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Verkehrsunfall – Prognose- und Werkstattrisiko des Schädigers

Nach einem Verkehrsunfall streiten sich Unfallgeschädigte und Versicherung um Mehrkosten bei der Reparatur. Das Amtsgericht Coburg entschied, dass die Versicherung auch für Kosten wie Corona-Schutzmaßnahmen oder eine Probefahrt aufkommen muss. Das sogenannte Werkstatt- und Prognoserisiko liegt beim Schädiger, so das Gericht.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 17 C 2275/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Hilfe anfordern


✔ Der Fall: Kurz und knapp

  • Das Urteil betrifft einen Verkehrsunfall und die damit verbundenen Schadensersatzansprüche.
  • Die Klägerin fordert von der Beklagten, die zusätzliche Reparaturkosten in Höhe von 335,22 Euro zu übernehmen.
  • Die Kernfrage ist, welche Kosten nach einem Unfall von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners übernommen werden müssen.
  • Schwierigkeit liegt in der Bewertung, ob bestimmte Kosten, wie Corona-Schutzmaßnahmen und Sicherheitsmaßnahmen, notwendig und zweckmäßig waren.
  • Das Amtsgericht Coburg entschied, dass die Beklagte die zusätzlich geforderten 335,22 Euro zahlen muss.
  • Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass diese Kosten als erforderlicher Herstellungsaufwand gemäß § 249 Abs. 2 BGB anzusehen sind.
  • Das Gericht betonte, dass ein wirtschaftlich denkender Mensch die geltend gemachten Aufwendungen als zweckmäßig und notwendig betrachten würde.
  • Die Entscheidung stärkt die Position Geschädigter, auch zusätzliche Reparaturmaßnahmen erstattet zu bekommen.
  • Für Autofahrer bedeutet dies mehr Klarheit darüber, welche Kosten nach einem Unfall von der gegnerischen Versicherung übernommen werden können.
  • Versicherungen müssen bei der Kostenerstattung nach Unfällen umfassender auch besondere Maßnahmen berücksichtigen.

Gericht: Versicherung muss Zusatzkosten für Reparatur nach Unfall übernehmen

Bei Verkehrsunfällen geht es oft um komplexe rechtliche Fragen und Zusammenhänge. Wer haftet für welchen Schaden? Wie werden Entschädigungsansprüche berechnet? Solche Themen können schnell verwirrend werden. Doch mit dem richtigen Grundwissen können die meisten Fälle gut verstanden werden.

Ein zentraler Punkt ist das sogenannte Prognose- und Werkstattrisiko. Dabei geht es darum, wer für Schäden aufkommen muss, die nach Reparatur eines Fahrzeugs entstehen. Dieses Thema ist für Autofahrer und Versicherungen gleichermaßen wichtig.

Um einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen und gängige Rechtsprechung zu bekommen, lohnt es sich, einen Blick auf einen konkreten Gerichtsfall zu werfen. Dieser soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

Ihr Recht nach Unfallschäden: Wir helfen Ihnen weiter!

Nach einem Verkehrsunfall fühlen Sie sich überfordert und unsicher bezüglich Ihrer Rechte? Die Komplexität des Schadensersatzrechts, insbesondere bei Werkstatt- und Prognoserisiko, kann belastend sein. Kanzlei Kotz steht Ihnen zur Seite. Mit unserer jahrelangen Erfahrung im Verkehrsrecht setzen wir uns für Ihre Ansprüche ein und sorgen für die bestmögliche Lösung. Nehmen Sie unverbindlich Kontakt mit uns auf und lassen Sie uns gemeinsam Ihre rechtliche Situation klären.

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✔ Der Fall vor dem Amtsgericht Coburg


Geschädigte muss nicht für Mehrkosten der Reparatur aufkommen

In dem vorliegenden Fall geht es um einen Rechtsstreit nach einem Verkehrsunfall zwischen der geschädigten Klägerin und der beklagten Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers. Der Unfall ereignete sich am 31.01.2022 und die grundsätzliche Haftung der Beklagten ist unstreitig. Die Reparaturkosten beliefen sich auf insgesamt 6.774,82 €, wovon die Beklagte bereits 6.439,60 € bezahlt hat. Strittig blieben Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen, Sicherheitsmaßnahmen vor Ofentrocknung, eine Probefahrt, die Vorbereitung der Karosserielackierung und die Fahrzeugreinigung.

