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Verkehrsunfall – Umfang und Schutzzweck des Rechtsfahrgebots

OLG Stuttgart – Az.: 3 U 15/14 – Urteil vom 04.06.2014

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 9.1.2014 – 2 O 242/13 – wird z u r ü c k g e w i e s e n .

2. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 17.075,69 €

Tatbestand

I.

Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Das Landgericht hat zu Recht eine 100 %ige Haftung der Beklagten bejaht. Auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils wird verwiesen. Die Berufungsbegründung gibt keinen Anlass zu einer anderen Bewertung.

1.

a)

Verkehrsunfall - Umfang und Schutzzweck des Rechtsfahrgebots
Symbolfoto: Von Joerg Huettenhoelscher /Shutterstock.com

Dem Beklagten Ziff. 1 fällt ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 StVO zur Last. Wie das Landgericht zutreffend ausführt, trifft den Führer eines KFZ, welches aufgrund seiner Bauart oder seiner Ladung beim Abbiegen nach links in den rechts daneben befindlichen Fahrstreifen ausschwenkt, gegenüber den diesen Fahrstreifen benutzenden Verkehrsteilnehmern eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Er muss sich vergewissern, dass er durch das Abbiegen keinen Verkehrsteilnehmer auf dem benachbarten Fahrstreifen gefährdet oder schädigt.

Es ist nunmehr unstreitig, dass der aufgrund des Linksabbiegens nach rechts ausschwenkende Auflieger des Beklagtengespanns gegen das vorbeifahrende Klägergespann prallte. Die Beklagten halten somit ausdrücklich nicht mehr daran fest, dass das Beklagtenfahrzeug im Kollisionszeitpunkt gestanden habe und dass das klägerische Fahrzeug gegen den LKW der Beklagten gefahren sei, was insbesondere der Beklagte Ziff. 1 in der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2013 behauptet hatte.

b)

Der Beklagte Ziff. 1 weiß als Berufskraftfahrer, dass sein Auflieger beim Linksabbiegen nach rechts ausschwenkt. Darüber hinaus war sein Fahrstreifen relativ schmal.

c)

Gemäß § 9 Abs. 1 S. 4 StVO muss der Abbiegende vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr achten. Die zweite Rückschau muss nach links und rechts erfolgen. Der Beklagte Ziff. 1 hätte mit dem Abbiegevorgang erst beginnen dürfen, nachdem er sich über seinen rechten Außenspiegel die Gewissheit verschafft hatte, dass sich auf dem rechten Fahrstreifen kein Fahrzeug befindet, das gefährdet werden könnte (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 20. Juli 2009 – 12 U 192/08 -).

Dies hat der Beklagte Ziff. 1 nicht beachtet.

d)

Das Landgericht hat sich zu Recht am Beschluss des Kammergerichts vom 20.07.2009, Az. 12 U 192/08, und an den Urteilen des Kammergerichts vom 19.04.2004, Az. 12 U 226/03 und 12 U 325/02, orientiert. Im Falle der Entscheidung vom 20.07.2009 war es sogar so, dass der Fahrer des geschädigten Busses damit rechnen konnte, dass das Heck des Sattelanhängers in seinen Fahrstreifen einschwenkt, der Abbiegevorgang hatte dort schon begonnen, bevor der Bus den abbiegenden LKW erreicht hatte. Hier jedoch befand sich der klägerische LKW schon neben dem LKW der Beklagten.

2.

Den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, den Zeugen M…, trifft kein Verschulden.

a)

Das Landgericht hat zu Recht ausgeführt, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht verpflichtet war, gegenüber dem beabsichtigten Fahrmanöver des Beklagten-LKW zurückzustehen oder diesem das Abbiegen zu ermöglichen. Der Zeuge M… sah nach seinen nachvollziehbaren und mit den Feststellungen des Sachverständigen plausibel in Einklang zu bringenden Bekundungen zunächst die Geradeausspur frei vor sich. Der Zeuge musste nicht damit rechnen, dass der Beklagte Ziff. 1 nach links abbiegt, obwohl der klägerische LKW schon auf der Höhe des Beklagtenfahrzeugs war. Dies gilt insbesondere, nachdem der Beklagte Ziff. 1 selbst geschildert hat, dass Gegenverkehr gekommen sein soll und der Zeuge M… geschildert hat, dass eine sich stauende Verkehrslage vorangegangen war.

b)

Ein Verstoß des Zeugen M… gegen § 2 Abs. 2 StVO kann nicht festgestellt werden.

aa)

Grundsätzlich soll der Abstand zum rechten Fahrbahnrand noch 1 m betragen und darf grundsätzlich 0,5 m nicht unterschreiten (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 2 StVO, Rz 41).

So verbietet z.B. auf einer relativ schmalen Straße, die aber noch einen zügigen Begegnungsverkehr zulässt und auf der der Führer eines Personenkraftwagens an sich seine rechte Fahrbahnseite tatsächlich einhalten könnte, ihm das Rechtsfahrgebot nicht die Einhaltung eines Sicherheitsabstands von rund einem Meter zum rechten Fahrbahnrand und die dadurch bedingte Mitbenutzung der linken Fahrbahnhälfte, solange kein Überholtwerden in Betracht kommt und die Fahrstrecke so übersichtlich ist, dass die Gefährdung eines potentiellen Gegenverkehrs ausgeschlossen ist (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 17. Oktober 1989 – 1 Ob OWi 328/89 -, m.w.N.). Es ist also verkehrsgerecht zu fahren. Die Strecke war für den klägerischen Fahrer übersichtlich.

bb)

Dass die Fahrbahnen nicht mehr als etwas über 3 m breit sind, wurde von Beklagtenseite nicht bestritten.

