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Verkehrsunfall: sachverständige Feststellung eines Totalschadens – Vertrauen des Geschädigten

LG Saarbrücken, Az.: 13 S 59/17, Urteil vom 15.09.2017

1. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers werden jeweils zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufungsinstanz tragen der Kläger zu 10% und die Beklagte zu 90%.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen, soweit der Anspruch des Klägers auf Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands in Streit steht.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 20.7.2016 in … ereignet hat und bei dem das Fahrzeug des Klägers, ein knapp 5 Jahre alter Dacia Logan, stark beschädigt wurde. Die Einstandspflicht der beklagten Haftpflichtversicherung ist nicht im Streit.

Ein am 25.7.2016 erstelltes Schadensgutachten des Sachverständigen … wies Reparaturkosten von 8.033,69 Euro brutto bei einem Wiederbeschaffungswert von 7.500,- Euro (inkl. 2,4% Differenzbesteuerung) sowie einem Restwert von 500,- Euro aus. Der Kläger verkaufte das Unfallfahrzeug am 27.7.2016 zu dem gutachterlich ermittelten Restwert und erwarb am 2.8.2016 ein Neufahrzeug zum Preis von 13.695,- Euro inkl. 19% Mehrwertsteuer einschließlich Zulassungskosten von 125,- Euro. Für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges in der Zeit vom 20.7. bis 3.8.2016 wurden dem Kläger 1.075,51 Euro in Rechnung gestellt. Der Kläger rechnete auf Totalschadensbasis ab und beanspruchte neben den Mietwagen-, Zulassungs- und Sachverständigenkosten einschließlich der Kosten der Achsvermessung eine Unkostenpauschale von 30,- Euro, insgesamt einen Betrag von 9.559,58 Euro.

Mit Schreiben vom 26.8.2016 rechnete die Beklagte gegenüber dem Kläger auf der Grundlage eines von ihr zwischenzeitlich eingeholten Prüfberichts ab. Dieser enthielt Abzüge u.a. für nicht erforderliche Beilackierungskosten und wies ersatzfähige Reparaturkosten von (6.239,86 + USt =) 7.425,43 Euro aus, die bei fiktiver Schadensabrechnung u.a. unter Zugrundelegung eines anderen Stundenverrechnungssatzes auf (4.769,05 + USt =) 5.675,17 Euro zu reduzieren seien. Die insoweit reduzierten Nettoreparaturkosten glich die Beklagte nebst den beanspruchten Sachverständigenkosten vorgerichtlich aus. Auf die Mietwagenrechnung zahlte die Beklagte vorgerichtlich 797,73 Euro unter Hinweis auf einen weiteren von ihr eingeholten Prüfbericht, der diesen Betrag als ersatzfähigen Mietpreis auf der Grundlage eines Mittelwerts von „Schwacke/Fraunhofer“ errechnete.

Verkehrsunfall: sachverständige Feststellung eines Totalschadens - Vertrauen des Geschädigten
Symbolfoto: FreedomTumZ/Bigstock

Der Kläger ist u.a. der Auffassung, er könne die Bruttobeträge auf Totalschadensbasis abrechnen und auch die Mietwagenkosten seien nicht übersetzt. Mit seiner Klage hat er den offenen Differenzbetrag sowie Freistellung von der den Betrag von 794,73 Euro übersteigenden Mietwagenrechnung geltend gemacht. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn 2.385,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 11.8.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 349,49 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit (4.10.2016) zu zahlen, sowie

2. ihn von der Mietwagenrechnung der Autovermietung … aus … abzüglich des bereits gezahlten Betrages von 794,73 Euro freizustellen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben – soweit für die Berufung noch von Belang – die Auffassung vertreten, die von ihnen gezahlten Nettoreparaturkosten deckten den unfallursächlich erforderlichen Wiederherstellungsaufwand ab; insbesondere sei der Kläger nicht zur Abrechnung auf Totalschadensbasis berechtigt. Auch seien die ersatzfähigen Mietwagenkosten bereits ausgeglichen.

