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Verkehrsunfall: Wann ist die Hinzuziehung eines KFZ-Sachverständigen erforderlich und zweckmäßig?

AG Bremen, Az.: 9 C 199/17

Urteil vom 25.01.2018

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 297,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über Basiszinssatz jährlich seit dem 26.08.2017 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtstreits tragen die Klägerin zu 12 % und die Beklagte zu 88 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erstattung von KFZ-Sachverständigenkosten.

Verkehrsunfall: Wann ist die Hinzuziehung eines KFZ-Sachverständigen erforderlich und zweckmäßig?
Symbolfoto: wsf-b/Bigstock

Die Klägerin betreibt ein KFZ-Sachverständigenbüro. Am 09.08.2017 ereignete sich in Bremen ein Verkehrsunfall, den ein Versicherungsnehmer der Beklagten verschuldete. Die Unfallgeschädigte J… beauftragte sodann mit Erklärung vom 11.08.2017 (Bl. 6 d.A.) die Klägerin mit der Schadensfeststellung.

Die Klägerin bezifferte den Schaden an dem Fahrzeug der Unfallgeschädigten mit 904,66 € brutto gemäß Gutachten vom 15.08.17 (Bl. 11 ff. d.A.) und forderte die Beklagte zur Zahlung der in Höhe von 339,15 bezifferten Honorarvergütung auf (Bl. 23 d.A.).

Mit Schreiben vom 23.08.17 und 24.08.17 lehnte die Beklagte die Zahlung des Gutachterhonorars ab.

Die Klägerin trägt vor, dass die Beklagten entsprechend ihrer Haftungsübernahmeerklärung vom 09.08.2017 auch die Erstattung der Schadensfeststellungskosten aus abgetretenem Recht schulde.

Die Klägerin beantragt: Die beklagte Partei wird verurteilt, an die klagende Partei 339,15 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über Basiszinssatz jährlich seit dem 25.08.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin mangels rechtswirksamer Abtretung nicht aktiv legitimiert sei. Die Einholung des Gutachtens sei nicht erforderlich gewesen, da es sich um einen Bagatellschaden handele. Die Kosten für das KFZ-Gutachten seinen überhöht, da die Fertigung von 6 Bildern, die Erstellung des zweiten Fotosatzes sowie Portokosten nicht erforderlich gewesen seien. Ferner läge ein Verstoß gegen das RDG vor, wenn die Schadensregulierung durch Sachverständige betrieben werde. Außerdem habe das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt nicht im Eigentum der Zedentin gestanden.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 21.12.2017 einen rechtlichen Hinweis erteilt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet; es besteht in titulierter Höhe ein Zahlungsanspruch aus §§ 7 StVG, 249 BGB, 115 VVG:

Die Klägerin ist aus abgetretenem Recht aktivlegitimiert. Sie ist Inhaberin des ursprünglich der Geschädigten J… zustehenden Schadensersatzanspruchs – gerichtet auf Erstattung des Sachverständigenhonorars – geworden.

Die Geschädigte J… war seinerzeit Fahrerin des beschädigten Fahrzeugs. Insofern ist ihre Eigentümerstellung zu vermuten (§ 1006 BGB). Die Beklagte hat pauschal die Eigentümerstellung der Zedentin bzw. deren Besitz bestritten und nicht bezeichnet, wer seinerzeit Eigentümer/Besitzer des beschädigten Fahrzeugs Hyundai S… gewesen sein soll. Entsprechende Hinweise müsste die Beklagte über ihren Versicherungsnehmer bzw. im Zuge der Unfallaufnahme jedoch erhalten haben, weshalb ein Bestreiten mit Nichtwissen unzulässig ist. Schließlich kann die ursprüngliche Aktivlegitimation der Zedentin nicht partiell bestritten werden; den Reparaturschaden hat die Beklagte auf Basis ihrer Haftungsübernahmeerklärung aber offenbar an die Zedentin geleistet. Im Übrigen wurde der Abtretungsvertrag offenbar auch vom Ehemann der Zedentin unterzeichnet (vgl. Bl. 6 d.A.).

Ein wirksamer Abtretungsvertrag liegt vor. Die von der Unfallgeschädigten unterzeichnete Formularerklärung vom 15.08.2017 liegt der Akte bei (Bl. 52 d.A.). Da die Abtretung formfrei möglich ist (Palandt, 77. A., § 398, Rn. 6) ist die Überlassung des Formulars der Klägerin als Erklärung eines Abtretungsangebot zu bewerten, welches durch die Unterschrift der Geschädigten sodann angenommen wurde. Die abzutretende Forderung war auch ausreichend bestimmt. Bei einer künftigen Forderung ist dies der Fall, wenn diese zumindest bestimmbar bezeichnet ist (Palandt, 77. A., § 398, Rn. 11, 14). In dem vorformulierten Abtretungsformular wird die abzutretende Forderung genau und unmissverständlich bezeichnet. Der Abtretungsvertrag ist auch nicht gemäß § 134 BGB i.V.m. den Vorschriften des RDG nichtig; vielmehr sind Abtretungsklausel wie die Vorliegende üblich und rechtswirksam (vgl. BGH, VersR 2018, 114 m.w.N. zur BGH-Rspr.).

