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Verkehrsunfall mit 11-jährigem Radfahrer bei Rotlichtverstoß

AG Rendsburg, Az.: 3 C 834/12

Urteil vom 18.06.2013

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Der Streitwert wird festgesetzt auf 3.500,00 Euro.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.

Verkehrsunfall mit 11-jährigem Radfahrer bei Rotlichtverstoß
Symbolfoto: Kzenon/Bigstock

Der am 08. März 2001 geborene Kläger befuhr am 02. Mai 2012 um ca. 7.13 Uhr den Radweg der Kieler Straße in Rendsburg. Er befand sich auf dem Weg zur Schule, kam aus Richtung ZOB und fuhr in östlicher Richtung. Der Beklagte zu 1. befuhr mit seinem Fahrzeug Mercedes Benz, Kennzeichen …, haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 2., die Kieler Straße in Rendsburg ebenfalls aus Richtung ZOB kommend in östlicher Richtung. Vor der Ampelkreuzung Kieler Straße – Konrad Adenauer Straße benutzte er den linken von zwei Fahrstreifen. Im Bereich der Kreuzung herrschte ein hohes Fußgänger und Fahrradfahreraufkommen. Als der Kläger bei der Kreuzung Kieler Straße – Konrad Adenauer Straße die Kieler Straße überqueren wollte, kam es zwischen dem Kläger und dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. zu einer Kollision. Als der Beklagte zu 1. die Ampelanlage Kieler Straße – Konrad Adenauer Straße überqueren wollte, zeigte die Ampel für ihn Grünlicht. Der weitere genaue Hergang des Unfalls ist zwischen den Parteien streitig. Bei der Kollision wurde der Kläger vom Fahrzeug des Beklagten zu 1. erfasst und durch die Luft geschleudert. Er erlitt dabei erhebliche Verletzungen und musste stationär behandelt werden. Die stationäre Behandlung des Klägers dauerte bis zum 05. Mai 2012. Diagnostiziert wurden unter anderem Schürfwunden rechte Flanke, linkes Knie, Beckenprellung rechts, Schädel-Hirntrauma, stumpfes Bauch- und Thoraxtrauma. Der Kläger erlitt dabei Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und des Beckens und Druckschmerz an der rechten Hüfte.

Der Kläger behauptet, er habe an der Ampelanlage Kieler Straße – Konrad-Adenauer-Straße gestanden. Bis ca. Ende Juli 2012 habe er Angst Fahrrad zu fahren gehabt und habe mit dem Auto bzw. dem Bus zur Schule gebracht werden müssen. Seit dem Verkehrsunfall sei er insgesamt unruhig, gereizt und vergesslich. Auch leide er seither unter Angstzuständen, da er befürchte, nochmals von einem Auto überfahren zu werden.

Er ist der Ansicht, der Beklagte zu 1. habe aufgrund des Umstandes, dass sich die Kieler Straße in unmittelbarer Nähe der Schule befinde, eine erhöhte Sorgfaltsverpflichtung gehabt. Dies gelte umso mehr, da sich der Unfall in den Morgenstunden vor dem Schulbeginn zugetragen habe. Der Beklagte zu 1. habe die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen. In Ansicht der erlittenen Verletzungen und Schmerzen sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.500,00 Euro angemessen.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 3.500,00 Euro jedoch nicht unterschreiten soll, nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21. Juni 2012 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den ihn außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 359,50 Euro nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07. Februar 2013 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm sämtlichen materiellen und immateriellen zukünftigen Schaden aus dem Verletzungsereignis vom 02. Mai 2012 zu ersetzen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 1. behauptet, er sei vor dem Unfall mit einer den Verkehrsverhältnissen angepassten Geschwindigkeit, maximal 50 km/h gefahren. Der Kläger habe mit seinem Fahrrad die Kieler Straße plötzlich und unvermittelt überquert, ohne die für ihn Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage zu beachten. Er, der Kläger, habe wegen des sich auf dem rechten Richtungsfahrstreifen befindenden Pkw und der daraus resultierenden verdeckten Sicht, den Kläger erst unmittelbar vor der Kollision wahrnehmen können.

Die Beklagten sind der Ansicht, dass der Kläger im Rahmen seiner Verantwortlichkeit nach § 828 Abs. 3 BGB für das in Rede stehende Schadensereignis alleinig hafte.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und … . Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Protokoll der öffentlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Rendsburg am 21. Mai 2013 (Blatt 72 ff. der Akte).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 823 BGB oder § 7 Abs. 1 StVG gegen den Beklagten zu 1., so dass auch die Beklagte zu 2. nicht haftet.