Das Amtsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 2.381,51 Euro nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 236,69 Euro sowie gesetzlichen Zinsen unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt. Zur Begründung hat die Erstrichterin, auf deren tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, ausgeführt, der Kläger könne auf Totalschadensbasis abrechnen, weil er aufgrund des von ihm eingeholten Gutachtens darauf vertrauen durfte, dass ein wirtschaftlicher Totalschaden vorlag. Auch Zulassungskosten für das Neufahrzeug seien hinreichend belegt und ebenso wie eine Unkostenpauschale von 25,56 Euro zu ersetzen. Dagegen seien die Mietwagenkosten bereits ausgeglichen, weil der von Beklagtenseite bezahlte Betrag die nach der Rechtsprechung des zuständigen Landgerichts erforderliche Höhe überschreite.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, die Rechtsprechung zum vom Schädiger zu tragenden Werkstattrisiko sei auf eine fiktive Abrechnung, wie sie hier vorgenommen werde, nicht übertragbar. Überdies habe der Kläger nicht auf den im Gutachten ausgewiesenen Wiederbeschaffungswert vertrauen dürfen, weil dieser lediglich differenzbesteuert ausgewiesen worden sei. Da ein dem Gutachten beigefügtes Vergleichsangebot einen Mehrwertsteuersatz von 19% beinhaltet habe, sei der Wiederbeschaffungswert um die Mehrwertsteuerdifferenz auf insgesamt 8.715,82 Euro zu erhöhen.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen meint der Kläger, die Abrechnung der Beklagten bezüglich der Mietwagenkosten sei fehlerhaft, weil sie die Kosten der Selbstbeteiligung als nicht ersatzfähig angesehen habe. Mit seiner Anschlussberufung beantragt er,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Mietwagenrechnung der Autovermietung … aus … freizustellen abzüglich des bereits gezahlten Betrages von 794,73 Euro.

Die Beklagte beruft sich insoweit auf die erstinstanzliche Entscheidung und beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist ebenso wie die Anschlussberufung des Klägers zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Weder Berufung noch Anschlussberufung sind jedoch begründet. Die Schadensermittlung des Amtsgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

1. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag beanspruchen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09, VersR 2010, 173 f.; BGHZ 61, 346, 349 f.). Für die Berechnung von Kraftfahrzeugschäden stehen dem Geschädigten im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 – VI ZR 363/11, MDR 2013, 331 f.; Urteil vom 2. März 2010 – VI ZR 144/09, VersR 2010, 785 ff.; Urteil vom 6. März 2007 – VI ZR 120/06, BGHZ 171, 287; Urteil vom 29. April 2003 – VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 397 f.). Allerdings hat der Geschädigte das sog. Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Unter mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten der Naturalrestitution hat er grundsätzlich diejenige zu wählen, die den geringsten Aufwand erfordert (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2009 – VI ZR 312/08 – VersR 2009, 1554 f.; Urteil vom 9. Juni 2009 – VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 ff.). Um diese zu ermitteln, ist grundsätzlich ein postengenauer Vergleich vorzunehmen zwischen dem Instandsetzungsaufwand, der die Reparaturkosten zuzüglich eines etwaig verbleibenden Minderwerts umfasst, und dem Wiederbeschaffungsaufwand, der Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert des Unfallfahrzeugs (vgl. etwa BGHZ 115, 364 m.w.N.). Für die Vergleichsbetrachtung ist dabei auf die jeweiligen Bruttowerte abzustellen, jedenfalls dann wenn der Geschädigte – wie hier – nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2009 – VI ZR 100/08, NJW 2009, 1340).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen durfte der Kläger bei der Ersatzbeschaffung mit Recht von einem Totalschadensfall ausgehen.

a) Auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens, das der Geschädigte seiner Vergleichsbetrachtung grundsätzlich zugrunde legen darf (vgl. BGHZ 143, 189 ff.; BGH, Urteil vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92, VersR 1993, 769 f.; Urteil vom 20. Juni 1972 – VI ZR 61/71, VersR 1972, 1024 f.), überstiegen die zu erwartenden Bruttoreparaturkosten (8.033,69 Euro) – ein verbleibender merkantiler Minderwert war nicht ausgewiesen – den Bruttowiederbeschaffungswert (7.500,- Euro), so dass ein wirtschaftlicher Totalschaden vorlag. Hieran ändert sich im Ergebnis selbst dann nichts, wenn man die von der Beklagten ermittelten Bruttoreparaturkosten bei konkreter Schadensabrechnung (7.425,43 Euro) zugrunde legen würde. Diese blieben zwar unter dem Wiederbeschaffungswert, überstiegen aber den um den unstreitigen Restwert verminderten Wiederbeschaffungsaufwand (7.000 Euro) und stellten daher die teurere Wiederherstellungsalternative dar. Soweit die Rechtsprechung teilweise allein den Wiederbeschaffungswert als maßstäbliche Vergleichsgröße heranzieht, betrifft dies den Fall, dass der Geschädigte – anders als hier – sein Fahrzeug (zumindest fahrbereit) repariert behalten will (eingehend etwa BGHZ 115, 364; zuletzt etwa Urteil vom 2. Juni 2015 – ZR 387/14, NJW 2015, 2958; zum Ganzen auch Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB Rn. 105 f., jew. m.w.N.). Dies dient indes allein den Interessen des Geschädigten und kann deshalb nicht vom Schädiger beansprucht werden, wenn ihm das Ergebnis, wie hier, günstig ist.

b) Soweit die Beklagte demgegenüber für den anzustellenden Vergleich den Kläger auf Reparaturkosten unter Einbeziehung von Stundenverrechnungssätzen einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt (5.675,17 Euro) verweisen will, die den Wiederbeschaffungsaufwand unterschreiten würden, ist ihr dies schon deshalb verwehrt, weil der Kläger eine konkrete Schadensabrechnung auf der Grundlage der von ihm durchgeführten Ersatzbeschaffung vorgenommen hat.

aa) Der Geschädigte darf grundsätzlich der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09 – VersR 2010, 923 f.; BGHZ 155, 1 ff.). Allerdings kann er gemäß § 254 Abs. 2 BGB vom Schädiger unter bestimmten Voraussetzungen auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verwiesen werden (zuletzt etwa BGH, Urteil vom 7. Februar 2017 – VI ZR 182/16, DAR 2017, 265 m.w.N.), was unter Umständen zur Folge hat, dass sich ein zunächst angenommener wirtschaftlicher Totalschaden bei Ansetzung günstigerer Stundenverrechnungssätze der freien Werkstatt im Nachhinein als Reparaturfall erweist (vgl. Kammerurteil v. 21.9.2012 – 13 S 102/12, juris).

bb) Stets setzt eine solche Verweisung voraus, dass diese dem Geschädigten zumutbar ist (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 7. Februar 2017 aaO m.w.N.). Unzumutbar ist eine Verweisung jedoch, wenn der Geschädigte seinen (Reparatur-) Schaden konkret abrechnet und sein besonderes Interesse an einer Reparatur in der Markenwerkstatt durch die Reparaturrechnung belegt (BGHZ 183, 21; zum Ganzen auch Freymann/Rüßmann aaO Rn. 147 f.). Nichts anderes kann gelten, wenn der Geschädigte eine Ersatzbeschaffung durchführt, seinen Schaden konkret abrechnet und seiner Wirtschaftlichkeitsbetrachtung die Stundenverrechnungssätze einer Markenwerkstatt zugrunde gelegt hat. Entscheidend ist, dass der Geschädigte im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung die Kosten der ihm zustehenden tatsächlichen Wiederherstellungsalternativen vergleichen muss. Da er bei einer konkreten Abrechnung grundsätzlich Anspruch auf Durchführung der Reparatur in einer Markenwerkstatt hat, darf er daher auch diese seiner Vergleichsbetrachtung zugrunde legen, wenn er eine Wiederherstellungsmaßnahme durchführen und die dabei angefallenen Kosten abrechnen will.

