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Verkehrsunfall – Kollision beim rückwärts Ausparken

LG Limburg – Az.: 3 S 269/11 – Urteil vom 20.04.2012

Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.10.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichtes Wetzlar – 30 C 257/10 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.022,52 EUR nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2010 zu zahlen.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, den Kläger von dem durch vorgerichtliche Tätigkeit angefallenen Gebührenanspruch der Rechtsanwälte Röhm und Kollegen, Wetzlar, in Höhe von 446,13 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.005,63 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Verkehrsunfall - Kollision beim rückwärts Ausparken
Symbolfoto: Von jpreat/Shutterstock.com

Der Kläger nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer eines unfallbeteiligten Pkws auf Ersatz des Sachschadens an seinem Pkw in Anspruch. Der Kläger und der Zeuge … – … Letzterer Halter und Fahrer des gegnerischen Pkws – sind Mitarbeiter der Firma … . Die Fahrzeuge des Klägers und des Zeugen … stießen Ende Januar 2010 auf dem Mitarbeiterparkplatz der Firma … rückwärts gegeneinander.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte hafte zu 100%. Er sei im Begriff gewesen, rückwärts auszuparken, als er bemerkt habe, dass der Zeuge … offensichtlich ohne Rückschau zu halten aus einer Entfernung von ca 5 Metern in Richtung seines Pkw zurückgestoßen sei. Er, der Kläger, habe sein Fahrzeug zum Stehen gebracht. Trotzdem sei es zur Kollision gekommen. Die Beklagte hat behauptet, der Zeuge … sei nach ausreichender Rückschau nur etwa 1 Meter zurückgefahren als es zum Zusammenstoß gekommen sei, der darauf beruht habe, dass der Kläger ohne Beachtung des fließenden Verkehrs aus der Parklücke gestoßen sei.

Das Amtsgericht hat durch Vernehmung des Zeugen … über den Unfallhergang Beweis erhoben. Zudem hat es ein Sachverständigengutachten über den in Teilen umstrittenen Umfang der notwendigen Instandsetzungsarbeiten eingeholt.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat es der Klage in der Hauptsache mit einer Quote von 75 % stattgegeben. Der Zusammenstoß beruhe vor allem auf der Rückwärtsfahrt des Zeugen … über eine Strecke von 4- 5 Metern ohne ordnungsgemäße Rückschau. Letzteres hatte der Zeuge Cornelius in seiner Vernehmung mehr oder weniger eingeräumt (und damit den Beklagtenvortrag widerlegt). Es könne offen bleiben, ob das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision gestanden habe oder nicht. Denn die Dauer des etwaigen Stillstandes des Fahrzeuges vor der Kollision könne auch durch einen Sachverständigen nicht festgestellt werden. Das Amtsgericht lässt offen, ob es den Haftungsanteil des Klägers aus der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges ableitet.

Im Hinblick auf die Nebenforderungen hat es die Klage abgewiesen, soweit der Kläger Freistellung von den auf die Einholung einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung angefallenen Anwaltsgebühren und einer über den Satz von 1,3 hinausgehend in Höhe eines 1,8-fachen Satzes geltend gemachten Geschäftsgebühr gefordert hat.

Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser seine erstinstanzlichen Anträge mit Ausnahme der Freistellung von den mit der Einholung der Deckungszusage verbundenen Kosten weiterverfolgt. Die Tatsachenfeststellung des Amtsgerichtes sei unvollständig. Es habe rechtsfehlerhaft keinen Beweis über die Behauptung des Klägers eingeholt, sein Fahrzeug habe zum Zeitpunkt der Kollision gestanden. Hieraus ergebe sich aber die Unabwendbarkeit des Unfalles aus Sicht des Klägers. Das Amtsgericht habe bei der teilweisen Aberkennung des Freistellungsanspruches bezüglich der Geschäftsgebühr verkannt, dass dem Anwalt nach neuester Rechtsprechung des BGH bei der Bemessung der angemessenen Gebührenhöhe ein Beurteilungsspielraum von 20% verbleibe, der hier nicht überschritten worden sei. Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die Berufung ist insgesamt zulässig. In der Sache hat sie überwiegenden Erfolg:

1. Die Klage ist in der Hauptsache begründet. Die Beklagte haftet dem Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichtes zum Unfallhergang zu 100 %. Die amtsgerichtliche Annahme einer klägerischen Mithaftungsquote von 25 % weist Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers auf:

Das Amtsgericht führt zu Recht aus, dass dem Zeuge … ein erheblicher Verstoß gegen die erhöhten Sorgfaltsanforderungen an den Rückwärtsfahrenden (§ 9 Abs. 5 StVO) nachgewiesen ist. Für eine anteilige Mithaftung des Beklagten besteht jedoch keine tatsächliche Grundlage:

a) Ein Mitverschulden des Klägers setzte die Feststellung voraus, dass das klägerische Fahrzeug sich zum Zeitpunkt der Kollision noch in Bewegung befunden hat, der Kläger also – entgegen seiner Darstellung – nicht sachgerecht auf die erkennbar werdende Gefahr des sich in Rückwärtsfahrt nähernden Fahrzeuges des Zeugen … reagiert hat. Diese Feststellung hat das Amtsgericht aber gerade nicht getroffen. Dies geht zu Lasten der für ein Mitverschulden des Klägers darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten.

b) Die Herleitung einer klägerischen Mithaftung unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr kommt ebenso wenig in Betracht.

Es bedarf keiner Klärung, ob die Einholung des klägerseits angeregten Sachverständigengutachtens dem Kläger den Nachweis der Unabwendbarkeit des Zusammenstoßes im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG ermöglicht haben würde. Die Kammer kann insoweit auch offenlassen, ob hierzu allein der Nachweis des Stillstandes des Fahrzeuges im Zeitpunkt der Kollision oder aber zusätzlich ein Mindestzeitraum zwischen Stillstand und Kollision zu fordern wäre. Denn die Betriebsgefahr tritt unter Berücksichtigung der tatsächlichen Feststellungen bereits hinter das ganz erhebliche Ausmaß des Verschuldens des Zeugen … zurück. Dessen Hinweis in seiner Vernehmung darauf, dass er den Kläger (persönlich) vor der Kollision nicht gesehen habe, belegt, dass der Zeuge bei Antritt der Rückwärtsfahrt in erster Linie darauf vertraute, eine Fahrzeugbewegung im rückwärtigen Verkehrsraum sei auszuschließen, da er in der vorausgegangenen minutelangen Wartezeit keine Personen auf dem Weg zu ihren dort abgestellten Fahrzeugen wahrgenommen hatte. Auch die erhebliche, ohne echte Rückschau zurückgelegte Strecke von bis zu 5 Metern ist Beleg für eine den Anforderungen des § 9 Abs. 5 StVO widersprechende, erheblich überdurchschnittliche Sorglosigkeit.

2. Die Beklagte schuldet dem Kläger die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren unter Zugrundelegung des vollen Streitwertes von 4.022,52 EUR. In Bezug auf den angefochtenen Abzug von der geforderten 1,8 fachen Geschäftsgebühr hat die Berufung keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Recht lediglich die für Angelegenheiten durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung angemessene 1,3 fache Rahmengebühr als ersatzfähig anerkannt. Anhaltspunkte für eine überdurchschnittliche Schwierigkeit oder Bedeutung der Angelegenheit sind weder dargelegt worden, noch auf sonstige Weise ersichtlich geworden. Auch der Hinweis auf das Ermessen des Rechtsanwaltes bei der Bestimmung der angemessenen Rahmengebühr verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Für Rahmengebühren entspricht es zwar allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 % (sog. Toleranzgrenze) zusteht (BGH NJW 2011, 1603 zitiert aus juris). Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen. Mit der Erhöhung um 0,5 haben die Rechtsanwälte des Klägers die Toleranzgrenze aber entgegen ihrer Einschätzung nicht eingehalten. Vielmehr überschreitet ihr Verlangen die angemessene 1,3-fache Gebühr um gut 38 %. Bei einer derartigen Überschreitung des Festlegungsermessens verbleibt es bei der angemessenen Gebühr; für eine anteilige Erhöhung derselben bis zur oberen Toleranzgrenze besteht keine Veranlassung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 ZPO. Von Schuldnerschutzanordnungen hat die Kammer abgesehen, da die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen, § 713 ZPO.

Die Revision war gemäß 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung, da er keine entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und klärungsfähigen Rechtsfragen aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen oder die Interessen der Allgemeinheit berühren; ebenso erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Zulassung.

 

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