Das Amtsgericht Coburg entschied, dass die Beklagte auch diese restlichen Reparaturkosten in Höhe von 335,22 € zu erstatten hat. Begründet wurde dies damit, dass es sich um erforderliche Herstellungsaufwendungen handelt, die ein verständiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter in dieser Situation für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Die Einflussmöglichkeiten des Geschädigten sind begrenzt, sobald er das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt.

Das Werkstatt- und Prognoserisiko trägt der Schädiger

Das Gericht stellte klar, dass es dem Zweck des Schadensersatzrechts widersprechen würde, wenn der Geschädigte die Mehraufwendungen einer Reparatur tragen müsste, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist. Dieses sogenannte Werkstatt- und Prognoserisiko liegt in der Sphäre des Schädigers. Die geschädigte Klägerin durfte sich darauf verlassen, dass die von der Werkstatt berechneten Positionen erforderlich waren. Es macht keinen Unterschied, ob die Werkstatt unnötige oder überhöhte Posten oder gar nicht erbrachte Leistungen abrechnet.

Entscheidend ist, dass der Geschädigte in der Situation nach bestem Wissen und Gewissen handelt. Die von einer Fachwerkstatt erstellte Rechnung ist ein starkes Indiz für die Erforderlichkeit der Posten. Es ist gerade Sinn des Werkstattrisikos, dass der Schädiger auch nicht erbrachte Leistungen erstatten muss. Der Schädiger hat dann ggf. Ansprüche gegen die Werkstatt geltend zu machen, nicht gegen den Geschädigten.

Zahlung der Rechnung durch den Geschädigten nicht erforderlich

Für den Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger ist es unerheblich, ob die Rechnung bereits beglichen wurde. Denn bevor die Rechnung bezahlt ist, hat der Geschädigte zunächst nur einen Freistellungsanspruch gegen den Schädiger. Dieser wandelt sich jedoch in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Schädiger die Begleichung der Rechnung ernsthaft und endgültig ablehnt. Eine Fristsetzung durch den Geschädigten ist dann entbehrlich.

Zur Sicherung kann der Schädiger vom Geschädigten die Abtretung etwaiger Erstattungsansprüche gegen die Werkstatt verlangen. Dies hat aber nur deklaratorische Wirkung und hängt nicht davon ab, dass solche Ansprüche tatsächlich bestehen. Eine solche Abtretung hatte die Klägerin vorsorglich bereits in der Klageschrift erklärt.

Verzugszinsen trotz Zurückbehaltungsrecht

Die Beklagte wurde schließlich auch zur Zahlung von Verzugszinsen verurteilt. Ein etwaiges Zurückbehaltungsrecht schließt die Verzinsung nur aus, wenn es vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen ausgeübt wird. Beruft sich der Schuldner erst danach darauf, bleibt der Verzug bestehen. Der Schuldner müsste den Verzug dann z.B. durch ein Angebot der Leistung Zug-um-Zug beenden.

✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall


Das Urteil stärkt die Rechte von Unfallopfern bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen. Es stellt klar, dass der Schädiger das Werkstatt- und Prognoserisiko trägt und somit auch potenziell überhöhte oder nicht erbrachte Reparaturleistungen erstatten muss. Für den Geschädigten genügt es, sich auf die Einschätzung der beauftragten Fachwerkstatt zu verlassen. Die Entscheidung schafft mehr Rechtsklarheit und -sicherheit für Geschädigte bei der Unfallregulierung und erleichtert die Schadensabwicklung.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Wenn Sie in einen Verkehrsunfall verwickelt werden und Ihr Fahrzeug repariert werden muss, müssen Sie sich keine Sorgen um zusätzliche Kosten machen, die während der Reparatur entstehen können. Dazu gehören beispielsweise Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen, Sicherheitsvorkehrungen oder Probefahrten. Das Gericht hat entschieden, dass diese Kosten Teil der Reparatur sind und von der Versicherung des Unfallverursachers getragen werden müssen. Sie können also darauf vertrauen, dass Ihnen diese Kosten erstattet werden, auch wenn die Versicherung sich zunächst weigert. Dies gilt auch dann, wenn Sie die Reparaturrechnung bereits bezahlt haben. Sie haben in solchen Fällen einen Anspruch auf Erstattung der zusätzlichen Kosten.


✔ FAQ – Häufige Fragen

Das Thema Werkstatt- und Prognoserisiko ist für viele Leser mit offenen Fragen verbunden. Glücklicherweise bietet unsere informative FAQ-Sektion wertvolle Antworten und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses wichtige Thema zu vertiefen.

