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Verkehrsunfall – Verweisung auf freie Werkstatt außerhalb der Stadtgrenze einer Großstadt

AG Frankfurt, Az.: 32 C 3096/14 (72), Urteil vom 29.01.2016

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 614,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 03.06.2014 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 83 Prozent und die Beklagten als Gesamtschuldner 17 Prozent zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird für die Gerichtskosten, die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr auf 3.677,13 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von den Beklagten restlichen Schadenersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 27.02.2014.

Verkehrsunfall - Verweisung auf freie Werkstatt außerhalb der Stadtgrenze einer Großstadt
Symbolfoto: ThamKC/Bigstock

Die Zeugin Ö. befuhr mit dem im Eigentum des Klägers stehenden und erstmals am 29.09.2008 zugelassenen Fahrzeug der Marke C. … mit dem amtlichen Kennzeichen F-… gegen 6.30 Uhr am 27.02.2014 die Jean-Monnet-Straße in Frankfurt am Main in südliche Richtung. Die Beklagte zu 1) fuhr mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeug der Marke P. … mit dem amtlichen Kennzeichen HG-… die Abfahrt der BAB 661 in südliche Richtung. Es kam zu einem streifenden Anstoß zwischen dem rechten hinteren Seitenteil des von der Beklagten zu 1) geführten Fahrzeugs und dem linken vorderen Kotflügel des klägerischen Fahrzeugs. Nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens über den Unfallhergang steht die jeweils fünfzigprozentige Einstandspflicht der Parteien für die aus dem Unfall entstandenen Schäden nicht mehr in Streit. Der Kläger holte ein Sachverständigengutachten ein, welches ausweislich des Gutachtens der Sachverständigen R. und Kollegen vom 12.03.2014 Nettoreparaturkosten in Höhe von 4.928,45 EUR errechnete und eine Wertminderung von 150,00 EUR ansetzte, Die Beklagte zu 2), welche ausweislich ihres Abrechnungsschreibens vom 30.05.2014 auf einer Basis von 50 Prozent regulierte, zahlte unter Berücksichtigung von nach Auffassung der Beklagten zu 2) ersatzfähigen Nettoreparaturkosten in Höhe von 3.699,44 EUR, einer Wertminderung in Höhe von 150,00 EUR, Sachverständigenkosten in Höhe von 866,80 EUR, Nutzungsausfall in Höhe von 145,00 EUR und einer Kostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR, mithin eines Gesamtschadens von 4.886,24 EUR, den hälftigen Betrag von 2.443,12 EUR. Ausweislich des Schreibens der Beklagten zu 2) vom 30.05.2014 erfolgte die Auszahlung dieses Betrages mittels einer Zahlung in Höhe von 866,80 EUR an den Sachverständigen und mittels der Zahlung der Restentschädigung nebst vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren an den Kläger. Die Beklagte zu 2) begründete die Kürzung der Nettoreparaturkosten unter Bezugnahme auf einen beklagtenseits eingeholten – dem Schreiben jedoch nicht beigefügten – Prüfbericht, welcher geringere Stundenverrechnungssätze und nicht anfallende UPE-Aufschläge zugrunde legte.

Der Kläger ist der Auffassung, der beklagtenseits vorgenommene Verweis auf die in H. ansässige Ho. GmbH & Co. KG und den in Maintal ansässigen Karosserie- und. Lackierfachbetrieb B. als freie Fachwerkstätten sei bereits aufgrund unzumutbarer Entfernung dieser Werkstätten von 16,4 Kilometer bzw. 17 Kilometer zu dem in Frankfurt am Main wohnhaften Kläger unzulässig. Ferner belaufe sich die erstattungsfähige Kostenpauschale auf 30,00 EUR.

