Unfall bei Fahrstreifenwechsel: Wer ist verantwortlich?
Nach der Überprüfung des Urteils 338 C 4032/21 vom 13.01.2023 des Amtsgerichts München wurde festgestellt, dass im Falle eines Streits aufgrund eines Verkehrsunfalls während eines Spurwechsels, bedeutet das blinken des fahrstreifenwechselnden Fahrzeugs nicht allein das Recht zum Spurwechsel oder die automatische Haftung des anderen Fahrzeuges. Das Gericht argumentierte, dass trotz Blinken, der Fahrstreifen wechselnde Fahrer keine Zwangssituation erzeugen darf, indem er sich auf die Fahrspur eines anderen Fahrers begibt. Darüber hinaus ist die Vermeidbarkeit eines Unfalls ein zentraler Faktor bei der Beurteilung der Haftungsverteilung.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Ein Fahrer darf einen Spurwechsel nicht erzwingen, selbst wenn er schon länger geblinkt hat.
- Bei einer Kollision spricht der Anschein einer mangelhaften Sorgfaltspflicht des Fahrstreifen wechselnden Fahrers aus.
- Der Bus hätte auf seiner Fahrspur bleiben können, um den Unfall zu vermeiden.
- Die Erstattung der Sachverständigenkosten ist ausgeschlossen, wenn ein offensichtlicher Bagatellschaden vorliegt.
- Als der Bus die Fahrspur wechselte, hätte der Kläger dem Bus Vorrang geben müssen, um den Unfall zu vermeiden.
- Das Urteil basierte unter anderem auf einem Video, das die tatsächliche Situation kurz vor dem Unfall zeigt.
- Das Gericht fand keine Beweise dafür, dass der Busfahrer den Fahrstreifen wechseln musste, z. B. wegen eines Hindernisses.
- Der Fahrer des Taxis hätte den entstehenden Unfall nur verhindern können, wenn er angenommen hätte, dass der Bus die Fahrbahn wechseln würde, obwohl er bereits auf Höhe des Busses war.
Übersicht
Rechtspositionen im Falle eines Verkehrsunfalles bei einem Fahrstreifenwechsel
In der Welt des Straßenverkehrs sind Unfälle oft unvermeidlich, besonders wenn es um komplexe Situationen wie einen Fahrstreifenwechsel geht. Solche Sachverhalte bringen beträchtliche juristische Herausforderungen mit sich, insbesondere wenn es darum geht, die Haftungsverteilung zu bestimmen. Unser Rechtssystem basiert auf dem Grundsatz, dass derjenige, der einen Schaden verursacht, dafür haften muss. Aber wer ist wirklich schuld an einem Unfall während des Fahrstreifenwechsels?
In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Gesetzgeber verschiedene Faktoren wie die Umstände des Fahrstreifenwechsels, die Verkehrsregeln und die Sorgfaltspflichten der beteiligten Fahrer. Ein wesentlicher Aspekt ist die Beurteilung der Situation durch einen Sachverständigen oder ein Gericht, die die verschiedenen Faktoren sorgfältig abwägt.
Im Folgenden werden wir uns mit einem konkreten Beispiel auseinandersetzen: Ein Fall, in dem die Haftungsverteilung nach einem Unfall während eines Fahrstreifenwechsels ermittelt wurde. Dieser Fall ist besonders lehrreich, da er die Komplexität der Bestimmung der Haftung in solchen Fällen veranschaulicht und zeigt, wie das Gericht die Entscheidung trifft. Tauchen Sie ein in die faszinierende Welt der Straßenverkehrsrechtssprechung.
Ein Wechselspiel: Verkehrsunfall und Fahrstreifenwechsel
Der Alltag im Straßenverkehr bringt immer wieder neue Situationen mit sich, die sich plötzlich und unerwartet ereignen können. Und aus diesen Situationen heraus können Rechtsstreitigkeiten entstehen, bei deren Klärung es oftmals weniger um Tatsachen als vielmehr um die Interpretation von Gesetzen und Vorschriften geht. Ein aktuelles Urteil des Amtsgerichts München zeigt dies eindrucksvoll auf. Diskutiert wurde im Verfahren die „Haftungsverteilung“ nach einem Verkehrsunfall bei einem Fahrstreifenwechsel.
Wer hat Vorrang beim Fahrstreifenwechsel?