1. Die für den Beklagten zu 1. geltende Lichtzeichenanlage zeigte für ihn „Grün“, so dass der Verkehr für ihn freigegeben war, er also in die Kreuzung einfahren durfte. Nach dem Vertrauensgrundsatz kann sich der Verkehrsteilnehmer in der Regel darauf verlassen, dass er bei Grünlicht gegen seitlichen Verkehr abgeschirmt ist (vgl. dazu BGHZ 56, 146, 150 und BGH NJW 1977, 1394, 1395), auch wenn das Grünlicht nicht von der Sorgfaltspflicht entbindet (vgl. hierzu § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 6 StVO).

2. Den Kläger trifft an dem Unfall erhebliche Schuld, denn er hat grob verkehrswidrig das Rotlicht der Kreuzung überfahren. Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest.

Der Zeuge … hat ausgesagt, dass er mit dem Kläger gemeinsam zur Schule gefahren sei. Sie seien parallel zur Kieler Straße auf dem Radweg gefahren und seien dann zu einer Ampelkreuzung gekommen. Der Kläger habe dann die Kieler Straße überqueren wollen. Er habe gesehen gehabt, dass die Ampel für die Autofahrer auf dieser Straße „Rot“ angezeigt habe. Er habe dann aber wohl nicht gesehen, dass die für ihn geltende Fußgängerampel ebenfalls „Rot“ angezeigt habe. Nach Einschätzung des Zeugen habe dies daran gelegen, dass die für die Autos auf der Kieler Straße geltende Ampel unmittelbar auf „Grün“ geschaltet habe. Als der Kläger mit seinem Fahrrad auf die Straße aufgefahren sei, sei die für ihn geltende Fußgängerampel jedenfalls schon auf „Rot“ umgesprungen gewesen. Auf der Straße sei der Kläger dann von dem Auto angefahren worden.

Der Zeuge … hat bekundet, er sei aus Richtung Bahnhof kommend auf der Kieler Straße gefahren. An der Kreuzung Kieler Straße – Konrad Adenauer Straße habe er wegen einer roten Ampel stoppen müssen. Er selbst habe auf dem linken Fahrstreifen der Kieler Straße gestanden. Der Beklagte zu 1. sei mit seinem Fahrzeug der Erste an der Ampel gewesen. Er gehe davon aus, dass die Ampel für den Beklagten, als dieser losgefahren sei, „Grün“ angezeigt habe. Wenn die Ampel zu diesem Zeitpunkt „Rot“ angezeigt hätte, hätte der Zeuge dies bemerkt. Er habe jedenfalls gesehen, dass die Ampel „Grün“ geworden sei und dass der Verkehr sich dann normal weiterbewegt habe.

Die Zeugin … hat ausgesagt, sie habe sich auf der Kieler Straße an der Kreuzung zur Konrad Adenauer Straße auf der rechten Spur befunden. Sie habe zunächst den fließenden Fußgänger- und Fahrradverkehr durchlassen und deshalb warten müssen. Da sei ihr der Kläger auf seinem Fahrrad aufgefallen, weil er einen Fahrradhelm getragen habe, auf seinem Fahrrad gefahren sei und sehr glücklich ausgesehen habe. Er habe sich während des Fahrradfahrens mit einem anderen Radfahrer unterhalten. Dann hätten sich die beiden Radfahrer plötzlich getrennt und der Kläger sei vor der Zeugin quer über die Straße geschossen. Die in Fahrtrichtung der Zeugin befindliche Ampel habe „Grün“ gezeigt.

