OLG München – Az.: 10 U 1455/20 – Urteil vom 07.10.2020
1. Die Berufung der Klägerin vom 13.03.2020 gegen das Endurteil des LG München I vom 14.02.2020 (Az. 17 O 10793/19) wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts sowie dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz verneint.
Die in zweiter Instanz durchgeführte ergänzende Beweisaufnahme hat das Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz bestätigt.
1. Zutreffend ging das Landgericht von einem Verstoß des Fahrgastes des Klägers gegen § 14 I StVO aus, weil dieser während der Vorbeifahrt der Beklagten zu 1) die zunächst nur einen Spalt geöffnete Türe so weit öffnete, dass es zur Kollision mit dem Außenspiegel kam.
a) Einer erneuten Einvernahme des Zeugen Y. zur Stellung des Taxis nach der Kollision, wie vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung beantragt, bedurfte es nicht. Der Zeuge wurde hierzu schon in erster Instanz befragt und hat angegeben, sein Fahrzeug nach der Kollision nicht weiter bewegt zu haben. Ebenso hat die Beklagte zu 1) bereits in erster Instanz hiervon abweichend angegeben, dass sie ihr Fahrzeug nach der Kollision nicht zurückgefahren hat. Aus den von den Parteien übergebenen, nach der Kollision gefertigten Fotos ergibt sich aber, was der Sachverständige bestätigte, dass nach der Kollision entweder die Beklagte zu 1) ihr Fahrzeug zurücksetzte oder das Taxi noch ein Stück nach vorne bewegt wurde. Das Landgericht hat im Lichte der widersprüchlichen Angaben keine Veranlassung gesehen, dem Zeugen und nicht der Beklagten zu 1) zu glauben.
Der Senat ist insoweit nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. BGH VersR 2005, 945; Senat, Urt. v. 9.10.2009 – 10 U 2965/09 [juris] und v. 21.6.2013 – 10 U 1206/13). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]; Senat, a. a. O.); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, a. a. O.; Senat, a. a. O.). Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ist von der Berufung nicht aufgezeigt worden. Das Erstgericht hat zutreffend das Beweismaß des § 286 I 1 ZPO zugrunde gelegt und die insoweit geltenden Regeln beachtet. Nach § 286 I 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine – ohnehin nicht erreichbare (vgl. BGH NJW 1998, 2969 [2971]; Senat NZV 2006, 261; NJW 2011, 396 [397]; KG NJW-RR 2010, 1113) – absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256], VersR 2014, 632 f.; OLG Frankfurt a. M. Zfs 2008, 264 [265]; Senat VersR 2004, 124; NZV 2006, 261; NJW 2011, 396 [397]; SP 2012, 111).
Danach hat das Landgericht frei von Rechtsfehlern der Darstellung der Beklagten zu 1) geglaubt. Diese gab an, dass der Verkehr zunächst an der roten Ampel stand, wobei sie das zweite Fahrzeug auf der rechten Spur war und das klägerische Taxi rechts vor ihr auf dem Taxistand stand, sowie dass ein Paar zum Taxi ging, wobei die Frau auf der rechten Seite hinten einstieg und der Mann hinter dem Taxi herum ging und die Türe einen Spalt öffnete, dann aber bei Umschalten der Ampel auf Grünlicht und Anrollen des Verkehrs innehielt und dann vor der Türe stehen blieb.
b) Auch die vor dem Senat ergänzend durchgeführte Beweisaufnahme durch Erholung des Sachverständigengutachtens sowie die ergänzend durchgeführte Anhörung der Beklagten zu 1) gibt zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass. Die Angabe der Beklagten zu 1), sie sei als zweites Fahrzeug auf der rechten Spur vor der roten Ampel gestanden, besagt nichts über die Standposition ihres Fahrzeugs relativ gesehen zur ersten und lediglich auf der rechten Fahrspur vorhandenen zweiten Haltlinie vor der Ampel.