Es war ein Morgen wie jeder andere im Münchener Stadtverkehr. Taxi- und Busfahrer lieferten sich ein Wettrennen um die optimale Position auf den stark frequentierten Fahrbahnen. So kam es, dass im Juni 2020 ein Taxi und ein Gelenkbus sich in den gleichen Fahrstreifen einordnen wollten. Der Busfahrer blieb zunächst auf der rechten Spur, wechselte jedoch nach und nach – blinkend – zur linken Spur. Zeitgleich befuhr das Taxi diese linke Fahrspur. Hier ergab sich das grundlegende Problem, das im Kern der späteren Klage lag: Befand sich der Bus beim Wechsel der Fahrspur bereits auf der linken Fahrspur, als das Taxi auf gleicher Höhe war? Die Meinungen darüber gingen deutlich auseinander. Daher war es Aufgabe des Gerichts, anhand der Aussagen der Beteiligten und eines Sachverständigen sowie mithilfe von Dashcam-Videos herauszufinden, wer sich wo befunden hatte – und wer das Recht auf seiner Seite hatte.
Die Suche nach der Haftungsverteilung
Aus den vorliegenden Beweisen ging hervor, dass der Busfahrer von Anfang an den linken Fahrtrichtungsanzeiger eingeschaltet hatte. Als er den Fahrstreifenwechsel vornahm, befand sich das Taxi jedoch bereits auf seiner Höhe. Ein Sachverständiger bestätigte zudem, dass der Busfahrer bei korrekter Spurhaltung einen Unfall hätte vermeiden können. Der Taxi-Fahrer hingegen hätte nur dann einen Unfall vermeiden können, wenn er den links blinkenden Bus hätte passieren lassen – obwohl er sich laut Videoaufnahmen bereits auf Höhe des Bushecks befand. Die Klage wurde daher zum größten Teil zugunsten des Taxi-Fahrers entschieden.
Gericht bestätigt: Keine Pflicht zur Vorhersehung der Fehlentscheidungen anderer Fahrer
Letztendlich entschied das Gericht, dass der Taxi-Fahrer nicht hätte vorausahnen müssen, dass der Busfahrer seinen Fahrstreifen wechseln würde, obwohl er sich schon auf dessen Höhe befunden hatte. Das Urteil, das aus den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflVG hervorging, lag die „Haftungsverteilung“ bei 100 % zu Gunsten des Klägers und damit des Taxi-Fahrers. Wer sich ordnungsgemäß im Straßenverkehr bewegt, hat nicht die Pflicht, die Fehlentscheidungen anderer Verkehrsteilnehmer vorherzusehen und darauf zu reagieren – auch nicht bei einem Fahrstreifenwechsel.
Dieser Fall ist umso bedeutender, da er auf konkrete Situationen im täglichen Straßenverkehr anwendbar ist und deutlich macht, wie wichtig es ist, die eigene Fahrweise und die der anderen Verkehrsteilnehmer stets kritisch zu beobachten. Doch wie wirkt sich dieses Urteil auf folgende Urteile aus? Können ähnliche Verkehrsunfälle in Zukunft anders beurteilt werden? Bleiben Sie dran, wir werden die Entwicklung weiter für Sie verfolgen.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was beinhaltet ein Fahrstreifenwechsel im Kontext des Verkehrsrechts?
Ein Fahrstreifenwechsel im Kontext des Verkehrsrechts in Deutschland bezieht sich auf den Akt des Wechselns von einem Fahrstreifen zu einem anderen auf einer Straße oder Autobahn. Dieser Vorgang ist in der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt und muss bestimmten Regeln und Vorschriften entsprechen.
Gemäß § 7 Abs. 5 StVO darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Jeder Fahrstreifenwechsel muss rechtzeitig und deutlich angekündigt werden, wobei die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen sind.
Auf Autobahnen gilt das Rechtsfahrgebot, das heißt, Fahrzeugführer müssen möglichst weit rechts fahren. Der linke Fahrstreifen darf in der Regel nur zum Überholen genutzt werden. Anschließend muss sich der Fahrzeugführer wieder rechts einordnen.
Bei einem Unfall während eines Fahrstreifenwechsels spricht der sogenannte Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes Verhalten des Fahrers des die Spur wechselnden Fahrzeugs. Sollte es beim Spurwechsel zu einem Unfall kommen, haften beide Kraftfahrer für den Schaden, wenn nicht abschließend geklärt werden kann, wer seinen Fahrstreifen zuerst verlassen hat.
