AG Eutin, Az.: 27 C 645/15, Urteil vom 01.02.2017
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt es nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abzuwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegenüber den Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 30.4.2015 in Eutin ereignete.
Der Geschäftsführer der Klägerin fuhr das durch die Klägerin geleaste Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … . Die Beklagte zu 1.) fuhr das bei der Beklagten zu 2.) versicherte Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … .
Der Geschäftsführer der Klägerin fuhr von dem Parkplatz Elisabethstraße Höhe Hausnummer 72, um nach links abzubiegen. In rechter Fahrtrichtung standen Fahrzeuge auf der Fahrspur geradeaus in einer Kolonne. Der Fahrer eines Lkw hielt vor der Ausfahrt des Parkplatzes seinen Lkw an und bedeutete dem Geschäftsführer der Klägerin per Handzeichen, dass er ihn durchlassen wolle. Der Geschäftsführer der Klägerin fuhr über die rechte Fahrspur und kleines Stück an dem Lkw vorbei, ein kleines Stück auf die Gegenfahrbahn.
Die Beklagte zu 1.) befuhr mit dem bei der Beklagten zu 2.) haftpflichtversicherten Fahrzeug die Elisabethstraße in Richtung Weidestraße und beabsichtigte, am Ende der Elisabethstraße nach links in die Weidestraße abzubiegen. Vor dem Einmündungsbereich gibt es eine Geradeaus- und eine Linksabbiegespur. Da sich auf der Geradeausspur die Fahrzeuge stauten entschloss sich die Beklagte zu1.), die Fahrzeugkolonne zu überholen. Als die Beklagte zu 1.) an der Fahrzeugschlange vorbei fuhr, nutzte sie einen Teil der Gegenfahrbahn. Auf Höhe des Lkw war die Mittellinie durchgezogen. Als die Beklagte zu 1.) etwa fünf Autos passiert hatte, kam es zur Kollision zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Beklagtenfahrzeug.
Bei der Kollision wurde das klägerische Fahrzeug beschädigt.
Die Klägerin macht folgende quotenbevorrechtigte Positionen geltend:
Reparaturkosten netto gemäß Rechnung vom 30.7.2015 4.125,04 €
Reparaturkosten netto gemäß Rechnung vom 31.8.2015 250,00 €
Wertminderung gemäß Gutachten der Beklagten zu 2.) 300,00 €
Gesamt 4.675,04 €
Der Kaskoversicherer der Klägerin zahlte einen Betrag in Höhe von 3.625,04 €.
Die Klägerin macht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner die nicht auf die Vollkaskoversicherung übergegangenen Ansprüche geltend unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75% zu Lasten der Beklagten.
Im Einzelnen macht die Klägerin nunmehr folgende Schadenspositionen geltend: Quotenbevorrechtigte Positionen in Höhe von 1.050,00 €.
Nicht bevorrechtigte Positionen:
Mietwagenkosten 75% von 369,76 € = 277,32 €
Schadenspauschale 75% von 20,- € = 15,00 €.
Die Klägerin behauptet, das klägerische Fahrzeug habe zum Zeitpunkt Kollision gestanden; beim Überholen habe die Beklagte zu 1.) die durchgezogene Linie überfahren.
Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 1.342,32 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 6.8.2015 zu zahlen.
2. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten mit 169,50 e nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, zum Zeitpunkt der Kollision hätten sich beide Fahrzeuge in Bewegung befunden.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 11.1.2017 (Bl. 57 d.A.).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus dem Verkehrsunfallgeschehen vom 30.4.2015 in Eutin zu. Ein solcher Anspruch folgt nicht aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG. Die §§ 18 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG verpflichten den Fahrer eines Kraftfahrzeuges zum Schadensersatz, wenn bei dem Betrieb des Fahrzeuges der Körper eines Menschen verletzt beziehungsweise eine Sache beschädigt wird. Ein Schaden ist bereits dann bei dem Betrieb eines Fahrzeuges entstanden, wenn sich von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben und das Unfallgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt wird.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Verkehrsunfall für die Beklagte zu 1.) durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden ist. Nach § 17 Abs. 3 StVG ist die Haftung lediglich dann ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird. Die Beklagten haben vorliegend den sogenannten Unabwendbarkeitsnachweis nicht geführt. Bei diesem Nachweis kommt es darauf an, ob für einen besonders sorgfältigen Kraftfahrer, den sogenannten „Idealfahrer“, bei der gegebenen Sachlage der Unfall unvermeidbar gewesen wäre.
Gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG hängt die Verpflichtung zum Umfang des Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderem verursacht worden ist. Insofern kann dahinstehen, ob die Klägerin aus dem Leasingvertrag verpflichtet ist, das Fahrzeug zu reparieren.
