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Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall

Verkehrsunfall: Anscheinsbeweis und Schadensersatz

Das Landgericht Hamburg hat in seinem Urteil entschieden, dass bei einem Auffahrunfall im gleichgerichteten Verkehr der Anscheinsbeweis für das Verschulden des Auffahrenden spricht. Im konkreten Fall konnte der Beklagte diesen Anscheinsbeweis nicht entkräften, weshalb er für den entstandenen Schaden in voller Höhe haftet und die Klägerin einen Schadensersatz von EUR 3.205,64 nebst Zinsen erhält.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 331 S 14/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von EUR 3.205,64 an die Klägerin.
  2. Haftung der Beklagten für die Kosten der ersten und zweiten Instanz.
  3. Vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils.
  4. Anspruch auf Schadensersatz basiert auf verschiedenen rechtlichen Grundlagen wie StVG und BGB.
  5. Notwendigkeit der Abwägung der Betriebsgefahren und Verursachungsbeiträge bei Auffahrunfällen.
  6. Anwendung des Anscheinsbeweises, da die Fahrzeuge im gleichgerichteten Verkehr waren.
  7. Beweislast liegt beim Beklagten, um den Anscheinsbeweis zu entkräften.
  8. Entscheidung zur Haftungsverteilung: 100% Haftung des Beklagten aufgrund des nicht entkräfteten Anscheinsbeweises.

Der Anscheinsbeweis im Kontext von Auffahrunfällen

Die rechtliche Auseinandersetzung bei Auffahrunfällen stellt eine der Kernherausforderungen im Verkehrsrecht dar. Besonders der Anscheinsbeweis, eine zentrale Säule in der Beurteilung von Haftungsfragen, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Dieses juristische Konzept wird angewendet, wenn aus dem äußeren Erscheinungsbild eines Unfalls auf bestimmte Schlussfolgerungen zur Schuldfrage geschlossen wird. Die Tragweite dieses Prinzips wird besonders deutlich, wenn es um die Klärung von Haftungs- und Schadensersatzansprüchen geht.

Der Fokus liegt auf der Frage, inwiefern der Anscheinsbeweis bei einem Auffahrunfall greift und welche Bedeutung ihm in der Praxis zukommt. Dabei werden sowohl die Beweislast als auch die Abwägung von Verursachungsbeiträgen und Betriebsgefahren beleuchtet. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie diese juristischen Prinzipien in einem konkreten Fall zur Anwendung kommen und welche Auswirkungen dies auf die beteiligten Parteien hat.

Der Fall des Auffahrunfalls: Anscheinsbeweis im Zentrum

Im Rahmen eines Verkehrsunfalls in Siegen kam es zu einer juristischen Auseinandersetzung, die kürzlich vor dem Landgericht Hamburg (LG Hamburg) entschieden wurde. Kern des Falls war ein Auffahrunfall, bei dem die Klägerin von den Beklagten Schadensersatz forderte. Das LG Hamburg hat in seinem Urteil vom 14. November 2022 (Az.: 331 S 14/22) die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von EUR 3.205,64 nebst Zinsen verurteilt. Diese Entscheidung beruht auf dem sogenannten Anscheinsbeweis, einem rechtlichen Prinzip, das bei Auffahrunfällen oft zur Anwendung kommt.

Juristische Betrachtung des Anscheinsbeweises

Der Anscheinsbeweis ist ein juristisches Instrument, das bei der Klärung von Haftungsfragen bei Auffahrunfällen eine entscheidende Rolle spielt. In diesem Fall sprach das Gericht aufgrund der Umstände des Unfalls – beide Fahrzeuge waren im gleichgerichteten Verkehr unterwegs – einen ersten Anschein für das Verschulden des Auffahrenden aus. Die Beklagten konnten diesen Anscheinsbeweis nicht ausreichend entkräften. Laut Gericht reichte es nicht aus, lediglich eine Rückwärtsfahrt des Vordermannes zu behaupten. Es hätten konkrete Anknüpfungstatsachen vorliegen müssen, die auf eine solche Möglichkeit hindeuten.

Details des Urteils: Schadensersatz und Kostenübernahme

Das Urteil des LG Hamburg umfasste neben dem Schadensersatz auch die Kostenübernahme für beide Instanzen durch die Beklagten. Die Entscheidung basierte auf einer detaillierten Betrachtung der jeweiligen Betriebsgefahren und Verursachungsbeiträge, die im Rahmen von § 17 StVG abgewogen wurden. Die Tatsache, dass keine Anknüpfungstatsachen für eine Rückwärtsfahrt des Vordermannes festgestellt wurden, führte dazu, dass der Anscheinsbeweis gegen den Beklagten zu 2 nicht entkräftet werden konnte.

Haftungsquote und vorläufige Vollstreckbarkeit

Interessanterweise setzte das Gericht die Haftungsquote auf 100% gegen die Beklagten fest, was bedeutet, dass die Klägerin den gesamten Schadensersatz beanspruchen konnte. Die einfache Betriebsgefahr des bei der Klägerin Kasko versicherten Fahrzeuges trat in diesem Fall vollständig zurück. Zusätzlich zur Schadensersatzforderung und Kostenübernahme war das Urteil vorläufig vollstreckbar, was der Klägerin ermöglicht, die Forderungen umgehend geltend zu machen.

Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung des Anscheinsbeweises im Verkehrsrecht, insbesondere bei Auffahrunfällen. Es zeigt auf, wie entscheidend die Umstände eines Unfalls und die daraus resultierenden juristischen Schlussfolgerungen für die Haftungsverteilung sein können.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was versteht man unter dem Begriff „Anscheinsbeweis“ im Verkehrsrecht?

Der Begriff „Anscheinsbeweis“ bezieht sich auf eine Beweiserleichterung in Situationen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach allgemeiner Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Im Verkehrsrecht wird der Anscheinsbeweis häufig zur Klärung von Schuldfragen bei Unfällen herangezogen.

Ein typisches Beispiel für die Anwendung des Anscheinsbeweises ist der Auffahrunfall. Hier gilt oft der Grundsatz „Wer auffährt, hat Schuld“. Der Anscheinsbeweis geht davon aus, dass der Fahrer, der aufgefahren ist, seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Der Fahrzeugführer, der auffährt, muss dann beweisen, dass eine atypische Verkehrssituation vorlag, die er nicht voraussehen konnte.

Der Anscheinsbeweis kann jedoch erschüttert werden, wenn Tatsachen vorgebracht und bewiesen werden, die auf einen atypischen Geschehensablauf hindeuten. Beispielsweise kann der Auffahrende den Anscheinsbeweis erschüttern, indem er darlegt und beweist, dass ein atypischer Verlauf vorlag, der die Verschuldensfrage in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Trotz seiner weit verbreiteten Anwendung im Verkehrsrecht, ist der Anscheinsbeweis nicht gesetzlich definiert und entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Er ist ein Element des Gewohnheitsrechts. Der Bundesgerichtshof hat darauf hingewiesen, bei der Anwendung des Anscheinsbeweises zurückhaltend vorzugehen.

Es ist zu betonen, dass der Anscheinsbeweis nur bei typischen Geschehensabläufen Anwendung findet. Bei atypischen Geschehensabläufen oder wenn der Unfall auf mehrere Ursachen zurückgeführt werden kann, kommt der Anscheinsbeweis nicht zur Anwendung.


Das vorliegende Urteil

LG Hamburg – Az.: 331 S 14/22 – Urteil vom 14.11.2022

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 3.205,64 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.03.2021 zu zahlen.

2. Die Beklagten tragen die Kosten der ersten und zweiten Instanz als Gesamtschuldner.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert für das Verfahren wird auf EUR 1.602,73 festgesetzt.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO abgesehen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten gem. §§ 7, 17, 18 StVG, 823 BGB, 115 VVG aus übergegangenem Recht einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe eines Betrages von Euro 3205,64.

Das Amtsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass hier gem. § 17 StVG eine Abwägung der jeweiligen Betriebsgefahren und Verursachungsbeiträge zu erfolgen hat, bei der nur feststehende, daher entweder unstreitige oder bewiesene Tatsachen zugrunde zu legen sind.

Steht allerdings (wie hier) fest, dass zwei Fahrzeuge zunächst im gleichgerichteten Verkehr unterwegs gewesen sind, spricht auf der ersten Ebene ein Anschein dafür, dass tatsächlich ein Auffahrunfall vorgelegen hat, bei dem der Hintermann auch den Vordermann aufgefahren ist. Denn Fahrzeuge bewegen sich auf Fahrbahnen im gleichgerichteten Verkehr üblicherweise vorwärts.

Um den Anschein auf erster Ebene zu entkräften, reicht es nach der Rechtsprechung der Verkehrskammern nicht aus, lediglich die Rückwärtsfahrt des Vordermannes zu behaupten. Es müssen vielmehr Anknüpfungstatsachen vorliegen (oder bewiesen werden), aus denen sich im konkreten Fall die ernsthafte Möglichkeit der (behaupteten) Rückwärtsfahrt des Vordermannes ergibt. Derartige Anknüpfungstatsachen hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil nicht festgestellt. Die ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag des Beklagten. Zwar hat der Beklagte zu 2) in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 24.11.2021 in Übereinstimmung mit seiner Ehefrau bekundet, der Kläger sei rückwärts gefahren und so sei es zur Kollision der Fahrzeuge gekommen. Dem gegenüber hat der Zeuge B. bekundet, dass der Kläger auf sein Fahrzeug aufgefahren sei. Soweit das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil insoweit festgestellt hat, dass aufgrund der Anhörung der Partei und Einvernahme der Zeugen sich nicht sicher feststellen lässt, ob der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs rückwärts gefahren ist oder aber der Beklagte zu 1) auf das Fahrzeug des Klägers aufgefahren ist, führt das dazu, dass der gegen den Beklagten zu 2) sprechende Anscheinsbeweis nicht entkräftet ist.

Steht nach alledem auf der ersten Ebene ein Auffahren des Beklagten zu 2) im Wege des Anscheinsbeweises fest, so folgt mithin auf der zweiten Ebene ein Anschein für einen unfallursächlichen Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2) gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 1 S. 1 bzw. § 1 Abs. 2 StVO. Gegenüber diesem Verstoß tritt die einfache Betriebsgefahr des bei der Klägerin Kasko versicherten Fahrzeuges im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG vollständig zurück.

Mithin kann die Klägerin auf der Basis einer Haftungsquote der Beklagten von 100 % die Zahlung des ihr entstandenen Schadens in Höhe von EUR 3.205,64 nebst Zinsen beanspruchen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

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