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Verkehrsunfall – Vorausfahrender bremst stark und bis zum Stillstand grundlos ab

AG Hattingen – Az.: 11 C 72/18 – Urteil vom 02.10.2018

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, der sich am 05.12.2017 in S. ereignete.

Am vorgenannten Tag befuhr der Kläger mit seinem PKW C., amtl. Kennzeichen …, zunächst die S.-Straße in S. in Fahrtrichtung H. Er beabsichtigte von dort aus nach rechts in die B.-Straße … in Fahrtrichtung W. abzubiegen.

Vor dem Fahrzeug des Klägers befuhr der Beklagte zu 2) mit dem von der Beklagten zu 1) gehaltenen und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten PKW M., amtl. Kennzeichen … ebenfalls zunächst die S.-Straße in S. in Fahrtrichtung H. Er beabsichtigte von dort aus – wie auch der Kläger – nach rechts in die B.-Straße in Fahrtrichtung W. abzubiegen.

Auf der vorhandenen Rechtsabbiegerspur kamen die Parteien mit ihren Fahrzeugen zunächst hinter einem oder mehreren weiteren Fahrzeugen, welche ebenfalls beabsichtigten in die Bochumer Straße in Fahrtrichtung W. einzubiegen, zum Stehen. Nachdem das bzw. die vor dem Beklagtenfahrzeug befindlichen Fahrzeuge in die B.-Straße einbogen, fuhr auch der Beklagte zu 2) mit dem von ihm gesteuerten Fahrzeug an und näherte sich der B.-Straße. An der dort vorhandenen gestrichelten Linie bremste der Beklagte zu 2) das Beklagtenfahrzeug sodann stark und bis zum Stillstand ab. Der Kläger fuhr mit dem von ihm gesteuerten Fahrzeug auf das Beklagtenfahrzeug auf, wobei das klägerische Fahrzeug im Frontbereich beschädigt wurde. Einzelheiten des Unfallhergangs sind zwischen den Parteien streitig.

Zur Beseitigung der am klägerischen Fahrzeug entstandenen unfallbedingten Beschädigungen sind Reparaturkosten in Höhe von 1.290,61 € netto erforderlich.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.12.2017 forderte der Kläger die Beklagte zu 3) auf, den vorgenannten Betrag nebst einer Kostenpauschale von 25,00 € bis zum 11.01.2018 an den Kläger zu zahlen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagten seien für die ihm entstandenen Schäden in vollem Umfange eintrittspflichtig.

Er behauptet hierzu, der Beklagte zu 2) habe das von ihm gesteuerte Fahrzeug vor Einfahrt auf die B.-Straße ohne jeglichen Grund viel zu stark abgebremst, so dass es ihm – dem Kläger – nicht mehr gelungen sei, das klägerische Fahrzeug rechtzeitig hinter dem Beklagtenfahrzeug zum Stillstand zu bringen.

Verkehrsunfall – Vorausfahrender bremst stark und bis zum Stillstand grundlos ab
(Symbolfoto: Von chalermphon_tiam/Shutterstock.com)

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.315,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 12.01.2018 zu zahlen.

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihn von den hälftigen vorgerichtlichen Kosten in Höhe von 112,76 € gemäß der beigefügten Kostennote der RAe … vom 27.03.2018 freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten den von Klägerseite vorgetragenen Unfallhergang.

Entgegen der Schilderung der Klägerseite habe der Beklagte zu 2) das von ihm gesteuerte Fahrzeug nicht grundlos abgebremst. Vielmehr habe der Beklagte zuvor einen von H. kommenden PKW auf der dortigen Linksabbiegerspur wahrgenommen, welcher beabsichtigte von seiner Sicht aus nach links in die B.-Straße in Fahrtrichtung W. einzubiegen. Um diesem PKW Vorfahrt zu gewähren, habe der Beklagte zu 2) sodann das von ihm gesteuerte Fahrzeug abgebremst.

Das aus H. kommende Fahrzeug habe sodann verzögert, so dass der Beklagte zu 2) entschieden habe, wieder anzufahren um in die B.-Straße einzubiegen. In diesem Moment sei es dann zum Unfall gekommen. Der Unfall sei für den Beklagten zu 2) unvermeidbar gewesen.

Da folglich ein verkehrsbedingter Anlass für die Bremsung bestanden habe, sei – so die Auffassung der Beklagten – eine alleinige Haftung des Klägers gerechtfertigt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Zum Unfallhergang ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung des Zeugen … . Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 19.09.2018, Bl. 49-51 d.A.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 823 BGB, 115 VVG.

Die dem Kläger unstreitig an seinem PKW entstandenen Schäden wurden nicht durch höhere Gewalt verursacht, § 7 Abs. 2 VVG.

Vorliegend haftet auch die Klägerseite grundsätzlich gem. § 7 Abs. 1 StVG für die Unfallfolgen. Denn sie hat nicht nachweisen können, dass der Unfall unabwendbar gewesen ist. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer anstelle des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs den Unfall vermieden hätte.

Die mithin veranlasste Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 StVG führt vorliegend zu einer Haftungsquote von 100% zu Lasten des Klägers.