Nach teilweiser Klagerücknahme über einen Betrag von 2.985,12 EUR nebst Zinsen beantragt der Kläger zuletzt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilten, an den Kläger 692,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 03.06.2014 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die erforderlichen Nettoreparaturkosten belaufen sich auf 3.699,44 EUR. Die Ho. GmbH & Co. KG hätte zu den im Prüfbericht der DEKRA vom 01.04.2014 aufgeführten und jedermann frei zugänglichen Stundenverrechnungssätzen die Reparatur unter Berücksichtigung sämtlicher im Gutachten vorgesehenen und erforderlichen Arbeitsschritte gleichwertig zu Nettoreparaturkosten in Höhe von insgesamt 3.699,44 EUR durchführen können. UPE-Aufschläge seien bei den beklagtenseits benannten Werkstätten nicht angefallen. Bei der Ho. GmbH & Co. KG handele sich um eine Eurogarant-zertifizierte Werkstatt, welche Originalersatzteile nach den Reparaturablaufplänen des Herstellers verwende und eine mehrjährige Garantie auf die durchgeführten Arbeiten gewähre. Die Beklagten sind der Auffassung, UPE-Aufschläge seien im Falle einer fiktiven Abrechnung nicht erstattungsfähig.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Göksen Ö. und Einholung eines Sachverständigengutachtens. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme vom 15.01.2015 (Bl. 133 ff. d.A.) und das Gutachten des Sachverständigen O. vom 02.10.2015 (Bl. 179 ff. d.A.) wird Bezug genommen. Die Akte des Regierungspräsidiums Kassel zu Az. 961.610918.6 war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2014 (Bl. 106 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage überwiegend begründet.

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein weiterer Anspruch auf gesamtschuldnerische Zahlung von Schadenersatz aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 249, 421 BGB i.V.m. 115 Abs. 1 VVG in tenorierter Höhe zu. Der beklagtenseits unter Verweis auf eine freie Fachwerkstatt vorgenommene Abzug der klägerseits begehrten Nettoreparaturkosten ist aufgrund vorliegend fehlender Zumutbarkeit des Verweises unzulässig.

Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, kann der Geschädigte vom Schädiger gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag beanspruchen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte leistet im Reparaturfall dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, Urteil vom 29.04.2003 – VI ZR 398/02, juris). Der Schädiger kann den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (BGH, Urteil vom 13.07.2010 – VI ZR 259/09, juris). Die Zumutbarkeit für den Geschädigten, sich auf eine kostengünstigere Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, setzt jedenfalls eine technische Gleichwertigkeit der Reparatur voraus. Dabei sind dem Vergleich die (markt-)üblichen Preise der Werkstätten zugrunde zu legen. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht auf Sonderkonditionen von Vertragswerkstätten des Haftpflichtversicherers des Schädigers verweisen lassen muss (BGH, Urteil vom 20.10.2009 – VI ZR 53/09, juris). Ob die Werkstatt für den Kläger mühelos und ohne Weiteres erreichbar ist, kann ferner grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Dabei kann ein Anhaltspunkt die Entfernung zwischen dem Wohnort des Geschädigten und einer markengebundenen Fachwerkstatt sein (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2010 – VI ZR 91/09, juris). Darüber hinaus können sich Anhaltspunkte aus dem zusätzlichen Zeitaufwand für den Transport und die Gefahr zusätzlicher Schäden bei längeren Transportstrecken ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.2015 – VI ZR 267/14, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der beklagtenseits vorgenommene Verweis auf die in H. ansässige Ho. GmbH & Co. KG und den in Maintal ansässigen Karosserie- und Lackierfachbetrieb B. zur Reparatur des klägerischen Fahrzeugs, obwohl dieses zum Unfallzeitpunkt länger als drei Jahre zugelassen und nicht scheckheftgepflegt war, unzulässig. Nachdem ausweislich des klägerseits eingehalten Gutachtens der Sachverständigen R. & Kollegen vom 12.032014 am Wohnort des Klägers in Frankfurt am Main eine Fachwerkstatt, mithin die seitens des Gutachters aufgeführte Niederlassung Frankfurt der C. Co. GmbH in der Ha. Landstraße in Frankfurt am Main, verfügbar ist, erscheint unter Berücksichtigung, dass es sich bei Frankfurt am Main um eine Großstadt mit einer Vielzahl freier Fachwerkstätten handelt, ein Verweis auf eine jedenfalls mehr als 15 Kilometer und damit mehrere Kilometer weiter entfernte sowie außerhalb der Stadtgrenzen der Großstadt befindliche freie Werkstatt trotz der abstrakt weiterhin geringen Kilometerentfernung unzumutbar. Dass diese benannten Werkstätten über einen kostenlosen Hol- und Bringservice verfügen, wodurch die Zumutbarkeit begründet werden könnte, wurde beklagtenseits, bereits nicht substantiiert dargetan. Unter Berücksichtigung, dass der Kläger nach Abgabe des Fahrzeugs zur Reparatur mittels öffentlicher Verkehrsmittel zu seinem Wohnort zurückfahren oder sich von einem Dritten abholen lassen muss und das Fahrzeug auf selbigem Wege wieder abzuholen verpflichtet wäre, erscheint ein Verweis auf einen Reparaturbetrieb außerhalb des Stadtgebiets von Frankfurt am Main im konkreten Fall nicht „mühelos zugänglich“ und damit unzumutbar. Im Übrigen befand sich das Fahrzeug des Klägers ausweislich des Gutachtens der Sachverständigen R. und Kollegen nach dem Schadenereignis zwar noch in einem fahrfähigen, aber nicht mehr verkehrssicheren Zustand. Klägerseits hätte somit auch für den Transport des Fahrzeugs zu dem vorgeschlagenen Reparaturbetrieb gesorgt werden müssen, der sich zu einem Reparaturbetrieb außerhalb Frankfurts am Main ebenfalls als weniger mühelos und aufgrund des längeren Transportweges kostenträchtiger als innerhalb des Stadtgebietes gestaltet. In Folge der fehlenden Zumutbarkeit des Verweises auf die beklagtenseits benannten Reparaturbetriebe bedarf es keiner weiteren Beweisaufnahme über die Frage der Gleichwertigkeit der in diesen Werkstätten durchgeführten Reparatur.

