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Verkehrsunfall – Kollision zwischen zwei rückwärts ausparkenden Fahrzeugen

LG Deggendorf, Az.: 23 O 344/15, Urteil vom 14.03.2016

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.701,29 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.06.2015 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Anwaltskosten von 150.- EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 28.08.2015 zu bezahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 75% und die Beklagten als Gesamtschuldner 25%.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil aus Ziffer 4. für die Beklagten vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit leisten in Höhe von 110 % des jeweils durch sie zu vollstreckenden Betrags.

6. Der Streitwert wird auf 6.672,70 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom in Z. .

Der Kläger ist Halter des Pkw V. mit dem amtlichen Kennzeichen … . Sein Fahrzeug wurde von seiner Ehefrau, der Zeugin A. K. gefahren. Der Beklagte zu 1) ist der Halter des Pkw V. mit dem amtlichen Kennzeichen …, welcher bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist. Die Beklagte zu 2) war zum Unfallzeitpunkt die Fahrerin.

Am … gegen … Uhr parkte das klägerische Fahrzeug vor dem ehemaligen Postgebäude in der D. Straße in Z., das Beklagtenfahrzeug stand gegenüber auf dem Parkplatz vor dem Gymnasium in Z.. Beide Fahrzeugführerinnen wollten jeweils rückwärts in die D. Straße einfahren, als es zum Zusammenstoß beider Fahrzeuge kam.

Der Pkw des Klägers wurde hinten links am Heck beschädigt, das Fahrzeug des Beklagten zu 1) hinten rechts. Die Reparaturkosten belaufen sich auf 4.526,26 EUR brutto, die Mietwagenkosten auf 958,89 EUR brutto, die Gutachterkosten auf 757,55 EUR brutto. Die Wertminderung beträgt laut Gutachten 400.- EUR.

Mit Schreiben vom 21.04.2015 und 05.05.2015 hat der Klägervertreter die Beklagte zu 3) zur Zahlung aufgefordert. Mit Faxschreiben vom 16.06.2015 lehnte die Beklagte zu 3) jede Schadensersatzleistung ab.

Verkehrsunfall - Kollision zwischen zwei rückwärts ausparkenden Fahrzeugen
Symbolfoto: V_Sot/Bigstock

Der Kläger behauptet, dass seine Ehefrau mit dem Ausparken bereits begonnen habe, als das Beklagtenfahrzeug noch auf dem Gymnasiumsparkplatz gestanden sei. Sie habe das klägerische Fahrzeug dabei bereits ein kurzes Stück zurückgesetzt und gibt vor, den rückwärtigen Verkehrsraum im Blick gehabt zu haben. Als die Fahrerin des klägerischen Pkw bemerkt habe, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Beklagte zu 2) ebenfalls zum Ausparken ansetzte, sei sie sofort stehen geblieben. Er trägt vor, dass von seinem Pkw lediglich die Hinterachse über die Bürgersteigkante in die D. Straße hineingeragt habe. Die Beklagte zu 2) habe seine Frau überhaupt nicht bemerkt und sei auf das stehende Klägerfahrzeug gefahren.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte zu 2) habe sein Fahrzeug übersehen und sei dagegen gestoßen, weshalb der Unfall für seine Ehefrau unvermeidbar gewesen sei. Er meint, die Beklagte zu 3) befände sich seit spätestens 16.06.2015 in Zahlungsverzug.

Der Kläger beantragt zu erkennen:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.672,70 EUR sowie 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit 16.06.2015 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Anwaltskosten von 650,33 EUR sowie 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.

3. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Beklagten beantragen: die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, dass die Ehefrau des Klägers den Unfall selbst verursacht habe. Die Beklagte zu 2) sei mit dem Fahrzeug rückwärts ausgeparkt und habe es gleichzeitig nach links eingelenkt, um die D. Straße in südlicher Richtung befahren zu können. Sie habe sich dabei während des gesamten Ausparkvorgangs durch Umdrehen und Blicke in den Rückspiegel abgesichert. Die Straße sei frei gewesen, auch habe niemand auf der gegenüberliegenden Seite ausgeparkt. Die Beklagten tragen vor, dass die Beklagte zu 2) das Fahrzeug bereits angehalten und sich voll in der Fahrspur eingeordnet – sich lediglich noch leicht schräg befunden habe. Als die Beklagte zu 2) vorwärts losfahren wollte, sei das klägerische Fahrzeug ihrerseits rückwärts gegen das stehende Fahrzeug der Beklagten zu 2) gefahren.

