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Verkehrsunfall – Sozialabgaben und Lohnnebenkosten als Bestandteil des zu erstattenden Schadens

LG Bochum – Az.: I-11 S 226/11 – Urteil vom 03.04.2012

Die Berufung der Beklagten gegen das am 09.11.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten, der Haftpflichtversicherung des an dem Verkehrsunfall vom 20.04.2011 auf dem Parkplatz des Q Markts X-str. in S beteiligten Kraftfahrzeuges …, restlichen Schadensersatz in Höhe von 617,00 Euro.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte dem Kläger dem Grunde nach zu 100 % einstandspflichtig ist.

Von dem unstreitigen Wiederherstellungsaufwand in Höhe von 5.184,93 Euro netto aufgrund des bei der Beklagten eingereichten Gutachtens des Sachverständigen C hat die beklagte Versicherung den Betrag von 617,00 Euro in Abzug gebracht, weil sie der Rechtsaufassung ist, dass der Kläger bei sog. fiktiver Abrechnung die in den Reparaturkosten enthaltenen Lohnnebenkosten und Sozialabgaben nicht ersetzt verlangen könne, weil diese – wie auch die Mehrwertsteuer – ohne Durchführung der Reparatur nicht anfallen und sog. durchlaufende Posten seien.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 617,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit zu zahlen.

Verkehrsunfall - Sozialabgaben und Lohnnebenkosten als Bestandteil des zu erstattenden Schadens
Symbolfoto: Von yalcinadali/Shutterstock.com

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, zu weitergehenden Zahlungen an den Kläger nicht verpflichtet zu sein. In dem vom Kläger zur Schadensregulierung vorgelegten Sachverständigengutachten des Sachverständigen C seien Lohnkosten von netto 1.884,90 Euro eingerechnet. Diese beinhalteten 40 % Lohnnebenkosten, also 753,96 Euro. Die Sachbearbeiterin der Beklagten habe jedoch nur 617,00 Euro in Abzug gebracht.

Da es sich bei den Lohnnebenkosten um durchlaufende Posten handele, habe der Kläger bei fiktiver Abrechnung gemäß § 249 BGB keinen Anspruch auf deren Ersatz, denn bei fiktiver Abrechnung sei der Kläger als Geschädigter um den Gegenwert dieser fiktiven Kosten bereichert. Der Gesetzgeber habe bei der Änderung der Regelung des § 249 Abs. 2 BGB nur eine behutsame Korrektur des Sachschadensrechts bzgl. der Erstattung der Mehrwertsteuer vorgenommen, es aber gesetzespolitisch für geboten gehalten, auch die Lohnnebenkosten als nicht erstattungsfähig anzusehen, die Weiterentwicklung des Sachschadensrechts jedoch der Rechtsprechung überlassen, was sich aus der der Gesetzesänderung zugrunde liegenden Bundestagsdrucksache 14/7752, Seite 14, ergebe.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, dass der Bundesgerichtshof die fiktive Schadensabrechnung ausdrücklich zulasse. Dem Geschädigten seien die erforderlichen Kosten zur Wiederherstellung der beschädigten Sache zu erstatten, die auf der Basis eines Sachverständigengutachtens fiktiv ermittelt werden könnten, unabhängig davon, ob eine Reparatur überhaupt durchgeführt werde.

Der Gesetzgeber habe mit der Gesetzesnovellierung ausdrücklich auch nur eine Änderung der Ersatzfähigkeit der Mehrwertsteuer vorgenommen, die nur noch beansprucht werden könne, wenn Mehrwertsteuer tatsächlich angefallen sei. Eine weitergehende Änderung sei vom Gesetzgeber aber nicht vorgenommen worden, so dass es bei den bisherigen Grundsätzen zur Schadensregulierung verbleiben müsse. Da aber eine fiktive Abrechnung von der Rechtsprechung ausdrücklich zugelassen werde, trete unter gewissen Umständen auch eine Bereicherung des Geschädigten ein, die bewusst hingenommen werde.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie weiterhin Klageabweisung begehrt und ihren bisherigen Rechtstandpunkt aufrechterhält.

Sie beantragt,

1) das Endurteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 09.11.2011 (Az. 18 C 117/11) aufzuheben und die Klage abzuweisen,

sowie

2) vorsorglich gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seiner Rechtsauffassung.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Dem Kläger steht die vom Amtsgericht ausgeurteilte weitere Schadensersatzforderung gemäß §§ 7, 17 StVG, §§ 823, 249 BGB, § 115 VVG zu.

