Skip to content
Menü

Verkehrsunfall mit falsch fahrenden Radfahrer

LG Lübeck – Az.: 4 O 243/15 – Urteil vom 13.07.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls.

Am 23.05.2015 kam es in Lauenburg/Elbe im Bereich der Einmündung der Straße Philosophenberg in die Berliner Straße zu einem Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Radfahrerin sowie der Beklagte zu 1) als Führer seines bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw beteiligt waren. Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrrad den aus ihrer Sicht linksseitigen Gehweg der – grundsätzlich – bevorrechtigten Berliner Straße. Sie wollte die Einmündung der Straße Philosophenberg überqueren, wobei es zum Zusammenstoß mit dem aus Sicht der Klägerin von links kommenden Pkw des Beklagten zu 1) kam, welcher seinerseits im Einfahren aus der Straße Philosophenberg in die Berliner Straße begriffen war.

Die Klägerin behauptet, anlässlich des Verkehrsunfalls eine Tibiakopf-Fraktur, eine Oberarmfraktur sowie eine Wunde am Unterschenkel erlitten zu haben. Es sei aufgrund des Unfalls ein mehr als einmonatiger stationärer Krankenhausaufenthalt erforderlich gewesen. Sie, die Klägerin, sei aufgrund der unfallbedingten Verletzungen in ihrer Bewegungs- und Gehfähigkeit dauerhaft eingeschränkt. Aufgrund dessen ist die Klägerin der Auffassung, dass die Beklagtenseite zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 24.000,00 € bei einer Haftungsquote von 2/3 zu Lasten der Beklagtenseite verpflichtet sei. Ferner seien ihr, der Klägerin, verschiedene Sachschäden sowie ein Haushaltsführungsschaden entstanden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 2.136,04 € nebst 5 % Zinsen p. a. über dem Basiszinssatz seit dem 27. August 2015 sowie 627,85 € zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gesetztes Schmerzensgeld, zumindest aber 16.000,00 € nebst 5 % Zinsen p. a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den künftigen entstehenden materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 23. Mai 2015 in der Berliner Straße in Lauenburg zu ersetzen, soweit er nicht auf Dritte übergegangen ist.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie sind der Auffassung, dass die Beklagten nicht für die Unfallfolgen einzustehen hätten, weil die Klägerin verbotswidrig als Radfahrerin einen Gehweg in der falschen Richtung benutzt habe.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen …  und …  . Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf das Verhandlungsprotokoll vom 15.06.2016 Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von den Parteien zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Verkehrsunfall mit falsch fahrenden Radfahrer
(Symbolfoto: Standret/Shutterstock.com)

Der Klägerin stehen gegenüber den Beklagten keine Ansprüche aus §§ 7, 18 StVG beziehungsweise § 823 BGB zu. Nach §§ 7, 18 StVG muss der Führer eines Kraftfahrzeugs den Schaden ersetzen, der beim Betrieb des Kraftfahrzeugs durch einen Verkehrsunfall entsteht; für einen solchen Anspruch haftet gesamtschuldnerisch auch die Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters. Unstreitig kam es am 23. Mai 2015 zu einem Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin als Radfahrerin sowie der vom Beklagten zu 1) geführte Pkw, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, beteiligt waren. Der Unfall geschah beim Betrieb des beklagtenseitigen Pkw. Ein Haftungsausschluss gemäß § 7 Abs. 2 StVG kommt nicht in Betracht, da der Unfall nicht durch höhere Gewalt verursacht worden ist; also insbesondere nicht durch betriebsfremde Ereignisse, elementare Naturkräfte oder Handlungen dritter Personen.

Die Beklagten haben jedoch die klägerseits geltend gemachten Schäden nicht zu ersetzen, so dass es auf die Frage der Berechtigung der einzelnen klägerseits geltend gemachten materiellen und immateriellen Schadenspositionen dem Umfang nach nicht ankommt. Denn der vorliegende Unfall ist alleine auf das Verschulden der Klägerin zurückzuführen. Gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB hängt die Pflicht zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen ab; insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Parteien sowie der Beweisaufnahme ist das Gericht insoweit von einer Alleinverantwortlichkeit der Klägerin überzeugt, welche hier auch die Betriebsgefahr des beklagtenseitigen Fahrzeugs vollumfänglich zurücktreten lässt. Denn die Klägerin hat verbotswidrig als Radfahrerin einen Gehweg und diesen zudem auf der aus ihrer Sicht falschen Fahrbahnseite benutzt.