Die Beklagten bestreiten, dass das Fahrzeug des Klägers zuerst ausgeparkt habe. Die Beklagten behaupten, der Kläger sei für die geltend gemachten Forderungen nicht aktivlegitimiert und habe insbesondere keinen Anspruch auf die Umsatzsteuer in Höhe von gesamt 996,73 EUR.

Die Beklagten sind der Ansicht, dass die Fahrerin des klägerischen Pkw das Rückwärtsausparkmanöver nicht hätte durchführen dürfen. Es liege ein Verstoß gegen §§ 9 Abs. 5, 10 Satz 1 StVO vor. Der Unfall stelle sich als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG dar. Jedenfalls würde die Betriebsgefahr im Rahmen der Abwägung zurücktreten. Auch seien nicht alle geltend gemachten Schadensposten erstattungsfähig.

Wegen der Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Klage wurde dem Beklagten zu 1) am 27.08.2015 sowie den Beklagten zu 2) und 3) am 28.08.2015 zugestellt.

Es wurde Beweis erhoben durch Erholung eines mündlichen unfallanalytischen Sachverständigengutachtens sowie durch uneidliche Vernehmung der Zeuginnen A. K. und O. sowie des Sachverständigen R. . Hinsichtlich Umfang, Inhalt und Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2016 (bl. 29/39 d.A) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Deggendorf sachlich und örtlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, § 32 ZPO zuständig.

Die Klage ist im tenorierten Umfang nach §§ 7, 11, 17 StVG, 249, 251 BGB, in Richtung gegen die Beklagte zu 2) nach §§ 18 Abs. 1, 3, 7, 11, 17 StVG, 249, 251 BGB und in Richtung gegen die Beklagte zu 3) in Verbindung mit § 115 VVG begründet. Im Übrigen war die Klage wegen einer Mithaftung und mangels Erstattungsfähigkeit einzelner Schadensposten abzuweisen.

I. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Er hat dargelegt, dass das Fahrzeug zwar finanziert sei, er aber Eigentümer sei. Eine Abtretung bezüglich der Sachverständigenkosten habe es nicht gegeben. Dies blieb zuletzt beklagtenseits unwidersprochen.

II. Die Haftung des Beklagten zu 1) ergibt sich dem Grunde nach aus §§ 7, 11, 17 StVG, 249 ff BGB mit einer Quote von 70:30 zu Lasten des Klägers gemäß § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG.

1. Der Unfall ereignete sich beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, der Beklagte zu 1) war Halter des V..

2. Bei der Halterhaftung handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung, § 7 Abs. 1 StVG. Anhaltspunkte für höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG liegen nicht vor, sodass der Haftungsausschluss nicht greift.

3. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass sich die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs beim rückwärts Ausparken in Bewegung befunden hat und nicht gestanden ist, als es zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug gekommen war.

Das Gericht ist nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Unfallursache ein Verstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs gegen ihre Sorgfalts- und Rücksichtspflichten beim Rückwärtsfahren bzw. beim Einfahren in eine Straße war, indem sie gegen §§ 9 Abs. 5, 10 Satz 1 StVO verstoßen hat.

Nach § 9 Abs. 5 StVO muss sich ein Fahrer beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Ferner hat sich jemand, der aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone, aus einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 10 Satz 1 StVO).

Dass die Ehefrau des Klägers beim rückwärts Einfahren bzw. Ausparken gegen die o.g. Sorgfaltspflichten verstoßen hat, ergibt sich aus dem mündlichen Gutachten des Sachverständigen R., dessen nachvollziehbaren, in sich stimmigen und von erkennbar großer Sachkunde getragenen Ausführungen sich das Gericht zu eigen macht.