Die Haftung der Beklagten für die dem Kläger unfallbedingt entstandenen Schäden dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist einem Geschädigten eine fiktive Schadensabrechnung nicht verwehrt. Der Geschädigte braucht die beschädigte Sache nicht reparieren zu lassen, kann aber gemäß § 249 BGB den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag ersetzt verlangen. Zu ermitteln ist in diesen Fällen also der Geldbetrag, der zur Wiederherstellung der beschädigten Sache durch eine Fachwerkstatt erforderlich ist. In diesem Geldbetrag ist naturgemäß Arbeitslohn enthalten, der regelmäßig die sog. Lohnnebenkosten und Sozialabgaben beinhaltet, die die Werkstatt für die eingesetzten Arbeitskräfte abführen muss.

Der Gesetzgeber hat mit dem 2. Schadensrechtsänderungsgesetz im Jahre 2002 insoweit eine Korrektur vorgenommen, als er in § 249 Abs. 2 S. 2 BGB bestimmt hat, dass die auf den Wiederherstellungsaufwand entfallende Mehrwertsteuer dem Geschädigten nur dann zu ersetzen ist, wenn diese auch tatsächlich angefallen ist. Auf eine weitergehende Änderung hat er aber bewusst verzichtet.

In der von der Beklagten zitierten, o.g. Bundestagsdrucksache findet sich zwar der Hinweis, dass es der Rechtsprechung überlassen werden soll, das Sachschadensrecht zu konkretisieren und weiterzuentwickeln.

Eine solche Weiterentwicklung dahingehend, dass aus dem Wiederherstellungsaufwand auch die Lohnnebenkosten herauszurechnen und in Abzug zu bringen sind, wenn sie nicht tatsächlich angefallen sind, ist aus Sicht der Kammer jedoch nicht veranlasst. Der Gesetzgeber hatte diese Möglichkeit selbst ins Auge fasst, aber aus nachvollziehbaren Gründen bewusst darauf verzichtet.

So hat der Gesetzgeber in der Bundestagsdrucksache ausgeführt, dass eine noch grundlegendere Reform des Sachschadensrechts erwogen worden ist. Eine derart umfassende Reform des Schadensrechts habe aber den Nachteil, dass dadurch eine langjährige und bis ins einzelne ausdifferenzierte Rechtsprechung grundlegend in Frage gestellt werden würde. Für die erreichte Rechtssicherheit in diesem Bereich habe das kaum abschätzbare Folgen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das derzeitige System der Schadensabwicklung auf der Grundlage fiktiver Reparaturkosten den Verkehrskreisen wohl vertraut sei und reibungslos funktioniere. Vor diesem Hintergrund wurden vom Gesetzgeber dann die Überlegungen für eine umfassendere Reform des Sachschadensrechts zurückgestellt. Der Entwurf des 2. Schadensrechtsänderungsgesetzes sah zunächst vor, dass bei einer fiktiven Abrechnung von Sachschäden die öffentlichen Abgaben außer Ansatz bleiben sollten. Nachdem dieser gesetzgeberische Entwurf vielfach auf Kritik gestoßen ist, hat der Gesetzgeber dieser Kritik nach eigenen Angaben jedoch Rechnung getragen und auf einen Abzug sämtlicher öffentlichen Abgaben verzichtet.

Diese Ausführungen in der Bundestagsdrucksache belegen also mehr als deutlich, dass der Gesetzgeber mit Ausnahme der Regelung zur Mehrwertsteuererstattung aus guten Gründen keine weitergehende Änderung vornehmen wollte. Dem schließt sich die Kammer mit der vorliegenden Entscheidung an.

Deshalb kann auch keine analoge Anwendung der geänderten Regelung zur Mehrwertsteuererstattung in Betracht gezogen werden, weil die für eine analoge Anwendung erforderliche planwidrige Regelungslücke in den gesetzlichen Regelungen gerade nicht vorliegt.

Dass es bei Zulassung einer fiktiven Schadensabrechnung ggfs. zu sog. Überkompensationen des Geschädigten kommen kann, wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ebenfalls bewusst hingenommen. Der Berufung der Beklagten war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 534 Abs. 1 4und 2 ZPO.

Auf den Hilfsantrag der Beklagten war gemäß § 543 Abs. 1 und 2 ZPO die Revision zuzulassen, da die hier streitgegenständliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat und zur Fortbildung des Rechts nach dem Hinweis des Gesetzgebers, die Rechtsprechung möge das Sachschadensrecht konkretisieren und weiterentwickeln, eine Entscheidung des Revisionsgericht erforderlich macht.

 

 

 

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