Erfahren Sie in den folgenden Fragen und Erklärungen, welche Bedeutung das Werkstatt- und Prognoserisiko im Kontext des aktuellen Gerichtsurteils hat. Lassen Sie sich inspirieren, mehr über Ihre Rechte und Pflichten nach einem Verkehrsunfall zu erfahren. Unsere FAQ-Sektion liefert Ihnen die relevanten Informationen, damit Sie die komplexen rechtlichen Zusammenhänge besser einordnen können.


Was genau bedeutet Werkstatt- und Prognoserisiko?

Das Werkstatt- und Prognoserisiko regelt, wer für Mehrkosten aufkommen muss, die während einer Fahrzeugreparatur nach einem Verkehrsunfall entstehen. Grundsätzlich trägt der Schädiger, also die Person oder Versicherung, die für den Unfall verantwortlich ist, dieses Risiko.

Wird während der Reparatur ein zusätzlicher, nicht vorhersehbarer Schaden festgestellt, der im ursprünglichen Schadensgutachten nicht berücksichtigt war, muss der Schädiger die daraus resultierenden Mehrkosten ersetzen. Voraussetzung ist, dass dem Geschädigten kein Auswahlverschulden bei der Wahl des Sachverständigen oder der Werkstatt anzulasten ist und er keine Maßnahmen veranlasst, die offensichtlich außer Verhältnis zum erwarteten Schadenbeseitigungsaufwand stehen.

Der Geschädigte darf zur Schadenbeseitigung grundsätzlich den Weg wählen, der seinen Interessen am besten entspricht. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass der vom Gutachter geschätzte Reparaturaufwand zu niedrig war, ist dies aus rechtlicher Sicht unerheblich, solange der Geschädigte keine unverhältnismäßigen Maßnahmen ergriffen hat.

Durch das Werkstatt- und Prognoserisiko soll der Geschädigte vor der Inanspruchnahme mit überhöhten oder nicht erforderlichen Reparaturkosten geschützt werden. Da der Geschädigte bei der Beurteilung des Schadens Laie ist, kann er sich für das ihm fehlende Wissen eines Sachverständigen bedienen, ohne dafür haften zu müssen.


Muss ich als Geschädigter die Reparaturrechnung zunächst selbst bezahlen?

Nein, als Geschädigter müssen Sie die Reparaturrechnung nach einem Verkehrsunfall in der Regel nicht selbst bezahlen. Sie haben gegenüber dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung einen Anspruch auf Freistellung von den Reparaturkosten. Das bedeutet, der Schädiger muss die Werkstatt direkt von den Kosten freistellen, ohne dass Sie dafür in Vorkasse treten müssen.

Allerdings gibt es hier zwei wichtige Unterscheidungen:

  • Freistellungsanspruch: Grundsätzlich haben Sie einen Anspruch darauf, dass der Schädiger Sie von den Reparaturkosten freistellt. Das heißt, er muss der Werkstatt den Rechnungsbetrag direkt überweisen, ohne dass Sie dazwischengeschalten werden.
  • Zahlungsanspruch: In Ausnahmefällen kann sich der Freistellungsanspruch ausnahmsweise in einen Zahlungsanspruch umwandeln. Das ist dann der Fall, wenn der Schädiger die Freistellung ernsthaft und endgültig verweigert. In diesem Fall können Sie die Reparaturkosten zunächst selbst bezahlen und sich dann vom Schädiger erstatten lassen.

Wichtig ist, dass das sogenannte Werkstattrisiko grundsätzlich beim Schädiger liegt. Das bedeutet, wenn sich im Laufe der Reparatur herausstellt, dass die tatsächlichen Kosten höher sind als ursprünglich prognostiziert, muss der Schädiger auch diese Mehrkosten tragen. Voraussetzung ist allerdings, dass Ihnen kein Auswahlverschulden bei der Werkstatt trifft und Sie keine Maßnahmen veranlasst haben, die erkennbar außer Verhältnis zum Schaden stehen.

Zusammengefasst müssen Sie als Geschädigter die Reparaturrechnung in den meisten Fällen nicht selbst bezahlen, sondern können sich direkt an den Schädiger oder dessen Versicherung wenden. Nur in Ausnahmefällen, wenn der Schädiger die Freistellung verweigert, müssen Sie in Vorkasse treten. Auch dann tragen Sie aber nicht das Werkstattrisiko für Mehrkosten.


Welche Kosten fallen unter das Werkstatt- und Prognoserisiko?