Der Sachverständige führt aus, dass das unfallbeteiligte klägerische Fahrzeug am linken Heck unfallbedingt beschädigt worden sei; der Kunststoffstoßfänger sei plastisch verformt und das Abschlussblech sei noch eingedrückt. Der Stoßfänger zeige im abgerundeten Bereich Verschrammungen, die bei einer vergrößerten Betrachtung eine entsprechende Aufschiebung der Lackierung bzw. des Kunststoffes ergeben würden. Beim Beklagtenfahrzeug sei der Stoßfänger ebenso hinten verschrammt worden. Auch sei die Heckklappe beschädigt worden und die Heckleuchte hinten rechts teilweise gebrochen.

Die Verschrammung am Stoßfänger hinten von rechts nach links, in Fahrtrichtung gesehen – also in Querrichtung – sei etwa 20 cm lang. Diese beginne im abgerundeten Bereich und würde sich etwa 20 cm nach innen in Richtung Fahrzeugmitte aufweiten. Der Sachverständige kommt aus technischer Sicht zu dem Resultat, dass dieser Schaden nur erklärbar sei, wenn in der Kontaktphase das Klägerfahrzeug rückwärts bewegt wurde.

Der Sachverständige kommt nachvollziehbar und plausibel zu dem Ergebnis, dass aufgrund des vorgefunden Schadensbildes das Klägerfahrzeug in der Kontaktphase in Rückwärtsbewegung war. Auf die Grundsätze des Anscheinbeweises kommt es daher nicht an.

Aus technischer Sicht könne das Beklagtenfahrzeug zum Kollisionszeitpunkt gestanden oder aber auch mit Restgeschwindigkeit in Rückwärtsbewegung gewesen sein. Ein stehendes Beklagtenfahrzeug sei aufgrund der Spurenlage grundsätzlich möglich.

Diese fachkundigen und nachvollziehbaren Ausführungen macht sich das Gericht zu eigen und legt sie der Urteilsfindung zugrunde.

Die technischen Ausführungen des Sachverständigen R. decken sich insoweit auch mit den Angaben der Beklagten zu 2) im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung. Diese gab schlüssig an, dass sie gerade in Begriff war, vorwärts loszufahren, als ihr das klägerische Fahrzeug gegen ihr hinteres rechtes Heck gefahren sei.

Die richterliche Überzeugung wird durch die Angaben der nicht unfallbeteiligten Zeugin O. gestützt. Die Zeugin O. gab glaubhaft und widerspruchsfrei an, dass die Beklagte zu 2) mit ihrem Fahrzeug bereits auf der Straße gestanden sei, als das klägerische Fahrzeug rückwärts gerollt und aufgefahren sei. Sie hat erlebnisbasiert und ohne jeglichen Belastungseifer geschildert, dass sie sich gedacht habe, dass wenn der anderer Fahrer nicht bald bremst, es „scheppern“ würde. Die Zeugin O. ist unbeteiligt und steht in keinem Näheverhältnis zu den Parteien. Sie hat kein originäres Interesse am Ausgang des Verfahrens.

Die Aussage der Zeugin K. vermag die Überzeugungsbildung des Gerichts nicht zu erschüttern. Die ihrerseits geschilderte Unfallversion (stehendes Klägerfahrzeug) lässt sich aus unfallanalytischer Sicht nicht bestätigen (s.o.).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Kläger den schuldhaften Verstoß der Fahrzeugführerin seines Pkw gegen die StVO zurechnen lassen muss – und dies unabhängig von der konkreten Lage des Kollisionsortes.