Bei der Abwägung der Haftungsanteile nach § 17 Abs. 2 StVG sind nur unstreitige, zugestandene und erwiesene Tatsachen zu berücksichtigen. Vermutungen haben außer Betracht zu bleiben. Heranzuziehen sind die beiderseitigen objektiven Unfallursachen, Verschulden der Fahrer sowie die Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge.
Nach diesem Maßstab scheint eine Haftung der Beklagten nicht gerechtfertigt.
Die Beklagte zu 1.) hat sich keine Sorgfaltspflichtverletzung vorwerfen zu lassen.
Die Beklagte zu 1.) hat sich keinen Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StVO vorwerfen zu lassen. Nach dieser Vorschrift darf nur derjenige überholen, der übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorganges jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist.
Insofern kann dahinstehen, ob die Beklagte zu 1.) gegen ein Überholverbot verstoßen hat. Denn diese Vorschrift schützt allein den Gegenverkehr und nicht von der Seite aus einem Grundstück auf die Fahrbahn einfahrende Verkehrsteilnehmer, die gegenüber dem fließenden Verkehr den besonderen Sorgfaltspflichten aus § 10 StVO unterliegen.
Die Beklagte zu 1.) hat sich auch keinen Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vorwerfen zu lassen.
Soweit nach der Rechtsprechung der vorfahrtberechtigte Fahrzeugführer, der an einer zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne links vorbei fährt, bei Annäherung an eine Kreuzung oder Einmündung auf größere Lücken in der Kolonne zu achten und sich darauf einzustellen hat, dass sie vom Querverkehr benutzt werden, gelten diese Grundsätze nicht für Grundstücksausfahrten. Denn den aus einem Grundstück ausfahrenden Verkehrsteilnehmer treffen die höchsten Sorgfaltspflichten. Er trägt grundsätzlich die alleinige Verantwortung für sein Fahrmanöver. Der im Geradeausverkehr befindliche, links überholende Verkehrsteilnehmer muss nicht mit Querverkehr aus einer Grundstücksausfahrt rechnen, wenn er an einer wartenden Fahrzeugschlange vorbeifährt, die vor der Grundstücksausfahrt eine Lücke für den Ausfahrenden freigelassen hat. Denn eine solche Lücke wird in der Regel von dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer lediglich dazu benutzt, um sich unter Beachtung der besonderen Sorgfaltspflichten des § 10 StVO in die Fahrzeugkolonne einzuordnen. Bei dem Queren des Fließverkehrs durch eine solche Lücke handelt es sich dagegen um ein außerordentliches besonders gefährliches Fahrmanöver, mit welchem der an der Kolonne Vorbeifahrende nicht zu rechnen braucht. Eine Grundstücksausfahrt ist schon aufgrund der straßenbaulichen Gegebenheiten für den Fahrzeugführer weitaus schwerer zu erkennen als eine Kreuzung oder Einmündung.
Hingegen muss sich der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges einen Verstoß gegen § 10 StVO vorwerfen lassen.
Wer aus einem Grundstück oder Parkplatz in die Fahrbahn einfahren möchte hat sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, erforderlichenfalls hat er sich einweisen zu lassen. Der Beweis des ersten Anscheins spricht gegen den eine Grundstücksausfahrt verlassenden Kraftfahrer, wenn es im Zusammenhang mit einem solchen Verkehrsvorgang zu einem Unfall kommt. Die Klägerin hat den Beweis des ersten Anscheins nicht widerlegt.
Bereits aus dem Vorbringen des Geschäftsführers der Klägerin folgt, dass er seinen Sorgfaltspflichten aus § 10 StVO nicht genügt hat. Denn er hat beim Fahren auf die Gegenfahrbahn nach eigenem Vortrag zwar nach links geguckt, jedoch konnte er wegen des dort stehenden Lkws niemanden sehen. Bevor er etwas sehen konnte kam es zur Kollision. Da der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs unstreitig auf die Gegenfahrbahn fuhr und er mit Überholverkehr unter Benutzung der Gegenfahrbahn stets rechnen musste, liegt eine Verletzung der besonderen Sorgfaltspflichten aus § 10 StVO vor. Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs hat sich nicht so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war, er hätte sich erforderlichenfalls einweisen lassen müssen.
Hinter diesem schwerwiegenden Verursachungsbeitrag tritt die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges vollständig zurück.
Mangels Bestehens des geltend gemachten Hauptsacheanspruchs steht der Klägerin gegenüber den Beklagten der geltend gemachte Zinsanspruch nicht zu.
Mangels Bestehens des Hauptsacheanspruchs stehen der Klägerin gegenüber den Beklagten der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen nicht zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.