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Verkehrsunfall – Verspätete Reaktion auf unangekündigten Spurwechsel auf der Bundesautobahn

OLG München – Az.: 10 U 5122/10 – Urteil vom 08.04.2011

1. Auf die Berufung der Klägerin vom 29.11.2010 wird das Endurteil des LG Deggendorf vom 25.10.2010 (Az. 21 O 39/09) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin samtverbindlich 7.833,36 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.10.2008 zu bezahlen.

II. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin samtverbindlich vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 185,64 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.10.2008 zu bezahlen.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Beklagten tragen samtverbindlich die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

A.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

Entscheidungsgründe

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.

I. Das Landgericht hat zu Unrecht eine Haftungsteilung vorgenommen. Die Beklagten haften als Gesamtschuldner (§ 115 I 4 VVG) dem Grunde nach vollständig für den der Klägerin entstandenen Schaden, da angesichts des schweren Verkehrsverstoßes des Fahrers des Sattelschleppers gegen § 7 V StVO eine etwaige Haftung der Klägerin aus Betriebsgefahr zurücktritt.

Verkehrsunfall - Verspätete Reaktion auf unangekündigten Spurwechsel auf der Bundesautobahn
Symbolfoto: Von Lutsenko_Oleksandr/Shutterstock.com

1. Die Anwendbarkeit des § 7 V StVO auch auf Spurwechsel auf Autobahnen ergibt sich aus der Systematik des § 7 StVO: § 7 I StVO gilt innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften (Rüth/Berr/Berz, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. 1988, § 7 StVO Rz. 2; Janiszewski/Heß, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl. 2004, § 7 Rz. 2 a.E.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 7 StVO Rz. 6); nur § 7 III StVO enthält eine – ausdrückliche – Beschränkung auf den innerörtlichen Verkehr. Deshalb wird die Anwendbarkeit des § 7 V StVO auch auf Spurwechsel auf Autobahnen regelmäßig ohne weiteres bejaht (vgl. etwa Senat, Urt. v. 15.04.2005 – 10 U 1696/05; v. 01.12.2006 – 10 U 4707/06 (Juris); OLG Nürnberg SP 1994, 6; OLG Frankfurt OLGR 1998, 21, das zurecht darauf hinweist, dass § 7 V StVO auf Autobahnen wegen der dort gefahrenen hohen Geschwindigkeiten in besonderem Maße gilt; OLG Hamm NZV 1995, 194; VersR 1999, 1166; SP 1999, 226; NZV 2000, 373; OLG Düsseldorf SP 2003, 335; AG Gelnhausen SP 2003, 336; Janiszewski/Heß, § 7 StVO Rz. 21). Ein Spurwechsel beginnt bei Überfahren der Fahrbahnmarkierung (Senat, Urt. v. 17.12.2004 – 10 U 3517/04; Hinweis v. 19.01.2005 – 10 U 5277/04; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.06.1977 – 5 U 231/76; Haarmann DAR 1987, 139 [141 unter 2.3]; vgl. auch OLG Schleswig VRS 60 [1981] 306 [308]; OLG Celle DAR 1999, 453; OLG Hamm VersR 2001, 654 [655]; a.A. ohne Begründung KG KGR 2000, 316). Für die Anwendung des § 7 V StVO bedarf es nicht des vollständigen Fahrstreifenwechsels.

2. Ein Mitverschulden des klägerischen Fahrers scheidet aus, eine Mithaftung aus Betriebsgefahr tritt zurück. Auf Grund der von den Parteien nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. L. steht fest, dass der klägerische Fahrer ab der Reaktionsaufforderung („Nach-links-ziehen“) bis zur Kollision nachgewiesen allenfalls 2 Sekunden Zeit gehabt, um mit einer mittleren Schwerpunktsverzögerung von 3 bis 3,5 m/s² die Kollision zu vermeiden (vgl. Gutachten vom 22.01.2010, S.22 = Bl. 111 d.A.). Zieht man noch die Reaktionsverzögerung und den Bremsschwellwert ab, kommt man technisch zwar zu einer Vermeidbarkeit des Unfalls, haftungsrechtlich ist einem Fahrer jedoch bei einer zu späten Reaktion im Bereich von 1,2 Sekunden ohne vorherige, durch sonstige Umstände hervorgerufene besondere Aufmerksamkeitsaufforderungen kein Schuldvorwurf zu machen. Ablenkungen nach vorne in dieser zeitlichen Dimension werden üblicherweise selbst durch die Pflichten der StVO (Blick in den Rückspiegel, Schulterblick, etc.) verursacht.

Die von den Beklagten herangezogenen Entscheidungen sind mit dem vorliegenden Unfall nicht vergleichbar:

a) Im vorliegenden Fall gibt es keine Hinweise darauf, dass mit einem Überholvorgang des Lkw’s vorher zu rechnen war. Dies war bei OLG Düsseldorf, MDR 1961, 233, nach Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl. 2008, Rd. 148, anders.

b) Die Entscheidung des OLG Frankfurt in zfs 1981, 161 ist nicht vergleichbar, da die Haftung aus Betriebsgefahr dort vor allem darauf gestützt wurde, dass bei Nacht und diesigem Wetter mit 120 km/h auf der linken Spur gefahren wurde.

c) Bei der Entscheidung des OLG Köln (NJW 1966, 933) war maßgeblich der herrschende Nebel.

d) Die Entscheidung des OLG Nürnberg (VersR 1970, 644) betrifft ebenfalls einen anderen Fall, da dort unbekannt war, wie lange Zeit dem auf der linken Fahrspur Fahrenden blieb, um zu reagieren. Aus der Tatsache, dass er aber noch die Lichthupe betätigte, wurde geschlossen, dass er auch hätte bremsen können und sich nur auf die Wirkung der Lichthupe verlassen hat.

e) Die Entscheidung des LG Oldenburg (DAR 1999, 29) ist ebenfalls wenig ergiebig, denn zum Einen hat der Spurwechsler dort vorher geblinkt. Zum Anderen wird in der Entscheidung nicht mitgeteilt, wie lange der Überholende Zeit zum Reagieren hatte (es wird nur von „genügend Zeit“ gesprochen).

f) Allen vorstehenden Entscheidungen fehlt im Übrigen eine Prüfung des Gesichtspunkts, dass wegen grober Verkehrswidrigkeit eine Haftung des Gegners aus Betriebsgefahr zurücktreten kann. So ist auch die vollständige Haftung des Spurwechslers der Regelfall, wie der Vorbemerkung bei Rd. 148 im Grüneberg (a.a.O.) entnommen werden kann.

II. Hinsichtlich der Höhe des Schadens ist von den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts auszugehen. Diese wurden von der Berufungsklägerin hinsichtlich einer zu niedrigen Unkostenpauschale und zu niedriger vorgerichtlicher Anwaltskosten angegriffen. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten sind ausgehend vom berechtigten Gesamtschaden von 23.512,42 € als Gegenstandswert bei einer 1,3 Gebühr zuzüglich Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer abzüglich bereits bezahlter 899,40 € mit weiteren 185,64 € begründet.

Die Unkostenpauschale beträgt nach ständiger Rechtsprechung des Senats 25,– €.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 II Nr. 1, 100 IV ZPO.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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