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Verkehrsunfall – Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden

OLG München – Az.: 10 U 2462/20 – Urteil vom 07.10.2020

I. Auf die Berufung des Klägers vom 20.04.2020 wird das Endurteil des LG Traunstein vom 13.03.2020 (Az. 6 O 2070/19) in Nr. 1. und 5 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren auch künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 07.08.2009 gegen 14:00 Uhr zwischen N. und P. zu erstatten und zwar den materiellen Schaden zu 40 % und den immateriellen Schaden unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote des Klägers von 60 %, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 14% und die Beklagte 86 %.

III. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.914,12 € festgesetzt.

Gründe

A.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.

I. Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für immaterielle Schäden aus dem zu Grunde liegenden Verkehrsunfall verneint. Hingegen besteht kein weitergehender Anspruch des Klägers auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

1. Die Klagepartei hat mit der Berufung klargestellt, dass sie ihr neben der Leistungsklage geltend gemachtes ursprünglichen Klagebegehren (sämtlichen weiteren immateriellen Schaden) uneingeschränkt weiterverfolgt. Mit der Berufungsbegründung ist damit keine Beschränkung des Schmerzensgeldbegehrens auf künftige, unvorhersehbare Spätfolgen verbunden.

Die Abweisung des Feststellungsbegehrens hinsichtlich immaterieller Schäden kann keinen Bestand haben. Der Kläger, dem die Milz entfernt wurde, erlitt u.a. Knochenbrüche und einen Dauerschaden mit einer erheblichen MdE. Ausgehend davon, dass die bloße Möglichkeit, dass es zum Eintritt künftiger immaterieller Schäden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall kommt, nicht verneint werden kann, ist die Zulässigkeit der Feststellungsklage vorliegend zu bejahen (Senat, Urteil v. 21.02.2020, Az. 10 U 2345/19 [Juris]). Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 17.10.2017 (VersR 2018, 120) klargestellt, dass jedenfalls in Fällen, in denen die Verletzung eines durch § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsguts und darüber hinaus ein daraus resultierender Vermögensschaden bereits eingetreten sind, wie dies hier jeweils zu bejahen ist, die Begründetheit einer Klage, die auf die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden gerichtet ist, nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Schäden abhängig ist (Leitsatz 4 und Rn. 49 bei juris):

„Begründet ist ein Feststellungsantrag, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann. Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist, hat der Senat bislang offen gelassen (Senatsurteile vom 9. Januar 2007 – VI ZR 133/06, VersR 2007, 708, 709 mwN; vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432). Der Senat hat aber bereits Zweifel an der Erforderlichkeit eines solchen zusätzlichen Begründetheitselements jedenfalls für den Fall geäußert, dass Gegenstand der Feststellungsklage ein befürchteter Folgeschaden aus der Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten absoluten Rechtsguts ist (Senatsurteil vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432; vgl. auch Senatsurteil vom 15. Juli 1997 – VI ZR 184/96, VersR 1997, 1508, 1509 für mögliche Spätfolgen nach schweren Verletzungen). Jedenfalls in Fällen, in denen die Verletzung eines (durch § 823 Abs. 1 BGB oder durch § 7 Abs. 1 StVG geschützten) Rechtsguts und darüber hinaus ein daraus resultierender Vermögensschaden bereits eingetreten sind, gibt es keinen Grund, die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts abhängig zu machen. Materiell-rechtlich wird es den Anspruch auf Ersatz dieser Schäden ohnehin nicht geben, solange diese nicht eingetreten sind; von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts hängt die Entstehung des Anspruchs also nicht ab. Die Leistungspflicht soll bei künftige Schäden erfassenden Feststellungsklagen deshalb nur für den Fall festgestellt werden, dass die befürchtete Schadensfolge wirklich eintritt (vgl. von Gerlach, VersR 2000, 525, 532). Da dementsprechend der Feststellungsausspruch nichts darüber aussagt, ob ein künftiger Schaden eintreten wird, ist es unbedenklich, die Ersatzpflicht des Schädigers für den Fall, dass der Schaden eintreten sollte, bereits jetzt festzustellen (ähnlich MüKoZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., § 256 Rn. 32). Nach diesen Grundsätzen kommt es für die Begründetheit des vorliegenden Feststellungsantrags nicht darauf an, ob der Eintritt eines verbleibenden Rentenkürzungsschadens, für den die Klägerin keine kongruenten Sozialleistungen beanspruchen kann, wahrscheinlich ist. Die Klägerin ist in einem durch § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsgut verletzt worden, woraus schon gegenwärtig ein Verdienstausfallschaden resultiert, für den die Beklagte teilweise einzustehen hat.“

Weiter hat die Rechtsprechung dem Geschädigten die Möglichkeit eingeräumt, bei einem noch nicht hinreichend absehbaren Heilungs- oder Beeinträchtigungsverlauf den Schmerzensgeldantrag auf die bereits eingetretenen Verletzungsfolgen zu beschränken (sog. immaterieller Vorbehalt, vgl. BGH NJW 1980, 2754). Ein derartiger Feststellungsausspruch neben der Zuerkennung von Schmerzensgeld meint nicht solche Schäden, die der Geschädigte noch nicht, weil deren Gewicht noch nicht ausreichend überschaubar, zur richterlichen Entscheidung stellen wollte, sondern beschränkt sich darauf, bei erst später eingetretenen und nicht vorhersehbaren Spätschäden und dadurch begründetem Anspruch auf Ersatz weiteren Schmerzensgeldes den Geschädigten vor dem Eintritt einer Verjährung zu schützen.

2. Die von der Berufung angesetzte Gebühr für die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1,8 steht mit der Systematik des RVG und der ganz herrschenden Rechtsprechung, auch des Senats, und Literatur nicht im Einklang (vgl. Senat, Urt. v. 25.10.2019, Az. 10 U 3171/18):

Nr. 2400 VV schreibt vor: „Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.“ Bei diesem Wert von 1,3 handelt es sich um die sogenannte Schwellengebühr. Selbst wenn die höhere Mittelgebühr von 1,5 (vgl. dazu grdl. Madert zfs 2004, 391) angefallen ist, darf ein die Schwellengebühr überschreitender Geschäftswert nur angesetzt werden, wenn alternativ die zusätzlichen Merkmale des Umfangs oder der Schwierigkeit der Tätigkeit vorliegen. Die ganz herrschende Rechtsprechung geht davon aus, dass es sich bei der Abwicklung eines üblichen Verkehrsunfalls auch nach Inkrafttreten des RVG grundsätzlich um eine durchschnittliche Angelegenheit handelt, bei der die Berechnung einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG angemessen ist (so Senat, Hinweis vom 19.04.2006 im Verfahren 10 U 1613/06; vgl. ferner die Rechtsprechungsübersichten in DAR 2006, 58 f., NJW 2006, 1477 ff. und in MittBl. der Arge VerkR 2006, 53 ff.). Die Berufung zeigt keinen Sachverhalt auf, der eine hiervon abweichende Beurteilung rechtfertigt

II. Die Kostenentscheidung beruht für die erste Instanz auf § 91 I ZPO und für das Berufungsverfahren auf § 92 I 1 Fall 2 ZPO. Bei den mit der Berufung geltend gemachten weiteren vorgerichtlichen Kosten handelt es sich vorliegend nicht um eine nicht streitwerterhöhende Nebenforderung.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

V. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO.

 

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