Die Kosten für ein Sachverständigengutachten sind als Schadensfeststellungskosten im Rahmen des § 249 II S. 1 BGB grundsätzlich zu ersetzen, soweit diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind (Palandt, 77. A., § 249, Rn. 58). Denn die Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 – VI ZR 76/16 -Rn. 6, juris). Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung der ihm entstandenen Schäden einzuholen. Dies gilt allerdings im Rahmen der Schadensminderungspflicht dann nicht, wenn der Schaden unterhalb der Bagatellgrenze liegt. Die Bagatellgrenze ist nach der Rechtsprechung des BGH bei 700 € anzusiedeln (BGH, Urteil vom 30. November 2004 – VI ZR 365/03 -, juris; Palandt, 77. A., § 249, Rn. 58). Dabei differenziert der BGH nicht, ob es sich um einen Netto- oder Bruttobetrag handelt. Andere Gerichte gehen von einer höheren Bagatellgrenze aus. Das LG Arnsberg legt unter Berücksichtigung allgemeiner Preissteigerungen (Erhöhung der Reparaturpreise sowie in diesem Zusammenhang steigender Verbraucherpreisindex) seiner Entscheidung die Bagatellgrenze in Höhe von 1.000,00 € zu Grunde. Außerdem vertritt das Gericht die Auffassung, dass bei einem Bagatellschaden der Geschädigte kein Gutachten einholen dürfe, es reiche ein Kostenvoranschlag einer Werkstatt aus. Bei geringfügigen Schäden sei für den Geschädigten aufgrund der äußeren Umstände in der Regel erkennbar, dass keine größeren Schäden zu erwarten seien (LG Arnsberg, Urteil vom 07. Dezember 2016 – 3 S 54/16 -, Rn. 4, juris). Auch das AG Menden setzt die Grenze bei ca. 1.000,00 € an (vgl. AG Menden, Urteil vom 05. März 2015 – 4 C 325/14 – juris). Verbreiteter ist unter den Gerichten allerdings die Annahme einer niedrigeren Bagatellgrenze von rund 500 € bis 750 € (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 20.01.2006 – 4 U 49/05 – juris) oder 700 € bis 800 € (vgl. AG Hamm, Urteil v. 03.09.2012 – 24 C 567/11 – juris; vgl. auch Palandt, 77. A. (2018), a.a.O.: 700 €).

Nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist die Bagatellgrenze vorliegend nicht unterschritten worden. Entscheidend ist nämlich der Bruttoreparaturbetrag, der vorliegend bei 904,66 € liegt. Dass die Reparatur im Zeitpunkt der Beauftragung naturgemäß noch nicht durchgeführt wurde – und also eine erstattungsfähige Reparaturkostenposition im Sinne des § 249 II 2 BGB nicht vorliegt – ist unerheblich. Denn grundsätzlich darf der private Geschädigte im Fall der späteren Reparaturbeauftragung den Bruttobetrag ersetzt verlangen, weshalb sich die vorweg zu bestimmende Billigkeitsgrenze auch an diesem Wert zu orientieren hat. Andernfalls würde ein ungewisser, nachträglicher Umstand (tatsächliche, vollumfängliche Reparatur durch einen Fachbetrieb) darüber entscheiden, ob die bereits angefallenen Schadensfeststellungskosten erstattungsfähig sind, oder nicht. Dies widerspräche dem Bedürfnis der Unfallbeteiligten nach Rechtssicherheit, zumal die Zedentin ihren PKW, sofern noch nicht geschehen, zukünftig noch reparieren lassen kann.

Die Reparaturkosten befinden sich folglich oberhalb der von dem BGH bestimmten Bagatellgrenze von 700 €, selbst wenn man diese inflationsbereinigt geringfügig erhöhen wollte. Insofern kann dahinstehen, ob ein Kostenvoranschlag einer Fachwerkstatt – mit einer vergleichbaren Aussagekraft – nicht gleichfalls vergütungspflichtig gewesen wäre.

Die Hinzuziehung des KFZ-Sachverständigen war vorliegend erforderlich und zweckmäßig. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Es kommt darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte (vgl. Senatsurteile BGHZ 54, 82, 85 und 61, 346, 349 f.; Geigel/Rixecker, Der Haftpflichtprozeß, 24. Aufl., 3. Kap., Rn. 111; BGH, Urteil vom 30. November 2004 – VI ZR 365/03 -, Rn. 17, juris).

