesetzt waren, ni cht wesentlich erhöht. Sich im Januar 2021 mit Covid 19 anzustecken bzw. Maßnahmen zum Schutz davor zu ergreifen zu müssen, gehörte zum allgemeinen Lebensrisiko.

Das Gericht schätzt die Kosten für Covid19-Maßnahmen gemäß § 287 ZPO auf 30 EUR brutto. Dabei stützt es sich auf die von Böhm/Nugel zitierte Studie, die von der Interessengemeinschaft Fahrzeugtechnik und Lackierung, IFL e.V. in Zusammenarbeit mit dem Allianz Zentrum für Technik (AZT) und dem Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) zu den Schutzmaßnahmen Corona-​Virus (SARS-​CoV-​2) veröffentlicht wurde. Danach ergeben sich für die Desinfektionsarbeiten für Annahme und Rückgabe des Fahrzeugs inklusive aller vor- und nachbereitenden Tätigkeiten ein aufgerundeter Arbeitswert von 3 Arbeitswerten sowie weitere einmalige Kosten für benötigtes Verbrauchsmaterial in Höhe von 7,50 EUR. Hieraus ergäbe sich ein 3/10 Stundensatz der eingesetzten Kraft. Dabei ist der Anteil abzuziehen, der als vorbereitende Tätigkeit dem Schutz der eigenen Mitarbeiter der Werkstatt dient. Es bleibt dann ein Betrag von 30 EUR als Orientierungswert (Böhm/Nugel, ZfSch 2021, 244).

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 280, 286, 288, 291 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 92 Abs. 2 ZPO und hinsichtlich der Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Streitwert: 348,45 EUR

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