Skip to content

Verkehrsunfall ohne Berührung: Haftung 50:50, 25 % Abzug neu für alt bei Brille

Nach einem Verkehrsunfall ohne Berührung forderte ein Radfahrer Schadensersatz für seine zerbrochene, drei Jahre alte Brille. Trotz bejahter Betriebsgefahr des Pkws kürzte das Gericht die Brillenkosten um 25 Prozent und wog zusätzlich das Mitverschulden des Radfahrers.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 11 S 72/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landgericht Bochum
  • Datum: 21.01.2025
  • Aktenzeichen: 11 S 72/24
  • Verfahren: Berufung
  • Rechtsbereiche: Unfallrecht, Haftungsrecht, Schadensersatz

  • Das Problem: Ein Fahrradfahrer stürzte, weil er dem entgegenkommenden Auto ausweichen musste. Es gab keinen direkten Kontakt zwischen Auto und Fahrrad. Der Radfahrer forderte Ersatz für seine zerstörte Brille und beschädigte Kleidung.
  • Die Rechtsfrage: Haften Autofahrer oder Halter für Schäden, die im Straßenverkehr ohne eine physische Berührung entstehen? Wenn ja, wie wird die Schuld aufgeteilt und muss bei Ersatz einer Brille ein Abzug vorgenommen werden?
  • Die Antwort: Ja, das Gericht bejahte die Haftung des Autofahrers, weil seine zu schnelle Fahrweise den Unfall mitverursacht hat. Wegen grober Fahrlässigkeit des Radfahrers wurde die Haftung jedoch hälftig (50 zu 50) geteilt.
  • Die Bedeutung: Die Haftung für den Betrieb eines Kraftfahrzeugs greift auch ohne direkten Zusammenstoß, wenn die Fahrweise einen Unfall beeinflusst. Geschädigte müssen sich einen Abzug gefallen lassen, wenn die neue Ersatzsache (hier: Brille) einen wirtschaftlichen Vorteil bietet.

Der Fall vor Gericht


Wer zahlt Schäden bei einem Unfall ohne Zusammenstoß?

Im Mittelpunkt dieses Falles stand eine Brille. Zuerst die alte, die bei einem Fahrradsturz zerbrach. Dann die neue, für 768 Euro, deren Kosten der gestürzte Radfahrer ersetzt haben wollte. Der Haken an der Geschichte: Der Sturz passierte ohne jeden Kontakt zu dem Auto, dessen Fahrerin der Radfahrer verantwortlich machte.

Der verletzte Radfahrer kämpft um Schadensersatz nach dem Unfall ohne Berührung und wehrt den "Abzug neu für alt" bei der Brille ab.
Betriebsgefahr begründet Haftung beim Unfall ohne Zusammenstoß; Mitverschulden reduziert Schadenersatz. | Symbolbild: KI

Der Fall vor dem Landgericht Bochum wurde so zu einer doppelten Prüfung. Erstens: Haftet ein Autofahrer für einen Unfall ohne Zusammenstoß? Und zweitens: Wenn ja, wie viel ist eine drei Jahre alte Brille heute überhaupt noch wert?

Warum haftet ein Autofahrer, obwohl er niemanden berührt hat?

Die Argumentation der Autofahrerin war simpel. Kein Kontakt, kein Schaden, keine Haftung. Das Gericht sah das anders. Es stützte seine Entscheidung auf ein mächtiges Prinzip des deutschen Verkehrsrechts – die sogenannte Betriebsgefahr. Im Straßenverkehrsgesetz (§ 7 StVG) ist festgelegt, dass der Halter eines Fahrzeugs schon für Schäden haftet, die allein „bei dem Betrieb“ seines Fahrzeugs entstehen.

Ein direkter Anstoß ist dafür nicht nötig. Es reicht aus, wenn ein Auto durch seine Fahrweise den Ablauf eines Unfalls mitprägt. Die bloße Anwesenheit genügt nicht. Das Fahrzeug muss aktiv zum Geschehen beigetragen haben. Genau das stellte das Gericht hier fest. Die Fahrerin räumte selbst ein, schneller als Schrittgeschwindigkeit gefahren zu sein. Fotos zeigten ihr Auto zudem in einer Position deutlich entfernt vom rechten Fahrbahnrand – ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO). Ihre Fahrweise beeinflusste den Verkehr. Sie zwang den Radfahrer zu einer Reaktion. Dieser enge zeitliche und örtliche Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Autos und dem Sturz des Radfahrers reichte dem Gericht aus, um eine Haftung zu begründen.