cc) Entgegen der Berufung ist hier auch von einer konkreten Schadensabrechnung durch den Kläger auszugehen. Zwar hat der Bundesgerichtshof in einem Fall, in dem der voraussichtliche Reparaturaufwand unter dem Wiederbeschaffungsaufwand blieb und der Geschädigte gleichwohl eine Ersatzbeschaffung vorgenommen hatte, angenommen, der Geschädigte könne nicht den angefallenen Kaufpreis (bis zur Grenze der Bruttoreparatur) konkret, sondern nur seinen Reparaturschaden auf Gutachtenbasis fiktiv abrechnen (BGH, Urt. v. 22.9.2009 – VI ZR 312/08, DAR 2009, 689; a.A. offenbar BGH, Urt. v. 5.2.2013 – VI ZR 363/11, DAR 2013, 462). So liegt es hier indes nicht. Denn nach dem Gutachten des vom Kläger beauftragten Sachverständigen lag gerade kein Reparatur-, sondern ein Totalschadensfall vor, so dass die Ersatzbeschaffung die wirtschaftlich gebotene Wiederherstellungsalternative darstellte. Die Geltendmachung deren Kosten (bis zur Höhe des gutachterlich ausgewiesenen Wiederbeschaffungsaufwands) stellt daher eine zulässige konkrete Schadensabrechnung dar.

c) Soweit die Berufung schließlich einwendet, der vom Gutachter ermittelte Wiederbeschaffungswert sei schon aufgrund eines fehlerhaften Mehrwertsteuerausweises zu niedrig ausgewiesen, bleibt ihr der Erfolg ebenfalls versagt. Der Kläger durfte den gutachterlich ermittelten Wert seiner Vergleichsbetrachtung zugrunde legen.

aa) Für den Fall, dass der Geschädigte sein Fahrzeug reparieren lässt, sind die durch eine Reparaturrechnung der Werkstatt belegten Aufwendungen im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der eingegangenen Reparaturkosten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1989 – VI ZR 334/88, VersR 1989, 1056 f.; BGHZ 63, 182 ff.) und können regelmäßig auch dann für die Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn sie ohne Schuld des Geschädigten – etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist – unangemessen sind (vgl. BGHZ 63, 182 ff.; OLG Stuttgart, OLGR Stuttgart 2003, 481 ff. m.w.N., OLG Köln, OLGR Köln 1992, 126 f.; Kammerurteil v. 16.12.2011 – 13 S 128/11, Juris). Dementsprechend hat die Kammer wiederholt entschieden, dass der Geschädigte, der im Vertrauen auf den von „seinem“ Gutachter ausgewiesenen Reparaturweg sein Fahrzeug reparieren lässt, nur dann im Nachhinein auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit verwiesen werden kann, wenn er anhand der leicht nachvollziehbaren Einwendungen des Schädigers vor Beginn der Reparatur ohne weiteres erkennen konnte, dass die der Reparatur zugrunde liegende Bewertung des Sachverständigen oder der Reparaturwerkstatt offenkundig fehlerhaft ist (Kammerurteile vom 16.12.2011 – 13 S 128/11, juris und vom 13.2.2015 – 13 S 198/14; vgl. auch Huber ZfS 2015, 424).

bb) Nichts anderes kann gelten, wenn der Geschädigte aufgrund der vom Gutachter ermittelten Wiederbeschaffungskosten annehmen darf, dass ein wirtschaftlicher Totalschaden vorliegt, und er im berechtigten Vertrauen darauf eine Wiederbeschaffung durchführt (so auch AG Hamburg-St. Georg SP 2015, 419). Auch insofern liegt das Risiko, dass sich der angenommene Wiederbeschaffungswert im Nachhinein als zu niedrig erweist und der Geschädigte dies nicht erkennen konnte, beim Schädiger. Andernfalls könnte der Geschädigte die ihm zustehende Schadensbehebung nicht mehr selbständig durchführen, weil er stets damit rechnen müsste, dass die Grundlagen seiner Schadenskalkulation im Nachhinein verändert werden könnten. Sein Vertrauen auf die gutachterliche Bewertung „seines“ Sachverständigen und die darauf fußende Kalkulation ist folglich bei Durchführung einer Wiederherstellungsmaßnahme grundsätzlich schützenswert. Dabei kann offenbleiben, ob für ein berechtigtes Vertrauen des Geschädigten in den gutachterlich ermittelten Wiederbeschaffungswert – wie bei der Restwertermittlung (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92, VersR 1993, 769; vom 13. Oktober 2009 – VI ZR 318/08, NJW 2010, 605; Freymann/ Rüßmann aaO Rn. 91 f., jew. m.w.N.) – mindestens drei Angebote aus dem regionalen Markt zugrunde gelegt sein müssen. Hier hatte der Privatsachverständige nämlich 4 Vergleichsangebote eingeholt und seinem Gutachten beigefügt.