Unter das Werkstatt- und Prognoserisiko fallen folgende Kosten, die der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung nach einem Verkehrsunfall zu tragen hat:

Reparaturkosten, die aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt überhöht sind. Dazu zählen beispielsweise zu hoch berechnete Stundensätze oder Materialkosten.

Kosten für Reparaturschritte und -maßnahmen, die tatsächlich nicht durchgeführt wurden, wenn dies für den Geschädigten nicht erkennbar war. Der Geschädigte kann die Arbeiten der Werkstatt nicht im Detail kontrollieren.

Zusätzliche Kosten, die entstehen, wenn sich während der Reparatur versteckte Schäden zeigen, die in der ursprünglichen Schadensprognose nicht erfasst waren. Das Risiko einer Schadensausweitung trägt der Schädiger.

Auch wenn die Werkstatt die Rechnung noch nicht beglichen hat, kann sich der Geschädigte auf das Werkstattrisiko berufen und die Kosten vom Schädiger verlangen. Allerdings muss er dann die Zahlung an die Werkstatt Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ansprüche gegen die Werkstatt verlangen.

Nicht vom Werkstattrisiko erfasst sind hingegen Reparaturen, die nur bei Gelegenheit der Instandsetzungsarbeiten mitausgeführt wurden und in keinem Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen. Hier verbleibt die Darlegungs- und Beweislast beim Geschädigten.


Was kann ich tun, wenn die Versicherung die Kostenübernahme verweigert?

Wenn die Versicherung die Kostenübernahme nach einem Verkehrsunfall verweigert, gibt es mehrere Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen:

Zunächst sollte man die Gründe für die Ablehnung erfragen und sich schriftlich zusenden lassen. Oft berufen sich Versicherer auf angeblich fehlende Erfolgsaussichten oder Ausschlüsse im Vertrag. Diese Begründungen gilt es kritisch zu hinterfragen.

Ein spezialisierter Anwalt für Versicherungsrecht kann die Sachlage analysieren und die Erfolgsaussichten einer Klage einschätzen. Er kann auch in Verhandlungen mit der Versicherung eine außergerichtliche Einigung erzielen. Wurde die Police gekündigt, weil der Versicherer die Deckungszusage verweigerte, ist anwaltliche Unterstützung besonders wichtig.

Sollte eine gütliche Einigung nicht möglich sein, kann der Anwalt Klage vor Gericht erheben. Das Gericht prüft dann, ob der Versicherer zur Kostenübernahme verpflichtet ist. Auch wenn man im Prozess unterliegt, übernimmt die Rechtsschutzversicherung die Kosten des Gegners.

Alternativ kann man einen Stichentscheid oder ein Schiedsgutachten beantragen. Dabei prüft ein Anwalt oder vom Gericht bestellter Gutachter die Erfolgsaussichten und bindet den Versicherer an das Ergebnis. Bescheinigt das Gutachten gute Erfolgsaussichten, muss der Versicherer in der Regel zahlen.

Letztlich kann man sich auch kostenfrei an den Versicherungsombudsmann wenden, wenn der Streitwert unter 100.000 Euro liegt. Er kann den Versicherer zur Leistung verpflichten, wenn er die Ablehnung für unberechtigt hält.

Wichtig ist, sich nicht entmutigen zu lassen und die Ablehnung prüfen zu lassen. Oft erweisen sich die Begründungen der Versicherer bei genauerer Betrachtung als haltlos. Mit der richtigen Strategie und Unterstützung lassen sich die Ansprüche in den meisten Fällen durchsetzen.


Kann ich auch Zinsen verlangen, wenn die Versicherung nicht rechtzeitig zahlt?

Ja, Sie können in der Regel auch Verzugszinsen verlangen, wenn Ihre Versicherung nicht rechtzeitig zahlt. Voraussetzung dafür ist, dass die Versicherungsleistung fällig ist und der Versicherer sich im Zahlungsverzug befindet.

Die Versicherungsleistung wird in der Regel einen Monat nach Anzeige des Versicherungsfalls fällig. Zu diesem Zeitpunkt muss der Versicherer seine Leistungspflicht dem Grunde und der Höhe nach geprüft haben. Ist die Leistung fällig, befindet sich der Versicherer im Verzug, wenn er nicht innerhalb der vereinbarten Frist zahlt.

Die Höhe der Verzugszinsen beträgt für Verbraucher fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Den aktuellen Basiszinssatz gibt die Deutsche Bundesbank bekannt. Neben den Verzugszinsen können auch die Kosten eines Rechtsbeistands geltend gemacht werden.