Traf den Radfahrer selbst eine Schuld am Unfall?

Der Radfahrer bekam Recht – aber nur zur Hälfte. Das Gericht nahm sein Fahrverhalten ebenso kritisch unter die Lupe. Der Mann hatte ausgesagt, das Auto der Beklagten schon aus 100 bis 150 Metern Entfernung gesehen zu haben. Seine eigene Geschwindigkeit schätzte er auf rund 25 km/h. Er verringerte sein Tempo nicht. Er fuhr auf die erkennbare Gefahrensituation zu, ohne seine Fahrweise anzupassen.

Darin sahen die Richter einen klaren Verstoß gegen die Pflicht zur angepassten Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 StVO). Wer eine Gefahr erkennt, muss reagieren. Das tat der Radfahrer nicht in ausreichendem Maße. Sein Verhalten wertete das Gericht als Grob fahrlässig. Es wog die Verursachungsbeiträge gegeneinander ab. Auf der einen Seite stand das fehlerhafte Fahren der Autofahrerin, das die Betriebsgefahr ihres Pkw erhöhte. Auf der anderen Seite stand das erhebliche Mitverschulden des Radfahrers (§ 254 BGB). Das Ergebnis war eine klare Teilung der Verantwortung. Die Haftungsquote wurde auf 50 zu 50 festgelegt. Der Radfahrer musste die Hälfte seines Schadens selbst tragen.

Muss ein Abzug „neu für alt“ bei einer Brille akzeptiert werden?

Mit der Haftungsquote war nur die erste Hürde genommen. Nun ging es um die genaue Höhe des Schadens, speziell bei der teuren Brille. Der Radfahrer forderte den vollen Neupreis von 768 Euro. Das Gericht wandte hier den Grundsatz des Abzugs „neu für alt“ an. Schadensersatz soll den Geschädigten so stellen, als wäre der Schaden nie passiert – er soll ihn aber nicht bereichern. Bekommt man für eine alte, gebrauchte Sache eine komplett neue, stellt das eine Vermögensmehrung dar. Dieser Vorteil kann vom Schadensersatz abgezogen werden.

Die Verteidigung argumentierte, bei Brillen sei das anders. Es gäbe keinen Markt für gebrauchte Sehhilfen, der Wert einer alten Brille sei praktisch null. Das Gericht folgte dieser Ansicht nicht. Es blickte auf die konkreten Fakten. Die zerstörte Brille war drei Jahre alt. Die neue Brille bot zudem eine leicht verbesserte Sehstärke. Der Radfahrer erhielt also einen Gegenstand, der objektiv mehr wert war als sein alter. Diesen Vorteil bewertete das Gericht nach richterlichem Ermessen (§ 287 ZPO) mit einem pauschalen Abschlag von 25 Prozent des Neupreises.

Der ersatzfähige Schaden für die Brille belief sich damit nicht auf 768 Euro, sondern nur auf 576 Euro. Davon wiederum musste der Radfahrer wegen seines Mitverschuldens die Hälfte selbst tragen. Sein Anspruch für die Brille schmolz auf 288 Euro. Auch seine weiteren Forderungen – für ein beschädigtes Hemd, Krankenhaus-Zuzahlungen und eine Unfallkostenpauschale – wurden auf Basis der 50-Prozent-Quote gekürzt.

Die Urteilslogik

Die Haftungsfrage im Straßenverkehr löst sich nicht mit dem bloßen Fehlen eines Zusammenstoßes auf, sondern erfordert eine präzise Abwägung aller Verursachungsbeiträge, selbst bei rein schreckbedingten Unfällen.

