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Vorfahrtsverstoß Radfahrer und Verstoß Fahrzeugführer gegen Rechtsfahrgebot

AG Heidelberg, Az.: 28 C 169/12, Urteil vom 31.05.2013

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.125,54 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.06.2012 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten von 155,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 09.08.2012 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich unstreitig am 30.04.2012 in Heidelberg-Kirchheim ereignet hat. Beteiligt war die Klägerin mit einem von ihr geführten Fahrrad, auf Beklagtenseite ein PKW Marke Opel Frontera mit Anhänger, geführt vom Beklagten zu 2) und versichert bei der Beklagten zu 1).

Vorfahrtsverstoß Radfahrer und Verstoß Fahrzeugführer gegen Rechtsfahrgebot
Symbolfoto: Zatevakhin/Bigstock

Die Klägerin hatte am Unfalltag gegen 14.00 Uhr mit ihrem Fahrrad in Heidelberg-Kirchheim einen in nördlicher Richtung verlaufenden Feldweg benutzt, der in den S mündet. Der Beklagte zu 2) befuhr mit seinem Pkw und einem Anhänger mit seitlich überstehender Ladung den S, als sich die Klägerin auf dem von links kommenden Feldweg mit ihrem Fahrrad näherte. Es kam zur Kollision mit der nach rechts in den S einbiegenden Klägerin, wobei diese mit der linken Hand an der überstehenden Ladung des Anhängers hängen blieb.

Die Klägerin erlitt Verletzungen an der Hand; sie war von 30.04. bis 14.05.2012 arbeitsunfähig. Neben ihrem Fahrrad wurden ihre Brille und ihre Uhr beschädigt, wobei die Schadenshöhe teils streitig ist.

Folgende Schadenspositionen sind unstreitig (Summe: 637,86 €):

  • – Reparaturkosten des beschädigten Fahrrads: 543,25 € brutto;
  • – Unkostenpauschale: 25,00 €;
  • – Eigenanteil Ergotherapie: 37,00 €;
  • – Schmerzmittel und Verbandmaterial: 32,61 €.

Mit mehreren anwaltlichen Schreiben wurden die Beklagten unter Setzung einer Zahlungsfrist zum 06.06.2012 erfolglos zur Zahlung aufgefordert.

Die Klägerin behauptet:

Der S sei lediglich für landwirtschaftlichen Verkehr freigegeben; der Beklagte zu 2) habe diesen verbotswidrig genutzt. Die Klägerin sei mit äußerst geringer Geschwindigkeit mit ihrem Fahrrad nach rechts in den S eingebogen. Der Beklagte zu 2) habe nicht die rechte Fahrbahnseite eingehalten, sondern sei am äußeren linken Fahrbahnrand des 4 m breiten S gefahren.

Durch den Unfall sei der Klägerin auch folgender Schaden entstanden:

  • – voraussichtliche Reparaturkosten der Brille: 1.144,00 € brutto;
  • – Reparaturkosten der Uhr: 425,00 € brutto;
  • – unfallbedingter Verdienstausfall: 294,25 €.

Die Klägerin beantragt: Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 2.501,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.06.2012 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 316,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, Klagabweisung.

Sie tragen vor: Die Klägerin habe nicht auf die Vorfahrt rechts vor links geachtet; sie sei nicht mit angepasster Geschwindigkeit gefahren. Der Beklagte zu 2) habe sich als Feuerwehrmann auf einer Dienstfahrt befunden. Er habe im Bereich der Mündung wenden wollen.

Die Beklagten sind der Auffassung, beim Schaden an der Brille sei ein Abzug neu für alt zu berücksichtigen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und ….. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 15.04.2013 Bezug genommen. Die polizeilichen Unfallakten waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.

1.

Grundsätzlich haben die Beklagten für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens vom 30.04.2012 gemäß §§ 7, 18 StVG, 115 VVG, 1 PflVG einzustehen, weil die Unfallschäden beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind. Etwas anderes ergibt sich vorliegend weder unter dem Gesichtspunkt der höheren Gewalt noch des unabwendbaren Ereignisses im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG. Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein »Idealfahrer« verhalten haben (vgl. OLG München, Urt. Vom 12.08.2011, 10 U 3150/10). Dies können die Beklagten hier nicht für sich in Anspruch nehmen, weil, wie im Folgenden dargestellt werden wird, ihnen ein gefahrerhöhendes Fehlverhalten anzulasten ist. Gleiches gilt für die Klägerin.

Eine Haftung der Beklagten ist auch nicht nach Grundsätzen der Amtshaftung ausgeschlossen. Insoweit konnte es offen bleiben, ob sich der Beklagte zu 2) als Feuerwehrmann auf einer Dienstfahrt befand. Denn die Gefährdungshaftung nach Straßenverkehrsgesetz steht neben einer möglichen Amtshaftung (Palandt, BGB, 72. Auflage, Rn. 16 zu § 839). Eine Vernehmung des als Zeugen benannten Abteilungskommandanten … war daher entbehrlich. Eine eilige Einsatzfahrt lag unstreitig nicht vor.

2.

Im Rahmen der gebotenen Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Unfallbeteiligten gemäß §§ 9 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 254 BGB dürfen neben der von den beteiligten Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr ausschließlich unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände eingestellt werden (vgl. BGH NJW 2007, 506 und LG Heidelberg, Urt. vom 07.03.2012, 4 S 4/11). Dabei hat nach den allgemeinen Beweislastregeln jede Partei diejenigen Umstände zu beweisen, die der anderen zum Verschulden gereichen und aus denen sie für die vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZW 1996, 231).

