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Kollision eines rückwärts einparkenden mit einem überholenden Fahrzeug

AG Viersen – Az.: 32 C 155/09 – Urteil vom 11.05.2011

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall.

Die Klägerin ist Halterin und Eigentümerin eines Pkw VW Golf mit dem amtlichen Kennzeichen …

Am 15.01.2009 gegen 19:20 Uhr befuhr der Ehemann der Klägerin, Herr C mit dem vorbezeichneten Pkw die I.Straße in Schwalmtal. Er beabsichtigte, in Höhe des Hauses I.Straße 1 am rechten Fahrbahnrand zwischen zwei dort stehenden Fahrzeugen rückwärts einzuparken.

Die Beklagte zu 1) kam mit dem bei der Beklagten zu 2) versicherten Pkw VW Passat, amtliches Kennzeichen I vom Wendekreisel aus in Fahrtrichtung „Sch.“ herangefahren. Beim Vorbeifahren an dem klägerischen Fahrzeug kam es zur Kollision der Fahrzeuge.

Dabei wurde das klägerische Fahrzeug nicht unerheblich beschädigt.

Die Kosten der Reparatur des klägerischen Fahrzeuges beliefen sich auf 1.156,74 €, die Sachverständigenkosten auf 237,00 €. Zuzüglich einer Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 € machte die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2) 1.454,74 € geltend.

Mit Schreiben vom 09.04.2009 erklärte die Beklagte zu 2), dass lediglich die vom Beklagtenfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr bei der Schadensregulierung zu berücksichtigen sei. Zudem kürzte sie die vom Sachverständigen festgestellten Reparaturkosten und zahlte auf die geltend gemachte Forderung lediglich 348,44 €.

Mit Schreiben vom 27.04.2009 setzte die Klägerin der Beklagten eine Frist zur Zahlung der weiteren Kosten bis zum 11.05.2009.

Die Klägerin behauptet, Herr Ü habe sich bereits fast vollständig in der freien Parklücke befunden. Lediglich die vordere linke Ecke des Fahrzeuges habe aus der Parklücke herausgeragt, die Reifen seien bereits nach links eingeschlagen gewesen.

Herr Ü habe sich ordnungsgemäß versichert, dass ihm die Einfahrt in die freie Parklücke möglich war. Die Beklagte zu 1) habe versucht, am noch im Einparkvorgang befindlichen Fahrzeug der Klägerin vorbeizufahren, obwohl sie klar hätte erkennen müssen, dass Herr Ü im Begriff gewesen sei, einzuparken.

Die gegenständliche Konstellation habe sich für die Beklagte zu 1) als unklare Verkehrslage darstellen müssen.

Der Unfall sei daher überwiegend von der Beklagten zu 1) verschuldet worden, so dass sich die Klägerin lediglich die eigene Betriebsgefahr anrechnen lassen müsse. Die Haftung der Beklagten betrage daher 75 %.

Am 17.06.2009, nach Zustellung der Klage, hat die Beklagte zu 2) weitere 15,25 € an die Klägerin gezahlt.

In dieser Höhe haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 742,62 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich am 17.06.2009 gezahlter 15,25 €,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, der Klägerin nicht anrechnungsfähige Kosten in Höhe von 120,67 € zu erstatten.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Beklagte zu 1) habe das klägerische Fahrzeug neben am rechten Fahrzeugrand geparkten Fahrzeugen stehen sehen. Die Rückscheinwerfer hätten aufgeleuchtet. Da das klägerische Fahrzeug gestanden habe, habe die Beklagte zu 1) den linken Blinker gesetzt und beabsichtigt, an dem klägerischen Fahrzeug vorbei zu fahren. Als sie bereits zum Großteil am klägerischen Fahrzeug vorbei gewesen sei, sei dieses plötzlich mit Schwenk nach rechts zum Rückwärtseinparken angefahren. Sie habe noch versucht, Gas zu geben und an dem Fahrzeug vorbei zu kommen, sei aber mit diesem kollidiert.

Da den Herrn Ü das überwiegende Verschulden an dem Unfall treffe, würden sie nur zu 25 % aufgrund der eigenen Betriebsgefahr haften.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Ü und K, sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens.

Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2011 sowie auf das Gutachten des Sachverständigen vom 21.01.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 742,62 € abzüglich gezahlter 15,25 €.

Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 7 Absatz 1, 18 StVG, § 115 VVG.

Da der Schaden vorliegend durch mehrere Fahrzeuge verursacht worden ist, hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Absatz 1, Absatz 2 StVG davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder deren Teil verursacht worden ist.

Die Verpflichtung zum Schadensersatz ist nicht gemäß § 17 Absatz 3 StVG ausgeschlossen, da der Unfall für keine der Parteien unabwendbar war, da nicht auszuschließen ist, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer den Unfall hätte vermeiden können.

Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge dürfen jedoch nur solche Umstände in die Abwägung mit einfließen, die als unfallursächlich feststehen, d. h. entweder unstreitig oder erwiesen sind. Diese Abwägung führt vorliegend zu einer Haftungsquote von 75% zu 25% zulasten der Klägerin.

Unter Zugrundelegung des unstreitigen Parteienvortrags ereignete sich der Verkehrsunfall, als der Herr Ü rückwärts setzte, um rechts in eine Parklücke einzufahren, während die Beklagte zu 1) das klägerische Fahrzeug links überholen wollte.

Nach diesem Unfallgeschehen ist dem Kläger ein Verstoß gegen § 9 Absatz 5 StVO vorzuwerfen. Gemäß § 9 Absatz 5 StVO muss ein Fahrzeugführer sich beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, erforderlichenfalls hat er sich einweisen zu lassen.

Beim Rückwärtsfahren muss der rückwärtsfahrende ständig bremsbereit sein und bei rückwärtigem Verkehr sofort anhalten. Der zurückstoßende Kraftfahrer muss darauf achten, dass der Gefahrraum hinter ihm frei ist und von hinten, wie von den Seiten her, frei bleibt.

Diesem Gebot ist der Zeuge Ü , wovon das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt ist, nicht nachgekommen.

Bereits nach seiner eigenen Aussage hat der Zeuge vor Beginn des Einparkmanövers nur über die rechte Schulter geschaut. Über die linke Schulter habe er nicht geschaut.

Auch der Zeuge K hat im Rahmen seiner Vernehmung ausgesagt, dass der Herr sich nach rechts umgedreht habe und so nach hinten geguckt habe.

Dementsprechend hat der Zeuge Ü sich nicht hinreichend vergewissert, dass der Gefahrraum hinter ihm frei ist, da er dafür auch in den linken Seitenspiegel und über die linke Schulter hätte gucken müssen.

Hätte der Zeuge Ü sich ausreichen vergewissert, dass der Gefahrraum hinter ihm frei ist, hätte er die Beklagte sehen und erkennen können, dass diese nicht bremste, sondern an ihm vorbeifuhr.

Dies steht für das Gericht ebenfalls aufgrund der Beweisaufnahme fest. Seine diesbezügliche Überzeugung stützt das Gericht auf die Feststellungen des Sachverständigen im Rahmen seines Gutachtens.

Der Sachverständige hat anhand der Beschädigungen der Fahrzeuge festgestellt, dass der Zeuge Ü erst ausscherte, als die Beklagte zu 1) schon neben ihm war.

Der Sachverständige führt hierzu aus, dass der Impulsaustausch zwischen der vorderen linken Fahrzeugecke des Klägerfahrzeuges und der hinteren rechten Fahrzeugseite des Beklagtenfahrzeuges erfolgt sei, woraus abzuleiten sei, dass das Beklagtenfahrzeug das Klägerfahrzeug mit etwa 2/3 der gesamten Fahrzeuglänge passiert habe, bevor eine Profilüberschreitung beider Fahrzeuge erfolgt sei. Das Beklagtenfahrzeug sei nicht mit dem klägerischen Fahrzeug kollidiert, sondern der nach links ausschwenkende vordere Überhang des Klägerfahrzeuges sei mit dem passierenden bzw. bereits teilweise passierten Beklagtenfahrzeug zusammengeprallt.

Der Zeuge hätte den Unfall vermeiden können, wenn er bei Beobachtung des rückwärtigen Verkehrsraumes das sich annähernde und passierende Beklagtenfahrzeug wahrgenommen und den Rückwärtsvorgang solange zurückgestellt hätte, bis das Beklagtenfahrzeug an ihm vorbeigefahren wäre. Der Sachverständige kommt eindeutig zu dem Ergebnis, dass Herr Ü bei einem Schulterblick auch nach links bzw. einen Blick in den linken Außenspiegel das sich im Fahrbahnbereich befindliche Beklagtenfahrzeug hätte erkennen können.

