LG Saarbrücken, Az.: 13 S 97/17, Urteil vom 10.11.2017
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Saarlouis vom 02.06.2017 – 27 C 1522/16 (13) – teilweise abgeändert und die Beklagte wird unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an den Kläger 774,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.01.2017 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 27% und die Beklagte zu 73%.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt restliche Nutzungsausfallentschädigung aus einem Verkehrsunfall, der sich am 15.08.2016 in … ereignet hat und für den die Beklagte in vollem Umfang eintrittspflichtig ist. Bei dem Unfall wurde das Fahrzeug des Klägers, ein Hyundai Santa Fe, Erstzulassung 30.04.2007, stark beschädigt.
Wegen des an seinem Fahrzeug entstandenen Schadens holte der Kläger ein Schadensgutachten ein. Das Gutachten wurde am 23.08.2016 vorgelegt und wies Reparaturkosten von 19.363,14 € brutto bei einem Wiederbeschaffungswert von 10.700,- € und einem Restwert von 2.700,- € aus. Als Wiederbeschaffungsdauer kalkulierte der Schadensgutachter 12 bis 14 Kalendertage. Am 25.08.2017 veräußerte der Kläger sein Fahrzeug zum ermittelten Restwert. Am 30.08.2017 übermittelte die Beklagte dem Kläger ein Restwertangebot über 3.319,- €. Am 01.09.2016 beschaffte der Kläger ein Ersatzfahrzeug, dessen Kauf er allerdings wegen eines verschwiegenen reparierten Totalschadens am 09.09.2016 rückgängig machte. Am 14.09.2016 erwarb der Kläger erneut ein Gebrauchtfahrzeug zum Preis von 31.500,- € brutto, das am Folgetag zugelassen wurde. Die Beklagte hat für Nutzungsausfall einen Betrag von 826,- € gezahlt. Dabei hat sie einen ersatzfähigen Zeitraum von 14 Kalendertagen zugrunde gelegt.
Mit seiner Klage hat der Kläger restliche Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 1.062,- € nebst Zinsen geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er könne für den gesamten Zeitraum vom 15.08.2016 bis 15.09.2016 eine Nutzungsausfallentschädigung auf der Grundlage eines Tagessatzes von 59,- € – wie von seinem Sachverständigen ermittelt – beanspruchen.
Die Beklagte hält lediglich einen Betrag von 50,- € pro Tag für angemessen. Sie hat die Auffassung vertreten, für die misslungene erste Ersatzbeschaffung brauche sie nicht einzustehen. Dass der Kläger bei der ersten Ersatzbeschaffung betrogen wurde, könne ihr keinesfalls zugerechnet werden.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat die Erstrichterin ausgeführt, der Kläger könne Nutzungsausfallentschädigung lediglich für die objektiv erforderliche Dauer der Ersatzbeschaffung verlangen.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. Er rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Erstgericht.
Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist überwiegend begründet.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt auch der vorübergehende Verlust der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs einen ersatzfähigen Schaden im Sinne der §§ 249 ff BGB dar, wenn der Geschädigte sich für die Zeit des Nutzungsausfalls keinen Ersatzwagen beschafft hat (st. Rspr., vgl. BGHZ 40, 345, 347 ff; 56, 214, 215; BGH, Urteile vom 10.06.2008 – VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198; vom 10.03.2009 – VI ZR 211/08, NJW 2009, 1663 und vom 14.04.2010 – VIII ZR 145/09, VersR 2010, 1463, jeweils m.w.N.). Dieser Nutzungsausfall ist nicht notwendiger Teil des am Kfz in Natur eingetretenen Schadens. Es handelt sich vielmehr um einen typischen, aber nicht notwendigen Folgeschaden, der weder überhaupt noch seiner Höhe nach von Anfang an fixiert ist. Er setzt neben dem Verlust der Gebrauchsmöglichkeit voraus, dass der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis zur Nutzung des Fahrzeugs willens und fähig gewesen wäre (Nutzungswille und hypothetische Nutzungsmöglichkeit; st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18.12.2007 – VI ZR 62/07, VersR 2008, 370, und vom 14.04.2010 aaO, jeweils m.w.N.), und besteht für die erforderliche Ausfallzeit, d.h. für die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und gegebenenfalls einer angemessenen Überlegungszeit (BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 363/11, VersR 2013, 471).