Eine Ausnahme bildet das sogenannte Reißverschlussverfahren, das bei Fahrbahnverengungen zur Anwendung kommt. Hierbei ist der nachfolgende Verkehr verpflichtet, einen Spurwechsel zu ermöglichen.
Ein Fahrstreifenwechsel muss im geeigneten Augenblick entschlossen durchgeführt werden. Eine zögerliche Durchführung kann zu gefährlichen Situationen führen und wird als Fehler beurteilt.
Nichtbeachtung der Regeln für den Fahrstreifenwechsel, wie das Nichtsetzen des Blinkers, kann ein Verwarngeld nach sich ziehen.
Das vorliegende Urteil
AG München – Az.: 338 C 4032/21 – Urteil vom 13.01.2023
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 945,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.07.2020 sowie weitere 147,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.03.2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 18% und die Beklagten als Gesamtschuldner 82% zu tragen. Die Kosten für die Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.159,36 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten aus Anlass eines Verkehrsunfalls, der sich am 19.06.2020 gegen 9:45 Uhr auf der Paul Heise Straße in München kurz vor der Paul Heise Unterführung in nördlicher Richtung ereignete. Der vom Beklagten zu 1 geführte und zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2 versicherte Gelenkbus der Marke MAN mit dem amtlichen Kennzeichen … befuhr die rechte Fahrspur, wobei er aufgrund einer Verjüngung der Fahrspuren mit 20 % des Busses noch vor der Unterführung auf die linke Fahrspur wechselte und so durch die gesamte Unterführung fahren wollte. Der Kläger befuhr mit seinem Taxi mit dem amtlichen Kennzeichen … die linke Spur. Es kam zur Kollision der linken Busseite mit dem Spiegel des klägerischen Taxis. Der Kläger holte ein Gutachten für 289,20 € ein, wonach sich der Fahrzeugschaden auf 845,16 € beläuft. Zuzüglich der allgemeinen Kostenpauschale in Höhe von 25 € macht er insgesamt 1159,36 € geltend.
Der Kläger behauptet, der Bus sei zum Teil auf die linke Spur gewechselt, als er sich auf Höhe von dessen Mitte befand. Da der klägerische Pkw zum Unfallzeitpunkt erst 2 Jahre alt war und im, beim Unfall betroffenen, Außenspiegel umfangreiche Technik verbaut sei, insbesondere ein Blinker und eine Bodenfeldleuchte, zudem der Außenspiegel elektrisch verstell-, beheiz- und einklappbar sei, habe er als technischer Laie den Schaden nicht selbst schätzen können und ein Gutachten einholen dürfen.
Der Kläger beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 1159,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %p. über dem Basiszinssatz seit 01.07.2020 sowie weitere 169,50 Euro außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1 habe seit Anfahren von der Haltestelle Holzkirchener Bahnhof den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt, weil unmittelbar nach der Haltestelle die Paul Heise Unterführung beginne, wo die Fahrspuren sehr eng und durch Leitplanken begrenzt seien und des Öfteren auf der rechten Seite Fahrradfahrer fahren würden. Daher habe der Beklagte zu 1 beabsichtigt, die Unterführung zu 80 % auf der rechten Spur und 20 % der linken Spur zu durchfahren. Als der Beklagte zu 1 diese Position erreicht habe, habe sich das Fahrzeug des Klägers noch in ausreichendem Abstand hinter dem Bus befunden. Der Kläger habe hingegen trotz des eindeutigen Fahrverhaltens des Busses an diesem auf der verbleibenden linken Restspur noch vor dem Tunnel vorbeifahren wollen, wofür der vorhandene Platz aber nicht mehr ausgereicht habe. Die Gutachterkosten seien nicht erstattungsfähig, da es sich um einen kleinen Schaden handele. Es hätte ausgereicht einen Kostenvoranschlag einzuholen, der allenfalls 75 € gekostet hätte. Als berufsmäßiger Taxifahrer sei der Kläger auch kein technischer Laie.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen …, sowie Einholung eines schriftlichen, sowie mündlichen Gutachten des Sachverständigen Professor …. Des Weiteren hat das Gericht den Kläger und Beklagten zu 1 persönliche informatorisch angehört und die 2 klägerseits eingereichten Dashcam-Videosequenzen aus dem Kläger-Pkw (letztere auch nochmal in der Sitzung) in Augenschein genommen.
Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien, das schriftliche Gutachten, sowie die Sitzungsniederschrift und die Videos.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist i.H.v. 945,16 € begründet aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflVG.