4. Die Beklagten konnten eine überwiegende Mithaftung des Klägers nach § 17 StVG am Verkehrsunfall zur Überzeugung des Gerichts nachweisen.

a) Sind an einem Verkehrsunfall zwei Kraftfahrzeuge beteiligt, folgt grundsätzlich aus § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG (i.V.m. § 18 Abs. 3 StVG), dass als Ausgangspunkt jeder Halter unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr zunächst zu 50 % haftet, sofern keine relevanten Unterschiede zwischen den beteiligten Kraftfahrzeugen bestehen. Die gleichmäßige Haftung gilt aber dann nicht, wenn zu der abstrakten/allgemeinen Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge noch besondere Umstände hinzutreten, die den Verursachungsanteil des einen im konkreten Fall erhöhen und damit eine Haftungsverschiebung zu seinen Ungunsten bewirken.

b) Im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG gilt der Grundsatz, dass die jeweils andere Partei die Umstände beweisen muss, die zu Ungunsten der gegnerischen Partei berücksichtigt werden sollen.

c) Beitrag des Klägerfahrzeugs

Die Betriebsgefahr des von der Zeugin K. gesteuerten Pkw ist erhöht weil letztere gegen §§ 9 Abs. 5, 10 Satz 1 StVO schuldhaft verstoßen hat, indem sie rückwärts aus einem Parkplatz in eine Straße eingefahren ist (s.o.).

Unschädlich ist, dass der Kläger nicht der Fahrer des beteiligten Fahrzeuges gewesen ist. Etwaige gefahrerhöhenden Umstände muss sich der Kfz-Halter zurechnen lassen, da er eine Haftungseinheit mit dem Fahrer seines Fahrzeugs bildet; d.h. er muss sich auch dessen (Fehl-)Verhalten zurechnen lassen (Kirchhoff, MDR 1998, 12, 14).

Der Sachverständige R. stellt im Rahmen seines Gutachtens überzeugend dar, dass das Unfallgeschehen alleine durch die klägerische Fahrzeugführerin verursacht worden sei, wenn man die Angaben der Zeugin O. zugrunde legt. Sie hätte den Unfall vermeiden können, wenn sie den zu befahrenden beabsichtigten rückwärtigen Verkehrsraum ausreichend beobachtet und ihre Rückwärtsfahrt entsprechend abgebrochen hätte.

Auch wenn man die Zeugin O. außen vorlässt, ändert sich nicht an der Vermeidbarkeit für die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs. Denn dann hätten sich beide Unfallbeteiligten letztlich während der jeweiligen Ausparkphasen sehen können. Der Unfall wäre dann jeweils vermeidbar gewesen, wenn die beiden Fahrzeugführerinnen die Fahrzeuge vor der Berührung bzw. vor dem Gefahrenbereich des jeweiligen Unfallgegnerfahrzeugs angehalten hätten.

d) Beitrag der Beklagten zu 2)

Der Kläger konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass der Unfall allein seitens der Beklagten zu 2) verschuldet ist. Aus technischer Sicht muss laut Sachverständigem vielmehr davon ausgegangen werden, dass das klägerische Fahrzeug in Bewegung war, da sich andernfalls die ca. 20 cm lange Verschrammung nicht erklären ließe (s.o.).

Das Gericht geht davon aus, dass bei gehöriger Anstrengung der Beklagten zu 2), diese den Unfall hätte vermeiden können. Sie hätte das klägerische Fahrzeug sehen und früher zum Stehen kommen bzw. zügiger wegfahren können. Nach § 1 Abs. 2 StVO hat sich derjenige, der er am Verkehr teilnimmt, so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird.

Sie hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB außer Acht gelassen. Es gilt ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab (Grüneberg in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Auflage, 2016, § 276 Rn 15). Erforderlich ist das Maß an Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises zu beachten (BGH NJW 1972, 151).

Bei einem Rückwärtsausparkvorgang, der per se sehr gefahrenträchtig ist, gilt es die hohen Anforderungen einzuhalten (vgl. Gesetzeswertung der §§ 9 Abs. 5, 10 Satz 1 StVO). Auch hat man im Straßenverkehr stets mit Fehlern anderer zu rechnen und muss sich bzw. sein Fahrverhalten entsprechend darauf einstellen.

e) Ausschluss der Haftung, §§ 17 Abs. 3, 18 Abs. 3 StVG

Die Haftung ist weder für den Kläger noch für die Beklagten nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen. Jeder ist für sich darlegungs- und beweispflichtig hinsichtlich des Vorliegens eines für ihn „unabwendbaren Ereignisses“.