2. Nach diesen Grundsätzen steht dem Kläger grundsätzlich Anspruch auf Nutzungsentschädigung für die Zeit zwischen dem Unfalltag und dem Tag der Zulassung des ersatzbeschafften Fahrzeugs zu. Denn er konnte – was zwischen den Parteien nicht streitig ist – in diesem Zeitraum sein Fahrzeug unfallbedingt nicht nutzen. Dabei spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Halter und Fahrer eines privat genutzten PKW – wie hier der Fall – diesen während eines unfallbedingten Ausfalls auch benutzt hätte (Kammer, Urteil vom 14.02.2014 -13 S 189/13, NJW 2014, 2292 m.w.N.; zuletzt Urteil vom 07.04.2017 – 13 S 167/16, juris).
3. Allerdings ist anerkannt, dass die erforderliche Ausfallzeit entscheidend durch die Art der vom Geschädigten gewählten Schadensabrechnung beeinflusst wird. Rechnet der Geschädigte seinen Schaden fiktiv ab, kommt es maßgeblich auf die objektiv erforderliche Dauer an (vgl. BGH, Urteil vom 15.07.2003 – VI ZR 361/02, NJW 2003, 3480 f.; Kammer, Urteil vom 15.05.2015 – 13 S 12/15, NZV 2015, 547 m.w.N.). Rechnet der Unfallgeschädigte – wie hier der Fall – seinen Schaden demgegenüber konkret ab, ist Nutzungsausfall grundsätzlich für die gesamte erforderliche Ausfallzeit zu leisten, d.h. für die im konkreten Fall notwendige Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und ggfl. einer angemessenen Überlegungszeit. Auch konkret eingetretene Verzögerungen wie sie etwa durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens entstanden sind, muss der Schädiger jedenfalls im üblichen zeitlichen Rahmen hinnehmen (vgl. Kammer, Urteil vom 23.09.2016 – 13 S 53/16, NJW-RR 2017, 355 für Mietwagenkosten).
a) Der Kläger kann danach jedenfalls für die Zeit vom Unfalltag bis zur ersten Ersatzbeschaffung, dem 01.09.2016, Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen. Denn mit insgesamt 18 Tagen (15.08.2016 bis 01.09.2016) für die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die (erste) Ersatzbeschaffung ist hier der übliche Zeitrahmen für eine konkrete Ersatzbeschaffung nicht überschritten, dies allein unter dem Gesichtspunkt, dass der Sachverständige für die reine Wiederbeschaffungszeit in seinem Schadensgutachten schon einen objektiven Rahmen von 12 bis 14 Tagen vorgegeben hat.
b) Dem Kläger steht aber auch für die Zeit bis zur Ersatzbeschaffung des zweiten Fahrzeugs ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung zu.