Das Gericht war nicht gehalten, mittels Sachverständigengutachten eine weitere Aufklärung des Unfallgeschehens zu versuchen, weil aufgrund mangelnder Spuren auf der Fahrbahn und an den Fahrzeugen eine eindeutige Rekonstruktion – insbesondere hinsichtlich der gefahrenen Geschwindigkeiten – ohnehin nicht möglich sein wird. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme gilt Folgendes:

a.

Zu Lasten der Klägerin war ein gravierender Vorfahrtverstoß zu berücksichtigen, weil sie sich nicht an die Regel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO (rechts vor links) gehalten hat. Davon, dass der Abbiegevorgang der Klägerin im Kollisionszeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen wäre, kann nach der durchgeführten Beweisaufnahme keine Rede sein.

Hingegen haben die Beklagten keine Geschwindigkeitsüberschreitung durch die Klägerin nachzuweisen vermocht. Der Zeuge … hat hierzu angegeben, er gehe nach dem Unfall geschehen davon aus, dass beide Fahrzeuge nicht besonders schnell gewesen seien. Der Zeuge … hat angegeben, er könne nicht sagen, dass die Radfahrerin mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei, auch wenn diese schon stramm gefahren sei.

b.

Zu Lasten der Beklagten war zunächst zu berücksichtigen, dass die rechte Fahrspur nicht eingehalten wurde, so dass ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1, 2 StVO vorliegt. Wenn auch die Vorfahrt sich grundsätzlich auf die gesamte Fahrbahn erstreckt, führt ein solcher Verstoß doch zu einer anteiligen Haftung (Grüneberg, Haftungsquoten, 12. Auflage, Rn. 45). Dass der Beklagte zu 2) auf dem S sehr weit nach links geraten ist, ergibt sich insbesondere aus den Angaben des Zeugen Stefan Böhm, der aufgrund der Fahrweise sogar vermutet hat, der Beklagte zu 2) habe versuchen wollen, unter Mitbenutzung des einmündenden Feldwegs in einem Zug zu wenden. Der Zeuge … hat bekundet, zwischen Ladung und linkem Fahrbahnrand sei lediglich noch ein Abstand von 25 cm gewesen.

Zu Lasten der Beklagten war weiter zu berücksichtigen, dass die für andere Verkehrsteilnehmer schlecht wahrnehmbare Ladung seitlich überstand, so dass ein Verstoß gegen § 22 Abs. 5 S. 2 StVO vorgelegen hat. Dieser hat sich im vorliegenden Unfallgeschehen sogar besonders gravierend ausgewirkt. Dass die Ladung seitlich überragte, wurde von Beklagtenseite schon nicht substantiiert bestritten. Auch aus den Angaben der beiden Zeugen folgt, dass die Ladung rechts und links überstand. Anders wäre auch das Unfallgeschehen nicht zu erklären.

Hingegen hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass der Beklagte zu 2) eine gesperrte Straße befahren hätte, was sich allerdings zusätzlich zu seinen Lasten ausgewirkt hätte (Grüneberg, Haftungsquoten, 12. Auflage, Rn. 49). Während der Zeuge … hierzu keine sicheren Angaben machen konnte, hat … bekundet, es handle sich beim S um eine ganz normale Straße. Den polizeilichen Unfallakten ist eine Sperrung nicht zu entnehmen.

c.

Bei der Bewertung und Abwägung der festgestellten Verursachungsbeiträge scheidet eine schematische Quotenbildung aus. Stets ist den Besonderheiten des konkreten Falls Rechnung zu tragen (LG Heidelberg, a.a.O.). Das Gericht hat bei der Abwägung insbesondere berücksichtigt, dass von dem Gespann des Beklagten zu 2) mit der überstehenden Ladung eine erhebliche und für andere Verkehrsteilnehmer schwer erkennbare Gefahr ausging. Andererseits lag auf Seiten der Klägerin eine eindeutige Vorfahrtsverletzung vor.

Vor diesem Hintergrund bemisst das Gericht Betriebsgefahr und Verursachungsbeitrag auf Beklagtenseite mit 50 %.

3.

Über den unstreitig entstandenen Schaden in Höhe von 637,86 € hinaus hat das Gericht zu Gunsten der Klägerin folgende Schadenspositionen berücksichtigt:

Mit vorgelegter Lohnabrechnung vom Mai 2012 (Aktenseite 69) hat die Klägerin einen Verdienstausfall von 226,88 € nachgewiesen. Weil sie selbst behauptet, lediglich bis 14.05.2012 arbeitsunfähig gewesen zu sein (Klagschrift), waren die Fehlzeiten vom 16. und 15.05.2012 nicht zu berücksichtigen.

Durch Rechnung vom 27.09.2012 hat die Klägerin Reparaturkosten für ihre beschädigte Uhr in Höhe von 425,00 € nachgewiesen.

Bei der Brille hat das Gericht zwar keinen Abzug neu für alt als angezeigt erachtet, die Klägerin hat jedoch nicht nachgewiesen, dass die Brille auch tatsächlich repariert wurde. Hierzu wurde lediglich ein Kostenvoranschlag vorgelegt (As. 17). Weil der Anfall der darin enthaltenen Mehrwertsteuer nicht nachgewiesen ist, war lediglich der Nettobetrag zu berücksichtigen (961,34 €).

Es ergibt sich ein Gesamtschaden von 2.251,08 €. Hierfür kann die Klägerin hälftigen Ersatz verlangen, also 1.125,54 €.

4.

Unter Verzugsgesichtspunkten ist dieser Betrag zu verzinsen; die Beklagten schulden darüber hinaus vorgerichtliche Anwaltskosten aus dem zuerkannten Betrag (155,30 €). Rechtshängigkeit ist im Übrigen am 09.08.2012 eingetreten.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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