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Verkehrsunfall an Straßenkreuzung mit Vorfahrtsregelung „rechts vor links“

AG Berlin-Mitte – Az.: 106 C 3044/11 – Urteil vom 13.12.2012

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen  Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % abzuwenden, wenn nicht die Gegenpartei vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, Eigentümer und Halter des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen …, begehrt mit der vorliegenden Klage von den Beklagten als Gesamtschuldner den Ersatz des ihm infolge des Verkehrsunfalls am 20.5.2010 gegen 17:10 Uhr auf der Kreuzung Ahlener Weg / Holtheimer Weg in 12207 Berlin entstandenen Schadens.

Bei der genannten Kreuzung handelt es sich um eine solche ohne gesonderte Vorfahrtsregelung, so dass „rechts vor links“ gilt. Es kam in der Kreuzung zum Zusammenstoß zwischen dem den Holtheimer Weg in westlicher Richtung befahrenden Klägerfahrzeug und dem aus Sicht der Fahrerin des Klägerfahrzeugs von rechts kommenden, den Ahlener Weg befahrenden und bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … .

Fahrerin und Halterin des Beklagtenfahrzeuges im Unfallzeitpunkt war die Beklagte zu 1..

Verkehrsunfall an Straßenkreuzung mit Vorfahrtsregelung "rechts vor links"
Symbolfoto: Von Jojoo64 /Shutterstock.com

Der Kläger beziffert den ihm entstandenen Schaden in Höhe von insgesamt 6.101,80 EUR. Hinsichtlich der einzelnen Schadenspositionen wird auf die Darstellung in der Klageschrift Bezug genommen. Hiervon macht der Kläger nach einer Haftungsquote von 25 % 1.525,45 EUR als Schadensersatz geltend. Ferner begehrt sie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 135,45 EUR.

Der Kläger trägt vor, es liege ein Fall der so genannten „halben Vorfahrt“ vor, wonach an einer Kreuzung gleichberechtigter Straßen die Verpflichtung dem jeweils von rechts kommenden Fahrzeug das Vorrecht einzuräumen gebiete, nur so langsam an den Kreuzungsbereich anzufahren, dass ein von rechts Kommender jederzeit vorgelassen werden könne. Gegen diese Verpflichtung, die auch dem Schutz des von links kommenden diene, habe die Beklagte zu 1. verstoßen. Für die Beklagte zu 1. sei der Holtheimer Weg nach rechts nicht vollkommen einsehbar gewesen, da sich an der Kreuzungsecke Bäume befänden. Die Beklagte zu 1. habe daher Veranlassung gehabt, ihre Fahrgeschwindigkeit zu verringern um einen möglicherweise von rechts kommendes Fahrzeug vor zu lassen. Dies habe sie ersichtlich nicht getan, da aus den Beschädigungen, die an den Fahrzeugen des Klägers eingetreten seien, ersichtlich sei, dass die Beklagte zu 1. nicht einmal die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h eingehalten habe, sondern mindestens 50 km/h gefahren sei. Daher hafte sie dem Kläger unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote von 25 %.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 1.525,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.10.2010 zu zahlen.

2. die Beklagten als Gesamtschuldner darüber hinaus zu verurteilen, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 135,45 EUR (außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor, die Beklagte zu 1. habe im Kreuzungsbereich ihre Geschwindigkeit gedrosselt und sich in die Kreuzung hinein getastet, um etwaigem, von rechts herannahenden Verkehr die Vorfahrt zu gewähren. Als sie nochmals nach rechts geschaut habe, habe sie von links einen starken Aufprall verspürt als das klägerische Fahrzeug in die linke vordere Seite des Beklagtenfahrzeugs hineingefahren sei. Es sei mit angepasster Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren und habe ihre Geschwindigkeit und Fahrweise damit den örtlichen Gegebenheiten angepasst. Es werde bestritten, dass die Beschädigung am klägerischen Fahrzeug belegen sollten, dass sich das Beklagtenfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 km/h zum Unfallzeitpunkt bewegt haben sollte.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akte des Polizeipräsidenten in Berlin 58.90.402626.1 lag zur Information vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 11.8.2011(Blatt 53 der Akte) Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Diplom-Ingenieur … .

Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 2.4.2012 sowie die ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen vom 5.10.2012 (Blatt 82-103 und 129-134 der Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall.

Unstreitig ereignete sich der streitgegenständliche Verkehrsunfall auf einer Kreuzung mit der Vorfahrtsregelung rechts vor links, wobei im Verhältnis der Parteifahrzeuge das Beklagtenfahrzeug als aus Sicht der Fahrerin des Klägerfahrzeugs von rechts kommendes Fahrzeug diesen gegenüber vorfahrtberechtigt war.

Stoßen auf einer Straßenkreuzung oder Einmündung ein wartepflichtiges und ein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug zusammen, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Wartepflichtige die Vorfahrt des Berechtigten schuldhaft verletzt hat. (BGH VersR 1958, 217; 1982, 903; KG DAR 1975, 24; 1984, 85).

Dem Kläger hätte es daher vorliegend oblegen, diesen Anscheinsbeweis zu entkräften. Zur Erschütterung der aufgrund des ersten Anscheins gewonnenen Überzeugung ist jedoch erforderlich, dass der Gegner – hier der Kläger – die Umstände, mit denen der Anscheinsbeweis zu Fall gebracht werden soll, seinerseits beweist (Schneider, Be-weis und Beweiswürdigung, 4. Aufl. Rdn. 246, sowie gefestigte Rechtsprechung, vgl. z.B. BGH NJW 1982, 1596; KG VersR 1978, 155).