aa) Bei tatsächlicher Ersatzbeschaffung trägt der Schädiger im Rahmen des Üblichen grundsätzlich das Risiko, dass sich die Wiederbeschaffung verzögert. Dieser Grundsatz findet auch dann Anwendung, wenn – wie hier – eine Ersatzbeschaffung aus Gründen misslingt, die der Geschädigte nicht zu vertreten hat, so dass dieser zur Vornahme einer weiteren Ersatzbeschaffungsmaßnahme veranlasst wird. Da sich die Erforderlichkeit der Wiederherstellung im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB aus einer subjektbezogenen ex-ante-Betrachtung bestimmt, können mit Rücksicht auf die näheren Umstände des Schadensfalls auch Maßnahmen als erforderlich angesehen werden, die sich objektiv und ex post betrachtet als nicht erforderlich herausstellen (vgl. Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 249 BGB Rn. 76 m.w.N.). Ausgehend von diesem meist als „Prognoserisiko“ bezeichneten Grundsatz (vgl. Freymann/Rüßmann aaO m.w.N.) hat der Schädiger bei Abrechnung des konkret angefallenen Wiederbeschaffungsaufwands regelmäßig auch das Risiko einer (zunächst) fehlgeschlagenen Ersatzbeschaffung zu tragen. Es gilt hier nichts anderes als in den Fällen der konkreten Schadensabrechnung bei Wiederherstellung durch tatsächliche Reparatur des beschädigten Fahrzeugs, bei denen ebenfalls der Schädiger das Risiko eines unverschuldet entstandenen Mehraufwandes zu tragen hat (vgl. BGHZ 63, 182).
bb) Die Ersatzpflicht der Beklagten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Kläger bei der ersten Ersatzbeschaffung von seinem Verkäufer ggfl. arglistig getäuscht worden ist. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem ein Schädiger dadurch entlastet wird, dass ein Dritter (und sei es auch vorsätzlich und rechtswidrig) zum Nachteil des Geschädigten in den Kausalverlauf eingreift und ohne Vorliegen der Rechtsgutsverletzung nicht eingegriffen hätte (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 40; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2017, § 249 BGB Rn. 58 ff, jeweils m.w.N. zur Rspr.). Entscheidend ist vielmehr, ob der durch das (ggfl. vorsätzliche) Eingreifen eines Dritten entstandene Schaden bei wertender Betrachtung dem Schädiger zugerechnet werden kann, ob sich mithin das Schadensrisiko des Ersteingriffs verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.1988 – VI ZR 37/88, VersR 1988, 1273 m.w.N.; Staudinger/Schiemann aaO Rn. 60). Das ist hier der Fall. Denn in Fällen wie hier ist das Risiko einer verzögerten oder (zunächst) fehlgeschlagenen Wiederherstellung – wie gezeigt – dem Schädiger zugewiesen.
cc) Der Zeitraum für die zweite Ersatzbeschaffung bewegt sich im Übrigen in dem vom Sachverständigen kalkulierten Bereich (01.09. bis 15.09.2016 bei kalkulierten 12 bis 14 Tagen), mithin in einem üblichen Rahmen.
4. Zwar kann auch bei konkreter Schadensabrechnung die Dauer des zu entschädigenden Nutzungsausfalls beschränkt sein, wenn und soweit sich der Nutzungsausfall verlängert, weil der Geschädigte seiner Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB nicht nachkommt (Kammer, vgl. Urteile vom 14.02.2014 aaO und vom 23.09.2016 – 13 S 53/16, juris, jeweils m.w.N.). Anhaltspunkte für eine entsprechende Verletzung bieten sich hier indes nicht. Denn dem Kläger kann – angesichts eines verschwiegenen reparierten Totalschadens durch den Verkäufer – nicht vorgehalten werden, dass er den Kauf über das zunächst beschaffte Fahrzeug rückgängig gemacht hat.
5. Allerdings wendet sich die Beklagte zu Recht gegen die Höhe der von dem Kläger kalendertäglich begehrten Nutzungsausfallentschädigung. Da das klägerische Fahrzeug im Zeitpunkt des Unfalls bereits älter als 5 Jahre alt war, ist eine Herabstufung um eine Gruppe in der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch – Schwacke – geboten (vgl. OLG Hamm, NZV 2013, 247; Freymann/Rüßmann aaO Rn. 218 m.w.N.). Danach sind 32 Tage à 50,- € geschuldet, mithin 1.600,- €. Es verbleibt danach ein noch zu zahlender Betrag von (1.600,- ./. 826,-=) 774,- €.
6. Der Zinsausspruch folgt aus § 291 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).