Das Gericht ist im Rahmen der ihm nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO zustehenden freien Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die Kieler Straße grob verkehrswidrig überqueren wollte, als die Ampelanlage für ihn „Rot“ angezeigt hat, der Beklagte zu 1. hingegen aus dem Stand an der Ampel angefahren ist, als diese für ihn „Grün“ angezeigt hat. Ein Beweis ist erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und vernünftige Zweifel ausgeräumt sind. Die in § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO genannte Überzeugung erfordert keine absolute Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es reicht ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit aus, der Zweifeln Schweigen gebietet. Die Aussagen der Zeugen …, … und … sind glaubhaft. Die Zeugen selbst sind glaubwürdig. Die Aussagen decken sich, soweit sie sich überschneiden. Bei allen Zeugen waren Wahrnehmungsbereitschaft, -fähigkeit und –möglichkeit gegeben. Es ist insbesondere auch nicht erkennbar, dass die Zeugen im Lager einer der Parteien stehen könnten. Die Aussagen der Zeugen waren insgesamt lebensnah. So konnte die Zeugin … sich daran erinnern, dass der Kläger vor dem Unfall fröhlich mit dem Rad gefahren war und einen Helm getragen hatte. Als dieser vor ihr über die Fahrbahn gefahren war, hatte die Zeugin … dies als sehr gefährlich empfunden und auch geschrien, weil sie Angst gehabt hatte, dass da etwas passieren könnte. Der Zeuge … konnte sich daran erinnern, dass er durchaus bemerkt hatte, dass die für die Kfz geltende Ampel von „Rot“ auf „Grün“ umgesprungen war und die Fußgängerampel, die der Kläger überqueren wollte, ebenfalls „Rot“ angezeigt hatte. Er hatte darüber hinaus bemerkt, dass der Kläger den zuletzt genannten Umstand gerade nicht bemerkt hatte. Für die Glaubwürdigkeit der Zeugen spricht weiterhin, dass während der mündlichen Verhandlung deutlich zu erkennen war, dass die Zeugen – insofern auch menschlich nachvollziehbar – den tragischen Unfall des Klägers bedauern und mit ihm mitfühlen.

3. Für den Beklagten waren keine Umstände ersichtlich, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergaben, dass ein Fahrzeug des Querverkehrs sich noch in der Kreuzung befindet. Im Allgemeinen gilt, dass bei einem Zusammenstoß auf einer ampelgeregelten Kreuzung in der Regel derjenige Verkehrsteilnehmer allein haftet, der einen Rotlichtverstoß begangen hat. Eine Mithaftung des Kfz-Halters im Falle eines Rotlichtverstoßes des Radfahrers kann unter Umständen in Betracht kommen, wenn ein fliegender Start des Kfz-Fahrers gegeben ist (vgl. Grüneberg, in: Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 13. Auflage 2013, E. Rdn. 364). Nach Auffassung des Gerichts liegt im vorliegenden Fall kein Grund dafür vor, dem Beklagten zu 1. eine Haftung oder eine Teilhaftung zuzusprechen.

a. Es ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte zu 1. mit unangemessen hoher Geschwindigkeit vor dem Unfall gefahren sein könnte. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte zu 1. aus dem Stand nach dem Umspringen der Ampelanlage auf „Grün“ angefahren war. Die Kollision selbst fand im Bereich der Fußgängerfurt statt, so dass die Kollision relativ kurze Zeit nach dem Anfahren des Beklagten zu 1. stattgefunden haben muss.

b. Es handelte sich insbesondere auch nicht um einen „fliegenden Start“ des Beklagten zu 1. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit verwiesen.

c. Auch der Umstand, dass sich der Unfall nahe einer Schule ereignete, führt hier nicht dazu, dass dem Beklagten zu 1. eine Haftung oder eine Teilhaftung träfe. Der Beklagte zu 1. war mit seinem Fahrzeug angefahren, nachdem die Ampel für ihn „Grün“ angezeigt hatte. Der Kläger hatte demgegenüber versucht, aus einem fliegenden Start heraus, die Kieler Straße zu überqueren. Es steht insoweit zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger auf seinem Fahrrad sich in jedenfalls normaler Radfahrergeschwindigkeit bewegt hatte. Dies folgt insbesondere aus der Aussage der Zeugin …, die sich daran erinnern konnte, dass der Kläger mit seinem Fahrrad über die Straße geschossen war. In Ansicht des Umstandes, dass die Ampel für den Beklagten zu 1. „Grün“ angezeigt hatte und er lediglich mit seinem Fahrzeug anfuhr, musste er trotz Schulnähe nicht damit rechnen, dass von rechts plötzlich ein Radfahrer in jedenfalls normaler Radfahrergeschwindigkeit seinen Weg kreuzen würde.

4. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Verkehrsunfall für den Beklagten zu 1. ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG gewesen ist. Das Gericht ist der Ansicht, dass im vorliegenden Fall im Rahmen der Abwägung des § 17 Abs. 1 StVG die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. hinter das grob fahrlässige Verhalten des bei „Rot“ die Fahrbahn überquerenden Klägers zurücktritt.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

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