  • Betriebsgefahr begründet Haftung ohne Kollision: Allein die Fahrweise eines Kraftfahrzeugs begründet die Haftung des Halters, wenn das Auto den Unfallablauf durch einen Verstoß gegen die Verkehrsregeln zeitlich und örtlich aktiv mitbestimmt, auch wenn kein direkter Kontakt stattfindet.
  • Pflicht zur adaptiven Gefahrenabwehr: Jeder Verkehrsteilnehmer trägt Mitschuld, wenn er eine erkennbare Gefahrensituation nicht durch die rechtzeitige Anpassung von Tempo oder Fahrweise abwendet, da er grob fahrlässig handelt, wenn er trotz Sichtbarkeit auf die Gefahr zufährt.
  • Bereicherungsverbot bei Schadensersatz: Der Geschädigte muss den Vorteil eines neuwertigen Ersatzes („neu für alt“) anrechnen lassen, um eine ungerechtfertigte Vermögensmehrung zu vermeiden, selbst wenn die ersetzte Sache (wie eine Sehhilfe) faktisch keinen Gebrauchtmarkt besitzt.

Das Schadensrecht erfordert stets eine doppelte Prüfung: die Klärung der ursächlichen Haftung und die gerechte Bemessung des tatsächlichen Schadens unter Vermeidung jeder Bereicherung.


Benötigen Sie Hilfe?


Haben Sie nach einem Verkehrsunfall ohne Kollision Fragen zur Haftungsverteilung oder zum Abzug neu für alt? Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche erste rechtliche Einschätzung Ihres Sachverhalts.


Experten Kommentar

Wie weit reicht die Haftung für einen Autofahrer, der niemanden berührt? Dieses Urteil bekräftigt klar, dass schon eine verkehrswidrige Fahrweise, die andere Verkehrsteilnehmer zu Ausweichmanövern zwingt, ausreicht, um die Betriebsgefahr zu aktivieren. Der entscheidende Punkt ist jedoch die konsequente Haftungsteilung: Die Richter halbieren den Schaden, weil der Radfahrer die erkannte Gefahr nicht ernst nahm. Man bekommt nicht automatisch den vollen Schadensersatz zugesprochen, wenn man in eine offensichtliche Gefahrenlage hineinfährt, anstatt aktiv zu reagieren und das Tempo anzupassen.


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wer zahlt meinen Schaden, wenn es keinen direkten Zusammenstoß gab?

Die Gegenseite lehnt die Haftung oft ab, wenn kein physischer Kontakt bestand und argumentiert: „Kein Kontakt, kein Schaden“. Autofahrer haften jedoch auch ohne direkten Zusammenstoß. Entscheidend ist die sogenannte Betriebsgefahr des Fahrzeugs, die im Straßenverkehrsgesetz (§ 7 StVG) verankert ist. Diese Haftung greift bereits dann, wenn das Auto durch seine Fahrweise den Unfall aktiv mitverursacht und die Gefahr geschaffen hat.

Die Regel: Ein Fahrzeughalter haftet für Schäden, die „bei dem Betrieb“ seines Wagens entstehen. Die bloße Anwesenheit des Autos auf der Straße reicht dafür zwar nicht aus. Sie müssen aber nachweisen, dass das Fahrzeug durch seine Position oder Geschwindigkeit aktiv zur Gefahrensituation beigetragen hat. Hat der Fahrer beispielsweise gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen oder war er schneller als erlaubt, liegt ein kausaler Zusammenhang vor, der die Haftung begründet.

Der Verursacher muss ein aktives Fehlverhalten gezeigt haben, das andere Verkehrsteilnehmer zu einer Reaktion zwingt. Nehmen wir an, ein Autofahrer fährt deutlich zu weit von der Bordsteinkante entfernt, wodurch ein Radfahrer scharf ausweichen muss und stürzt. Obwohl das Auto den Radfahrer nicht berührt, liegt ein enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang vor. Die Betriebsgefahr des Wagens hat sich durch die fehlerhafte Fahrweise realisiert und ist unfallursächlich.

Um Ihren Anspruch durchzusetzen, suchen Sie Zeugen, die bestätigen können, dass das beteiligte Fahrzeug nicht am rechten Fahrbahnrand fuhr und somit gegen das Rechtsfahrgebot verstieß.


zurück

Wann trage ich als Radfahrer Mitschuld, wenn ich einer Gefahr nicht ausweiche?