Ein Unfall ist für den Halter nur dann unvermeidbar, wenn sowohl er als auch der Fahrer jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben, wenngleich eine absolute Vermeidbarkeit nicht gefordert wird. Eine absolute Vermeidbarkeit wird nicht gefordert: Es muss die äußerst mögliche Sorgfalt beachtet worden sein; hierzu gehört ein über den gewöhnlichen Maßstab hinaus gehendes, sachgemäßes, umsichtiges, reaktionsschnelles und geistesgegenwärtiges Handeln eines sog. „Idealfahrers“.

Der Kläger ist beweisfällig bzgl. der Unvermeidbarkeit geblieben. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass in beiden denkbaren Sachverhaltsvarianten (stehendes Beklagtenfahrzeug bzw. rückwärts rollendes Beklagtenfahrzeug) der Unfall für die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs vermeidbar gewesen wäre. Auch liegt ihr ein schuldhafter Verkehrsverstoß zur Last (s.o.).

Auch die Beklagte zu 2) konnte nicht darlegen und zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass die Kollision für sie ein unabwendbares Ereignis dargestellt hat. Sie hätte erkennen können und müssen, dass das klägerische Fahrzeugs rückwärts fährt (Aufleuchten des Rückfahrscheinwerfers). Da aus technischer Sicht offenbleibt, ob das Beklagtenfahrzeug stand oder nicht – der Sachverständige führt aus, dass beide Varianten möglich sind – war der Unfall nicht ausschließbar vermeidbar für die Beklagte zu 2), wenn sie früher zum Stehen gekommen wäre.

Der Sachverständige konnte aus technischer Sicht eine Unfallversion nicht ausschließen, bei der das Klägerfahrzeug teilweise nach hinten ausgeparkt wird und erst dann das Beklagtenfahrzeug rückwärts auszuparken beginnt. Es sei daher technisch nicht nachweisbar, dass einer der Unfallbeteiligten den Ausparkvorgang zeitlich früher gestartet habe.

Etwaige Zweifel gehen zu Lasten der in diesem Punkt beweisbelasteten Beklagten.

f) Konkrete Abwägung

Die konkrete Abwägung der einzelnen Beiträge ergibt eine Quote von 70:30 zu Lasten des Klägers.

Primär unfallursächlich wiegt der Verkehrsverstoß der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs.

Der Verkehrsverstoß der Beklagten zu 2) ist diesem deutlich untergeordnet.

Daher ist eine Haftungsverteilung von 70:30 angemessen und die ausgesprochene Haftungsquote wird den jeweiligen Verursachungsbeiträgen gerecht.

Die Betriebsgefahr des Beklagten-Pkw tritt nach Abwägung aller konkreten Umstände vorliegend nicht hinter der deutlich erhöhten Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers zurück. Nach der Systematik des § 17 StVG (i.V.m. § 18 Abs. 3 StVG) ist eine Haftungsteilung die Regel, so dass nur in Ausnahmefällen die Betriebsgefahr völlig zurücktritt. Voraussetzung ist, dass die mitursächliche Betriebsgefahr des einen Kfz nicht erheblich ins Gewicht fällt, während auf der anderen Seite der Unfall durch schweres oder grobes Verschulden verursacht wurde.

Eine solche Ausnahme ist vorliegend nicht gegeben: Da aus technischer Sicht offenbleibt, ob das Beklagtenfahrzeug stand oder nicht – der Sachverständige gab ab, dass beide Varianten möglich sind – rechtfertigt sich das gefundene Ergebnis.

III. Die Haftung der Beklagten zu 2) ergibt sich dem Grunde nach gemäß §§ 18 Abs. 1, 3, 7, 11, 17 StVG, 249, 251 BGB mit einer Quote von 70:30 gemäß §§ 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1, 18 Abs. 3 StVG. Die Beklagte zu 2) war Fahrerin des V.

