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Verkehrsunfallhaftung – aus Parkbucht rückwärts ausgeparkt in fließenden Verkehr

AG Oldenburg (Holstein), Az.: 32 C 114/14, Urteil vom 02.06.2015

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1401,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.09.2014 und 64,62 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.09.2014 zu zahlen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Der Streitwert wird auf bis zu 1.500,- € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.

Verkehrsunfallhaftung - aus Parkbucht rückwärts ausgeparkt in fließenden Verkehr
Symbolfoto: Von Black Rock Digital /Shutterstock.com

Am 8.4.2014 befuhr der Kläger mit dem in seinem Eigentum stehenden Fahrzeug Kia Sorento (amtliches Kennzeichen: …) die Wiesenstraße in 23730 Neustadt-Pelzerhaken. Am Unfallort befindet sich eine straßenbauliche Gestaltung mit Bushaltestelle und Parkbuchten. Zur Veranschaulichung der Unfallörtlichkeit wird auf die als Anlagen B1 und B2 vorgelegten Lichtbilder verwiesen. Ausgehend von dem als Anlage B1 vorgelegten Lichtbild befuhr der Kläger den Fahrbahnbereich rechts neben der Verkehrsinsel mit dem Bushaltestellenzeichen in Fahrtrichtung der Wiesenhofstraße bei reduzierter Geschwindigkeit, um einen Parkplatz zu suchen. Der Beklagte zu 1) als Fahrer des bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen … parkte mit seinem Fahrzeug links neben den auf der rechten Seite gelegenen Parkbuchten auf dem durch einen Bordstein abgegrenzten erhöhten Bereich. Zur Veranschaulichung wird auf die als Anlage K1 vorgelegte Unfallskizze des Klägers verwiesen. Der Beklagte zu 1) parkte rückwärts aus, um in Fahrtrichtung weiterfahren zu können. Dabei kollidierte der klägerische Pkw – Anstoßstelle hinten rechts – mit dem von dem Beklagten zu 1) geführten Pkw – Anstoßstelle hinten links.

Dem Kläger entstand durch diesen Unfall folgender Schaden:

1. Reparaturkostenrechnung 1.771,84 €

2. Mietwagenrechnung   395,37 €

3. Wertminderung   100,00 €

4. Sachverständigenrechnung   515,87 €

5. Kostenpauschale   25,00 €

2.808,08 €

Die Beklagte zu 2) nahm nach vorgerichtlicher Korrespondenz eine Haftungsquote von 50 % an und leistete eine Zahlung von insgesamt 1406,25 €. Mit der Klage macht der Kläger den danach verbleibenden Restbetrag von 1401,83 € geltend. Er begehrt außerdem Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, berechnet nach einem Gegenstandswert von 2.808,08 € und einer 1,3 Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale und 19 % Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 334,75 €, abzüglich vorgerichtlich gezahlter 270,13 €, mithin 64,62 €.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 1.401,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger als nicht streitwerterhöhende Nebenforderung 64,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, sie würden für den Schaden nur nach einer Quote von 50 % haften. Die Flächen zwischen der Verkehrsinsel und den rechts davon angelegten Parkbuchten würden erkennbar nicht zur Fahrbahn des Wiesenweges gehören. Sie dienten ausschließlich dem Zweck des Haltens für Busse und der Anfahrt zu den Parkbuchten. Es handele sich daher um eine typische Parkplatzsituation, in der von allen Verkehrsteilnehmern eine gesteigerte Rücksichtnahme gefordert sei.

Das Gericht hat den Kläger und den Beklagten zu 1) persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 24.04.2015 Bezug genommen. Zu Ergänzung des Tatbestands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf den geltend gemachten Schadensersatz gegen die Beklagte zu 2) aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG und gegen den Beklagten zu 1) aus § 18 Abs. 1 StVG.

Durch den Betrieb des bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs ist eine Sache, nämlich das Fahrzeug des Klägers, beschädigt worden. Der Beklagte zu 1) als Führer des bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs hat diesen Schaden fahrlässig verursacht.

Gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie dessen Umfang von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Haftungsanteile sind nur unstreitige, zugestandene oder erwiesene Tatsachen zu berücksichtigen. Vermutungen haben außer Betracht zu bleiben. Heranzuziehen sind daher die beiderseitigen objektiven Unfallursachen, das Verschulden der Fahrer sowie die Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge.

Nach diesen Grundsätzen haben hier die Beklagten den dem Kläger entstandenen Schaden allein zu tragen.