Allerdings gibt es einige Ausnahmen und Besonderheiten zu beachten:

  • Eine Mahnung ist in der Regel nicht erforderlich, wenn sich aus dem Vertrag ergibt, dass die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt erbracht werden muss.
  • Klauseln in Versicherungsverträgen, mit denen sich die Versicherer Verzugszinsen ausschließen, sind unwirksam.
  • Übt der Versicherer ein berechtigtes Zurückbehaltungsrecht aus, weil der Geschädigte z.B. noch Unterlagen schuldet, befindet er sich nicht im Verzug.
  • Verzugszinsen können nur verlangt werden, wenn der Geschädigte den Versicherer nach Fälligkeit zur Zahlung aufgefordert hat.

Zusammengefasst können Verzugszinsen ein wirksames Mittel sein, um Druck auf die Versicherung auszuüben, wenn diese nicht rechtzeitig zahlt. Allerdings müssen die genauen Voraussetzungen im Einzelfall geprüft werden.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils


  • § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Dieser Paragraph regelt den Schadenersatz und bestimmt, dass der Schädiger die Kosten übernehmen muss, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch für notwendig und zweckmäßig erachtet. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass die Klägerin Anspruch auf Ersatz der vollständigen Reparaturkosten hat, da sie diese Maßnahmen für notwendig hielt.
  • Prognoserisiko: Das Prognoserisiko besagt, dass der Schädiger auch dann haften muss, wenn sich später herausstellt, dass die ursprüngliche Schadenseinschätzung unzutreffend war. Die Klägerin konnte in diesem Fall Schadenersatz auch für Kosten verlangen, die sich erst nachträglich als notwendig erwiesen haben.
  • Werkstattrisiko: Dieses Prinzip verschiebt das Risiko für zusätzliche, unvorhersehbare Kosten bei der Schadensbeseitigung auf den Schädiger. Da die Klägerin den Schadensbeseitigungsprozess nicht vollständig kontrollieren konnte, muss die Beklagte auch für unvorhersehbare Zusatzkosten aufkommen, wie z.B. Sicherheitsmaßnahmen und Probefahrten.
  • § 313a Abs. 1 ZPO (Zivilprozessordnung): Diese Regelung erlaubt es, das Urteil in abgekürzter Form ohne vollständige Erklärungen zu veröffentlichen, wenn der Streitwert gering ist. Im Fall des AG Coburg konnte das Urteil schnell und effizient ausgesprochen werden, da es sich lediglich um eine geringe Summe handelte.
  • § 495a ZPO (Zivilprozessordnung): Dieser Paragraph gibt dem Gericht das Recht, nach billigem Ermessen zu verfahren, insbesondere in Fällen mit geringem Streitwert. Dies ermöglichte es dem Gericht, den gesamten Akteninhalt flexibel zu berücksichtigen und zügig eine Entscheidung zu treffen.
  • Verzugszinsen (§§ 288, 247 BGB): Die Beklagte wurde zu Zinszahlungen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verurteilt. Diese Verzugszinsen entstehen, wenn der Schädiger die Zahlung nicht rechtzeitig leistet. Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte die vollständige Zahlung der Reparaturkosten verzögert.
  • Kostentragungspflicht (§ 91 ZPO): Dieser Paragraph bestimmt, dass die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Da die Beklagte im vorliegenden Fall unterlag, musste sie die Prozesskosten der Klägerin übernehmen, was einen Anreiz darstellt, bei eindeutiger Haftung zeitnah alle Schadenskosten zu erstatten.

⇓ Das vorliegende Urteil vom Amtsgericht Coburg

AG Coburg – Az.: 17 C 2275/22 – Urteil vom 14.10.2022

(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 335,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.06.2022 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 335,22 € festgesetzt.

Gründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf restliche Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 31.01.2022 in Höhe von 335,22 €.

Am 31.01.2022 kam zwischen der Klägerin und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Unfallgegner zu einem Verkehrsunfall. Die Haftung der Beklagten ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Reparaturkosten sind in Höhe von 6.774,82 € angefallen, auf die die Beklagte 6.439,60 € gezahlt hat. Die Beklagte hat die Kosten der Corona-Schutzmaßnahmen, der Sicherheitsmaßnahmen vor Ofentrocknung, der Probefahrt, der Vorbereitung Karosserielackierung und der Fahrzeugreinigung nicht erstattet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz weiterer Reparaturkosten in Höhe von 335,22 €.

Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Die Klägerin hat das Bestehen eines eigenen Anspruchs aufgrund eines Haftungsschadens ausreichend dargelegt und nachgewiesen.

Die Reparaturkosten sind in dieser Höhe erstattungsfähig. Hierbei handelte es sich um den erforderlichen Herstellungsaufwand. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind Aufwendungen ersatzfähig, die ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind insofern regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt.

Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Absatz 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Werkstattrisiko geht insofern zulasten des Schädigers (AG Norderstedt, Urteil vom 14. 9. 2012 – 44 C 164/12; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014 – 9 S 314/13). Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014- 37 C 11789/11). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Es besteht kein Grund dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden der Klägerin ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendung sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind hier die Kosten der Corona-Schutzmaßnahmen, der Sicherheitsmaßnahmen vor Ofentrocknung, der Probefahrt, der Vorbereitung Karosserielackierung und der Fahrzeugreinigung ersatzfähig.

Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten insoweit für erforderlich halten dürfen. Die Reparatur und die Abrechnung sind der Einflußsphäre des Geschädigten entzogen. Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Von daher war auch kein Beweis über die Erforderlichkeit zu erheben, da das Werkstattrisiko eben auch Arbeiten umfassen würde, die nicht ausgeführt wurden (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94).

Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die Rechnung von der Klägerin bereits ausgeglichen worden ist oder nicht (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17; AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).

Für den Fall der noch nicht erfolgten Zahlung stand der Klägerin zwar ein Befreiungsanspruch gemäß §§ 249, 257 BGB zu. Dieser Befreiungsanspruch ist gemäß § 250 Satz 2 BGB in einen Geldanspruch übergegangen (AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).

Danach hat der Geschädigte die Möglichkeit, zu einem Anspruch auf Geldersatz zu gelangen, wenn er dem Ersatzpflichtigen erfolglos eine Frist zur Herstellung, d. h. zur Haftungsfreistellung mit Ablehnungsandrohung setzt. Dem steht es nach Rechtsprechung des BGH gleich, wenn der Schuldner die geforderte Herstellung oder überhaupt jeden Schadensersatz ernsthaft und endgültig verweigert. Dann wandelt sich der Freistellungs- in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Geschädigte Geldersatz fordert (BGH, NJW 2004, 1868 ff.). Die Beklagte hat bereits außergerichtlich jegliche Zahlung auf weitere Reparaturkosten ernsthaft und endgültig abgelehnt, so dass es einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung seitens des Klägers zur Umwandlung in einen Geldanspruch nicht bedurfte. Die Klägerin kann somit unmittelbar Zahlung verlangen.

Die Beklagte kann grundsätzlich verlangen, dass ihr Zug um Zug etwaige Erstattungsansprüche des Klägers gegen die Reparaturwerkstatt aus dem Reparaturvertrag abgetreten werden.

Eine solche Abtretung schmälert die Rechtsposition des Klägers als Geschädigten nicht und ist nicht davon abhängig, dass etwaige Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt tatsächlich bestehen. Vielmehr genügt es, dass es möglich erscheint, dass solche Ansprüche vorhanden sind. Die Berechtigung eines solchen Anspruchs ist vielmehr dann im Verhältnis zwischen dem Schädiger, hier der Beklagten, und der Reparaturwerkstatt zu klären (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17). Voraussetzung des § 255 BGB analog ist nämlich nur, dass der abzutretende Anspruch als möglich erscheint. Dies ist der Fall.

Vorliegend wurden die etwaigen Erstattungsansprüche der Klägerin gegen die Reparaturwerkstatt aus dem Reparaturvertrag jedoch bereits im Rahmen der Klageschrift an die Beklagte abgetreten, sodass es keiner Verurteilung Zug-um-Zug mehr bedarf. Die Beklagte hat die Abtretung auch bereits angenommen.

Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB schließt den Verzug mit der Erfüllung der Leistungspflicht und damit die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen nur aus, wenn es vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen ausgeübt wird. Beruft sich der Schuldner erst danach auf sein Zurückbehaltungsrecht, wird der bereits eingetretene Verzug dadurch nicht beseitigt. Der Schuldner muss vielmehr durch geeignete Handlungen den Verzug beenden, zum Beispiel seine eigene Leistung Zug um Zug gegen Bewirkung der Gegenleistung anbieten (BGH, Urteil vom 26.09.2013, Az. VII ZR 2/13 m.w.N.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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