Nach der eingehenden Erörterung der örtlichen Verhältnisse im Rahmen der mündlichen Verhandlung; insbesondere der Inaugenscheinnahme und Erörterung von Lichtbildern der Radwegesituation im Verlauf der unfallörtlichen Berliner Straße in Lauenburg, war es letztlich als unstreitig anzusehen, dass der von der Klägerin als Radfahrerin benutzte Weg einen Gehweg und keinen Radweg darstellte sowie in der Fahrtrichtung der Klägerin nicht für Radfahrer freigegeben war. Eine im Verlauf der Berliner Straße aus Sicht der Fahrtrichtung der Klägerin zunächst noch vorhandene Freigabe des stadteinwärts führenden linksseitigen Gehweges für Radfahrer war nämlich durch eine nach Überzeugung des Gerichts eindeutige Beschilderung dahingehend aufgehoben, als dass aus Sicht der Klägerin im Straßenverlauf bereits mehrere Einmündungsbereiche vor der Unfallstelle der linksseitige Gehweg lediglich noch zur Benutzung für Fußgänger gekennzeichnet war und eine weitere Freigabe des Gehweges für Radfahrer in dieser Richtung auch an den nachfolgenden Einmündungsbereich nicht mehr erfolgte.

Grundsätzlich sind Gehwege als Sonderwege den Fußgängern vorbehalten und stellt das Radfahren auf Gehflächen einen groben Verkehrsverstoß dar (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. A. 2015, § 2 StVO Rn. 29 m. w. N). Im Fall einer Kollision eines einen Gehweg in falscher Fahrtrichtung benutzenden Radfahrers mit einem aus einer Grundstücksausfahrt kommenden Kraftfahrzeuges haftet grundsätzlich der Radfahrer für die Unfallfolgen alleine, da das Verschulden des Radfahrers in solchen Fällen derart schwerwiegend ist, dass daneben eine Berücksichtigung der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs nicht mehr in Betracht kommt, solange keine besonderen Anhaltspunkte für ein verkehrswidriges Verhalten des Pkw-Fahrers bestehen (OLG Karlsruhe NJW RR 1991, 547; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht RuS 1991, 261; OLG Celle MDR 2003, 928; LG Dessau LZV 2006, 149; jeweils m. w. N.; König a. a. O. m. w. N.). Gleiches gilt, wenn eine Kollision eines einen Gehweg in falscher Fahrtrichtung benutzenden Radfahrers mit einem Pkw-Fahrer erfolgt, welcher aus einer Straßeneinmündung ausfahren möchte, selbst wenn dem Führer des Kraftfahrzeugs ein geringfügiges Verschulden zur Last zu legen ist; insbesondere dann, wenn die Einmündung der betreffenden Nebenstraße, aus welcher der Pkw ausfahren will, schwer einsehbar ist (OLG Celle 14.06.2001, 14 U 89/00, BeckRS 2001, 30186572; AG Ibbenbüren, ZfS 1995, 446). So liegt der Fall hier.