Die geschädigte Partei konnte als Laie nicht erkennen, welchen Umfang der aus dem Unfall resultierende Schaden hat. Für einen fachunkundigen Menschen ist nur schwer erkennbar, was sich hinter den äußerlichen Schadenserscheinungen wie Kratzern oder Verformungen verbirgt und ob auch innere Bauteile (z.B. Sensoren des Parkassistenten) beschädigt sind. Außerdem ist der Austausch einzelner Bauteile meist kostspielig und die Schäden sind nicht anders als durch den kompletten Austausch der beschädigten Teile zu beheben. Die Neulackierung reicht zur Schadensbeseitigung nicht immer aus; so wurde vorliegend eine Verformung der Stoßfängerabdeckung protokolliert (Bl. 13 d.A.). Die Unfallgeschädigte konnte deswegen nicht vorab darauf vertrauen, dass die Schäden mit geringfügigen Mittel zu beseitigen sein werden. Der Sinn und Zweck eines KFZ-Schadengutachtens liegt gerade darin, das für einen Laien auf den ersten Blick nicht erkennbare Ausmaß der Schäden zu ermitteln. Dass die Einholung eines Kostenvoranschlages ausreichend gewesen wäre, hätte vorausgesetzt, dass die Geringfügigkeit der Schäden für die Unfallgeschädigte erkennbar gewesen ist. Dies war hier nicht der Fall. Auch handelte es sich nicht um einen Bagatellschaden.

Der Höhe nach sind die Kosten für das KFZ-Gutachten überwiegend erstattungsfähig:

Die Kosten sind sogar dann zu erstatten, wenn diese übersetzt sind (Palandt, 77. A., § 249, Rn. 58). Der Geschädigte hat generell keine Pflicht, zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen zu betreiben (AG Frankenthal, Urteil vom 12. Oktober 2016 – 3a C 170/16 -, Rn. 5, juris). Er darf sich an einen ortsansässigen KFZ-Gutachter wenden. Solange das Honorar nicht in einem auffälligen Verhältnis zu den üblichen Marktpreisen steht, ist die Honorarhöhe nicht zu beanstanden.

Es ist auch nicht erforderlich, dass die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht; denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt (BGH, Urteil vom 30. November 2004 – VI ZR 365/03 -, Rn. 18, juris).

Das Honorar, das sich im Bereich des BVSK-Korridors befindet, ist als branchenüblich anzusehen und nicht zu beanstanden (AG Frankenthal, Urteil vom 12. Oktober 2016 – 3a C 170/16 -, Rn. 7, juris).

Was die Höhe des Grundhonorars betrifft, liegt diese mit 250 € netto innerhalb des BVSK-Korridors 2015 (Bl. 58 d.A.) und ist nicht überhöht.

Die berechneten Nebenkosten erscheinen dem erkennenden Gericht angesichts der Digitalisierung und unter Beachtung der neuen BGH-Rechtsprechung jedoch evident übersetzt (vgl. BGH Urt. v. 24.10.2017, VI ZR 61/17, S. 16 ff., juris). Es handelt sich erkennbar nicht um echte Auslagenerstattung, sondern um versteckte Gewinnpositionen. Denn die Fertigung von wenigen Digitalfotografien verursacht praktisch keine Kosten; zudem werden Gutachten heutzutage regelmäßig als PDF-Anhang per Mail versendet. Außerdem beinhaltet ein Schadensgutachten immer eine gewisse Anzahl an Fotografien und muss dem Kunden zwangsläufig übermittelt werden. Insofern sind diese Standardkosten bereits in das Grundhonorar einzupreisen. Vorliegend ist – nach BGH a.a.O. – zudem zu beachten, dass die Vergütung nicht vom Kunden bezahlt wurde und die Angemessenheit der Vergütungshöhe also nicht indiziert ist. Vielmehr macht der Kläger in eigener Sache die von ihm selbst festgesetzte Vergütung auf Basis des Abtretungsmodells geltend.

Nicht erstattungsfähig sind daher: Fotokosten von 12 € für 6 Bilder, zumal 2 Fotos vorliegend ausreichend gewesen wären, nebst 3 € Foto-Kopierkosten (?) und weiteren 20 € Nebenkosten, deren Inhalt vollkommen unklar bleibt; 20 € „Porto“ werden sicherlich nicht angefallen sein; zumindest fehlt es insofern an einem entsprechenden Klägervortrag.

Die Beklagte hat der Klägerin daher Sachverständigenkosten in Höhe von 297,50 € brutto zu erstatten (§ 287 ZPO).

Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 286,288 BGB begründet, da sich die Beklagte spätestens seit ihrer zweiten Ablehnung vom 25.08.17 im Verzug befunden hat.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11 Alt. 1, 711 ZPO. Die Berufungszulassung findet ihre Grundlage in § 511 IV ZPO.

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