Der Beklagte zu 1) hat gegen die Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO bzw. § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, wonach sich der rückwärts Fahrende so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Es kann dahinstehen, ob angesichts der straßenbaulichen Gestaltung am Unfallort die Unfallsituation einer Parkplatzsituation gleichgestellt werden kann. Der Umstand, dass der rechtsseitig der Verkehrsinsel belegene Fahrbahnbereich im Einfahrtsbereich nicht baulich (z.B. durch einen abgesenkten Bordstein) oder durch ein Verkehrszeichen von der regulären Fahrbahn der Wiesenstraße abgegrenzt ist und zumindest auch dem Verkehr anfahrender und abfahrender Busse dient, spricht eher dagegen. Zugunsten der Beklagtenseite kann eine Parkplatzsituation allerdings unterstellt werden.

Denn auch in einer Parkplatzsituation besteht ein Anscheinsbeweis für das Verschulden des aus einer Parkbucht rückwärts Ausparkenden, wenn dieser mit einem auf der „Parkplatzfahrbahn“ fahrenden Fahrzeug kollidiert (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 09. Oktober 2014, Az. 4 U 46/14, juris). Dabei kann dahinstehen, ob die Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVG unmittelbar oder nur sinngemäß im Rahmen des Gebots der allgemeinen Rücksichtnahme aus § 1 Abs. 2 StVO Anwendung finden (vgl. zum Streitstand a.a.O., juris Rn. 34 f). Die Beklagtenseite hat keine Umstände dargelegt, die den bestehenden Anscheinsbeweis erschüttern könnten.

Der Beklagte zu 1) hat außerdem gegen das Gebot aus § 2 Abs. 1 StVO verstoßen, mit seinem Fahrzeug (nur) die Fahrbahn zu benutzen. Das Parken auf dem Gehweg ist unzulässig, wenn dieses nicht ausdrücklich erlaubt ist (vgl. § 12Abs. 4, 4a StVO). Wie aus den vorgelegten Lichtbildern ersichtlich und vom Beklagten zu 1) im Rahmen seiner persönlichen Anhörung eingeräumt hat der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug neben der letzten Parkbucht auf dem zum Gehweg gehörenden Bereich jenseits des erhobenen Bordsteins gestanden.

Ein Verschulden des Klägers ist hingegen nicht festzustellen. Insbesondere ist nicht festzustellen, dass er gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Selbst wenn man zugunsten der Beklagten eine Parkplatzsituation annehmen würde (was auch angesichts des unerlaubten Parkens des Beklagtenfahrzeugs fraglich erscheint) und aus diesem Grund ein Fahren auf der „Parkplatzfahrbahn“ in ständiger Bremsbereitschaft fordern würde, kann ein Sorgfaltsverstoß des Klägers nicht festgestellt werden. Der Kläger hat – persönlich angehört – nachvollziehbar und unwidersprochen ausgeführt, dass er vor der Kollision ganz langsam gefahren sei, weil er selbst nach einem Parkplatz gesucht habe. Danach kann auch angesichts der Unfallörtlichkeit unter Berücksichtigung des abgesenkten Bordstein im Ausfahrtsbereich nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger erheblich schneller als Schrittgeschwindigkeit gefahren ist.

Die Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG führt zur Alleinhaftung der Beklagten. Dabei wirkt sich zusätzlich zum Verstoß des Beklagten zu 1) gegen die Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren aus, dass dieser unerlaubt auf dem Gehweg parkte, vom dem ein Ausparken bei regulärem Verhalten nicht zu erwarten war. Somit trifft den Beklagten in zweierlei Hinsicht ein Verschulden, während ein Verschulden des Klägers nicht feststellbar ist. Dies führt dazu, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers hinter den Verursachungsbeiträgen des Beklagten zu 1) gänzlich zurücktritt (vgl. auch OLG München, Urteil vom 14.02.2014, Az. 10 U 2815/13, beck-online: regelmäßig Alleinhaftung des rückwärts Ausparkenden, wenn dieser den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttern kann).

Der geltend gemachte Schaden ist der Höhe nach unstreitig.

Die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten können als erforderliche Kosten der Rechtsverfolgung als Teil des zu ersetzenden Schadens verlangt werden. Die anwaltliche Geschäftsgebühr für einen durchschnittlichen Verkehrsunfall ist mit 1,3 anzusetzen (BGH, Urteil vom 31.10.2006, Az. VI ZR 261/05, VersR 2007, 265) und hier zutreffend berechnet.

Die Zinsansprüche folgen aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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