Hinsichtlich des seitlichen Abstandes bei der Vorbeifahrt und dem Öffnungswinkel der Tür während der Vorbeifahrt folgt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. R. von dessen hervorragender Sachkunde sich der Senat anhand einer Vielzahl erholter Gutachten und Anhörungen vor dem Senat überzeugen konnte. Dieser gelangte anhand der Schadensbilder zu einem seitlichen Abstand der Pkw-Längsseiten zueinander von 80 cm. Zur Kollision kam es, weil die Türe während der Vorbeifahrt so weit geöffnet war oder wurde. Ob die Türe während der Losfahrt der Beklagten zu 1) bereits so weit offenstand oder aber während der Anfahrt (weiter) geöffnet wurde, war aus technischer Sicht ebenso wenig rekonstruierbar wie die Kollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeugs der Beklagten zu 1). Soweit die Berufung ausführt, die Beklagte zu 1) könne wegen des Fahrgastes die geöffnete Türe gar nicht wahrgenommen haben, ist dies durch die Feststellungen des Sachverständigen nicht bestätigt. Je nach genauer Position und Winkel ist gerade im Bereich der Beine eine Vollabdeckung einer teilweise geöffneten Türe durch den Fahrgast nicht zu erwarten.
2. Der erforderliche seitliche Sicherheitsabstand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und kann den sonst beim Überholen oder der Vorbeifahrt erforderlichen Seitenabstand von 1 m durchaus unterschreiten. Zu berücksichtigen ist vorliegend, dass die Beklagte zu 1) eben erst anfuhr und der Fahrgast neben dem Taxi bei einem Abstand zwischen den Fahrzeuglängsseiten von 80 cm auf dem rechten Fahrstreifen stand. Entscheidend ist, ob die Beklagte zu 1) darauf vertrauen durfte, der Fahrgast werde in der eingenommenen Position verharren und die Türe nicht weiter öffnen. Dies ist dann der Fall, wenn die Beklagte zu 1) davon ausgehen konnte, dass die weitere Türöffnung wegen des sich in Bewegung setzenden Verkehrs nach Umschalten der Ampel auf Grün unterbleiben wird. Die Beklagte zu 1) war sich bei ihrer ergänzenden Anhörung vor dem Senat sicher, dass der Fahrgast, nachdem er um das Heck des Taxis herumgegangen war, die linke Hand am Türgriff hatte, ganz nah mit dem Körper am Auto stand und innehielt, wobei sie sich noch dachte, er hätte längst einsteigen können. Angesichts einer vom Sachverständigen bestätigten Dauer einer normalen Türöffnung (nicht Einsteigevorgang) von etwa 2 Sekunden ist aufgrund der Angaben der Beklagten zu 1) von einem längeren Zuwarten des Fahrgastes auszugehen und zwar wie von der Beklagten zu 1) geschildert bis zum Umschalten der Ampel und Anrollen des Verkehrs auf der Sonnenstraße. Soweit die Beklagte zu 1) insoweit eine Zeitspanne von einer, zwei oder drei Sekunden nannte, handelt es sich ersichtlich nur mit erheblichen Unsicherheiten behaftete Schätzungen. Entscheidend für den Senat ist die Aussage, dass die Beklagte zu 1) sich dachte, dass der Fahrgast längst hätte einsteigen können. Die genaue Zeitspanne kann nicht rekonstruiert werden; die Rotlichtphase an der besagten Ampel ist aber jedenfalls so lang, dass diese, anders als die Berufung meint, den Angaben der Beklagten zu 1) nicht entgegensteht. Insbesondere ist unbekannt, zu welchem Zeitpunkt der Rotlichtphase die Beklagte zu 1) das italienische Ehepaar erstmals wahrnahm und wo die Personen sich zu jenem Zeitpunkt genau befanden. Angesichts der Uhrzeit und der an der Unfallörtlichkeit herrschenden Verkehrsdichte kann dem Fahrgast auch nicht entgangen sein, dass sich der Verkehr wieder in Bewegung setzte.
Unter diesen besonderen Umständen bestand in dem längeren Zuwarten ein Vertrauenstatbestand dahin, der Fahrgast werde nun den Vorrang des fließenden Verkehrs beachten. Darin liegt zugleich der wesentliche Unterschied zu den vom BGH VI ZR 316/08, Urt. v. 06.10.2009 sowie vom OLG Köln, Beschl. v. 10.07.2014, Az. 19 U 57/14 [Juris] entschiedenen Fällen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.