Schließlich befand er sich als Fahrer auf der Seite des Beklagtenfahrzeugs. Dann hätte er auch erkennen können, dass die Beklagte – insoweit unbestritten – blinkte und dementsprechend beabsichtigte, an ihm vorbeizufahren, so dass er seinen Einparkvorgang zunächst hätte zurückstellen müssen.

Das Gericht folgt insgesamt den Ausführungen des Sachverständigen. Das Gutachten ist in sich schlüssig und nachvollziehbar.

Wegen dieses Verstoßes gegen § 9 Absatz 4 StVO spricht der Anschein für eine Alleinschuld des Zeugen Ü (vgl. AG Hamburg, Urteil vom 29.01.2009, 51 AC, 48/08; AG Solingen, Urteil vom 25.06.2002, 13 C 12/02).

Dieser Anscheinsbeweis kann nur dadurch erschüttert werden, dass der Rückwärtsfahrer nachweist, dass entweder eine atypische Verkehrssituation vorgelegen hat oder aber dem Unfallgegner auch eine Verletzung von Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr vorzuwerfen ist, welche unfallursächlich geworden ist.

Dies ist vorliegend jedoch nur zum Teil der Fall.

Der Beklagten zu 1) ist ein Verstoß gegen § 1 Absatz 2 StVO vorzuwerfen. Die Beklagte zu 1) wollte das klägerische Fahrzeug links überholen, obwohl sie jederzeit damit rechnen musste, dass dieses nach rechts rückwärts einparken will. Laut ihren eigenen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung war ihr bewusst gewesen, dass der Kläger rechts einparken wollte. Sie hatte auch die Rückwärtsleuchten gesehen.

Dann allerdings hätte sie rechts nur mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand überholen dürfen. Sie musste nämlich damit rechnen, dass durch das Rückwärtseinparken nach rechts das klägerische Fahrzeug in die von ihr gewählte Spur geraten wird.

Dass sie nicht genügend Abstand eingehalten hat, ergibt sich ebenfalls aus dem Gutachten. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Beklagte zu 1) das klägerische Fahrzeug mit lediglich 0,5m Abstand überholt habe. Sie hätte den Unfall vermeiden können, wenn sie ausreichend Abstand gehalten hätte.

Sofern die Klägerin der Ansicht ist, dass der Beklagten zu 1) auch ein Verstoß gegen § 5 Absatz 3 Nr. 1 StVO vorzuwerfen sei, folgt das Gericht dem nicht.

§ 5 StVO betrifft das Überholen eines anderen, sich in selber Fahrrichtung bewegenden Verkehrsteilnehmers. Vorliegend handelte es sich aber lediglich um ein „Vorbeifahren“ an dem nicht verkehrsbedingt haltenden Beklagten, so dass § 5 StVO gar nicht einschlägig ist.

Dementsprechend wäre hier allenfalls § 6 StVO zu beachten gewesen. Ein Verstoß gegen diesen wird aber klägerseits nicht vorgetragen.

Die Abwägung der Verursachungsbeiträge führt zu einer Haftungsverteilung von 75% zu 25% zulasten der Klägerin (vgl. auch AG Remscheid, Urteil vom 14.07.2008, 27 C 49/08). Hierbei war zu berücksichtigen, dass von dem Kläger gemäß § 9 Absatz 5 StVO die höchste Sorgfaltspflicht abverlangt wird, während der Beklagten zu 1) nur ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot im Straßenverkehr vorzuwerfen ist. Das überwiegende Verschulden trifft insoweit den Zeugen.

Die Klägerin kann insoweit nicht mehr als die bereits regulierten 25% des ihr infolge des Verkehrsunfalls entstandenen Schadens ersetzt verlangen.

Da der Hauptanspruch nicht begründet ist, besteht auch kein Anspruch auf Zinsen oder vorgerichtliche Anwaltskosten.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Absatz 1, 91a (i.V.m § 92 Absatz 2 Nr. 1), 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: bis 750,- €

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