Sie tragen Mitschuld, sobald Ihnen vorgeworfen wird, eine erkennbare Gefahr ignoriert zu haben. Wenn Sie als Radfahrer eine sich anbahnende Gefahrensituation sehen, müssen Sie Ihre Fahrweise sofort anpassen, auch wenn der Unfallgegner den ersten Fehler machte. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt bei der Schadensregulierung zu einem erheblichen Abzug beim Schadensersatz.

Die Regel verlangt, dass Verkehrsteilnehmer ihre Geschwindigkeit stets den Gegebenheiten anpassen. Nach § 3 Abs. 1 StVO verpflichtet die Pflicht zur angepassten Geschwindigkeit dazu, bremsbereit zu sein und das Tempo zu reduzieren, sobald eine Gefahr wahrnehmbar wird. Es ist gerichtlich festgestellt, dass Sie nicht sehenden Auges in eine unfallträchtige Situation hineinfahren dürfen, selbst wenn Sie eigentlich Vorfahrt hätten. Die Erkennbarkeit der Gefahr ist dabei das entscheidende Kriterium für die Richter.

Konkret: Ein Radfahrer, der ein falsch fahrendes Auto bereits aus 100 bis 150 Metern Entfernung bemerkt, muss sofort reagieren. Wenn er aber unverändert mit 25 km/h weiterfährt, wird dieses Zögern als grob fahrlässig eingestuft. Das Gericht wägt dann die Fehler beider Parteien gegeneinander ab. Dieses Versäumnis, die Geschwindigkeit anzupassen, kann die Haftungsquote zugunsten des Unfallgegners verschieben, typischerweise bis zu einer Teilung von 50 zu 50.

Überprüfen Sie kritisch, welche Distanz Sie zum Auto bei der Unfallaufnahme angegeben haben, da diese Angabe über Ihr Mitverschulden entscheidet.


zurück

Wie wird der Abzug „neu für alt“ bei kaputten Brillen berechnet?

Die Regel: Wenn Sie eine beschädigte Brille ersetzen müssen, erhalten Sie oft nicht den vollen Neupreis erstattet. Dieser sogenannte Abzug „neu für alt“ soll verhindern, dass der Geschädigte durch den Schadensersatz einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil erlangt. Der Abzug wird typischerweise nach richterlichem Ermessen festgesetzt und richtet sich primär nach dem Alter der alten Sehhilfe.

Obwohl Brillen keinen Gebrauchtmarkt haben, sieht die Rechtsprechung die neue Sehhilfe als objektive Bereicherung an. Ihre neue Brille ersetzt nicht nur die Funktion der alten, sondern besitzt auch eine längere Lebensdauer und ist technisch auf dem neuesten Stand. Entscheidend ist der Grundsatz, dass Schadensersatz nur den Zustand vor dem Unfall wiederherstellen soll. Gerichte berücksichtigen dabei Faktoren wie das Alter des zerstörten Modells sowie Verbesserungen der Sehstärke oder des Brillengestells.

Nehmen wir an: Eine Brille war zum Unfallzeitpunkt bereits drei Jahre alt. Ein Gericht kann hier nach § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) eine pauschale Schätzung vornehmen. Ein Gericht verhängte in einem solchen Fall einen pauschalen Abschlag von 25 Prozent des Neupreises der Ersatzbrille. Diese Kürzung berücksichtigte sowohl das Alter von drei Jahren als auch eine leichte Verbesserung der Dioptrienwerte. Der Geschädigte muss diesen Prozentsatz daher selbst tragen.

Um den Abzug zu minimieren, legen Sie unbedingt die Kaufrechnungen der alten und der neuen Brille vor, um Alter und technische Gleichwertigkeit zu belegen.


zurück

Wann wird die Haftung 50 zu 50 geteilt, obwohl ich unverschuldet gestürzt bin?

Obwohl der Unfall durch einen Fehler des Gegners – etwa den Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot – ausgelöst wurde, tragen Sie möglicherweise eine Mitschuld. Gerichte teilen die Haftung häufig im Verhältnis 50:50, wenn das erhöhte Gefährdungspotenzial des Fahrzeugs (Betriebsgefahr) durch Ihr eigenes, erhebliches Mitverschulden kompensiert wird. Das ist der Fall, wenn Sie die Gefahr klar erkennen konnten, aber grob fahrlässig nicht reagiert haben.