Dies ist dem Kläger auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gelungen. Zunächst konnte auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden, dass die Beklagte zu 1. die am Unfallort geltende Höchstgeschwindigkeit überschritten hätte. Dem Kläger ist es nicht gelungen seine Behauptung zu beweisen, wonach das Beklagtenfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von deutlich über 30 km/h, der vor Ort geltenden zulässigen Höchstgeschwindigkeit, gefahren ist. Dies ergibt sich aus dem in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen …, dessen überzeugenden Ausführungen sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließt. Dieser stellte in seinem Gutachten fest, dass die Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges bei rund 30 km/h lag, nicht wie von dem Kläger behauptet, bei mindestens 50 km/h. Eine Überschreitung der vor Ort zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann der Beklagten zu 1. damit nicht zur Last gelegt werden.

Auch kann der Beklagten zu 1. im Hinblick auf die Grundsätze der so genannten „halben Vorfahrt“ keine Sorgfaltspflichtverletzung nachgewiesen werden. Ist, wie vorliegend, die Vorfahrt an einer Kreuzung nicht besonders geregelt, so stellt sich für jeden Verkehrsteilnehmer, der sich dieser Kreuzung nähert, die Verkehrslage so dar, dass er zwar gegenüber dem von links kommenden vorfahrtberechtigt, gegenüber Verkehrsteilnehmern von rechts aber wartepflichtig ist. Zunächst gilt, dass sich der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf verlassen kann, dass andere Verkehrsteilnehmer sein Vorfahrtsrecht beachten. Diese Regel gilt nicht nur, wenn der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer auf einer bevorrechtigten Straße fährt, sondern auch dann, wenn ihm das Vorfahrtsrecht deshalb zusteht, weil er von rechts kommt (vgl. BGH, NJW 1985, 2757, 2758). Der Vertrauensgrundsatz gilt daher insbesondere auch in den Fällen einer so genannten „halben Vorfahr“, also dann, wenn an einer Einmündung die Regel „rechts vor links“ gilt, so dass ein Kraftfahrer zwar die Vorfahrt der Fahrzeuge beachten muss, die von rechts kommen, seinerseits aber den Vorrang vor den von links kommenden Fahrzeugen hat (OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.1.2012, Az. 9 U 169/10 nach juris unter Hinweis auf KG, NZV, 2002, 79). Um seinerseits die Vorfahrt eines von rechts kommenden Verkehrsteilnehmers beachten zu können, muss auch der gegenüber dem von links kommenden Vorfahrtberechtigte, wie es § 8 Abs.2 S.1 StVO  ausdrücklich bestimmt, mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich darauf einstellen, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann, um die ihm gegenüber Vorfahrtberechtigten durchfahren zu lassen. Dabei kann die Verpflichtung des Bevorrechtigten, seine Fahrgeschwindigkeit soweit zu vermindern, dass er ihm gegenüber bevorrechtigte Fahrzeuge vorbeilassen kann, auch Auswirkungen auf sein Verhältnis zum Wartepflichtigen haben. Andernfalls verstößt er nämlich grundsätzlich diesem gegenüber gegen § 3 Abs.1 S. 2 StVO, weil er an einer unübersichtlichen Stelle zu schnell gefahren ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.2.2011, Az. 1 U 103/10 nach juris).

Eine solche, sich im Verhältnis zum Wartepflichtigen(Klägerfahrzeug) auswirkende Pflichtverletzung der Beklagten zu 1. kann jedoch vorliegend nicht festgestellt werden. Denn der Sachverständige stellte in seinem Gutachten und insbesondere der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme nachvollziehbar und plastisch dar, dass es der Beklagten zu 1. auch aus einer Geschwindigkeit von 30 km/h möglich gewesen wäre, ein von rechts kommendes Fahrzeug rechtzeitig zu erkennen und vor dessen Fahrlinie anzuhalten. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Sichtweite für die Beklagte zu 1. zumindest durch die vor Ort gegebene Hecke eingeschränkt war. Eine weitere Einschränkung der tatsächlichen Sichtverhältnisse für die Beklagte zu 1. nach rechts in den Holtheimer Weg durch am rechten Fahrbahnrand des Ahlener Weges parkende Fahrzeuge konnte jedoch nicht festgestellt werden. Der Sachverständige führte aus, dass ob und gegebenenfalls in welcher Position dort am im Unfallzeitpunkt tatsächlich Fahrzeuge geparkt waren, anhand der vorliegenden Lichtbilder nicht verifizierbar sei, da der entsprechende Bereich auf den Lichtbildern nicht mehr abgebildet worden sei. Damit ist dem Kläger nicht gelungen zu beweisen, dass die Beklagte zu 1. gegen die Verpflichtung als Bevorrechtigte verstoßen hätte, ihre Fahrgeschwindigkeit so zu wählen, dass sie ihr gegenüber wiederum bevorrechtigte Fahrzeuge hätte vorbeilassen können. Auch ist hier jeweils auf die tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelfall abzustellen und nicht allgemein auf eine „vollkommen“ freie Sicht in die einmündende Straße, was immer das auch sein mag bzw. wie weit diese auch immer reichen soll. Nach dem Sinn und Zweck ist vielmehr ausreichend, dass der Vorfahrtberechtigte seine Fahrweise und insbesondere Geschwindigkeit so wählt, dass er im Falle eines sich von rechts nähernden Verkehrsteilnehmers ab dem Zeitpunkt dessen Erkennbarkeit ausreichend reagieren kann, was hier nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts der Fall war.

Eines Eingehens auf die geltend gemachte Schadenshöhe bedarf es nach alldem nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs.1, 708 Nr.11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird in Höhe von 1.525,45 EUR festgesetzt, wobei die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren als Nebenforderungen gemäß § 4 ZPO nicht Streitwert erhöhend waren.

 

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