cc) Dass der vom Gutachter angesetzte Wert – was das Erstgericht mit Recht offengelassen hat – möglicherweise zu gering war, war für den Kläger im Übrigen nicht erkennbar. Insbesondere ergibt sich dies nicht, wie die Berufung meint, aus dem vom Gutachter zugrunde gelegten Mehrwertsteuersatz. Zwar enthält eines der beigefügten Angebote den vollen Umsatzsteuersatz. Die übrigen Angebote stammen dagegen von Privatanbietern oder von Händlern unter Einrechnung der Differenzbesteuerung, so dass es nicht zu beanstanden ist, dass der Sachverständige insgesamt von einer Differenzbesteuerung ausgegangen ist. Jedenfalls wäre eine etwaige Fehleinschätzung des Gutachters nicht so offensichtlich, dass sie von einem durchschnittlichen Geschädigten hätte erkannt werden müssen.

3. Dem Kläger steht daher Ersatz der im Rahmen der Wiederbeschaffung des Ersatzfahrzeuges angefallenen Kosten zu. Diese sind allerdings auf den wirtschaftlich gebotenen Ersatzbeschaffungsaufwand beschränkt, wie er sich aus dem Gutachten des vom Kläger herangezogenen Gutachters ergibt, so dass er seine Kosten in Höhe von (7.500 – 500 =) 7.000,- Euro ersetzt verlangen kann.

4. Soweit das Erstgericht dem Kläger den in Rechnung gestellten Zulassungsaufwand anlässlich der Ersatzbeschaffung zuerkannt hat, ist dies unbedenklich und wird von der Berufung nur insoweit angegriffen, als sie die Auffassung vertritt, der Kläger könne nur Reparaturkosten und nicht die Kosten einer Wiederbeschaffung ersetzt verlangen. Unstreitig in zweiter Instanz ist im Übrigen die Höhe der Unkostenpauschale von 25,56 Euro.

5. Soweit die Anschlussberufung weitere Mietwagenkosten geltend macht, vermag sie hiermit ebenfalls nicht durchzudringen. Mit Recht hat das Erstgericht festgestellt, dass die von Beklagtenseite vorgerichtlich gezahlten 794,73 Euro den ersatzfähigen Schaden abdecken.

a) Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Geschädigte eines Verkehrsunfalls nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen kann, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf (vgl. BGHZ 160, 377, 383 f; Urteil vom 02.02.2010 – VI ZR 139/08, VersR 2010, 545). Ein höherer Tarif als der Normaltarif ist nur erstattungsfähig, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation einen gegenüber dem Normaltarif höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolge dessen zur Schadenbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind (BGH aaO). In diesem Fall muss der Geschädigte darlegen und erforderlichenfalls beweisen, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen kein wesentlich günstigerer Tarif auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt – zumindest auf Nachfrage – zugänglich war (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2007 – VI ZR 18/06, VersR 2007, 515 mwN.). Die Frage, ob ein Unfallersatztarif aufgrund unfallspezifischer Kostenfaktoren erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist, kann lediglich offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten ein günstigerer Normaltarif in der konkreten Situation ohne weiteres zugänglich war, so dass ihm eine kostengünstigere Anmietung unter dem Blickwinkel der ihm gemäß § 254 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (vgl. BGH, Urteil vom 02.02.2010 – VI ZR 139/08, VersR 2010, 545; Kammer, Urteil vom 16.10.2009 – 13 S 171/09).