Dem liegt eine Haftungsquote von 100 % zu Lasten der Beklagten zugrunde.
Aus dem 2. DashCam-Video ist insofern ersichtlich, dass der Kläger sich auf Höhe des Hecks des Busses befand, als dieser die Spur wechselte.
Der Kläger bekundete, dass der Bus links geblinkt habe und sogleich auf seine Spur gefahren sei, als er sich schon neben ihm befunden habe. Er habe auch zuvor nicht an der roten Ampel neben dem Bus gehalten, sondern sei über grün gefahren.
Hingegen schilderte der Beklagte zu 1, schon an der roten Ampel geblinkt zu haben und dann angefahren zu sein, ein paar andere Fahrzeuge habe passieren lassen und den Wechsel vorgenommen zu haben, als das klägerische Taxi gerade hinter ihm gewesen sei. Er hätte die rechte Spur sonst blockiert, wenn er den Wechsel nicht vorgenommen hätte und in der Unterführung fahre er immer auch etwas auf der linken Spur um 1-1,5 m Abstand zum Fahrradweg einhalten zu können. Er wisse nicht mehr genau, ob ein Fahrradfahrer den Radweg zum Unfallzeitpunkt befahren habe, gehe aber davon aus.
Diese Aussage wird z.T. gestützt durch die Aussage des Zeugen …, welcher jedenfalls bestätigte, dass der Beklagte zu 1 ab der Abfahrt links geblinkt habe. Zum weiteren Fahrtvorgang konnte er hingegen nichts aussagen. Seine Aussage war diesbezüglich unergiebig.
Der Sachverständige Professor … gelangte bereits in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Ortsbesichtigung ergeben habe, dass an der Paul Heise Unterführung 2 Richtungsfahrstreifen vorliegen, die rund 6 m breit sind und daneben dann Rad- und Gehweg verlaufen. Der Bus sei 2,5 m breit und hätte daher den rechten Richtungsfahrstreifen befahren können, woneben ebenfalls ein Pkw den linken Fahrstreifen hätte befahren können. Es sei auch nicht damit zu rechnen, dass immer Fahrradfahrer außerhalb des Fahrradweges auf der Fahrbahn führen. Daher sei nicht verständlich, warum der Beklagte zu 1 sich zu 20 % auf dem linken Fahrstreifen eingeordnet habe. Insofern wäre der Unfall für diesen vermeidbar, wenn er auf seiner Spur geblieben wäre.
Für den Kläger wäre der Unfall laut dem mündlichen Sachverständigengutachten aufgrund der zuletzt eingereichten Videosequenz nur vermeidbar, wenn er dem links blinkenden Bus den Vorrang eingeräumt hätte. Als der Bus rüberfuhr, befand der klägerische Pkw sich hingegen bereits auf Höhe des Bushecks, wie auf dem Video eindeutig zu erkennen ist und von dem Sachverständigen auch bestätigt wurde. Der Kläger hätte nach den Ausführungen des Sachverständigen den Unfall zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vermeiden können. Lediglich wenn der Kläger antizipiert hätte, dass der Bus die Spur wechseln würde, obwohl er sich schon auf dessen Höhe befand, hätte er durch Verlangsamen einen Unfall noch verhindern können.
Das Gericht folgt den nachvollziehbaren Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen, gegen welche auch keine Einwände von den Parteien erhoben wurde.
Die rechtliche Frage, ob der Kläger den Bus hier hätte vorlassen müssen oder antizipieren müssen, dass dieser auf seine Spur wechsle, obwohl er sich bereits auf seiner Höhe befand, löst das Gericht wie folgt:
Der Bus durfte den Spurwechsel nicht erzwingen, selbst wenn der Beklagte zu 1 schon länger (nämlich allenfalls auf dem kurzen Weg von der Bushaltestelle/Ampel zur Kollisionsstelle von ca. 15 m laut Auswertung des Sachverständigen) zuvor geblinkt hatte.