Vorliegend kam es – entgegen der Ansicht der Klägerseite – insbesondere auch nicht darauf an, ob die Straße, deren Gehweg die Klägerin verbotswidrig benutzt hat, gegenüber der einmündenden Seitenstraße vorfahrtsberechtigt war. Zwar war insoweit die von der Klägerin auf dem linksseitigen Fußweg benutzte Berliner Straße grundsätzlich gegenüber der einmündenden Straße Philosophenberg vorfahrtsberechtigt. Ein Radfahrer verliert auf der Vorfahrtstraße sein Vorfahrtsrecht gegenüber kreuzendem und einbiegendem Verkehr auch dann grundsätzlich nicht, wenn der linke von zwei vorhandenen Radwegen benutzt wird, der nicht in seiner Richtung für Radfahrer freigegeben ist (vgl. nur BGH NJW 1986, 2651). Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn der Radfahrer zum Zeitpunkt der Kollision nicht den Rad-, sondern den Gehweg benutzt hat. Denn ein Vorfahrtsrecht für einen auf dem Gehweg fahrenden Radfahrer besteht nicht. Ein Vorfahrtsrecht des Radfahrers, der auf für den Radverkehr nicht zugelassenen Flächen fährt, ist bereits begrifflich ausgeschlossen (OLG Celle a. a. O. m. w. N.). Da von der Klägerin keine Gründe vorgetragen worden beziehungsweise sonst ersichtlich sind, welche hier eine kurzzeitige Benutzung des Gehweges durch Radfahrer im Einzelfall unter Umständen zwangsweise als zulässig erscheinen lassen konnten (vgl. König a. a. O.), war hier der Gehweg als Sonderweg alleine Fußgängern vorbehalten und von jedem Fahrverkehr freizuhalten; mithin die Klägerin gerade nicht gegenüber anderweitigem Verkehr vorfahrtsberechtigt.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Maßstäbe ist nach den Ergebnissen der persönlichen Anhörung der Parteien und der Beweisaufnahme auch kein Verschulden des Beklagten zu 1) erkennbar, das eine Abweichung vom Grundsatz der Alleinhaftung der Klägerin rechtfertigt. Denn nach Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) ist insoweit dem Beklagten jedenfalls kein Verschulden zur Last zu legen, das über ein geringfügiges Maß hinausginge. Der Beklagte zu 1) hat glaubhaft angegeben, sich auch nach Einweisung durch weitere aus seiner Sicht linksseitig positionierte Verkehrsteilnehmer noch einmal nach rechts in Richtung des Gehweges abgesichert zu haben, welchen die Klägerin benutzte. Das Gericht geht nach der ausführlichen Erörterung der Örtlichkeiten anhand der Lichtbilder sowie den Ergebnissen der Vernehmung des Zeugen …  weiterhin davon aus, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Einmündungsbereich – wie letztlich bereits unstreitig – aufgrund der vorhandenen Böschung, der dort vorhandenen Vegetation sowie der dort befindlichen Verteilerkästen und verschiedenen Masten um eine schwer einsehbare Einmündung handelt, welche seitens der in die Berliner Straße einbiegenden Pkw-Führer wie den Beklagten zu 1) ein vorsichtiges Herantasten in den Einmündungsbereich erforderte, aber gleichermaßen für verbotswidrig den linksseitigen Gehweg benutzende Radfahrer wie die Klägerin besondere Vorsicht gebot, da aus ihrer Sicht aus der Straße Philosophenberg herannahende Fahrzeuge nicht ohne weiteres zu erkennen waren. Die Klägerin wäre in diesem Bereich gehalten gewesen, gerade angesichts ihres verbotswidrigen Verhaltens anzuhalten, um sich zu vergewissern, dass aus dem nicht ohne weiteres einsehbaren Einmündungsbereich kein Pkw-Verkehr naht. Demgegenüber bestanden insgesamt keine Anhaltspunkte, dass der Beklagte zu 1) beim Einfahren in den Einmündungsbereich Sorgfalts- und Obachtspflichten in mehr als geringfügigem Maße verletzt hat, worauf es nach den angeführten Maßstäben alleine ankommen konnte.

Auf den weiter in der mündlichen Verhandlung erörterten; insbesondere von den ortskundigen Parteien dargestellten Umstand, dass am Unfallort vielfach Radfahrer verbotswidrig den Gehweg linksseitig zu benutzen pflegen wie auch hier die Klägerin, kommt es demgegenüber nicht an. Der mögliche Umstand eines verbotswidrigen Verhaltens anderer kann die Klägerin nicht vom Vorwurf ihres verkehrswidrigen Verhalten entlasten, zumal auf Seiten des Beklagten zu 1) nach dem Ergebnis seiner persönlichen Anhörung und der Beweisaufnahme nicht festzustellen war, dass er in erheblich vorwerfbarem Maß auf verbotswidrig den Gehweg linksseitig benutzende Radfahrer – wie hier die Klägerin – nicht eingestellt gewesen wäre.

Mangels Haftung der Beklagtenseite dem Grunde nach kommt auch eine Feststellung einer Einstandspflicht für künftige Schäden nicht in Betracht.

Nachdem es auf die Haftung der Beklagtenseite dem Umfang nach, wie ausgeführt, nicht erst ankommt, bestand kein Anlass für eine Gewährung des beiderseits vorsorglich beantragten Schriftsatznachlasses zur Stellungnahme auf die erst kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätze. Auch bot der – nicht nachgelassene – klägerseitige Schriftsatz vom 22.06.2016 keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung; im Übrigen betraf die dort angeführte Rechtsprechung gerade nicht die hier gegebene Konstellation der Benutzung eines Gehweges durch einen Radfahrer in falscher Richtung.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf bis zu 22.000,00 € festgesetzt (§§ 63 Abs. 2 GKG, 3 ZPO).

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Verkehrsrecht, Versicherungsrecht und der Regulierung von Verkehrsunfällen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile aus dem Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!