Die Breite der rechten Fahrbahn beträgt allenfalls 3,5 m. Der 2,5 m bis 2,55 m breite LKW der Klägerin hatte also höchstens insgesamt 0,95 bis 1 m Platz nach rechts und links. Dann kann dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht angelastet werden, dass er ggf. ca. 0,7 m nach rechts und ca. 0,3 m zur linken Fahrbahnbegrenzung eingehalten hat. So erscheint es auf der von der Beklagtenseite in Bezug genommenen Skizze des Sachverständigen, der die B 32 jedoch offenbar an anderer Stelle vermessen hat. Auf derselben Skizze ist das Beklagtenfahrzeug auf der Linksabbiegerspur ganz weit rechts eingezeichnet. Bei dieser Position geriet das Beklagtenfahrzeug besonders leicht auf die rechte Fahrbahn.

cc)

§ 2 Abs. 2 StVO schützt nur den Verkehr in Längsrichtung, also den überholenden Verkehr und den Gegenverkehr, nicht kreuzende Fahrzeuge und Ein- und Abbieger (Hentschel/König/Dauer, a.a.O., Rz 33). Der Schutzzweck des Rechtsfahrgebots erstreckt sich nicht auf den Linksabbieger. Stößt dieser mit einem Verkehrsteilnehmer des Gegenverkehrs zusammen, dann hat sich nicht die Gefahr verwirklicht, zu deren Abwehr das Rechtsfahrgebot bestimmt ist (BGH, Urteil vom 19. Mai 1981 – VI ZR 8/80 -, juris).

Hier hat das Beklagtenfahrzeug nicht den klägerischen LKW überholt, sondern ist nach links abgebogen. Aufgrund seiner Bauweise ist dieses auf die Fahrbahn des Klägerfahrzeugs geraten und mit diesem kollidiert.

§ 2 Abs. 2 StVO schützt nach Ansicht des Senats auch nicht den parallel fahrenden und dann links abbiegenden Verkehrsteilnehmer. In der Regel kommt es in solchen Konstellationen nicht zu einem Unfall, da „normale“ Fahrzeuge nicht nach rechts ausschwenken. Dem Beklagten Ziff. 1 als Berufskraftfahrer war dieses besondere Risiko des Ausschwenkens des Aufliegers bekannt.

dd)

Außerdem liegen keine Feststellungen vor, dass der Unfall nicht passiert wäre, wenn sich das klägerische Fahrzeug etwas weiter rechts befunden hätte.

c)

Ein Verstoß gegen § 6 StVO lässt sich nicht feststellen. Bei den erwiesenermaßen beengten Verhältnissen durch jedenfalls für LKW schmale Fahrspuren lässt sich ein großer Seitenabstand gar nicht einhalten. Darüber hinaus ist das klägerische Fahrzeug lediglich mit Schrittgeschwindigkeit an dem ursprünglich stehenden Beklagten-LKW vorbeigefahren. Eine absolute Entfernung, die nicht unterschritten werden darf, ist in § 6 StVO nicht geregelt.

d)

Dem Zeugen M… fällt auch nicht dadurch ein Verschulden zur Last, dass der Linksabbiegerstreifen schmal war und er schon deswegen davon ausgehen musste, dass ein Überholen zur Gefährdung führen könnte. Der Zeuge M… hatte keinen Anlass anzunehmen, dass der Beklagte nach links abbiegt, obwohl der klägerische LKW an ihm vorbeifährt. Beide Fahrstreifen sind vergleichsweise schmal. Der rechte Streifen war jedoch ausreichend für das klägerische Fahrzeug, um unfallfrei am Beklagtenfahrzeug vorbeizukommen, wenn dieses nicht abgebogen wäre.

e)

Der vorliegende Fall ist mit der Konstellation, die dem Urteil des Landgerichts Passau (Urteil vom 12. März 2007 – 4 O 370/06 -) zu Grunde lag, nicht vergleichbar. Dort ist der an einem links abbiegenden Schwertransporter vorbeifahrende Bus mit einer deutlich höheren Geschwindigkeit gefahren. Er ist noch bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h kollidiert. Der Busfahrer hätte darüber hinaus bereits abbremsen müssen, weil er schon 6 bis 9 Sekunden vor der Kollision die beginnende Abbiegebewegung des Schwertransporters hätte erkennen müssen und aufgrund seiner Ausbildung sicher mit einem Ausscheren rechnen musste. Dass er dies nicht getan hat, hat das Landgericht Passau (Urteil vom 12.03.2007 – 4 O 370/06) als fahrlässig bewertet. Im vorliegenden Fall ist zum einen das klägerische Fahrzeug Schrittgeschwindigkeit gefahren und das Abbiegen erfolgte erst, als sich der klägerische LKW bereits schon auf der Höhe des Beklagten-LKW befand.

3.

Die Wertung des Landgerichts, dass die durch das erhebliche Verschulden des Beklagten Ziff. 1 erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs zurücktreten lässt, ist nicht zu beanstanden.

Zudem hat sich die besondere Betriebsgefahr eines Sattelschleppers in der Gestalt der Gefahr des Ausschwenkens des Hecks auf die benachbarte Fahrbahn realisiert. Beim klägerischen Gespann hat sich diese Gefahr nicht realisiert, da dieses geradeaus gefahren und auf seiner Spur geblieben ist.

Hätte der Beklagte Ziff. 1 einen Blick in den rechten Außenspiegel geworfen, hätte der streitgegenständliche Unfall vermieden werden können. Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs dagegen hätte nach den getroffenen Feststellungen den Unfall nur dann vermeiden können, wenn er als „Idealfahrer“ davon abgesehen hätte, überhaupt neben das Beklagtenfahrzeug zu fahren aufgrund der theoretischen Möglichkeit, dass dieses ohne entsprechende Rückschau abbiegen würde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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