Bei der Kollision mit einem anderen Fahrzeug unmittelbar nach oder bei einem Fahrstreifenwechsel spricht der Anschein für eine Missachtung der Sorgfaltspflicht nach § 7 Abs. 5 StVO. Gemäß § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen ist. Er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser Verkehrsteilnehmer den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat (vgl. z.B. LG Bielefeld, Urteil vom 15.05.2008, 2 O 3/08). Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile erscheint es dann in der Regel angemessen, mit Blick auf die besondere Sorgfaltsverletzung des Fahrstreifenwechslers, der die Gefährdung Anderer auszuschließen hat, ihn für die Unfallschäden allein haften zu lassen (vgl. z.B. OLG München Endurteil v. 23.3.2022 – 10 U 7411/21, BeckRS 2022, 6219, LG Bielefeld, Urteil vom 15.05.2008, 2 O 3/08). Dies gilt auch für einen nur mit einem Teil des Busses durchgeführten Spurwechsel.
Schließlich war das Erzwingen des teilweisen Spurwechsels aus Sicht des Klägers auch nicht vorhersehbar, da kein Grund (wie beispielweise ein Hindernis) für ein teilweises Befahren seiner Spur durch den Bus ersichtlich war. Vielmehr stellte der Sachverständige fest, dass sowohl der Bus als auch das Taxi die Unterführung innerhalb ihrer Spuren ordnungsgemäß hätten befahren können. Ein Fahrrad auf der Fahrbahn des Busses, welches eine Gefahr dargestellt hätte, war auf dem Video ebenso wenig ersichtlich. Ein solches hätte der Beklagte zu 1 letztlich vor der Unterführung auch durch Verlangsamen zunächst durchfahren lassen können.
Die Schadenhöhe von 845,16 Euro an sich ist unstreitig.
Die Sachverständigenkosten von 289,20 Euro hält das Gericht hingegen für nicht erstattungsfähig. Wegen fehlender Erforderlichkeit ist der Ersatz der Kosten für einen Sachverständigen ausgeschlossen, wenn ein offensichtlicher Bagatellschaden vorliegt. In derartigen Sachverhalten genügt in der Regel ein Kostenvoranschlag durch eine Kfz.-Werkstatt, dessen Kosten der Geschädigte zu ersetzen hat. Im Lichte der neueren Judikatur ist es unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher Kostensteigerungen angemessen, die Grenze für einen Bagatellschaden im Regelfall bei 1.000 Euro zu ziehen, wobei die Umstände des Einzelfalls ein Abweichen von diesem Richtwert rechtfertigen können. Teilweise wird die Bagatellgrenze – in Anlehnung an die vorgenannten Beträge – auch zwischen 500 und 800 Euro festgelegt, vgl. zu allem: MüKoBGB/Oetker BGB § 249 Rn. 399. Vorliegend beträgt der Fahrzeugschaden 845,16 € laut Gutachten und stellte sich auch äußerlich aufgrund des unauffälligen Schadens lediglich am Seitenspiegel (vergleiche die Lichtbilder im klägerischen Gutachten in der Anlage zur Klageschrift) nach Auffassung des Gerichts als Bagatellschaden dar. Dem als Taxiunternehmer nicht ganz unversierten Kläger hätte dies trotz der vorgetragenen technischen Ausrüstung des Seitenspiegels bewusst sein müssen. Für den Kostenvoranschlag werden 75 € als Kostenaufwand geschätzt.
845,16 € zuzüglich 75 € zuzüglich 25 € ergeben 945,16 €.
Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten ergeben sich aus diesem Betrag in Höhe von 147,56 €.
Zinsen können -nicht weiter bestritten- ab 01.07.2020 beansprucht werden, §§ 286, 288, 291 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Kosten für das schriftliche Sachverständigengutachten hat gemäß § 96 ZPO hingegen die Klagepartei zu tragen. Der Sachverständige kam in diesem zu dem Ergebnis, dass sich nicht feststellen lasse, ob der Bus der Beklagtenseite die klägerische Spur zum Teil belegt hat, als das klägerische Taxi noch weiter hinter ihm war und der Kläger sich trotzdem versucht habe durchzumogeln, oder ob der teilweise Spurwechsel stattfand, als das Taxi sich bereits in unmittelbarer Nähe befand. Diese Frage ist aber erheblich für die Entscheidung des Rechtsstreits. Sie konnte erst durch die Vorlage, des von Beklagtenseite vielfach angeforderten längeren Videos nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens geklärt werden. Der Gutachter kam nunmehr zu einem klaren Ergebnis. Insofern war ein Verschulden für die Erfolglosigkeit der Einholung des Gutachtens von Klägerseite gegeben, weshalb das Gericht nach billigem Ermessen die Kosten hierfür der Klägerseite allein auferlegt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nummer 11, 711 ZPO.
Der Streitwert basiert auf der Hauptforderung.