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Verkehrsunfall: Motorradfahrerhaftung bei Sturz infolge Abbremsens hinter einem nach rechts abbiegenden Fahrzeug

AG Hoyerswerda, Az.: 1 C 146/12

Urteil vom 06.11.2012

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschluss: Der Streitwert wird auf 512,50 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 14.08.2011 in Hoyerswerda ereignete.

Verkehrsunfall: Motorradfahrerhaftung bei Sturz infolge Abbremsens hinter einem nach rechts abbiegenden Fahrzeug
Symbolfoto: Corepics/Bigstock

Der Beklagte zu 2. fuhr mit einem im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 1. versicherten Pkw auf der Elsterstraße und beabsichtigte, nach rechts in die Straße Am Haag einzubiegen, die lediglich für Anlieger freigegeben ist. Hinter ihm fuhr der Kläger mit seinem Krad Harley Davidson. Der Beklagte zu 2. bremste zum Rechtsabbiegen in streitig gebliebenem Umfang. Kurz darauf kam es aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig geblieben sind, zu einem Sturz des Klägers. Berührt haben sich beide Fahrzeuge nicht.

Durch den Verkehrsunfall wurde der Kläger verletzt und sein Fahrzeug beschädigt. Gegenstand der vorliegenden Klage sind materielle Schadensersatzansprüche. Der Kläger hat zur Schadensregulierung seine Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen, die die Reparaturkosten i.H.v. 3.020,40 EUR abzüglich der Selbstbeteiligung des Klägers i.H.v. 500,00 EUR regulierte. Diese 500,00 EUR sind zuzüglich einer anteiligen Unkostenpauschale i.H.v. 12,50 EUR und Zinsen Gegenstand der Klageforderung. Mit Anwaltschriftsatz vom 8.11.2011 forderte der Kläger die Beklagte zu 1. außergerichtlich erfolglos zum Schadensersatz auf. Hierfür sind dem Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 83,54 EUR entstanden, die – neben Zinsen – ebenfalls eingeklagt sind.

Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 2. habe plötzlich stark gebremst und zuvor nicht geblinkt. Zur Abwendung einer Kollision habe der Kläger gebremst und sei dadurch gestürzt. Zuvor habe er den notwendigen Sicherheitsabstand eingehalten.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner dem Kläger 512,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.11.2011 zur Abgeltung des Fahrzeugsschadens zu zahlen;

2. die Beklagten darüber hinaus zu verurteilen, als Gesamtschuldner dem Kläger die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 83,54 EUR zzgl. Verzugszinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (7.9.2012) zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 2. habe vor dem Abbiegevorgang rechtzeitig rechts geblinkt. Sie machen geltend, der Unfall sei für den Kläger bei Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes vermeidbar gewesen. Der Kläger habe durch sein Bremsen überreagiert und sei zuvor unaufmerksam gewesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben über den Unfallhergang durch Vernehmung der Zeugen …, …, … und … . Im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Niederschriften der Zeugenvernehmungen im Protokoll der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Hoyerswerda vom 02.10.2012 (Bl. 53 ff. d.A.) Bezug genommen. Das Gericht hat weiterhin den Kläger und den Beklagten zu 2. als unfallbeteiligte Parteien persönlich zum Unfallhergang angehört. Wegen des Ergebnisses der persönlichen Anhörung wird auf deren Niederschriften im vorgenannten Protokoll der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Hoyerswerda verwiesen.