Die Aufteilung des Schadensersatzes basiert auf der genauen Gewichtung der Verursachungsbeiträge nach § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dabei zählt nicht nur, wer den Unfall ursprünglich verschuldet hat, sondern auch, inwiefern der Geschädigte selbst das Schadensereignis durch eigenes Verhalten mitverursacht hat. Auf der Seite des Unfallgegners stehen oft die erhöhte Betriebsgefahr und die fehlerhafte Fahrweise, beispielsweise zu hohe Geschwindigkeit oder Missachtung des Rechtsfahrgebots.

Auf Ihrer Seite wird das Mitverschulden relevant, wenn Sie gegen die Pflicht zur angepassten Geschwindigkeit verstoßen haben. Dies passiert, sobald Sie eine Gefahr (wie ein falsch fahrendes Auto) aus großer Distanz erkennen, aber Ihre Geschwindigkeit nicht reduzieren. Nehmen wir an, Sie sehen das Auto 150 Meter entfernt, fahren aber unvermindert darauf zu. Ein solches Zögern kann vom Gericht als grob fahrlässig eingestuft werden. Die Richter wägen diese beiden Pflichtverletzungen – Fahrfehler des Autos gegen Nicht-Reaktion des Radfahrers – gegeneinander ab.

Um eine 50:50-Teilung erfolgreich anzufechten, müssen Sie beweisen, dass die Gefahr plötzlich und unvorhersehbar war und Ihnen keine reale Möglichkeit zur rechtzeitigen Temporeduzierung blieb.


zurück

Wann erhöht meine Fahrweise die Betriebsgefahr so stark, dass ich hafte?

Ihre allgemeine Betriebsgefahr wird zur kausalen Haftungsgrundlage, wenn Sie aktiv gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen. Die bloße Anwesenheit Ihres Fahrzeugs genügt dabei nicht, um eine Haftung auszulösen. Haftung entsteht erst, wenn Ihr aktives Fehlverhalten andere Verkehrsteilnehmer zu einer unfallverursachenden Reaktion zwingt, selbst wenn es zu keinem physischen Kontakt kommt.

Entscheidend ist, dass das Fahrzeug aktiv durch seine fehlerhafte Bewegung zum Unfallgeschehen beigetragen hat. Ein typisches Fehlverhalten ist die Missachtung des Rechtsfahrgebots gemäß § 2 Abs. 2 StVO, wenn Sie unnötig weit von der Bordsteinkante entfernt fahren. Auch eine unangebrachte Geschwindigkeit, etwa wenn Sie in einem kritischen Bereich schneller als Schrittgeschwindigkeit unterwegs sind, kann die Gefahr maßgeblich erhöhen. Diese konkreten Verstöße schaffen eine unmittelbare Gefahrensituation und stellen den notwendigen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zum Unfall her.

Das Landgericht Bochum stellte in einem vergleichbaren Fall fest, dass die Autofahrerin zu weit vom rechten Fahrbahnrand entfernt fuhr. Hinzu kam, dass sie schneller als Schrittgeschwindigkeit unterwegs war. Diese Kombination von Pflichtverletzungen erhöhte die Betriebsgefahr des Pkw. Das Gericht sah darin einen kausalen Beitrag zum Sturz des Radfahrers, der deshalb ausweichen musste. Der Unfallgegner haftet also, weil er durch seinen Fahrfehler die schadenstiftende Reaktion erzwang.

Überprüfen Sie sofort die Position Ihres Fahrzeugs auf allen Beweisfotos im Hinblick auf das Rechtsfahrgebot.


zurück

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Abzug „neu für alt“

Der Abzug „neu für alt“ ist ein juristischer Grundsatz im Schadensrecht, der verhindert, dass der Geschädigte durch den Ersatz einer alten Sache durch eine neue finanziell bessergestellt wird.
Schadensersatz soll ausschließlich den Zustand wiederherstellen, der vor dem Schaden bestand; eine ungewollte Bereicherung durch den Unfall soll das Gesetz ausschließen.

Beispiel: Das Gericht zog bei der Berechnung des Brillenschadens den Abzug „neu für alt“ in Höhe von 25 Prozent des Neupreises ab, da die zerstörte Sehhilfe bereits drei Jahre alt war.