Im Verhältnis der Parteien zueinander hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand im Allgemeinen geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten. Jedoch sind im Rahmen der Abwägung zu Lasten einer Partei nur solche Umstände zu beachten, die als unfallursächlich feststehen. Mithin solche Umstände, die ein Verschulden des Fahrzeugführers oder eine Erhöhung der Betriebsgefahr begründen, wenn sie unstreitig oder von der jeweils anderen Partei konkret bewiesen und erwiesenermaßen ursächlich für den Unfall oder den Schaden geworden sind.

Vorliegend ist der Kläger unstreitig mit dem von ihm gesteuerten Fahrzeug auf dasjenige der Beklagtenseite aufgefahren.

Im Falle eines solchen Auffahrunfalls spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Auffahrende entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten hat, seine Fahrgeschwindigkeit nicht der Verkehrssituation angepasst hat oder es an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen.

Voraussetzung für den Beweis eines Verschuldens nach diesem allgemein anerkannten Grundsatz ist allerdings die Feststellung eines typischen Geschehensablaufs.

Das Gericht hält dabei die Grundsätze des Anscheinsbeweises für ein entsprechendes Verschulden auch in solchen Fällen für anwendbar, in denen sich die Kollision in der Phase des gemeinsamen Anfahrens nach einem vorherigen Anhalten ereignet.

Im Interesse der Flüssigkeit des anfahrenden Verkehrs ist es zwar ausnahmsweise gestattet, den erforderlichen Sicherheitsabstand erst während der Anfahrtphase aufzubauen. Um wirksam der Gefahr zu begegnen, die sich aus dem zunächst zu geringen Abstand ergibt, bedarf es dann jedoch erhöhter Aufmerksamkeit und Vorausschau auf Seiten des jeweiligen Hintermanns. Dieser muss das Fahrzeug des Vorausfahrenden besonders sorgfältig beobachten, um auf ein Verlangsamen oder gar Anhalten jederzeit unfallverhütend reagieren zu können. Wenn es gleichwohl in der Anfahrtphase zu einem Aufprall auf das vorausfahrende Fahrzeug kommt, dann spricht auch bei einer solchen Unfallkonstellation nach der Erfahrung des täglichen Lebens eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der auffahrende Kraftfahrer die von ihm zu fordernde (gesteigerte) Sorgfalt nicht beachtet hat.

Diesen gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis hat der Kläger vorliegend nicht erschüttern können. Er hat insbesondere keine Tatsachen bewiesen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Geschehensablaufs ergibt.

Zwar kann der vorliegend gegen den Kläger sprechende Anscheinsbeweis dann erschüttert werden, wenn der Vorausfahrende entgegen § 4 Abs.1 Satz 2 StVO ohne zwingenden Grund stark gebremst hat. Dafür reicht es jedoch nicht aus, dass die Möglichkeit besteht, dass der Beklagte zu 2) ohne zwingenden Grund stark gebremst hat. Vielmehr muss der Kläger ein entsprechendes grundloses starkes Abbremsen des Beklagten zu 2) beweisen. Mit einem verkehrsbedingten plötzlichen starken Bremsen des Vorausfahrenden muss ein Kraftfahrer hingegen rechnen und sich hierauf einstellen.

Ein solcher Nachweis ist dem Kläger im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme nicht gelungen.

Zwar hat der Kläger glaubhaft geschildert, dass seines Erachtens der Kreuzungsbereich frei war und der Beklagte zu 2) mit dem von ihm gesteuerten PKW gefahrlos auf die B.-Straße hätte einfahren können.

Demgegenüber hat jedoch der Beklagte zu 2) nicht weniger glaubhaft geschildert, dass er ein aus H. kommendes Fahrzeug wahrgenommen habe, von welchem er zunächst ein Einbiegen in die B.-Straße erwartet habe.

Auch aus den Angaben des Zeugen … vermochte das Gericht nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Beklagte zu 2) entsprechend des Vortrages des Klägers tatsächlich ohne jeden Grund abgebremst hat. So vermochte sich dieser bereits an den von den Parteien zuvor übereinstimmend geschilderten Unfallablauf mit einem vorherigen Anhalten beider beteiligten Fahrzeuge nicht mehr zu erinnern. Darüber hinaus hat der Zeuge … nachdem er zunächst angegeben hat, sicher zu sein, dass sich aus Fahrtrichtung H. kein Fahrzeug dem Kreuzungsbereich genähert habe, am Ende seiner Vernehmung eingeräumt, vielleicht doch nicht so genau auf den aus H. kommenden Verkehr geachtet zu haben.

Aus der Aussage des Zeugen … vermochte das Gericht in keiner Weise die Überzeugung zu gewinnen, dass der vom Beklagten zu 2) beschriebene PKW sich der Kreuzung nicht aus Richtung H. genähert hat.

Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 2) die betreffende Bremsung an einer Stelle vorgenommen hat, an welcher er Fahrzeugen, welche sich potentiell aus verschiedenen Richtungen nähern können, Vorfahrt zu gewähren hat.

Selbst wenn sich an der betreffenden Stelle tatsächlich kein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug genähert hätte, erscheint es für das Gericht keinesfalls grundlos, das Fahrzeug abzubremsen, um sich zu versichern, dass sich kein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug nähert.

Ein Verstoß des Beklagten zu 2) gegen § 4 Abs.1 Satz 2 StVO ist daher nicht nachgewiesen.

Die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs tritt hinter dem überwiegenden Auffahrverschulden des Klägers zurück.

Mangels Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen.

Insofern kann der Kläger auch nicht die mit dem Klageantrag zu 2) beantragte Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 1.315,61 € festgesetzt.

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