Das Gericht hat letztlich die aufgrund des Verkehrsunfalles erwachsene Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Bautzen (Az.: 320 Js 11513/11) nebst der darin enthaltenen Verkehrsunfallanzeige vom 14.08.2011 (Vorgangs-Nr.: 4529/11/288311) beigezogen und zum Gegenstand der Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegenüber dem Beklagten auf Schadensersatz aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall aus §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG, 840 BGB.

a) Die Haftungsvoraussetzungen der §§ 7 Abs. 1, 18, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG sind erfüllt. Beim Betrieb des Kraftfahrzeuges, welches im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 1. haftpflichtversichert war und vom Beklagten zu 2. geführt wurde, wurde eine im Eigentum des Klägers stehende Sache, nämlich dessen Krad, beschädigt; § 7 Abs. 1 StVG. Hierfür haben dem Grunde nach gem. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG die Beklagte zu 1. als Haftpflichtversicherer und gem. § 18 StVG der Beklagte zu 2. als Fahrer einzustehen. Die Beklagten haften dabei gem. §§ 115 Abs. 1 Satz 4 VVG und 840 Abs. 1 BGB gesamtschuldnerisch.

b) Dem gegenüber haftet aber auch der Kläger für die Unfallfolgen nach § 7 Abs. 1 StVG, weil sich der Unfall auch beim Betrieb seines Fahrzeuges ereignet hat. Ein Fall höherer Gewalt i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG liegt nicht vor.

c) Es handelt sich bei dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall auch nicht um ein für die Unfallbeteiligten Parteien unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG. Nach dem Maßstab des gesetzlich vorgesehenen „Idealfahrers“ hat keine Partei im vorliegenden Falle nachgewiesen, dass der Unfall ausschließlich aus dem Verhalten des jeweiligen Unfallgegners beruht und der jeweilige Fahrer jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt hat walten lassen.

d) Gem. § 17 Abs. 1 und 2 StVG hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz hiernach von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen dieser Abwägung sind neben unstrittigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden.

Vorliegend handelt es sich um einen Unfall im gleichgerichteten Verkehr, bei dem es zwar nicht zum Auffahren gekommen ist, weil der Kläger zuvor gebremst hat und gestürzt ist und der Beklagte zu 2. danach nach rechts abbog. Nach Dafürhalten des Gerichts sind allerdings die Regeln für Auffahrunfälle entsprechend anzuwenden, da die Verkehrssituation und die wechselseitige Pflichtenlage identisch sind. Bei Auffahrunfällen haftet in der Regel der Auffahrende. Hat der Vorausfahrende den Verkehrsunfall mitverursacht, kommt auch eine Schadensteilung in Betracht. Dass beide Fahrzeuge nicht miteinander kollidiert sind, führt zu keiner anderen Beurteilung, denn die Kausalität des Fahrverhaltens des Vorausfahrenden – hier das Abbremsen des von ihm geführten PKW durch den Beklagten zu 2. – für die nachfolgende Reaktion des Klägers steht zweifelsfrei fest. Unabhängig davon, ob dem Beklagten zu 2. insoweit ein Verschulden zur Last fällt, hat jedenfalls sich der Kläger durch das Abbremsen des Beklagten zu 2. veranlasst gesehen, selbst zu bremsen, und ist hierdurch zu Fall gekommen.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist allerdings nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass den Beklagten zu 2. ein Mitverschulden an dem Sturz des Kläger zur Last fällt. Auch die Betriebsgefahr des Pkws der Beklagten tritt im Hinblick auf den Verursachungsbeitrag des Klägers vollständig zurück. Im Einzelnen:

aa) Zu Lasten des Klägers besteht zunächst ein Anscheinsbeweis, dass der Unfall durch ihn verursacht wurde; §§ 1, 4 Abs. 1 Satz 1 StVO. Wer auf einen Vorausfahrenden auffährt, war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht hinter ihm, auch wenn der Vorausfahrende gebremst hat (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 4 Rdnr. 35 m.w.N.). Dies gilt wie vorstehend dargelegt auch für den hier vorliegenden Fall, dass es wegen des Sturzes des Hintermannes nicht zu einer Kollision kommt. Der Anscheinsbeweis ist auch nicht im Hinblick auf ein evtl. abruptes Abbremsen des Pkws der Beklagten ohne vorherige Erkennbarkeit der Abbiegeabsicht erschüttert oder widerlegt, denn als Fahrzeugführer muss man auch mit einem starken Abbremsen des vorausfahrenden Fahrzeuges immer rechnen. Bei einem entsprechenden Nachweis kommt allerdings eine Mithaftung des stark Abbremsenden wegen Mitverschuldens oder erhöhter Betriebsgefahr in Betracht (Hentschel, a.a.O., Rdnr: 36 m.w.N.).