Zurück

Betriebsgefahr

Die Betriebsgefahr ist eine gesetzlich verankerte Gefährdungshaftung (§ 7 StVG), die besagt, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs bereits für Schäden haftet, die bei dem Betrieb seines Wagens entstehen, auch ohne direktes Verschulden.
Da Fahrzeuge aufgrund ihrer Masse und Geschwindigkeit immer eine abstrakte Gefahr darstellen, legt der Gesetzgeber dem Halter dieses erhöhte Risiko auf; ein direkter Zusammenstoß ist für die Haftungsbegründung nicht zwingend erforderlich.

Beispiel: Die Richter stellten fest, dass die Autofahrerin gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen hatte und dadurch die Betriebsgefahr ihres Pkw so stark erhöhte, dass sie kausal für den Sturz des Radfahrers war.

Zurück

Grob fahrlässig

Juristen bezeichnen ein Verhalten als grob fahrlässig, wenn jemand die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und dabei offensichtlich nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem hätte einleuchten müssen.
Das Gesetz differenziert zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit, um bei einer besonders eklatanten Missachtung von Pflichten stärkere rechtliche Konsequenzen, oft in Form einer Kürzung des Schadensersatzes, zu ziehen.

Beispiel: Da der Radfahrer das falsch fahrende Auto bereits aus 150 Metern Entfernung sah, aber seine Geschwindigkeit nicht reduzierte, wertete das Landgericht Bochum sein Zögern als grob fahrlässig.

Zurück

Haftungsquote

Die Haftungsquote ist das prozentuale Verhältnis, in dem zwei Unfallbeteiligte den entstandenen Schaden untereinander aufteilen müssen, nachdem das Gericht die jeweiligen Verursachungsbeiträge und Verschuldensgrade abgewogen hat.
Dieser prozentuale Schlüssel sorgt für eine gerechte Verteilung der Schadenslast und berücksichtigt, inwiefern die Betriebsgefahr des einen Fahrzeugs durch das Mitverschulden des anderen kompensiert wird.

Beispiel: Aufgrund des erheblichen Mitverschuldens des Radfahrers und der erhöhten Betriebsgefahr des Autos legte das Gericht die Haftungsquote auf eine Teilung von 50 zu 50 fest.

Zurück

Mitverschulden (§ 254 BGB)

Wenn der Geschädigte den eingetretenen Schaden selbst mitverursacht hat, spricht man vom Mitverschulden (§ 254 BGB), welches dazu führt, dass der Schadensersatzanspruch anteilig gekürzt wird.
Dieses Prinzip stellt sicher, dass niemand vollen Ersatz für einen Schaden erhält, den er durch die Missachtung eigener Sorgfaltspflichten – etwa durch Verstoß gegen die Pflicht zur angepassten Geschwindigkeit – zumindest teilweise selbst herbeigeführt hat.

Beispiel: Das erhebliche Mitverschulden des Radfahrers, der eine erkennbare Gefahr ignorierte, reduzierte seinen Anspruch auf die Hälfte des ermittelten Schadens.

Zurück

Richterliches Ermessen (§ 287 ZPO)

Richterliches Ermessen ist die Befugnis des Gerichts, in bestimmten Bereichen, insbesondere bei der Schätzung der Höhe eines Schadens oder des Vorteils einer Bereicherung, ohne strenge Beweisführung nach freier richterlicher Überzeugung zu entscheiden (§ 287 ZPO).
Die Zivilprozessordnung erlaubt diese Schätzungen, wenn eine exakte Berechnung des entstandenen Schadens unmöglich oder extrem schwierig wäre, was die Verfahren beschleunigt und praktikabler macht.

Beispiel: Da es keinen Gebrauchtmarkt für Brillen gab, musste das Gericht den Vorteil der neuen Brille nach richterlichem Ermessen schätzen und legte dafür pauschal 25 Prozent des Neupreises fest.

Zurück



Das vorliegende Urteil


Landgericht Bochum – Az.: 11 S 72/24 – Urteil vom 21.01.2025


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Verkehrsrecht, Versicherungsrecht und der Regulierung von Verkehrsunfällen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile aus dem Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!