Die beklagtenseits im Rahmen des Prüfberichts der DEKRA abgezogenen UPE-Aufschläge sind in Folge der Unzumutbarkeit des Verweises auf die solche Kosten nicht berechnenden Referenzbetriebe ebenfalls erstattungsfähig. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind UPE-Aufschläge auch bei einer fiktiven Abrechnung zu ersetzen, wenn diese bei einer Reparatur in einer regionalen markengebundenen Fachwerkstatt üblicherweise anfallen. Der klägerische Vortrag, dass bei Reparaturen in markengebundenen Werkstätten an Fahrzeugen der Marke C. solche Aufschläge immer berechnet werden, wurde beklagtenseits nicht hinreichend substantiiert bestritten.

Damit besteht in Höhe des beklagtenseits im Rahmen der vorgenommenen 50-prozentigen Abrechnung nicht beglichenen Nettoreparaturkosten, mithin in Höhe von 614,51 EUR (4.928,45 EUR ./. 2 = 1.849,72 EUR), ein restlicher Schadenersatzanspruch des Klägers.

Das Gericht schätzt in ständiger Rechtsprechung die erstattungsfähige Kostenpauschale gemäß § 287 ZPO auf 25,00 EUR als angemessen und hinreichend. In Höhe von 2,50 EUR besteht daher kein weiterer Erstattungsanspruch.

Soweit der Kläger darüber hinausgehend einen Betrag von 75,00 EUR geltend macht, berücksichtigt die klägerische Berechnung offenkundig versehentlich die Zahlung von 75,00 EUR auf die Wertminderung nicht. Anstelle der im Schriftsatz vom 03.11.2015 angegebene Zahlungssumme über 2.368,12 EUR ergibt sich aus der klägerseits selbst auf Seiten 4 f. der Klageschrift aufgeführten Zahlungen der Beklagten eine Gesamtzahlung der Beklagten über 2.443,12 EUR.

II.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

Soweit die Klägerseite die Klage in Höhe eines Betrages von 2.985,12 EUR zurückgenommen hat, waren ihr die Kosten aufzuerlegen. Die Voraussetzungen des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO sind nicht erfüllt. Unter weiterer Berücksichtigung des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens der Parteien hinsichtlich der noch rechtshängigen Klageforderung ist eine Quotelung entsprechend der vorgenommenen Tenorierung vorzunehmen.

IV.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

V.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO.

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