bb) Ein Mitverschulden der Beklagten an dem Verkehrsunfall ist vorliegend allerdings nicht nachgewiesen. Im Ergebnis der persönlichen Anhörung der beiden unfallbeteiligten Parteien sowie Vernehmung der wechselseitig benannten Zeugen einschließlich urkundenbeweislicher Verwertung der Aussage des Zeugen … (Bl. 43 d. beigezogenen Ermittlungsakte) ist zunächst nicht nachgewiesen, dass der Beklagte zu 2. vor dem Sturz des Klägers ohne zwingenden Grund stark abgebremst hat; § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO. Die unfallbeteiligten Parteien haben ebenso wie die Zeugen zur Stärke des Abbremsens unterschiedliche Angaben gemacht. Das von dem Kläger insoweit angebotene Sachverständigengutachten hierzu ist nicht einzuholen, denn mangels Kollision sowie mangels einer Bremsspur des Pkw der Beklagten existieren keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen, auf deren Grundlage ein Sachverständiger ein entsprechendes Gutachten erstatten könnte. Dass die Brems- und Schleuderspur des Krad des Klägers in der Ermittlungsakte dokumentiert ist und einer Begutachtung zur Verfügung steht, reicht insoweit nicht aus, da sich hieraus lediglich das Fahr- und Bremsverhalten des Klägers ermitteln lässt und Rückschlüsse auf das Fahr- und Bremsverhalten des Beklagten zu 2. hieraus nicht mit der erforderlichen Sicherheit gezogen werden können. Nach alldem ist die Beweisaufnahme insoweit unergiebig geblieben und nicht nachgewiesen, dass der Beklagte zu 2. vor der Kollision eine Vollbremsung oder eine anderweitig starke Bremsung durchgeführt hat. Allein die Tatsache, dass der Kläger ein Blinken des Pkw nicht wahrgenommen hat (hierzu haben die Zeugen und die Parteien ebenfalls gegenteilige Angaben gemacht), führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar ist es für diesen Fall für das Gericht gut nachvollziehbar, dass das Bremsen für den Kläger plötzlich kam, denn der Kläger konnte für den Fall, dass der Beklagte zu 2. nicht rechtzeitig geblinkt hätte, nicht wissen, dass der Beklagte zu 2. nach rechts abbiegen will. Allerdings ist ein solchermaßen plötzliches Abbremsen nicht notwendigerweise auch ein besonders starkes i.S.v. § 4 Abs.1 Satz 2 StVO (Hentschel, a.a.O., Rdnr. 14 m.w.N.).

cc) Dass die Straße Am Haag nur für Anlieger freigegeben ist und der Beklagte zu 2. nicht Anlieger war, ist für die Entscheidung nicht erheblich, da der Kläger vom Schutzbereich der insoweit durch den Beklagten zu 2. verletzten Rechtsnorm nicht umfasst ist.

dd) Letztlich ist auch die Betriebsgefahr des Pkw der Beklagten im vorliegenden Falle nicht zu berücksichtigen, denn diese tritt hier im Rahmen der notwendigen Abwägung der wechselseitigen Betriebsgefahren und des durch Anscheinsbeweis nachgewiesenen Verschuldens des Klägers vollständig zurück.

Nach alldem haften die Beklagten nicht aus §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG für die Folgen des Verkehrsunfalles.

2.

Sonstige zugunsten des Klägers eingreifende Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich, so dass die Klage – auch hinsichtlich der auf die Hauptforderung bezogenen Nebenforderungen (Zinsen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen) – insgesamt abzuweisen war.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Kläger hat als Unterliegender die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 3 ZPO i.V.m. §§ 43, 48 GKG. Maßgeblich ist der Betrag der Hauptforderung.

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