b) Bei der Ermittlung des Normaltarifs hat das Amtsgericht die Erhebung „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2016“ des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation herangezogen. Dies hält sich im Rahmen tatrichterlichen Ermessens nach § 287 ZPO. In gefestigter Rechtsprechung nimmt die Kammer an, dass sich die Erhebung „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland“ als geeignete Schätzungsgrundlage zur Ermittlung des Normaltarifs auf dem hier maßgeblichen regionalen Markt erwiesen hat und dass den berechtigten Einwendungen, die gegen die Erhebung des Fraunhofer-Instituts vorgebracht worden sind, angemessen Rechnung getragen werden kann, ohne dass die generelle Eignung der Fraunhofer-Erhebung als Ausgangspunkt für die Ermittlung des hier maßgeblichen regionalen Marktpreises entfiele. Danach erscheint der Kammer im Wege des nach § 287 ZPO gebotenen Schätzungsermessens ein Zuschlag von 15 % auf die vom Fraunhofer-Institut ermittelten Normaltarife – wie sie vorliegend auch das Erstgericht vorgenommen hat – als angemessen (vgl. im Einzelnen Urteile der Kammer vom 6. August 2010 – 13 S 53/10, vom 9. April 2010 – 13 S 238/09, vom 26. März 2010 – 13 S 243/09, vom 26. Februar 2010 – 13 S 240/09, und vom 16. Oktober 2009 – 13 S 171/09).

c) Die Kammer hält hieran auch für den „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2016“ fest. Insbesondere rechtfertigen auch die im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Einwendungen keine abweichende Beurteilung. Soweit der Kläger beanstandet, dass die Erhebung des Fraunhofer Instituts auf zweistellige Postleitzahlengebiete abstellt, wird die damit verbundene Pauschalierung zur Überzeugung der Kammer für den hier maßgeblichen regionalen Markt durch die Sicherstellung einer höheren statistischen Relevanz – wie bereits bei den Erhebungen aus den Vorjahren – ausgeglichen, ohne dass der Bezug zum regionalen Markt verloren ginge. Entgegen der irrigen Annahme des Klägers bezieht sich die Erhebung des Fraunhofer Instituts auch nicht ausschließlich auf Internetangebote, wie sich aus Beschreibung der Methodik in der Einleitung zu der Studie (S. 17 f.) ergibt. Soweit die Erhebung Zustell- und Abholungskosten nicht berücksichtigt, spricht das nicht gegen die Zugrundelegung der Studie. Solche Kosten sind – soweit sie tatsächlich angefallen und nicht erkennbar überhöht sind – nach gefestigter Kammerrechtsprechung ebenso zusätzlich erstattungsfähig wie Aufpreise für eine berechtigte Haftungsbefreiung.

d) Entgegen dem Angriff der Berufung hat das Erstgericht nach Maßgabe dieser Grundsätze zu Recht zur Schadensbeseitigung die Anmietung zu einem Normaltarif unter Berücksichtigung eines 15%-Aufschlags mit 322,37 Euro berechnet. Zuzüglich der Kosten für Zustell- und Abholdienst von 93,79 Euro und der Kosten der Haftungsbefreiung von 224,- Euro ergibt sich ein Betrag von 640,16 Euro, der unter dem vorgerichtlichen Ausgleich liegt. Weitere Kosten kann der Kläger daher nicht ersetzt verlangen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision war hinsichtlich der Frage zuzulassen, ob der Geschädigte, der im berechtigten Vertrauen auf das eingeholte Gutachten eine wirtschaftlich gebotene Wiederherstellung durchführt, im Nachhinein auf günstigere Reparaturmöglichkeiten oder darauf verwiesen werden kann, dass der gutachterlich ermittelte Wiederbeschaffungswert unrichtig ist. Insoweit kommt der Sache grundsätzliche Bedeutung zu und gibt Veranlassung eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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