1. Der Unfall ereignete sich beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, die Beklagte zu 2) war Fahrzeugführer.

2. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge von Kläger und Beklagter zu 2) nach §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 1, 2 StVG ergibt eine Haftungsquote von 70:30 zu Lasten des Klägers (s.o.).

3. Die Haftung der Beklagten zu 2) ist nicht nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG ausgeschlossen. Die Haftung des Fahrers nach § 18 StVG ist eine Haftung für vermutetes Verschulden; dem Fahrer ist damit die Möglichkeit gegeben zu beweisen, dass der Unfall nicht auf seinem Verschulden beruht (BGH NJW 1983, 1326). Die Beklagte zu 2) konnte den Entlastungsbeweis nicht zur Überzeugung des Gerichts führen (s.o.).

IV. Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu 3) ergibt sich dem Grunde nach aus den obigen Ausführungen (II./III.) in Verbindung mit §§ 115 VVG, 1 PflVG.

V. Die Beklagten haften als Gesamtschuldner nach § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG, § 840 BGB analog.

VI. Die Höhe der anteilig erstattungsfähigen Schadensersatzposten beläuft sich auf insgesamt 1.701,29 EUR gemäß §§ 11 StVG, 249 Abs. 1, 2, 251 ff BGB.

Die klägerseits jeweils geltend gemachte Umsatzsteuer in Höhe von 996,73 EUR für die Reparatur-, Gutachter- und Mietwagenkosten (722,68 EUR + 120,95 EUR + 153,10 EUR) ist nicht zu erstatten: Der Kläger hat eingeräumt, dass seinerseits eine Vorsteuerabzugsberechtigung bestehe. Ansonsten wurden den Schadensposten der Höhe nach nicht weiter bestritten (§ 138 Abs. 1 ZPO).

1. Die Reparaturkosten belaufen sich auf 3.803,58 EUR netto.

2. Die merkantile Wertminderung ist gemäß § 251 BGB zu erstatten und beträgt im vorliegenden Fall 400.- EUR.

3. Die bezahlten Sachverständigenkosten von 636,60 EUR netto sind vom Schadensersatz nach § 249 Abs. 1, 2 BGB erfasst.

4. Die nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erstattungsfähigen Mietwagenkosten belaufen sich auf insgesamt 805,79 EUR netto.

5. Die (volle) Unkostenpauschale ist nach ständiger Rechtsprechung des Landgerichts Deggendorf und des Oberlandesgerichts München in Höhe von 25.- EUR nach § 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 287 ZPO gerechtfertigt und nicht in Höhe der beantragten 30.- EUR.

6. Die anteilig zu erstattenden Schadenspositionen belaufen sich daher entsprechend der Haftungsquote auf insgesamt 1.701,29 EUR (30 % von 5.670,97 EUR).

VII. Nebenforderungen

1. Die Zinsen bezüglich der Hauptforderung folgen aus §§ 288, 286 Abs. 1 BGB Das Faxschreiben der Beklagten zu 3) stellt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung dar (§§ 133, 157 BGB), sodass eine Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich ist.

2. Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten sind grundsätzlich nach § 249 Abs. 1, 2 BGB im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität geschuldet und waren erforderlich, soweit sie sich aus der berechtigten Forderung ergeben. Berechtigt sind die Rechtsanwaltskosten aus einem Wert von 1.701,29 EUR (s.o.). Diese liegen im vorliegenden Fall über der Selbstbeteiligung von 150.- EUR, sodass dem Kläger jedenfalls dieser Betrag zu ersetzen ist. Der übersteigende Teil der Forderung ist auf die Versicherung übergegangen (vgl. § 86 Abs. 1 VVG).

Die diesbezüglichen Zinsen folgen aus §§ 288, 291 BGB ab dem 28.08.2015 (§ 187 Abs. 1 BGB analog).

B. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

C. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für den Kläger aus § 709 Satz 1, 2 ZPO für die Beklagten gemäß § 708 Nr. 11 ZPO.

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