KG Berlin – Az.: 22 U 40/11 – Beschluss vom 12.05.2011
In dem Rechtsstreit B… u.a. ./. V… weist der Senat darauf hin, dass er nach dem Ergebnis der Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Beklagten erhalten Gelegenheit, zu den genannten Gründen binnen 4 Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
Der Senat wird die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen müssen, weil er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Rechtsfortbildung noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 ZPO). Hinweis und Fristsetzung beruhen auf § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO.
1. Vorab wird darauf hingewiesen, dass der Berufungsangriff über den formal gestellten Antrag hinausgeht, weil bei einem von den Beklagten zugestandenen Anspruch der Klägerin von 4.022,57 € ausgehend von der Zahlung an die Klägerin in Höhe von 5.000 € die Forderungen bereits überzahlt wären. Ohne abweichende Antragstellung wird der Senat aber zunächst von dem formal gestellten Antrag ausgehen, der Beträge in Höhe von 2.327,34 € sowie 717,83 € zur Prüfung stellt.
2. Der Senat folgt in der Sache den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts, auf die verwiesen wird.
Mit Rücksicht auf die Berufungsbegründung wird hierzu ergänzend darauf hingewiesen, dass die Beklagten die schriftlichen Angaben des Zeugen V… sowie des Zeugen S… unvollständig wiedergeben und daher unzutreffend interpretieren. So hat der Zeuge V… am Unfallort ausweislich der polizeilichen Unfallaufnahme angegeben, „ich hatte Grün und vor mir sind schon 2 Fahrzeuge losgefahren“. Dies entspricht der Angabe anlässlich seiner Zeugenvernehmung. Ebenso hat der Zeuge S… schriftlich angegeben, dass der von dem Zeugen V… geführte Pkw als weiterer Pkw die Kreuzung passiert habe, so dass die Interpretation, dies sei der erste Pkw gewesen, sich aus der schriftlichen Aussage nicht ableiten lässt. Soweit die Beklagten sich erstmals in zweiter Instanz auf die Vernehmung des Zeugen S… berufen, nachdem sie sich in erster Instanz nur auf die schriftliche Aussage bezogen und durch ihr Einverständnis mit der urkundlichen Verwertung zudem auf die Vernehmung des von der Klägerin benannten Zeugen verzichtet haben, sind sie mit diesem Beweisantritt gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Eine ladungsfähige Anschrift liegt im Übrigen weiterhin nicht vor.
Ausgehend von der sich danach ergebenden Sachlage, nach der die Sicht für die Beklagte zu 1. durch einen Lkw versperrt war, zuvor schon zwei weitere Fahrzeuge aus der Richtung des Fahrers des Pkw der Klägerin fuhren und sowohl der Lkw als auch die Pkw bereits bei für sie grünem Lichtzeichen losgefahren und damit als bevorrechtigter Verkehr erkennbar waren, hat das Landgericht zu Recht mit ausführlicher Begründung die volle Haftung der Beklagten angenommen. In dieser Situation, in der der Beklagten zu 1. das Kreuzungsräumen zuvor schon verwehrt war und der Querverkehr bereits die Kreuzung befahren hatte, konnte sie sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie als Kreuzungsräumerin erkennbar war, zumal sie damit rechnen musste, durch den Lkw für bevorrechtigte Verkehrsteilnehmer verdeckt zu sein, so dass diese eine besondere Verkehrslage schon nicht hätten erkennen können. Sie durfte daher nicht mehr bzw. jedenfalls nicht mehr vor eindeutiger Klärung mit dem bevorrechtigten Verkehr anfahren, sondern hatte nun den Vorrang zu gewähren. Wegen der Sichteinschränkung hätte sie sich weiterhin nur vortasten dürfen und im Zweifel stehen bleiben müssen, zumal sie sich im Bereich eines Mittelstreifens (mit Straßenbahngleisen) befand. Das Anfahren ohne freie Sicht und ohne – wie die Beklagte zu 1. anlässlich ihrer persönlichen Anhörung bekundet hat – auf (wie bewiesen ist: weitere) von rechts kommende bevorrechtigte Fahrzeuge zu achten, wurde der Situation ersichtlich nicht mehr gerecht und stellte ein grob fahrlässiges Verhalten dar. Im Übrigen gilt hier – anders als das Landgericht unter Bezug auf § 11 Abs. 1 StVO (möglicherweise missverständlich) ausgeführt hat – allenfalls bei für den Zeugen V… noch erkennbarer besonderer Verkehrslage ein Nachzüglervorrang des Kreuzungsräumers nach § 11 Abs. 3 StVO (vgl. zu dem der jetzt geltenden Fassung des Abs. 3 entsprechenden § 11 Abs. 2 StVO a.F.: BGH mit Urteil vom 9. November 1976 – VI ZR 264/75 – NJW 1977, 1394 [II.1.] = BGHZ 56, 149 [150] und OLG Hamm mit Urteil vom 9. Januar 1990 – 27 U 177/89 – NZV 1991, 31), so dass sich die Beklagte zu 1. als Kreuzungsräumer zumindest zuvor über den Vorfahrtsverzicht mit dem Zeugen V… hätte verständigen müssen (vgl. Zieres in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 27 Rn. 735). Die von dem Bundesgerichtshof (a.a.O.) für den Vorrang der Nachzügler ebenfalls genannte Vorschrift des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 4 StVO in der damals geltenden Fassung (Gelb ordnet an: … für Verkehrsteilnehmer in der Kreuzung: „Kreuzung räumen“) ist dagegen 1980 geändert worden, weil für Verkehrsteilnehmer in der Kreuzung Gelb keine Bedeutung hat (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 37 StVO Rn. 26), weshalb aufgrund des geänderten Wortlautes des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO in der (seit 1980) geltenden Fassung der Nachzüglervorrang des Kreuzungsräumers aus dieser Vorschrift nicht (mehr) ableitbar ist.